Das große Gasfiasko des Westens
Russlands Anführer Vladimir Putin trägt normalerweise ein perfektes Pokergesicht. Letzte Woche in Shanghai allerdings fiel es dem eiskalten russischen Präsidenten sehr schwer, nicht in ein breites Grinsen auszubrechen.
Warum das? Putin hatte gerade seinen westlichen Rivalen ein Schnippchen geschlagen. Der Versuch der Vereinigten Staaten von Amerika/des Vereinigten Königreichs, Russlands Wirtschaft zu treffen und Putin für Ungehorsam zu bestrafen, war gerade in ihre eigenen rot angelaufenen Visagen hochgegegangen.
Nach 20 Jahren schwieriger Verhandlungen hatten Russland und China soeben einen großen Handel über den Export von 38 Milliarden Kubikmetern Gas im Wert von rund $400 Milliarden von Russland nach China abgeschlossen. Die Vereinbarung beginnt 2018 zu laufen und wird eines der größten Bauprojekte der Erde umfassen, das Russlands abgelegene Erdgasfelder mit Chinas Pipelinesystem verbindet.
Zusätzlich wird China mindestens $20 Milliarden in die russische Industrie investieren und Importe russischer Produkte forcieren, besonders von militärischen Systemen. China wird Russlands größter Handelspartner werden.
Das war nicht die marktschreierisch angepriesene „Achse nach Asien,“ die Präsident Obama erwartet hatte. Es ist vielmehr die lang gefürchtete Umarmung zwischen dem chinesischen Drachen und dem russischen Bären, die die Strategen des Westens nervös gemacht hat.
Man muss davon ausgehen, dass der neuliche Aufruhr in der Ukraine der letzte Strohhalm war, der China dazu brachte, eine strategische Verbindung mit Russland einzugehen. Bisher hatte die beiden Großmächte ruhig kooperiert, nicht immer ohne Probleme. Dank all dem Wutgeheul und Säbelrasseln der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Alliierten über Osteuropa und die Südchinesische See entschloss sich China, sein Bündnis mit Moskau zu erweitern und zu vertiefen.
Die Republikaner im Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Kriegstrommeln geschlagen und von Obama gefordert hatten, hart gegenüber Russland aufzutreten (was immer das auch heißen mag), tragen jetzt ihren Teil Schuld daran, dass sie Moskau in Chinas Arme getrieben haben. Alles perfekt vorhersehbar und perfekt blöd. Ein diplomatisches Fiasko reinsten Wassers.
Russland hat damit seiner Wirtschaft einen starken Antrieb gegeben und lässt die Sanktionen des Westens belanglos erscheinen. Chinesisches Geld wird es Russland, das knapp bei Kasse ist, ermöglichen, seine Erdöl- und Erdgasindustrie zu modernisieren. Die neuen Erdgaspipelines werden einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung für Russlands Notstandsregionen im Osten und in Sibirien mit sich bringen.
Wenn das Gasgeschäft läuft und blüht, wird es als Modell für eine verstärkte chinesisch-russische Kooperation im Militärbereich dienen, betreffend etwa Kampfflugzeuge der fünften Generation, Raketensysteme, Marinekräfte und hochwertige Elektronik. Bis zum heutigen Tag hat Russland gezögert, mehr hochentwickelte militärische Systeme an China weiterzugeben, weil China russische Technologie kopiert und sich dann geweigert hat, entsprechende Lizenzgebühren zu bezahlen.
Für China bietet das Abkommen viele Vorteile. China hatte seit Jahren zuwenig Energie. Peking muss verzweifelt neue Energiequellen finden, um seine wachsende Wirtschaft zu betreiben. Russisches Erdgas bietet eine saubere Alternative zur schmutzigen Kohle, die China für Energiegewinnung und zum Heizen eingesetzt hat. Laut Schätzungen wird die Umstellung auf Erdgas die Luftverschmutzung in den Städten im Norden Chinas um mindestens 25% reduzieren, vielleicht auch viel mehr. Nachdem ich selbst viele Nächte lang in Peking nach Luft geschnappt habe, weiß ich voll zu würdigen, was das bedeutet.
Russland hat lange gezögert, zu eng mit China im Rahmen von Industrieprojekten im Fernen Osten zu kooperieren. Die Russen lieben China – oder „Kitai“ – nicht besonders, weil China Erinnerungen an die mongolisch-tatarischen Invasionen weckt, die große Teile Russlands hunderte Jahre lang verheert haben. Misstrauen und geradezu Abneigung stecken in der Mentalität vieler Russen. Im 19. Jahrhundert machte Russland mit bei der Vergewaltigung Chinas durch die Mächte des Westens.
Demographie spielt eine große Rolle bei den russischen Ängsten gegenüber China. Russlands fernöstliche Regionen mit dem wichtigen Hafen Wladiwostok haben nur etwa 7,4 Millionen Einwohner. Zehnmal so viele Chinesen leben jenseits der Grenze in der nordöstlichen Region, die als „Dongbei“ bekannt ist. Diese wichtige strategische Region und die Mandschurei wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Konfliktzone zwischen Russland, Japan und China, was zum blutigen russisch-japanischen Krieg führte, dem ersten großen modernen Krieg des 20. Jahrhunderts.
Rund 1,5 Millionen Chinesen kommen jährlich über die russische Grenze und lassen sich illegal nieder, was zu einer Situation ähnlich der zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Mexiko führt. In Moskau werden Befürchtungen laut, dass die 2 Millionen illegalen chinesischen Zuzügler in Russlands Fernem Osten eines Tages zu 20 oder 30 Millionen werden und die russischen Bewohner zahlenmäßig übertreffen.
Als ich 1980 vom chinesischen militärischen Geheimdienst eingeladen war, um in Peking „Meinungen auszutauschen,“ fragte ich unverschämt, wie lange die chinesische Armee brauchen würde, um Wladiwostok einzunehmen. Nach einem langen betretenen Schweigen spuckte ein General aus: „eine Woche.“
Russland hält noch immer riesige Gebiete, die es Mitte des 19. Jahrhunderts von China an sich gerissen hat. Peking und Moskau haben noch viel Arbeit vor sich, um schwebende Konflikte zu lösen und gegenseitigen Respekt und Vertrauen aufzubauen. Derzeit besteht auf beiden Seiten diesbezüglich noch ein großer Mangel.
Heute sind Chinas steigende Energieimporte sehr anfällig gegen Unterbrechungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika und neuerdings Indien verfügen über die Möglichkeiten, chinesische Öltanker und Frachttransporte zur See zu blockieren, was in beiden Fällen Chinas größere Industrien zum Erliegen bringen würde.
Die entscheidenden Engpässe wären die inneren und äußeren Inselketten des Südchinesischen und Nordchinesischen Meeres und die enge Straße von Malakka. Indiens neue Flugzeugträger und Unterseeboote werden spezifisch für den Zweck gebaut, Chinas Erdölimporte zu unterbrechen.
Durch Pipelines aus Russland kommendes Erdöl wäre sicher gegen die meisten Angriffe und würde China seine lang gesuchte Sicherheit bei der Energieversorgung bieten.
Dieses neue Abkommen ist in vielfacher Beziehung so gut, dass alte Ängste und Misstrauen sich seiner Logik beugen müssen.
Am wichtigsten ist, dass das chinesisch-russische Energieabkommen das Machtgleichgewicht auf der Erde weiter in Richtung Osten verschieben könnte. Russland und China, die im Tandem arbeiten, könnten die große Macht und den Reichtum der Vereinigten Staaten von Amerika und deren reichen Alliierten aufwiegen. Es ist ein sehr bedeutendes geopolitisches Ereignis.
Orginalartikel „THE GREAT WESTERN GAS FIASCO“ vom 24.Mai 2014
Quelle http://antikrieg.com/aktuell/2014_05_24_dasgrosse.htm