Hambacher Forst: Bericht der Baumbesetzerin vom 29. November 2014
Heute morgen hat Radio Utopie mit dem Artikel „Hambacher Forst: Erbärmlicher Belagerungszustand um hungernden Aktivisten in der Baumkrone“ auf die derzeitigen Vorgänge im Hambacher Forst aufmerksam gemacht. Den Umweltschützern war es gelungen, am Freitag kurzfristig die Barrikade der Männer des Sicherheitsdienstes zu durchbrechen und den seit einigen Tagen auf dem Baum verschanzten Mann herunterzuholen und eine neue Besetzung in den Wipfel zu bringen.
Hier nun ein Bericht von der aktuellen Baumbesetzerin, die am heutigen Vormittag über Telefon um 9.30 Uhr folgendes berichtete:
Es ist 9:30 Uhr. Vor einer halben Stunde habe ich mich entschieden die warme Fleece-Decke vom Kopf zu ziehen und meinen Hunger von gestern Nacht etwas zu stillen. Essen ist anstrengend, vor allem mit kalten Händen und Gesicht, welche sonst unter der Decke geschützt und mit einer Sturmhaube bedeckt sind. Ich befinde mich in luftigen 25 Meter Höhe.
Richtung Norden habe ich einen Panorama-Blick auf den Tagebau Hambach, rechts und links steht ausser im Umkreis von 40-50m kein Baum mehr und Richtung Süden, da wo unentwegt Stämme der gefällten Bäume mit einer Maschine abtransportiert werden, die scheinbar nicht gelenkt wird, sondern von sich aus arbeitet, da weiß ich den letzten Rest vom Hambacher Forst, der noch immer an 2 Orten besetzt ist, sowie die besetzte Wiese dahinter mit all meinen Leuten.
Gerade fährt ein Tanklaster aus dem mit Bauzäunen umstellten Areal, auf dem ich mich auf einer ca. 200 Jahre alten amerikanischen Eiche befinde. Er hat die Generatoren mit neuem Treibstoff versorgt, damit sie sobald es dunkel wird den Baum auf dem ich mich befinde und das umzäunte Areal mit Flutlichtern taghell erleuchten können. Seit mehr als 4 Tagen ziehen sie das nun durch. Muss ein Heiden-Geld kosten.
Irgendwo weiter Richtung Osten höre ich Kettensägen-Geräusche.
Heute morgen sind die Securities nicht so gesprächig, während sie gestern Nacht kaum genug davon kriegen konnten, zu mir hoch zu rufen. Sachen wie „komm mal runter, ich will ein bisschen Spaß haben“ weil er „nicht gay“ sei, sondern nur „auf Frauen stünde“. So ekelhaft das ist, ist dies die Realität, in der so viele Menschen leben. Ich ja auch, bloß dass ich vielen dieser Extreme nicht Tag für Tag ausgesetzt bin, denn im besetzten Wald und auf der Wiese sind die Menschen um ein bedachteres Klima bemüht.
Die ganze Zeit sind etwa 20 von diesen Typen um mich herum, innerhalb und ausserhalb der Bauzäune und bewachen mich wie Bluthunde. Sie warten darauf, dass ich aufgebe, oder dass wieder etwas wie gestern Abend passiert. Eine echte Niederlage für sie. Etwa 30 Leute die sich nicht von den mit Taschenlampen und Stöcken aus dem Wald bewaffneten Securities haben beeindrucken lassen, sondern einfach schnurstracks durch die Bauzäune auf den besetzten Baum zugingen, während sie dem Wachschutz erklärten, es würde keine Gewalt von der Gruppe ausgehen, wir würden nur zum Baum wollen und dann wieder verschwinden.
Aus dem Gerangel bei den Strohballen unter dem Baum steigt plötzlich unerwartet eine Person mit nicht sichtbarem Klettermaterial (unter den Klamotten) am Seil empor. Ein Security versucht sich noch an den Rucksack zu hängen, doch wird von anderen schnell wieder abgepflückt. In wenigen Sekunden bin ich ausser Reichweite, entkomme dem Tumult und den Schreien auf dem Boden. Sie machen Anstalten, die Hebebühne, welche direkt unter dem Baum steht anzuschmeißen, doch sie wird von darauf sitzenden Leuten blockiert – sie merken scheinbar, dass sie selbst ihr Leben riskieren würden, weil sich von ihnen niemand mit Baumklettern auskennt.
Es ist mühsam, mit dem Rucksack auf dem Rücken zu klettern, doch ich treibe meinen Körper bis an seine Grenzen. Als ich oben ankomme, großes Hallo. Der andere ist glückselig über die Ablösung. Es bedeutet neue Kraft, Motivation und dass wir noch etwas länger die Rodung, und damit den Tagebau direkt blockieren.
Und diesmal scheint die Polizei nicht so leicht für eine Räumung zu haben sein. Als der andere sich fertig macht um runter zu gehen beobachte ich das Treiben am Boden. Ich höre eine mir vertraute Stimme wie sie weinend und voller Entsetzen zu 2 Securities spricht: „Wie könnt ihr das bloß tun? Dieser Mensch hier blutet – ihr habt ihn mit einer Taschenlampe blutig geschlagen.“ Wie ich sie höre, muss auch ich weinen und mache mir große Sorgen um meine Lieben die für heute Abend einen so viel härteren Part übernehmen müssen als ich.
Ich sehe, dass es einige scheinbar geschafft haben, zu entkommen, während die, die noch da sind nun vom Wachpersonal (welche mittlerweile 4 mal so viele sind wie zuvor) eingekesselt werden, während sie auf das Eintreffen der Polizei warten. Der andere Kletterer und ich verabschieden uns herzlich und ich freue mich für ihn, dass er nun endlich runter kann.
Nun bin ich allein hier oben. Ich rufe die Person an, die hinter einem Computer-Bildschirm sitzend auf Neuigkeiten wartet und erzähle von der gelungenen Aktion. Die Stimmung am Boden beruhigt sich langsam, und nach und nach werden die Leute abgeführt. 6 meiner Freund*innen werden noch lange in der Kälte festgehalten.
Irgendwann werden die Securities mit warmen Getränken versorgt, und sie geben auch meinen frierenden Lieben etwas, und stellen noch die Kiste mit Obst, die seit knapp 4 Tagen unter dem Baum steht in den Kreis der aneinander gekuschelten Aktivist*innen. Alles andere wäre Folter gewesen.
Aus mir unbegreiflichen Gründen macht es sowohl der Polizei als auch besonders den Securities scheinbar Spaß, mit überhellen Lampen zu mir hoch in den taghell beleuchteten Baum zu leuchten, was mich nicht weiter stört, denn ich kann das Licht ganz einfach mit meiner Hand abschirmen.
Irgendwann gegen 22 Uhr wird die letzte Person von den Cops abgeführt und nun beginnt mein Part erst so richtig: Nun bin ich hier vor Ort auf mich allein gestellt, umzingelt von Menschen die dafür sorgen, dass ein über 12000 Jahre altes Ökosystem bis zur Gänze zerstört werden soll, Menschen gezwungen werden sollen, ihre Häuser zu verlassen und Tiere ganz einfach umgebracht werden, um eine veraltete, extrem klimaschädliche und sich kaum lohnende Energiegewinnung aufrecht zu erhalten. Umzingelt vom Feind.
Dabei sind die, die hier unter mir stehen ja nicht einmal die direkt verantwortlichen. Sie sind Sklaven des Systems, in dem man Geld „braucht“, einen Status „braucht“, um darin zu überleben. Und viele kennen einfach keine Alternativen oder haben keine Zeit darüber nachzudenken weil sie ja arbeiten „müssen“. The system works because you work.
Ich versuche etwas zu schlafen, während es mit jeder Stunde kälter wird. Ich bin froh um meine dicke Sturmhaube aus Kunstwolle. Denn nun sorgt sie mehr dafür, dass ich warm bleibe, als dazu, mein Gesicht zu vermummen.
Gegen 2:30 Uhr erhalte ich einen Anruf von jemandem und ich bin froh seine Stimme zu hören. Es ist die Person, die eine Platzwunde am Kopf davongetragen hat, nachdem ein Security-Mitarbeiter ihn mit einer Stabtaschenlampe verprügelt hat. Er sagt, dass alle wieder draussen sind, und nachdem die ersten vehement Widerstand gegen die Abnahme der Fingerabdrücke geleistet haben, es bei den später Festgenommenen gar nicht erst versucht wurde. Somit sind alle die es so wollten ohne Personalienfeststellung rausgekommen.
Alles in allem eine verdammt erfolgreiche Aktion. Solidarität ist unsere Waffe! Irgendwann in der Nacht ist Schichtwechsel bei den Securities. Manche verabschieden sich von mir und wünschen mir eine gute Nacht. Obwohl ich mich nachts immer wieder verschlafen neu einmummeln muss um nicht zu frieren fühle ich mich morgens einigermaßen fit. Fit genug, um den ganzen Tag mit ungewohnt wenig Bewegung herumzukriegen.
Das wars erstmal vom Baum. Fortsetzung folgt!
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Quelle: http://hambacherforst.blogsport.de/2014/11/29/nachricht-von-neuland/