Recht und Order
Über die „Neue Weltordnung“, das tatsächliche Land der unbegrenzten Möglichkeiten und andere Klarstellungen zu kulturellen Missverständnissen.
In unserem Artikel „Wie Interpreten von Recht das Recht verändern, brechen, stürzen können“ umschrieben wir die Mechanik der Interpretation von Recht, mit der eine Organisation, eine Partei oder eine ganze Gesellschaft gezielt nach den Vorstellungen nur einer Handvoll Personen verändert werden kann. In Absprache und / oder auf Befehl der höchsten staatlichen Ebenen, in Exekutive, Legislative oder Judikative, im Geheimen und / oder in Absprache mit einer ausländischen Macht organisiert durch eine Vielzahl von Personen in Schlüsselpositionen mehrfach angewandt, kann diese Mechanik einen im Zeitlupentempo ablaufenden Staatsstreich ermöglichen.
Das Grundprinzip der Mechanik: Je mehr sich durch Interpretation und Auslegung von Begriffen bzw Rechtsbegriffen und Formulierungen in Verfassung, Gesetzen, Verordnung, Dienstvorschriften, etc, der Ausführenden deren Praxis ändert, sei es als Parteifunktionäre, Angestellte in Behörden, Vertreter im Parlament und wiederum deren Funktionäre (Fraktions-„Führer“, „Ältestenrat“, etc, Vorsitzende in Ausschüssen, etc) oder andere Diener des Staates, die sich überhaupt nicht mehr als solche fühlen, z.B. in Polizei, Militär und Geheimdiensten – und wird wiederum die veränderte Praxis gesellschaftlich hingenommen und akzeptiert – verändert sich die gesellschaftliche Auffassung der Begriffe bzw Rechtsbegriffe und zwar zugunsten der ausführenden Funktionäre, die sie selbst verändert haben. Dann folgen entsprechende Änderungen von Gesetzen und im Extremfalle von Verfassungsrecht hin zum neuen Rechtsverständnis bzw der neuen Rechtsauffassung. Diese Mechanik ist, im Falle der erfolgreichen Anwendung, unbegrenzt wiederholbar, bis hin zum Sturz der Verfassungsordnung.
Wem es bisher nicht aufgefallen ist: genau dieser Prozess von Prozessen ist hier seit Jahrzehnten im Gange. Und nicht nur in der Berliner Republik.
So wird z.B. der Begriff „intelligence“ im u.s.-amerikanischen Rechtsverständnis heute anders interpretiert als vor dreißig Jahren und praktisch unbegrenzt auslegt. Faktisch wird darunter im Dienstgebrauch des US-Apparates – und dadurch entsprechend bei seinen Ablegern im Machtbereich (z.B. in unserer Republik) – jede Art von „Erkenntnis“ oder Information verstanden, die von jeweils eingesetzten Kräften eigenmächtig zu „relevant“ erklärt wird. Des Weiteren sind die wesentlichen Bausteine des real existierenden und über die Jahrhunderte gewachsenen Machtapparates der Vereinigten Staaten von Amerika keinesfalls demokratische Entscheidungen oder auch nur Gesetze. Es sind Befehle. Und zwar Befehle der US-Präsidenten seit George Washington.
Der Begriff „Order“ umschreibt im Englischen sowohl „Ordnung“ als auch „Befehl“. D.h., der entsprechende militärische Befehl „I give you an order“ lautet direkt übersetzt „Ich gebe Dir eine Ordnung“. Auch der Begriff „New World Order“ ist dementsprechend unterschiedlich interpretierbar, wenn man wiederum den etwas altbackenen Terminus „Neue Welt“ noch kennt, als Synonym für „Amerika“, mit dem natürlich keinesfalls irgendein Eskimo oder Mapuche gemeint war und ist.
Der Begriff „Neue Weltordnung“ ist also nur eine Übersetzung von „New World Order“. Eine andere wäre „Neuer Weltbefehl“, oder (im übertragenen Sinne) „Befehl Amerikas“.
Den Begriff „Law and Order“ übersetzte übrigens seinerzeit genau der damalige Innenminister von Deutschland falsch, der bis heute als „Law-and-Order“-Minister angesehen wird: Manfred Kanther (Innenminister von 1993-1998). Vor laufender Kamera übersetzte er „Law and Order“ mit „Gesetz und Recht“.
Noch heute fällt es gerade allen Konservativen – oder denjenigen, die sich dafür halten – schwer, ihren alten Gassenhauer „Recht und Gesetz“ wenigstens vom Deutschen ins Deutsche zu übersetzen.
Eine weitere populäre (und daher nach irgendeiner ebenfalls aus dem kosmischen Off heruntergefallenen Gesetzmäßigkeit keineswegs populistische) Legende ist die von „Amerika“ als dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Der diesbezügliche Terminus der Amaaarikaaanaa, um es mal mit TV-Supereuropäer Udo van Kampen zu sagen, lautet aber „Land of Opportunities“. Das heisst übersetzt „Land der Gelegenheiten„.
Wer nun nach Eingeborenem-Brauch hierzulande die Grundregel von der Gelegenheit kennt, und was die mit einem macht, dem wird vielleicht manches klarer. Es gehört in den U.S.A. nicht nur zum guten Ton, sondern zum Alltag sich auf irgendeine „opportunity“ heraus zu reden, wenn man bei irgendwas erwischt wird. Da die kleinen Orderempfänger, die sich hierzulande hinter dem Schimpfwort „Politiker“ verstecken, sich natürlich nicht öffentlich mit derlei Kulturgut behelfen können, sondern eifrig „Law and Order“ heucheln (in dem Bewusstsein, dass Freundschaft bedeutet dass der eine denjenigen nicht versteht der gerade seine Gelegenheiten wahrnimmt), machen sie dies entsprechend anders. Sie sitzen. Und bleiben dabei. Solange, bis alles aus ist.
In den 80ern von dem Kanzler Westdeutschlands erfunden, den ich und die meisten (heute nicht mal mehr Leidens-)Genossen nur als den „Dicken“ kennen, ist das Aussitzen in der Berliner Republik heute nicht nur Standard, sondern geradezu eine Voraussetzung für jede Art von Parteifunktion, angefangen vom Dorfschamanen (Ortsvereinsvorsitzender), bis hin zum ewigen Außenminister.
Dies alles ist leider wichtig für das Verständnis vom Selbstverständnis gerade unserer deutsch-amerikanischen Regierungsfreundschaftsfreunde, die seit Jahrzehnten unsere Verfassung, unsere Republik, unser Rechtsverständnis, unser Land und unsere Demokratie ignorieren, weil sie es ja für ihre lieben Freunde regieren müssen, was natürlich anstrengend und entbehrungsreich genug ist. Was muss man sich da noch um den Pöbel scheren, in irgendeiner Deppenkolonie und finanziellen, wirtschaftlichen, informellen und kulturellen Abbaugebiet.
Der Terminus „Executive Order“ nun ist in der Republik Deutschland weithin unbekannt. Nichtsdestotrotz sind es maßgeblich diese Befehle der jeweiligen US-Präsidenten, die die Welt, wie wir sie heute kennen, erschaffen haben.
Über deren Bedeutung auf dem langen Marsch der Institutionen zum 11. September 2001 – und nach dem Beginn des Terrorkrieges darüber hinaus, als Hänschen Groß, in die Welt hinein – wird noch zu berichten sein.