„Wir sind fest davon überzeugt, in der Sache auf der richtigen Seite zu stehen!“
Die Rede von Dipl.-Ing. Frank Distel, Schutzgemeinschaft Filder e.V. und Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der gestrigen 255. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das staatlich-kommerzielle Umbauprogramm „Stuttgart 21″ (S21). Die Rede trug das Thema Der Ausstieg aus Stuttgart 21 ist möglich und nötig“.
These Nr. 1: Die Bahn beendet „Stuttgart 21“ nicht aus eigenem Entschluss, weil sie sich an dieser katastrophalen Fehlplanung per Saldo bis jetzt eine goldene Nase verdient. Wenn ich den Begriff „Saldo“ verwende, dann meine ich alle pekuniären Fakten, also auch die der Öffentlichkeit fast vollständig vorenthaltenen versteckten Vorteilsgewährungen durch Land, Stadt und Flughafen, sowie die direkten Erlöse und Einsparungen der Bahn. Darauf komme ich gleich zurück.
These Nr. 2: Die Bahn wird an „Stuttgart 21“ scheitern – es ist nur eine Frage der Zeit! Vielleicht zerstören sie das Mineralwasser, was für Stuttgart die Katastrophe schlechthin wäre, vielleicht quellen die Anhydritschichten in den geologisch so riskanten Tunnelstrecken; vielleicht müssen sie die oberirdischen Gleise erhalten, weil private Bahnbetreiber sich mit dieser Forderung durchsetzen – und last, but not least – sehr wahrscheinlich sprengen sie in naher Zukunft erneut ihre letzte Kostenschätzung von 6,8 Mrd. Euro, die ja bei Licht besehen heute schon wegen der Kostensteigerungen beim Filderabschnitt bei über 7 Milliarden steht.
Wir wissen nicht, was dieses Murksprojekt am Ende kosten wird, aber wir ahnen es und wir haben bisher immer Recht behalten: 9 Milliarden Euro? Gar 10 oder noch mehr? Bei diesem Milliardengrab erscheint alles möglich. Und so stellt sich fortwährend die Frage: Kann man noch innehalten mit diesem bahnbetrieblichen und auch städtebaulichen Unfug und umschwenken auf die Sanierung und Modernisierung des guten alten Kopfbahnhofs? Von mir dazu ein klares „yes, we can“!
Was müsste geschehen?
Nun, mit Ausnahme der denkmalschutzrechtlichen Todsünde des Abrisses der beiden Bahnhofsflügel, des riskanten Grundwassermanagements und des vorzeitigen Eingriffs in den Schlossgarten hat die Bahn – bis jetzt – im Bahnhof selbst nur abgerissen, was auch bei einer grundlegenden Sanierung des Kopfbahnhofs abzureißen wäre. Viel mehr ist – bis auf ein paar wenige verlorene Tunnelkilometer – noch nicht passiert.
Was würde also heute ein Umschwenken auf den viel besseren und vor allem weitaus zukunftsträchtigeren Kopfbahnhof kosten?
Diese Frage muss man zum einen vom reinen Kostenaspekt des Rückbaus und der Sanierung des Kopfbahnhofs betrachten. Zum andern aber im Blick auf meine eingangs erwähnte These 1, dass hier ein bahnbetrieblicher Schwachsinn schlimmsten Ausmaßes produziert wird, eben weil die DB AG – und auch noch einige andere – auf unser aller Kosten umso mehr verdienen, je teurer das Projekt
wird.
Zunächst zu den reinen Baukosten eines Umschwenkens hin zum Kopfbahnhof:
Ich setze mal für die verlorenen Kosten all dessen, was schon an Unsinn verbaut worden ist: rund 900 Millionen an;
Für die Modernisierung des Kopfbahnhofs: rund 800 Millionen Für die Sanierung des Tunnelgebirges mag man: rund 500 Millionen ansetzen; Für die Verbesserung der Zuläufe rechne ich äußerst großzügig mit: rund 100 Millionen Und für Rundung, Unvorhergesehenes und
Sonstiges füge ich nochmals großzügig rund 100 Millionen hinzu. Das macht für alles zusammen im schlimmsten Fall rund 2,4 Milliarden Euro.
Ganz bewusst habe ich die Rückabwicklung des rechtlich windigen Grundstücksgeschäfts der Bahn mit der Stadt Stuttgart plus Verzinsung in Höhe von insgesamt rund 950 Mio. € nicht zu den Rückabwicklungskosten gerechnet. Die Bahn bekommt ihre Grundstücke zurück; die Stadt Stuttgart ihr Geld und die Zinsen, basta. Beachtlich ist dabei, dass die Bahn diese Grundstücke bei ihrer Privatisierung 1994 einst vom Bundeseisenbahnvermögen unentgeltlich übertragen bekommen hat – unter der Bedingung, soweit die Flächen bahnbetrieblich notwendig sind!
Nachdem die Bahn mit der Stuttgart 21-Fehlplanung nachweist, dass sie die Flächen bahnbetrieblich künftig nicht mehr benötigt, hätte sie die Grundstücke folglich genauso unentgeltlich wieder an das Bundeseisenbahnvermögen, also den Staat, zurückübereignen müssen. Stattdessen bereichert sie sich faktisch ungerechtfertigt mit dem überhöhten Kaufpreis der Stadt Stuttgart von 460 Mio. und der inzwischen aufgelaufenen Verzinsung von 500 Mio. Diese Bereicherung kann daher keinesfalls bei den Rückabwicklungskosten erscheinen. Es würde sich vielmehr lohnen, dem Grundstücksgeschäft aus dem Jahre 2001 rechtlich auf den Zahn zu fühlen, ob hier nicht Untreue und womöglich daraus resultierend Straftatbestände zugrunde liegen.
Bei frühzeitigerem Zurückfinden zur Vernunft und Stopp dieser Fehlplanung schon vor Jahren hätte man all das noch um rund 700 Mio. billiger, also für rund 1,7 Milliarden, haben können, aber die Bahn hat ja vorsätzlich eine vollendete Tatsache nach der anderen geschaffen, um einen Projektstopp zu verhindern. Diese selbst eingebrockte Suppe müssten Grube, Kefer und Co. jetzt eben auslöffeln, falls man sich bei Bahn, Stadt und Land doch noch vernünftigerweise des Kopfbahnhofs annimmt!
Die Zahl 1,7 Milliarden liegt übrigens verdächtig nahe an den 1,2 Milliarden, welche der Bund und die EU gemeinsam bei Stuttgart 21 einbringen, weil dies nach damaliger Schätzung eben den Kosten der Modernisierung des Kopfbahnhofs und dessen Anpassung an die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm entspräche. Man muss also nur auf heutiges Kostenniveau hochrechnen, um zu sehen, was die Sanierung unseres Kopfbahnhofs und aller Nebenanlagen tatsächlich gekostet hätte, wenn man von diesem Milliardengrab von Anfang an die Finger gelassen hätte.
Es stehen nach heutigem Stand also großzügig geschätzt, ohne die Grundstücks-Rückabwicklung aber mit Rückbau des Angefangenen rund 2,4 Mrd. € für einen der besten Bahnhöfe Deutschlands der Vergeudung von 9 oder gar 10 Milliarden € für die erwiesene Verschlechterung des Bahnangebots bei Stuttgart 21 gegenüber!
Ich wiederhole noch einmal ausdrücklich: Das gilt nur bei rein baukostenmäßiger Betrachtung! Nun müssen wir aber wieder die These 1, also die exorbitanten Gewinne der Bahn aus diesem Projekt bedenken: und da muss wieder mal öffentlich auf den Tisch gelegt werden, was an verdeckten3
Zuwendungen aus Stadt und Land aufgrund von Stuttgart 21 zusätzlich zu den offiziell bekannten Zahlungen der Projektpartner an die Bahn geflossen ist: Alles, was ich hier aus Zeitgründen nicht einzeln aufzählen kann, summiert sich, kaum zu glauben, zu verdeckten, indirekten Zuflüssen an die Bahn in Höhe von sage und schreibe rund 2,8 Milliarden Euro!
Hinzu kommen die ersparten Sanierungskosten der bestehenden Bahnanlagen und anderweitige Erlöse der Bahn von rund 2 Milliarden. Alles zusammen ein ergebniswirksames Plus von 4,8 Milliarden Euro zugunsten der Deutschen Bahn AG beim heutigen Stand der Baukosten-
schätzung von 6,8 Mrd. €!
Offiziell beteiligt sich die Bahn an dem Projekt, inzwischen eingestanden durch die Kostenexplosion Ende 2012, nunmehr mit knapp 2,6 Mrd. Das sind die im Finanzierungsvertrag stehenden rund 1,5 Mrd. plus die zugegebenen 1,1 Mrd. wegen Planungsfehlern etc. Sie verdient also bei Einbeziehung aller verdeckten Subventionen der örtlichen Projektpartner trotz der Kostenexplosion dennoch ca. 2,2 Mrd. €. Selbst wenn die Bahn – wie zu erwarten ist – die bislang noch nicht finanzierten ca. 1,3 Mrd., auf deren Zahlung sie das Land und die Stadt bekanntlich verklagen will, alleine aufbringen müsste, verdiente sie an Stuttgart 21 immer noch einen hohen dreistelligen Millionenbetrag!
Bei Ausstieg aus dem Projekt müsste die Bahn den größten Teil der verdeckten Zuwendungen an Land, Stadt und Flughafen zurückzahlen! Dazu kommen die offiziell bekannten Zahlungen aus dem dann hinfälligen Finanzierungsvertrag. Die Baukosten der Rückabwicklung, der Modernisierung von Kopfbahnhof, Gleisvorfeld und Tunnelgebirge, müssten natürlich verfassungsgemäß allein von Bund und Bahn getragen werden. Das heißt, Land und Stadt bekämen alle bisherigen Zahlungen von der Bahn in voller Höhe zurück. Uns Steuerzahler kostet folglich die Sanierung und Modernisierung unseres Kopfbahnhofs Null
Komma null!
Stadt- und Landeshaushalt wären mit einem Schlag entlastet und der Stadt bliebe die städtebauliche Zerstörung ihres Bahnhofsgebiets und womöglich weitere hohe Verluste bei der längst wirtschaftlich aus dem Lot geratenen Vermarktung der heutigen Gleisflächen erspart.
Wir wissen nun, warum sich die S21-Verantwortlichen den erdrückenden fachlichen Erkenntnissen so beharrlich verweigern! Der wirkliche Skandal ist, dass Bahn und Projektförderer ganz genau wissen, dass diese Milliardenvernichtung ausschließlich zu Lasten der Stadt und des Landes geht, welche die Zeche Stuttgart 21 am Ende ganz alleine bezahlen. Ein solch unerklärliches Verhalten kann man nur als Ignoranz bezeichnen. Ignoranz ist vorsätzlich gepflegte und gewollte Unwissenheit;
Handeln wider besseres Wissen!
Übrigens erneut zu erkennen an der aktuellen Diskussion über den desaströsen Filderabschnitt, wo den Befürwortern zur Rettung ihres Katastrophenprojekts nichts Besseres einfällt, als der bei ganzheitlicher Abwägung mindestens genauso schlechte „Filderbahnhof Plus“! Über dieses Thema hat mein Freund Steffen Siegel an den Montagsdemos zuvor schon ausführlich gesprochen. Ich kann mir daher weitere Details heute sparen und zum Schluss kommen: Es ist offensichtlich: Die Verantwortlichen für Stuttgart 21 beugen sich hier dem Druck einer sich bereichernden Bahn, des Großkapitals sowie den „Großen“ der Bau- und Immobilienwirtschaft, obwohl Ihnen sehr wohl bewusst ist, dass sie für vergeudete Milliarden den Bahnknoten Stuttgart mit einem Haltepunkt der Kategorie Vorstadtbahnhof ins bahnbetriebliche sowie Stadt und Land ins wirtschaftliche Abseits katapultieren.
Mehrheitlich im Stuttgarter Rathaus, mehrheitlich beim Verband Region Stuttgart, einmütig bei CDU und FDP im Lande und – was einen aufrechten Sozialdemokraten besonders schmerzt – leider auch mehrheitlich bei der SPD in Stadt und Land, die sich hier zum Steigbügelhalter all der genannten Lobbyisten machen lässt. Weil unser unermüdlicher Einsatz gegen diesen stadtzerstörenden Wahnsinn nicht vergeblich gewesen sein darf, müssen wir unseren Widerstand noch mehr politisch gestalten und die hohen verdeckten Zahlungen auf Kosten des Steuerzahlers und die bewusste Verweigerung der Entscheidungsträger, erwiesene Fakten zur Kenntnis zu nehmen, für jedermann sichtbar machen!
2016 ist Landtagswahl und da frage ich: Wer will von Politikern, die für dieses Fehlprojekt unsere Steuermilliarden verbrennen, weiterhin desinformiert und angelogen werden? Diese Frage mag jeder im nächsten Jahr mit seinem Stimmzettel beantworten!
Wir bleiben in jeder Hinsicht oben, denn wir sind fest davon überzeugt, in der Sache auf der richtigen Seite zu stehen!