Die Rede von Egon Hopfenzitz, Bahnhofsvorsteher Stuttgart a.D., auf der gestrigen 250. Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das staatlich-kommerzielle Umbauprogramm “Stuttgart 21″ (S21). Die Rede trägt den Titel „Stuttgart 21 nach 259 Wochen noch immer unerledigt!“.
Meine lieben, nie aufgebenden Mitstreiter gegen S21 aus nah und fern,
unerledigt sagt man in Schwaben zu einer Sache, die nicht fertig wird. Großer Mist sagt man in Schwaben zu einer Sache, die nichts taugt. Daher ist Stuttgart 21 derzeit immer noch ein unerledigter großer Mist.
Was ist noch unerledigt und was kommt noch auf Stuttgart zu?
Beginnen wir drüben bei der alten Neckarstraße, die oben verläuft und darunter die neue Straßenbahnhaltestelle…
Im zweiten Untergeschoß folgt der neue Bahntunnel vom Flughafen her und nochmals darunter der Nesenbachdüker, jedoch nicht als Tunnelbaustelle, sondern im störenden Tagebau. Allesamt ein gigantisches Bauwerk in vier Ebenen mit monatelangen Umleitungen des Straßen- und Straßenbahnverkehrs. Die Bahn hat auf Antrag vom Eisenbahnbundesamte – um Kosten zu sparen – die Genehmigung
erhalten, dieses gigantische Loch an der engsten Talstelle in offener Bauweise zu errichten und wie sie sagt „im öffentlichen Interesse“. Die Öffentlichkeit sind aber Wir und nicht die Bahn!
Was erwartet uns dort:
• Umleitungen auf Straße und Stadtbahn,
• Umsetzen von Bäumen, die dann wohl abgesägt werden,
• bedrohliche Annäherung an die talabwärts unterirdisch fließenden Mineralwässer,
• Hochwassergefahr aus dem unberechenbaren Nesenbach mit unüberschaubaren Folgen.
Gehen wir weiter in Richtung Bahnhof, so stoßen wir im bereits baumlosen und zerstörten, früher so schönen Mittleren Schlossgarten auf den inzwischen sogenannten Feldherrnhügel, in dessen Nähe
am „Schwarzen Donnerstag“ zahlreiche S21-Gegner durch Wasserwerfer schwer verletzt wurden. Dort ist nämlich ein Wunder geschehen! Als dort ein Polizeipräsident und ein Oberstaatsanwalt – allesamt Befürworter von S21 – die Lage beobachteten, wurde plötzlich aus den gefährlichen Wasserstößen – auf wunderbare Weise – ein friedlicher Nieselregen.
Bald stoßen wir auf den markanten Bahnhofsturm: 1916 fertiggestellt und 58 m hoch. Sechs Buchautoren schreiben von Eichenpfählen, auf denen er stehen soll. Eine Institution, die Bahn, spricht von Eisenpfählen. Wer hat Recht? Eine bautechnisch schnelle und einfache Freilegung könnte dies klären, so man dies überhaupt will! Die Bahn weigert sich jedoch, dies zu tun!
Warum? Dafür gibt es für mich nur einen Grund: Die Bahn weiß, dass der Turm auf Eichenpfählen steht und diese auf den geplanten Wasserentzug sehr empfindlich reagieren können!
Zur Herstellung des riesigen Bahnhofstrogs von der Neckarstraße bis zur Kriegsbergstraße müssen 3500 Betonpfähle, allesamt 15 m lang und bis zu 29 m unter Erdniveau eingerammt werden und zwar mit je 125 Schlägen. Es werden dazu erforderlich:
• alle 15 Sekunden 1 Schlag
• pro Minute 4 Schläge
• pro Stunde 240 Schläge
• pro 24 Stunden 5 760 Schläge
Das sind insgesamt 1 Million 36 Tausend und 800 Schläge mit Schallwellen vom Kessel bis zu den Höhen. Auch das wartet noch auf uns. Aber all diese Betonpfähle bleiben für immer und ewig ein Betonbollwerk quer durch den Talkessel mit nicht abschätzbaren Folgen: Und das scheint niemand zu stören: Nicht die Bahn, nicht die Stadt,
die von einem grünen OB geführt wird, nicht die CDU, nicht die FDP, nicht die Grünen, offenbar nur die Linken und offensichtlich nur Sie und mich.
Die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs? Hier gibt es eine glasklare Aussage: Der heutige Kopfbahnhof hat 16 Bahnsteiggleise und leistet pro Stunde 52 Züge. Der neue Tiefbahnhof hat künftig nur noch 8 Gleise und leistet nur 32 Züge, und diese Reduzierung kostet 7 Milliarden. Ein sehr schlechtes Geschäft.
Der neue Tiefbahnhof hat geneigte Gleise mit einem Höhenunterschied zwischen Lok und letztem Wagen bis zu 6 m. Man lässt diese Einmaligkeit auf deutschen Bahnhöfen zu, weil außer Anhalten, Aus- und Einsteigen und Weiterfahren alle übrigen Arbeiten am Zug im Abstellbahnhof Untertürkheim und nach neuesten Nachrichten auch in Obertürkheim und Münster geplant seien. Will man jetzt auch das gute Gelände in Untertürkheim evtl. verkaufen und will man dem Lokführer evtl. vorschreiben, er möge mögliche Fehler beim Bremsen nicht im geneigten Tiefbahnhof, sondern erst in den Abstellbahnhöfen machen?
Zwischen Nordausgang und Bahndirektion wird zur Zeit unterirdisch die technische Einrichtung für das künftige Zentralstellwerk Stuttgart erstellt. Irgendwann soll dann entschieden werden, ob das Stellwerk von hier aus oder von Karlsruhe aus gestellt wird.
Gehen wir weiter in Richtung ehemalige Bundesbahndirektion, bei der bislang nur der Eingangsbereich abgebrochen und eingelagert wurde. Nur dieser Teil sei bautechnisch wertvoll. Frage: Und der Rest??
Nur wenig Vertrauen in die Bautechnik der Bahn hat offenbar die Industrie- und Handelskammer Stuttgart. Bis dorthin, bis zur Kriegerstraße reicht der geplante Tiefbahnhof. Nach bereits vollzogenem Abbruch der Gebäude Nr. 30 und 32 hat die Handelskammer jetzt auch noch ihr Nachbargebäude Nr. 34 nach Steigerung des Verkaufspreises von 3 auf 7,3 Mio. € auf Abbruch an die Bahn verkauft, die sich nicht getraut hat, das Gebäude zu unterfahren.
Meine lieben Mitstreiterinnen und Mitstreiter, das Wort Abbruch erinnert mich an das nötige Ende meines Vortrags! Bleiben Sie auch weiterhin im Widerstand gegen S21, denn es gilt mehr denn je:
„Oben bleiben“