Verhaltensstaat, Verhaltenspolitik, Verhaltensdiener: Erkennungsmuster für eine spieltheoretisch ideologisierte und indoktrinierte Gesellschaft

Die Spieltheorie reduziert den Menschen auf Information, auf eine „selbstsüchtige, fast roboterhafte Kreatur“. Dieser in der Wirtschaftswissenschaft über Jahrzehnten unhinterfragt angewandten Spieltheorie steht nun mittlerweile das Modell der Verhaltensökonomie gegenüber, nach der sich Menschen auch in der Wirtschaft schlicht entsprechend ihres individuellen Charakters verhalten.

Nun wird es Zeit über das Verhalten anderer Player zu sprechen, die nicht minder von der Spieltheorie befallen sind als die Wissenschaftler und Akademiker in der Wirtschaft: Der Staat und seine Diener.

Jede von Menschen gebildete Gesellschaft entwickelt nur dann Stabilität, wenn die stärkste Macht des Menschen über den Menschen greift: die eigene Gewohnheit. Gewohnheit basiert auf Denken, Denkmustern, mithin der Psychologie und des jeweiligen Menschenbildes der Einzelnen, welche interagierend die Gesellschaftsstrukturen bilden.

Denken wird entweder übernommen bzw kopiert oder selbst entwickelt. Dabei ist auch die Denkverweigerung bzw. Ignoranz und das stattdessen exekutierte Kopieren und Übernehmen des Denkens von Anderen bereits Denken. Es ist ein bewusster Entschluss, der allerdings oft genug ins Unbewusste verschoben wird, um diesem eigenen Entschluss der Ignoranz, des Nicht-Denken-Wollens zu entkommen, was natürlich nicht möglich ist.

Die Gesellschaft in der wir nun existieren und die sie beherrschende Macht der Gewohnheit der Einzelnen basiert auf Denken und Denkmustern, die vor Jahrzehnten in herrschenden, privilegierten Kreisen aus dem Motiv der Rechtfertigung der eigenen Herrschaft, Privilegien und Person heraus entwickelt wurden und die dann von oben sukzessive in alle Gesellschaftsbereiche herab gesickerten und sie infiltrierten. Dabei wurde und wird alltäglich permanent enormer Aufwand betrieben und auf allen Ebenen Druck ausgeübt, um diese Denke, dieses Menschenbild, diese Macht der Gewohnheit in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten und die (durch einen einfachen gedanklichen Prozess der gesellschaftlichen Individuen jederzeit drohende) Auflösung des Dritten Paradoxon Hierarchie und Stände zu verhindern.

Wesentliche, vermeintlich wissenschaftlich begründete Rechtfertigung für dieses Denken und seine Muster ist die sogenannte „Spieltheorie“ (Original: „game theory“) und deren Modelle. Im Kern beinhalten diese Reduktion des Menschen auf mathematische Gleichungen, Nullen und Einsen, berechenbare Information. Sie sind heute nicht nur Grundlage so ziemlich aller gesellschaftlich akzeptierten und etablierten Theorien und ausgeübten Praktiken in (Parteien-)Politik, Akademien, universitären und sonstigen Bildungseinrichtungen, Wirtschaft, Militär und staatlichen Strukturen, sondern liefern für diese eben auch die Rechtfertigungsgrundlage. Psychologie und Menschenbild großer Teile der Bevölkerung sind mit diesem Menschenbild („Homo Oeconomicus“) infiltriert worden.

In 2007 umschrieb der britische Intellektuelle Adam Curtis in der weitreichenden und äußerst informativen dreiteiligen Dokumentation „The Trap“, wie durch die Kopie und Übernahme dieser in den 50er Jahren durch Mathematiker wie John Nash und Herman Kahn im Auftrage der R.A.N.D. Corporation in den Bunkern des Pentagon nach deren eigenem, düsteren Menschenbild entwickelten Spieltheorien das „simple Modell der Menschen als selbstsüchtige, fast roboterhafte Kreaturen zu der heutigen Vorstellung von Freiheit führte”.

Über die Jahrzehnte entwickelt und in ihren Modellen jeweils aufeinander aufbauend, kann hinsichtlich der Spieltheorie von einer durchgängigen, und für die Betroffenen in sich und im eigenen Realitätstunnel logischen Ideologie gesprochen werden.

Der zweite Teil der Dokumentation, “The Lonely Robot” („Der einsame Roboter“), endet mit den Worten:

“Dass was Adam Smith die ´unsichtbare Hand´nannte, ist unsichtbar, weil sie tatsächlich gar nicht da ist. Und Politiker haben eine starke Rolle darin zu spielen die Märkte zu kontrollieren. Und eine neue Disziplin, genannt “Verhaltensökonomie” (“behavioral economics”) ist dabei zu studieren, ob Menschen sich wirklich so benehmen wie das vereinfachte Modell sagt dass sie es tun.

Deren Studien besagen, dass sich tatsächlich nur zwei gesellschaftliche Gruppen in allen experimentellen Situation rational und selbstsüchtig verhalten: Die einen sind die Ökonomen selbst. Die anderen sind Psychopathen.”

Die nun an Universitäten und in akademischen Kreisen über lange Jahren und Jahrzehnte langsam, sehr langsam entwickelte Hypothese der Verhaltensökonomie besagt im Kern – im Gegensatz zu den Spieltheorien – dass sich im Wirtschaftsprozess Privilegierte, also z.B. Banker, Wohlhabende, Händler, Besitzer, etc, und ebenso einfache Konsumenten schlicht entsprechend ihrem eigenen Charakter verhalten.

Man muss sich nun vor Augen halten, dass in der herrschenden Gesellschaftsstruktur privilegierte (also abseits der Eigentumsverhältnisse primär akademische) Individuen in den sich oft und gern als „Wertegemeinschaft“ betitelnden Staaten im sogenannten „Westen“ offensichtlich Jahrzehnte brauchten um einen simplen, naheliegenden Gedanken zu entwickeln.

Zuvor jedoch hatten praktisch alle akademischen Schichten und Gruppierungen – vorneweg ausgerechnet die sich als links, emanzipatorisch oder sozialdemokratisch verstehenden – über Jahrzehnte ohne jeden Widerspruch zugesehen, wie auf der Spieltheorie basierendes „geistiges Eigentum“ von Parteien, Regierungen, Parlamenten kopiert und in Politik und Gesetze gegossen wurden: wie z.B. die Spieltheorie der “Neuen Politischen Ökonomie” /  “public choice” – Grundlage der Politik Margaret Thatchers im Vereinigten Königreich seit den 80er Jahren und Grundlage der Wirtschaftspolitik der „rot-grünen“ Regierung von Deutschland unter Kanzler Gerhard Schröder ab 1998 und nachfolgend bis heute unter Kanzlerin Angela Merkel.

Erfunden wurde die „public choice“ Theorie von James McGill Buchanan jr., Mitglied der vom österreichischen Adligen Friedrich von Hayek 1947 gegründeten “Mont Pelerin Society”.  James M. Buchanan Jr., der wesentlich die Politik der “konservativen Revolution” in den U.S.A. und dem Vereinigten Königreich seit den 80er Jahren beeinflusste, war Anhänger des spieltheoretischen „empirisch-analytischen“ (also geschickterweise bis zum Beweis des Gegenteils gültigen)  “Unmöglichkeitstheorem” / “impossibility theorem”, welches höchst mathematisch und damit plausibel berechnete, dass parlamentarische Entscheidungen nie das optimale Ergebnis für das Gemeinwohl zur Folge haben könnten, sondern im Gegenteil ein allgemeiner Wohlfahrtsstaat nur durch eine Diktatur zustande kommen könne. Buchanan vertrat zudem, entsprechend der Spieltheorie, vehement die Auffassung, dass eine Gesellschaft nur dann im Gleichgewicht und frei von Tyrannei sei, wenn der rationale Drang zum Eigennutz des Individuums befreit würde von jeglicher emotionalen oder subjektiv-moralischen Ablenkung. Und natürlich frei von (staatlichen) Regeln oder Zwangsabgaben, alias Steuern. Buchanan ist heute übrigens Ehrenpräsident des gemeinnützigen Vereins “Walter Eucken Institut e.V.”, dessen Leiter Lars Feld gemeinnützig-selbstsüchtiger “Wirtschaftsweiser” von Angela Merkel ist, sowie passenderweise Kurator von Mehr Demokratie e.V.

Doch nicht nur die “Neue Politische Ökonomie” /  “public choice” ist Spieltheorie; auch Gesellschaftsmodelle und Wirtschaftstheorien wie die “Social Choice”-Theorie (“Sozialwahltheorie”), die “positive political theory” (“positive politische Theorie”), die “rational choice theory” (“Theorie der rationalen Handlung“), die “Systemtheorie” (erfunden vom “theoretischen Biologen” Ludwig von Bertalanffy) und damit praktisch die gesamte heute an den Universitäten gelehrte Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft.

Was aber, wenn wir alle nur schlicht unserem Charakter, unserer Persönlichkeit und Psychologie entsprechend handeln und die von den herrschenden Kreisen entwickelnden Spieltheorien nichts anderes bezwecken als eben diese zu beeinflussen?

Was, wenn Funktionäre in Parteien, Behörden, Parlamenten und Regierung, ob als Vertreter für Volk oder Waschmaschinen, nicht für irgendeine große Sache oder Idee lügen bzw „dementieren“ (müssen), sondern weil sie es wollen?

Angenommen sei hier das Modell des Verhaltensstaates. Also eines Staates, dessen Funktionäre, in den etablierten Parteien in Regierung, Behörden, Parlament oder Justiz, sich schlicht entsprechend ihres eigenen Charakters, ihrer Persönlichkeit, Psychologie, Moral und Ethik verhalten und deren Verhaltenspolitik als Verhaltens(staats)diener genauso ist wie sie selbst.

Wird mit diesem Erklärungsmodell nicht Manches sehr viel logischer von dem was wir in den letzten Jahrzehnten erleben durften?

Warum wollen bestimmte Menschen in jede einzelne Schrift, jede einzelne Email, jeden einzelnen Text glotzen, den wir im Leben geschrieben haben? Warum wollen sie uns auf Schritt und Tritt „überwachen“, auf den Straßen, in den U-Bahnen, in den Büros, Autos, Flugzeugen, bis in die Schlafzimmer und sonst wo hinein? Warum ist ihnen das so ein dringendes, ja inneres Sicherheits-Bedürfnis? Was ist ihr Problem?

Warum wollen bestimmte Menschen an uns herum fummeln und programmieren wie an Robotern, ihrem Idealbild eines rationalen Wesens, warum wollen sie wissen wie wir denken, was wir fühlen, wie wir sind? Warum wollen sie uns kontrollieren? Weil wir gefährlich sind?

Warum wollen sie töten, Krieg führen und in Kerkern und Geheimgefängnissen von jedweder Aufsicht und Kontrolle ungestört Menschen langsam zu Tode foltern? Warum wollen sie mehr Geld – mehr und mehr und mehr? Zu unserer Sicherheit? Warum wollen sie die Parlamente entmachten, reden die Demokratie schlecht und wollen unsere Verfassungen und Grundrechte „verdampfen“ lassen? Für Europa? Für Amerika? Für Asien, für Afrika? Für mehr davon?

Warum planen, nach eigener Aussage des türkischen Ministers Lütfi Elvan, die Regierungen von Deutschland, Frankreich und der Türkei das World Wide Web zu „verlassen“? Warum versuchen die Funktionäre der Berliner Regierung, Parteien und Behörden Bürgerinnen also nun unseren Zugang zum gesamten WWW im Internet zu sperren, nachdem die 2008 in Deutschland durch die auch jetzt wieder regierende „große Koalition“ beschlossenen Internet-Sperren wieder in sich zusammengebrochen sind? Warum rennen sie nun in ihrer Verzweiflung sogar zur U.N.O., um durch eine „internationale Konvention“ die „Kontrolle über soziale Medien“ zu bekommen? Zu unserem Besten? Weil das Grundgesetz es will?

Eine andere Annahme liegt da sehr viel näher:

Ein Staat, dessen Politik und Diener nur noch die eigenen Interessen verfolgt, weil er glaubt das sei rational, sei vernünftig, sieht seine Bürgerinnen und Bürger als Verrückte und „Gefährder“ an, wenn sie auch andere Interessen verfolgen als selbstsüchtige und damit das verheißene, gelobte Land der Spieltheoretiker gefährden, das „Equilibrium“, ein fiktives gesellschaftliches Gleichgewicht aus absolut selbstsüchtigen, „rationalen“ Individuen, letztlich Teilnehmern eines nie endenden Krieges innerhalb der Gesellschaft, deren Player – nur sich selbst verpflichtet – sich quasi auf einen Waffenstillstand einigen (müssen), weil keiner mehr übrig ist den man betrügen kann, weil nun alle begriffen haben „wie´s läuft“. (Aber insofern und solange das nicht alle begriffen haben, ja insofern und solange gibt´s auch kein „Equilibrium“. Die Sozialen sind Schuld. Von den Sozialisten ganz zu schweigen. Und die Christen, und die Journalisten, und die Kabarettisten, und die Zivilisten und die und die und die und…)

Ein Staat, dessen Parteien und Diener Angst haben – und Angst haben müssen –  vor denjenigen in der Gesellschaft, die dieses seit Jahrzehnten einer erneut und zunehmend feudal gegliederten und strukturierten Gesellschaft aufoktroyierte spieltheoretische Dogma der unbedingten Selbstsucht, Kaltherzigkeit und „taktischen Information“, der Orgie aus Lügen, Falschheit und Gemeinheit, nicht akzeptiert und nicht verinnerlicht haben, sondern die Gesellschaft zum Besseren verändern wollen, zu einem Besseren, wie sie es nach bestem Wissen und Gewissen verstehen – welche Legitimation hat so ein Staat noch? Welche Perspektive? Worauf außer der Macht der Gewohnheit begründet er seinen Machtanspruch und seine Gewalten sonst, wenn er bereits dazu übergegangen ist alles andere vollständig zu ignorieren?

Das Erklärungsmodell von Verhaltensstaat, Verhaltenspolitik und Verhaltensdienern mag zu eben jenem Wissen und Gewissen beitragen vor dem sich eben jene Funktionäre, Diener und Untertanen dieses Staates so fürchten. Denn es ist das Wissen und Gewissen selbst, was sie um ihre Macht der Gewohnheit Willen fürchten müssen.

(…)

Artikel zum Thema:
27.10.2012 BBC-Filmreihe “The Trap”: Wie Psychologie und Menschenbild des heutigen Kapitalismus erfunden wurden
Die BBC-Filmreihe “The Trap – What happened to our Dream of Freedom” (“Die Falle – Was mit unserem Traum von Freiheit geschah”) aus dem Jahre 2007 umschreibt Ursprung und Aufstieg von Psychologie und Menschenbild des heutigen Kapitalismus. Die Dokumentation beleuchtet akribisch, wie zu Zeiten des Kalten Krieges von Mathematikern und Psychologen aus deren zutiefst düsteren Menschenbild heraus entwickelte Theorien Jahrzehnte später benutzt wurden um ganze Staaten und Gesellschaften nach diesem Menschenbild zu transformieren.