Beitrag von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., zur Pressekonferenz „Stuttgart 21: Die Planfeststellung des S21-Filder-Abschnitts ist gescheitert“ am 29.12.2014 in Stuttgart
Ich habe 11 Tage von früh bis abends bei der Erörterung zugebracht. Es war ein Fiasko für die Bahn.
Das begann mit den relativ harmlosen Themen wie Lärm und Erschütterung, wo die Gutachter der Gemeinde der Bahn ordentlich zusetzten, so dass das RP deutlich machte, dass es da Nachforderungen stellen werde. Es setzte sich fort beim Brandschutz, wo der Kreisbrandmeister sagte: „Die Bahn hat nicht nachgewiesen, dass die Flughafenbahnhöfe sicher sind“ usw.
Der Stresstest war schon allein deshalb ein Riesenschwindel, weil er die S-Bahn nicht hinreichend berücksichtigt hat. Es dämmert ja selbst den hartnäckigsten Befürwortern inzwischen, dass der Filderabschnitt die ohnehin mangelhafte Leistungsfähigkeit des Gesamtprojekts S 21 nochmals dramatisch (kumulierend) verschlechtert und zudem die ohnehin grenzwertige S-Bahn vollends aus dem Takt bringt. Der Dresdner Gutachter Steinborn, der sich nur auf den kleinen Abschnitt
zwischen Rohrer Kurve und Flughafen beschränkt, kommt zu dem klaren Schluss, dass das System hier oben nicht fahrbar ist.
Ich zitiere hier Prof. Gerhard Heimerl: “…(die Antragstrasse) ist nicht zukunftsorientiert. Ich fürchte, wir versündigen uns andernfalls an unseren Kindern und Enkeln“ und „Die Mängel der Antragstrasse sind seit langem bekannt“ und „…wenn Zwangspunkte im Schienennetz hintereinander liegen, beeinflussen sie den Bahnbetrieb negativ…. Die Rohrer Kurve im Westen… wird an einer Stelle eingleisig (im
Gegenverkehrsbetrieb) gebaut, so wie die heutige S-Bahn-Station am Flughafen. Bei mehreren Zwangspunkten hintereinander kann das System kollabieren.“
Und Heimerl nennt nur zwei von vielen Zwangspunkten, z.B. nennt er nicht die kleine Wendlinger Kurve, die den Verkehr aus Ulm und aus Tübingen nur grenzwertig bewältigen kann und dadurch die Einschleifung der Gäubahnen in die Schnellbahntrasse nach Stuttgart extrem erschwert. An allen 4 Punkten kann S21 nur dann einigermaßen funktionieren, wenn an keiner Stelle jemals Störungen auftreten – das ist aber vollkommen illusorisch. Man kann sich nur wundern, dass die
Bahn nicht sehen will, wie sich hier im Gesamtsystem Stuttgart 21 das schiere Chaos aufschaukeln kann.
Man kann von einer regelrechten Panikreaktion der S21-Protagonisten sprechen, weil ihnen zur Rettung ihrer längst toten Fehlplanung nichts Besseres einfällt als der „Filderbahnhof Plus“, der bei einer ganzheitlichen Abwägung eher mehr Nachteile als Vorteile hat. Hier wird das Kernproblem des Projekts Stuttgart 21, nämlich die mangelnde Leistungsfähigkeit auch nicht ansatzweise vermindert, im Gegenteil.
Das Regierungspräsidium, das diese Probleme auch erkennen musste, hatte wohl panische Angst davor, auch noch den Deckel vom Gesamttopf Stuttgart 21 zu öffnen, anders ist der plötzliche Abbruch des Erörterungstermins nicht zu erklären.
Offensichtlich wollte das Regierungspräsidium sich um die Gesamtrechtfertigung von S21 drücken, aber genau darauf hat die Öffentlichkeit einen besonderen Anspruch. Diese Planrechtfertigung wurde in der Tagesordnung vom RP ausdrücklich mit 2 bis 4 Tagen in der Einladung zur Erörterung versprochen.
Wir fordern das Regierungspräsidium auf, keinen Erörterungsbericht zu schreiben, ohne das Erörterungsverfahren zu den ungeklärten Punkten (Lärm und Erschütterung, Brandschutz, S-Bahnbeeinträchtigung durch Mischverkehr usw. und eben die Planrechtfertigung) erneut aufzunehmen und in einem öffentlichen Verfahren durchzuführen. Dies gilt umso mehr für das wichtige Thema der Planrechtfertigung, wie die mangelnde Leistungsfähigkeit, verweigerte Diskussion über den fragwürdigen Stresstest, Veränderung der Grundvoraussetzungen für das Projekt über die lange Planungsphase (z.B. die exorbitant steigenden Gesamtkosten), nicht gegebene Sicherheit bei den Engpässen der Fußgängeranlagen und der Entfluchtung, usw. In zwei Tagen konnte dieses umfassende und grundsätzliche Thema niemals ausreichend abgehandelt werden. Das war ja wohl auch der Behörde bewusst, als sie 4 Tage dafür anvisierte. Wir halten selbst diese 4 Tage für zu knapp bemessen.
Wir fordern die Landesregierung und insbesondere Herrn Ministerpräsident Kretschmann auf, die Fortsetzung des Erörterungstermins sicherzustellen und mit allen ihm zur Verfügung stehenden politischen Mittel auf ein Moratorium aller S21-Arbeiten zu drängen, bis die Frage der Planrechtfertigung, also des Nutzens, eindeutig und befriedigend geklärt.
Die grün-rote Landesregierung hat 2011 in ihrem Koalitionsvertrag umfassende Versprechen gemacht zu mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung und dazu, dass sie den Schienenverkehr stärken wolle. Die Entscheidung zum Abbruch der Anhörung, gerade als es besonders spannend wurde, hat dem Streben nach einer gestärkten Bürgerbeteiligung großen Schaden zugefügt. Dieses gigantische, verkehrstechnisch höchst problematische, kostenmäßig alle bisherigen Grenzen sprengende Projekt, dürfte nur umgesetzt werden, wenn in einem ausreichenden, öffentlichen Verfahren ein klarer Nutzen gegenüber dem bestehenden, gut funktionierenden System nachweisbar
ist – genau dies bleiben die Betreiber des Tunnelprojekts Stuttgart 21 schuldig. Im Gegenteil: Viele große Nachteile sind nachgewiesen, sämtliche einst versprochenen Vorteile haben sich nach und nach als realitätsfremder Wunschtraum entpuppt.
Vor diesem Hintergrund wäre es politisch angezeigt, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, nicht weiter über Filderbahnhof Plus-Minus-quer zu diskutieren, sondern endlich über ein tragfähiges Verkehrskonzept für Baden-Württemberg und die Region Stuttgart nachzudenken. Wenn das Haus schief steht, weil das Fundament nicht trägt, dann hilft es nicht neue Dachfenster einzubauen!
Stuttgart und die Region brauchen keinen Tunnelbahnhof, sondern ein Verkehrskonzept, das die vielen Tausend Menschen dieser Region täglich sicher, pünktlich und zuverlässig zur Arbeit, zur Schule, in die Stadt und wieder nach Hause bringt. Eine solche Verkehrsplanung beginnt mit einem Fahrplan, der den Menschen und ihren Verkehrsbedürfnissen gerecht wird. Dieser Aufgabe muss die Politik sich stellen, allen voran die Landesregierung.