Osama bin Laden und Bowe Bergdahl: zwei Seiten einer Medaille

Suche mit allen Mitteln nach dem von „Taliban“ gefangenen Soldaten folgte unmittelbar auf die Entmachtung des U.S.C.E.N.T.C.O.M. im Jahr 2009, nachdem die Zivilisten im Weissen Haus und der Generalstab die Kontrolle über die Afghanistan-Strategie übernehmen.

„Der letzte Gefangene“ bleibt jedoch weiter isoliert, möglicherweise für Monate oder Jahre – Pentagon im Juni 2014

Bowe Bergdahl, geb. 1986 in Idaho, ist kein normaler U.S.-Soldat, der in Afghanistan als vermisst gemeldet und im Zuge eines Gefangenenaustauschs gegen fünf Guantanamo-Häftlinge am 31.Mai 2014 freigelassen wurde. Bergdahl wurde angeblich vor einer Woche von U.S.-Eliteeinheiten aus einem Lager der Aufständigen mit deren Einwilligung in der Provinz Chost nahe der pakistanischen Grenze per Hubschraubereinsatz abgeholt. Den NavySeals wurde strikte Geheimhaltung über die Umstände des Einsatzes auferlegt.

Bergdahl ist eine der Figuren, die zur Fortführung des endlosen Krieges geformt werden, um nach jeweiliger Situation ihren öffentlichen Part zu spielen.

Der seit fünf Jahren im Untergrund Afghanistans verborgene Soldat, dessen Ansagen je nach benötigter Lage in drei Videos veröffentlicht wurden und dessen Freilassung durch Präsident Barack Obama und den Eltern des Soldaten vor einer Woche gefeiert wurde, ist eigentlich noch immer ein weggeschlossener Gefangener, nun in Deutschland.

Eingeflogen auf den U.S.-Luftwaffenstützpunkt Ramstein, dem grösssten U.S.-Aussenposten – auf dessen Drehscheibe sämtliche Fäden der operativen Kommandostrukturen und ihrer Spionageapparate zusammenarbeiten, und anschliessend sofort isoliert und mit Informationssperre belegt, wird der Zurückgeholte zur Erholung und Konditionierung im U.S.-Militärkrankenhaus Landstuhl Regional Medical Center solange ausserhalb der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben wie es seine Betreuer für richtig erachten. Vor allem wird grösster Wert auf die psychologische Behandlung gelegt um wieder die Kontrolle über seine Gefühle zu erlangen „regain control of his emotions“.

Normalerweise würde ein junger Militärangehöriger unter diesen Umständen, der so viele Jahre von dem familiären Umfeld getrennt war, diese beste Pflege im Kreis seiner Angehörigen finden – parallel zu ambulanten psychologischen Spezialisten, die über Erfahrungen mit posttraumatischen Störungen durch Kriegseinsätze verfügen. Über Bergdahl hingegen wurde eine ausnahmslose Kontaktsperre verhängt, selbst seine Eltern sind davon betroffen, es werden keine Telefonate zugelassen.

„Bergdahl hat nur Umgang mit seinem Wiedereingliederungsteam von Ärzten, Psychologen und anderen“, teilte Pentagonsprecher Warren mit.

Das, was zu erwarten war, trat Stunden später ein. Ein Beamter des Verteidigungsministeriums meinte, der Anpassungsprozess unter Aufsicht der Psychologen könnte sich über Monate oder Jahre hinziehen.

Sämtliche Medien haben keinen Zugang zu dem Weggesperrten, die Begründung ist:

„Je komplizierter die Interaktion der Medien ist, desto komplizierter ist die Wiedereingliederung. Jeder hat einen Teil von der Geschichte und nur sehr wenige die gesamte Story. Wenn sich also der Fokus der Medien auf einen Teil richtet und eine Person bekommt das wieder zu hören, dann wundert sie sich: ‚Warum warten sie nicht auf die ganze Geschichte?‘ Das verkompliziert es“, meinten die Psychologen.

Natürlich hat keiner ein Interesse daran, den Gefangenen seine Version öffentlich erzählen zu lassen. Nicht seine Führungsoffiziere, deren Anweisungen Bergdahl als freiwilliger Undercover-Agent möglicherweise gefolgt war, der seine Rolle spielte oder von diesen als geeignetes Opfer schlicht missbraucht wurde.

Bowe Bergdahl war ein gut ausgebildeter Kämpfer der Sonderkommandos. Angeblich trainierte er freiwillig Kampfsportarten. Vor seinem Eintritt in die U.S. Army absolvierte er wochenlang ein Überlebenstraining in der Wildnis nahe seines Heimatorts und bereitete er sich auf den Eintritt in die französische Fremdenlegion vor, um in Uganda oder anderen afrikanischen Ländern gegen Söldnertruppen von Warlords zu kämpfen. Er reiste dazu nach Paris und wurde dort merkwürdigerweise abgewiesen.

Erst danach kam es Bergdahl in den Sinn, in die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika einzutreten um im Namen seines eigenen Landes für Gerechtigkeit in anderen Staaten zu sorgen.

Wir wissen nicht, ob diese Lesart, veröffentlicht vor zwei Jahren, auf Wahrheit beruht, angeblich wurde Bowe von seinem Vater in beiden Fällen bestärkt. Welcher Vater unterstützt seinen eigenen Jungen in einen Söldnerhaufen eines fremden Landes anzuheuern, um in Afrika gegen die Lord Resistance Army (L.R.A.) zu kämpfen. Nicht etwa aus finanziellen Nöten heraus sondern aus Nächstenliebe. Hier haben wir wieder eines der Klischees, die der Öffentlichkeit so ganz nebenbei untergejubelt werden sollte. Im Jahr 2012 kochte gerade die Joseph Kony-Kampagne hoch, die weltweit von den Geheimdiensten mit Hilfe des Propaganda-Videos „Invisible Children“ verstreut und in den sozialen Netzwerken ahnungslos verbreitet wurde (der Macher des Clips wurde ebenfalls aus dem Verkehr gezogen und verschwand in einer Anstalt in den U.S.A. auf Nimmerwiedersehen).

Bowe Bergdahl wurde in einer Einheit als Elitesoldat ausgebildet und anschliessend in das Camp Mest-Malak, einen der östlichsten Aussenposten in Afghanistan nahe der Grenze zu Pakistan gesandt.

„Zufälligerweise“ recherchierte der britische Dokumentarfilmer und Kriegsfotograf Sean Smith in Zusammenarbeit mit The Guardian im Juni 2009 ausgerechnet in Afghanistan (Sean Smith in Afghanistan) in Bowes Truppe (hier ein Foto von Bergdahl vom Januar 2014 im Guardian veröffentlicht als Vorbote der kommenden Ereignisse der letzten Woche). Im Artikel vom Juni 2009 wurde ausführlich über die Morallosigkeit der Soldaten und ihrer Vorgesetzten berichtet. Kurze Zeit später werden genau diese katastrophalen Zustände auch als Grund für das Verlassen des Stützpunkts des Soldaten Bergdahl genannt. Wir wollen Sean Smith auf keinen Fall zu nahe treten, der einen wirklich guten Job erledigte. Im besten Fall wurde der ahnungslose Journalist auch hier von den Auftraggebern benutzt, die Smith nun ausgerechnet in diesen Aussenposten sandten.

Als Quelle für das Verlassen des Camps wird der Email-Verkehr vom 23.Mai 2009 zwischen Sohn und Vater genannt. Bowe soll seinem Vater ausführlich über die miserable Mission und Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung informiert haben und dass er diesen Einsatz zu verlassen gedenkt. In der Mail standen angeblich vertrauliche militärische Informationen und der gesamte Afghanistankrieg, angezettelt durch Washington wurde darin auf das Schärfste verurteilt. Sein Vater hätte noch am gleichen Tag unter anderem geantwortet: „FOLGE DEINEM GEWISSEN“. Diese Worte benutzte Robert Bergdahl sogar als Betreffzeile.

Glaubt jemand ernsthaft, dass ein derartiger Email-Verkehr über spezielle Satelliten-Kommunikationsverbindungen der U.S. Army ohne Überwachung der U.S.-amerikanischen Militärgeheimdienste, eingeschlossen der N.S.A., erfolgen konnte?

Zudem kommt, dass Bergdahl vor Verlassen seines Aussenpostens, der in einem hochsensiblen Gebiet liegt, umzingelt von „Taliban“, seinen Vorgesetzten gefragt haben soll, ob es nachteilige Konsequenzen mit sich bringe, wenn er allein, bewaffnet mit einem Gewehr, durch die Gegend streifen würde, was dieser bejahte und auch ein Nachtfernglas als ein solches Delikt erwähnte.

Am 30.Juni 2009 verliess der auf das Höchste verdächtigte unzuverlässige Soldat Bergdahl ungeschoren seinen Aussenposten. Niemand hielt ihn auf. Daraus folgt, dass er seine Mission erfüllen sollte.

In den Vereinigten Staaten von Amerika kam es noch am gleichen Tag zu einem geheimen Treffen zwischen staatlichen Sicherheitsbeamten und dem Vater von Bowe, einem Kurierfahrer. Auch das weicht von den üblichen Gepflogenheiten ab. Die Beamten kamen nicht zu dem Wohnhaus oder an den Arbeitsplatz sondern man traf sich an einem neutralen Ort, wobei die Agenten angeblich geduldig das Ende der Schicht von Robert Bergdahl abwarteten, da kein Kollege als Ersatz einspringen konnte.

Die Familie wurde zu strengster Geheimhaltung über das Verschwinden des Sohnes verpflichtet. Die grossen Mediengruppen und die Lokalpresse wurden später angewiesen, den Namen Bowe Bergdahl nicht zu erwähnen.

Michael Hastings, ein investigativer Journalist, veröffentlichte zwei lange Beiträge im Magazin „Rolling Stone“. Der erste, sechs Seiten lange Artikel „The runaway General“ vom 22.Juni 2010 führte zu gravierenden Umbesetzungen in der Befehlskette beim U.S.C.E.N.T.C.O.M und dem Oberbefehlshaber der I.S.A.F.-Truppen in Afghanistan.

Der zweite ausführliche, sieben Seiten lange Bericht
America‘s Last Prisoner of War vom 7.Juni 2012 über den als vermisst und gefangen gemeldeten Soldaten Bowe Bergdahl ist wie der zwei Jahre zuvor veröffentlichte Beitrag über General McChrystal ein Schlüsselbericht.

Michael Hastings kam ein Jahr später, 2013, unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall ums Leben.

In „America‘s Last Prisoner of War“ wird offenbart, dass der heute von den Republikanern heftig kritisierte Gefangenenaustausch von fünf Insassen des Militärgefängnisses Guantanamo auf Kuba gegen den Gefangenen Bowe Bergdahl schon damals von der Obama-Regierung geplant wurde.

Vergessen wir alle rührseligen Geschichten um den heimgekehrten letzten U.S.-Kriegsgefangenen. Die für die Öffentlichkeit inszenierten Auftritte und Erklärungen sind reinste Manipulationen so wie es auch bei der gezielten Tötung von Osama Bin Laden der Fall war.

Die Saga von Bin Laden diente seit 2001 der Aufrüstung des geheimdienstlichen-militärischen Komplexes, der Ein- und Fortführung der Selbstermächtigung durch den Patriot Act, der Einrichtung der Militär-Justiz auf zuvor auschliesslich der zivilen Gerichtsbarkeit vorbehaltenen Belange. Viele der an der Liquidierung von bin Laden beteiligten Sondereinsatzkräfte oder andere Personen sind nicht mehr am Leben.

Die Story um Bowe Bergdahl erfüllte vor fünf Jahren den gleichen Zweck: Weiterführung und Ausdehnung der Aufstandsbekämpfung, Einsatz der Drohnenflugzeuge und Finanzierung paramilitärischer Milizen, Übergriffe auf die Stammesgebiete in Pakistan. Klischees wie Haqqani-Netzwerk, pakistanisches Stammesgebiet als Rückzugsort der „Taliban“, Nord-Waziristan wurden bedient. Nach der Entmachtung der Irakkriegs-Generalselite wurde der Fall „Bergdahl“ verschwiegen.

Das Verschwinden Ende Juni 2009 des U.S.-Soldaten, der mittlerweile in Abwesenheit zum Sergeant befördert wurde, fiel mit den harten Auseinandersetzungen in den Obersten Kommandostrukturen des U.S.C.E.N.T.C.O.M. und der Regierung in Washington zusammen, dessen Machtfülle gravierend beschnitten wurde. Im Mai 2009 wird der Oberbefehlshaber der U.S.-Truppen und der Alliierten in Afghanistan, General McKiernan entlassen und durch General McChrystal ersetzt. Wir erinnern uns an die monatelang schwelende Unschlüssigkeit zu einer Entscheidungsfindung durch Barack Obama. Radio Utopie hatte in diesen Wochen zahlreiche Artikel veröffentlicht, die im Archiv auf der Zeitung zu finden sind.

Der Fall „Bowe Bergdahl“, vor fünf Jahren gegen die Regierung von Barack Obama von den ausser Kontrolle geratenen Warlords des eigenen Landes inszeniert, um die Abzugspläne und genaue zeitliche Fixierung des U.S.-Militärs aus Afghanistan zu verhindern, richtet sich nun gegen die Regisseure.

Die inszenierte Befreiung des letzten U.S.-Gefangenen unter dem jetzigen Verteidigungsminister Chuck Hagel war ein grandioser Schachzug, dafür gebührt Respekt.

Bergdahl war möglicherweise nie in Gefangenschaft der „Taliban“, sondern als Faustpfand in einem der geheimen Lager verborgen, in denen die C.I.A., der militärische Geheimdienst und ihre afghanischen Handlanger Hand in Hand zusammenarbeiten um diesen Krieg nie enden zu lassen.

Die Regierung in Washington sollte nun alles daran setzen, das Gefangenenlager in Guantanamo zu schliessen und die Drohnenangriffe in Pakistan zu beenden.

Die „fiktive“ Tötung von Osama bin Laden und der Austausch des „fiktiven“ Gefangenen Bowe Bergdahl haben eines gemeinsam: beide dienten als Vorwände zur Fortführung des Krieges in Afghanistan und der Drohnenangriffe in den Stammesbezirken in Pakistan. Diese Arguemente sind nicht mehr existent.

Zur Zeit gibt es eine heftige Kontroverse zwischen dem Weissen Haus, Demokraten und Republikanern über die eigenmächtigen Verhandlungen der Regierung, die zur Freilassung der fünf Gefangenen aus Guantanamo führte. Vor allem der Kongress tobt… jedoch ist das alles nur Theater.

Hätten die U.S.-Parlamentarier sich für eine Beendigung und nicht für eine weitere Verlängerung der Kriegsermächtigung, dem Authorization for Use of Military Force (A.U.M.F.), gerade erst wieder im Mai 20014 ausgesprochen, so hätten sie allen Grund, Rechenschaft von der Regierung einzufordern. Jetzt ist eine einmalige Gelegenheit, die Nutzniesser und Kriegsgewinnler an ihrem Gezeter und ihrer Doppelzüngigkeit zu identifizieren.

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Quellen:
http://www.rollingstone.com/politics/news/the-runaway-general-20100622
http://www.rollingstone.com/politics/news/americas-last-prisoner-of-war-20120607
http://www.politico.com/story/2014/06/bowe-bergdahl-condition-improving-pentagon-107487.html
www.nbcnews.com/storyline/bowe-bergdahl-released/bowe-bergdahl-improving-daily-german-hospital-pentagon-says-n123601