Empörung mit Vorbehalt

Die angebliche Enthauptung des freiberuflichen Journalisten James Foley durch den schattenhaften ISIS (oder Islamischen Staat) hat Empörung und Schrecken rund um die Welt ausgelöst.

Ich sage „angebliche,” weil wir nicht sicher wissen, ob die Enthauptung tatsächlich stattgefunden hat oder gefälscht war.

Nach drei Jahrzehnten Kriegsberichterstattung im Mittleren Osten, Afrika, Lateinamerika und Afghanistan war meine Reaktion als Journalist auch Empörung – aber Empörung mit Vorbehalt.

Wir im Westen huldigen dem charmanten und kuriosen Glauben, dass Menschen aus der Luft mit Bomben, Raketen, Geschoßen, Napalm und Streumunition – oder garAtomwaffen – zu töten irgendwie nicht wirklich so schlimm ist wie ein Bajonett in einen Gegner zu stoßen, ihn mit Artillerie in Fetzen zu reißen oder seine Kehle so zu durchschneiden, wie Schafe getötet werden.

Krieg aus der Luft ist sauber. Krieg aus der Luft ist die amerikanische Art des Krieges.

Außerdem, am selben Tag, an dem Foley angeblich enthauptet wurde, wurden 19 Menschen in Saudiarabien, einem engen Alliierten der Vereinigten Staaten von Amerika, wegen verschiedener Verbrechen öffentlich geköpft. Einer der Männer wurde wegen Hexerei hingerichtet. Es gab keinen Aufschrei über diesen mittelalterlichen Horror. Saudiarabien steht unter Verdacht, politische Gegner der Monarchie wegen Drogenvergehen anzuklagen, die mit der Enthauptung durch einen schwertschwingenden Henker bestraft werden. Kein Pieps davon in den Medien der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Foley-Geschichte hinausposaunen.

Ich bin lange denselben Weg gegangen wie dieser mutige junge Mann und zahlreiche andere freiberufliche Journalisten, habe aus extrem gefährlichen Gebieten ganz auf mich selbst gestellt berichtet, ohne Unterstützung oder Hilfssystem. Es ist eine sehr einsame und oft demoralisierende Arbeit.

Als ich im südangolanischen Urwald war, um über die prowestlichen UNITA-Kräfte zu berichten, die gegen die von der Sowjetunion unterstützten angolanischen Marxisten kämpften, da akzeptierte ich das Risiko getötet zu werden. Aber was, so fragte ich mich, würde ich machen, wenn ich verwundet oder schwer krank würde? Die Antwort: 200 km weit zu den Linien der südafrikanischen Armee kriechen.

Wie ich in meinem Buch “War at the Top of the World” (Krieg auf dem Dach der Welt) schreibe, musste ich nachts den Khyber-Pass in Afghanistan in einem Toyota Land Cruiser hinaufrasen, Lichter ausgeschaltet, Pistole in der Hand, Straßensperren ausweichend, die von der kommunistischen Regierung in Kabul angeheuerte Afridi-Stammesleute errichtet hatten, um mich zu schnappen. Wäre ich gefasst worden, hätte man mich in ein 10 Meter tiefes Loch in der Erde voller Schlangen und grausamem Ungeziefer gesteckt, bis ich nach Kabul gebracht worden wäre, wo man mich gefoltert und wahrscheinlich getötet hätte.

Bei diesem und einer Reihe von weiteren haarsträubenden Abenteuern in furchterregenden Gegenden wie Syrien, Albanien, Kaschmir, Irak, Libyen oder Burma wäre niemand imstande gewesen, mich herauszubekommen, wenn ich im Gefängnis gelandet wäre. Niemand machte sich wirklich Sorgen, weil ich eigenständig unterwegs war und für zahlreiche Zeitungen arbeitete. Nicht einmal Al Jazeera kann seine eingesperrten Journalisten aus Ägypten heraus bekommen.

Zeitungen benützten mich, und andere waghalsige junge Journalisten wie Foley, um von den wirklich gefährlichen Orten zu berichten. Keine Krankenversichung oder Pensionsberechtigung für uns: wir waren entbehrlich.

Normalerweise fürchtete ich mich mehr vor Krankheiten wie Hepatitis oder Meningitis als vor Kugeln.

Mittlerweile berichteten gehätschelte Korrespondenten der TV-Netzwerke aus Vier-Sterne- Hotels, umgeben von Assistenten und Hilfskräften.

Wurde Foleys Kopf wirklich abgeschnitten? Schwer zu sagen. In den letzten Jahrzehnten hatten wir dermaßen viel verlogene Kriegspropaganda der Regierung – von kuwaitischen Babies, die aus Brutkästen geschleudert wurden bis zu Saddams geheimen Atomwaffen – dass wir sehr vorsichtig sein müssen.

Sehen sie sich die furchtbaren Bilder von Opfern in Gaza an: Babies mit aufgerissenen Köpfen und Körper, die von 155mm-Granaten in Fetzen gerissen wurden. Was ist der Unterschied zwischen dem und einer Enthauptung? Nur die Entfernung zwischen Killer und Opfer.

Natürlich bin ich empört, wenn ein Journalist entführt und gegen Lösegeld gefangen gehalten wird, eine Spezialität von ISIS und anderen jihadistischen Banden in der Sahararegion. Europa hat Lösegeld bezahlt und hat viele seiner Geiseln zurückgekommen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika weigern sich offenkundig, so zu handeln. „Wir werden niemals mit Terroristen verhandeln,“ so Washingtons Mantra, obwohl es mit jeder Menge terroristischer Regierungen zu tun hat. Das Problem ist, dass jede Gruppierung, die sich heute den Vereinigten Staaten von Amerika im Ausland widersetzt, wahrscheinlich als Terroristen gebrandmarkt wird. Kein Wunder, dass die Terroristen überall wie Pilze aus dem Boden schießen.

Wäre ich selbst in die Nähe einer Geiselnahme gekommen, dann hätte ich gehofft, freigekauft zu werden, falls man mich geschnappt hätte. Das scheint eine zivilisiertere und effektivere Möglichkeit des Umgangs mit Geiselnehmern und Banditen zu sein, so geschmacklos sie auch sein möge. Und ja, die Bezahlung von Lösegeld wird zu mehr Geiselnahmen anregen. Hobson´s Wahl. Mir sind lieber schlechte Entscheidungen, die zu einem guten Ende führen.

Demokratien sollten sich selbst nicht gestatten, von Übeltätern provoziert zu werden. Aber gerade das ist es, was ISIS-Mitglieder jetzt machen, indem sie diese Video-Horrorshow aufführen. Wir müssen fragen: Warum? Warum versuchen sie, die Vereinigten Staaten von Amerika zu breiterer und tieferer militärische Intervention im Irak und in Syrien aufzureizen, wo sie leben?

Könnte das Teil des von Osama bin Laden klar dargelegten Plans sein, die Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Mittleren Osten zu verjagen, indem man sie in eine Reihe kleiner Kriege hineinlockt, die den amerikanischen Koloss langsam ausbluten? Bis jetzt – durch den Einmarsch in Afghanistan, Irak, Somalia und Teile Pakistans – könnten die Vereinigten Staaten von Amerika genau in Osamas sorgfältig ausgelegte Falle gestolpert sein.

Oder ist das orchestrierte Wutgeheul wegen Foley das Medienvorspiel für eine direkte Intervention der Vereinigten Staaten von Amerika in Syrien, wo die von Washington unterstützten Jihadisten beim Verlieren sind? Das alles ist sehr verwirrend. Im Irak ist ISIS dämonische Terroristen. Aber jenseits der Grenze in Syrien sind sie auf unserer Seite, wo sie gegen das „terroristische“ Regime von Basher Assad kämpfen.

Wir stolpern über unsere Terroristen. Osama findet das sicher lustig.

Orginalartikel „CAUTIOUS OUTRAGE“ vom 23. August 2014

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2014_08_23_empoerung.htm

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