„Man fühlt sich sich an die Lobeshymnen im Märchen ´Des Kaisers neue Kleider´ erinnert“

Die Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Gruppe Nordlichter, heute auf der 232. Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das urbane und regionale Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21).

Vor einem Monat hat Bahnvorstand Kefer angekündigt, dass ab morgen, dem 5.8.14, mit den Arbeiten am Bahnhofstrog durch den Aushub der Baugrube 16 begonnen werden soll. Die Stuttgarter Nachrichten schrieben dazu, dass der Start der Hauptbaumaßnahmen nicht gefeiert werden soll,
nachdem er mehrfach verschoben wurde. An den wesentlichen Rahmenbedingungen für den Aushub hat sich allerdings seit vielen Monaten nichts verändert:

• die notwendige Verdopplung der abzupumpenden Grundwassermenge ist nicht genehmigt,
• die Planänderung für den Nesenbachdüker unter dem Bahnhofstrog ist nicht genehmigt,
• die Finanzierung des Gesamtprojektes ist offen, Juristen diskutieren die Sprechklausel,
• die Zentrale Baulogistik ist hoffnungslos im Verzug.

Trotzdem will die DB die Bagger und die LKW im Schlossgarten rollen lassen. Dies ist eine reine Machtdemonstration, um bei einer relativ einfachen Aufgabe in zentraler Lage wieder mal Projektfortschritt zu zeigen. Allerdings verstößt der Aushub des Troges ab morgen eklatant gegen die Planfeststellung. Dort ist vorgesehen, dass für den Abtransport des Abraums die Baulogistikstraßen genutzt werden müssen. Eine Nutzung öffentlicher Straßen ist für den Trogaushub nicht zugelassen.

All das steht in Anlage 13 des Planfeststellungsbeschlusses. Dort steht auch, dass die Baustraßen im ersten Jahr des Projektes zu erstellen sind – so wie ganz allgemein bei einem vernünftigen Projekt zunächst die Logistik sichergestellt werden muss. Für Stuttgart 21 hätte dies also 2011 erfolgen müssen. Immer wieder gab es neue Termine, aber passiert ist bis 2013 fast nichts. Statt über die eigene Baustraße rollten die LKWs durch die Wohngebiete des Nordbahnhofviertels. Die Gemeinderatsfraktion der Grünen hat dann eine Anfrage mit dem bemerkenswert klaren Titel ‚LKW-Terror im Nordbahnhofviertel‘ an die Stadtverwaltung gerichtet.

Die Antwort wurde sicher von der DB erarbeitet, aber sie ist von OB Kuhn unterschrieben und damit auch von ihm zu verantworten. Darin heißt es im November 2013, dass geplant ist, das Baustraßensystem bis Mitte 2014 in Betrieb zu nehmen. In der Realität ist davon aber weit und breit nichts zu sehen. Nur in einem Werbefilm des Turmforums bekommt man mit arroganter Computeranimation gezeigt, wie toll der Baustellenverkehr
über die separaten Straßen rollt. Vom Schlossgarten müsste die Baustraße A unter den rückgebauten Gleisen des Kopfbahnhofes – also zwischen neuem Querbahnsteig und den Resten des Bonatzbaus – zur LBBW hin in Tieflage verlaufen. Wann die DB anfangen will, diese Straße zu bauen, das wissen wahrscheinlich nicht mal ihre Projektplaner. Will man sie etwa nicht mehr bauen?

Zwischen LBBW und Bahnhof soll die Baustraße C über die Wolframstraße hinweg zweispurig zum Nordbahnhof führen – teilweise mit Einhausungen und Lärmschutzwänden. Auch danach sucht man vergebens. Genau dort, wo die Baustraße C verlaufen soll, muss vorab ein Stück S-Bahn-Tunnel gebaut werden. Wände und Decken des knapp 200m langen Tunnels sollten von März bis Juni erstellt werden. Anfang August hat man noch nicht mal die Hälfte geschafft – wahrlich ‚bestgeplant‘.

Ein vollständiges Baustraßensystem, wie von OB Kuhn für Mitte 2014 angekündigt, ist also nicht vor Anfang 2015 realisierbar. Trotzdem will die DB jetzt die Bagger im Schlossgarten eine Grube ausheben lassen und die
Abfuhr mit LKW über öffentliche Straßen zum Nordbahnhof durchführen – das ist nicht genehmigt und muss verhindert werden! Ganz geschickt hat die DB aber am 22.7. den Vertretern des bisherigen Stuttgarter Gemeinderats über die Baulogistik berichtet. Kurz vor der Sommerpause und bei einem starken Wechsel der Stadträte war das ein gut gewählter Termin. Dass dann die DB beim Gesundbeten der Baulogistikprobleme
und beim Verbiegen der Planfeststellung auch noch von der Stadtverwaltung unterstützt wurde, das ist ein Skandal.

Die DB behauptet z.B. dass 20% des innerstädtischen Aushubs über öffentliche Straßen abtransportiert werden dürfen. Die Anlage 13 legt aber eine Grenze von 6% fest. Auf die Nachfrage von Peter Pätzold, Fraktionschef der Grünen, zur festgelegten Nutzung der Baulogistikstraßen antwortet Technikbürgermeister Thürnau (SPD), dass bei betrieblichen Störungen und im Vorfeld der Hauptbaumaßnahmen öffentliche Straßen benutzt werden dürfen. Offenbar zählt er den Bahnhofstrog, anders als Dr. Kefer, nicht zu den Hauptbaumaßnahmen. Was denn dann? Bei den Stellungnahmen von CDU, FDP und Freien Wählern zur Baulogistik fühlt man sich an die völlig unbegründeten Lobeshymnen im Märchen ‚Des Kaisers neue Kleider‘ erinnert. Eine Vertretung der Bürgerinteressen ist nicht zu erkennen.

Die Aufsichtsbehörden EBA und Regierungspräsidium, aber auch die gewählten Vertreter der politischen Gremien in Stadt, Region und Land hätten schon längst die in der Planfeststellung vorgeschriebene rechtzeitige Herstellung der Zentralen Baulogistik einfordern müssen. Das wäre sowohl
kritisch-konstruktiv als auch Wahrnehmung der sogenannten Projektförderungspflicht. Es gibt manchmal ein paar Ansätze, die aber noch nicht reichen. So hat die Fraktion der Grünen im Gemeinderat nach der verharmlosenden Präsentation der DB nun einen Antrag zur Baulogistik von S21 eingebracht, in dem es heißt:

„Wir fragen uns, warum die Bahn die Logistikstraße nicht so wie gefordert fertig gestellt hat und warum die Gründe in der erwähnten UTA-Sitzung nicht benannt wurden? Von einer betrieblichen Störung kann hier nicht ausgegangen werden, höchstens von einem baulogistischen Schwergang der Bahn.“

Weiter heißt es:

„Es ist nicht hinnehmbar, dass entgegen den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses ab August 2014 weiterhin der Aushub über öffentliche Straßen durch das Nordbahnhofviertel transportiert wird“.

Die konkret an die Stadtverwaltung gestellten Fragen sind leider nicht so deutlich ausgefallen, aber dieses ‚nicht hinnehmbar‘ für weitere LKW-Fahrten durch das Nordbahnhofviertel, das gilt es einzufordern. Bisher waren es ca. 2.000t, die täglich abgefahren wurden und für eine extreme Belastung sorgten. Nach Angaben der Stuttgarter Nachrichten sollen es ab August mindestens 8.000t je Tag werden. Die dafür notwendigen LKW-Fahrten durch das Nordbahnhofviertel dürfen nicht stattfinden. Aber unsere Politiker sind in der Sommerpause und die Verwaltung ebenso.

Nicht nur im Schlossgarten will die DB jetzt Löcher graben. Auch der Tunnel nach Feuerbach, der vom sogenannten Zwischenangriff Prag aus gegraben werden soll, taucht in der aktuellen Planung für Oktober 2014 wieder auf. Von diesem Zwischenangriff zur Baulogistikfläche am Nordbahnhof ist ebenfalls eine Baulogistikstraße geplant. Sie ist nur wenige hundert Meter lang, erfordert aber eine Brücke über die Verbindungsgleise zur Gäubahn. Weder Brücke noch Straße sind in Ansätzen zu erkennen. Wahrscheinlich hofft man, dass auch hier Politik und Verwaltung tatenlos zusehen, wenn der Aushub über öffentliche Straßen abgefahren wird. Hier würde es die Mia-Seeger-Straße treffen,
aber ebenso die B10 und den Pragsattel.

Der Projektträger DB hat seine Aufgaben zur Herstellung einer funktionierenden Baulogistik sträflich vernachlässigt und muss nun die Konsequenzen tragen. Eine weitere Nutzung öffentlicher Straßen für den Massentransport des Aushubs ist nicht mehr hinnehmbar. Ein sofortiger Transportstopp durch die Wohngebiete ist anzuordnen. Das bedeutet praktisch einen Baustopp in der Innenstadt.

Stuttgart 21 hat so viele Probleme, dass ich überzeugt bin, dass es scheitern wird. Wir werden OBENBLEIBEN.