Edathy-Affäre: Wie die Ausschuss-Vorsitzende Högl ex-B.K.A.-Präsident Ziercke nicht auf der Geburtstagsparty des Zeugen Hartmann sah

Zur gestrigen Vernehmung von Sebastian Edathy und dem ehemaligen Präsidenten vom Bundeskriminalamt, Jörg Ziercke, im Untersuchungsausschuss ein paar Auffälligkeiten.

Im Dezember 2008 erhielt das Bundeskriminalamt als „deutsches F.B.I.“ bzw „Geheimpolizei“ der Regierung von C.D.U., C.S.U. und S.P.D. präzedenzlose Vollmachten zur Beobachtung der Telekommunikation von 82 Millionen Menschen, zum „Betreten“ von deren Wohnungen, dem Einsatz eigener Spitzel, der Spionage selbst gegen Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger und dies alles ohne irgendeinen Gerichtsbeschluss, sondern vielmehr der Vollmacht sich

„bis zu einem gewissen Grad jeglicher Kontrolle, der justiziellen und erst recht der parlamentarischen, entziehen können.“

Seinerzeit Vorsitzender des Innenausschusses vom Bundestag, der nun auf die parlamentarische Kontrolle über die Geheimpolizei B.K.A. verzichtete: Sebastian Edathy (S.P.D.).

Eine der Schlüsselfragen in der Staatsaffäre um Edathy und das B.K.A. lautet nun: Wer informierte Edathy wann genau im Herbst 2013 darüber, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie drohte?

Weitere Fragen wären: Wusste der hochrangige Funktionär Edathy im Herbst 2013, dass seine Aktivitäten und Vorlieben bei den Geheimdiensten bzw dem B.K.A längst bekannt waren? War er vielmehr davon ausgegangen, trotz dieser (weiterhin) beschützt zu werden?

— Der 19. Februar 2014 —

Der seit fast zehn Jahren amtierende Präsident des B.K.A., Jörg Ziercke, wird im Innenausschuss des Bundestages zur öffentlich gewordenen Edathy-Affäre befragt. Anschließend gibt Ziercke ein Statement.

Ziercke sagt aus, seine Behörde habe bereits „im Oktober 2011“, also über zwei Jahre vor Beginn der Ermittlungen gegen Edathy, von kanadischen Behörden die Kundenliste einer mit Kinderpornografie handelnden Firma erhalten, zusammen mit 450 Gigabyte Beweismaterial zu den achthundert Personen auf dieser Kundenliste.

Ziercke verweist ausdrücklich darauf, dass sich 300 von den 800 Personen auf der von den kanadischen Behörden zugesandten Kundenliste Material heruntergeladen hätten, das

„in Deutschland aber nicht strafbar ist“.

Wie soll diese Einschätzung zustande gekommen sein, ohne eine Sichtung der betreffenden Namen und eine mit diesen verbundene Einschätzung des Beweismaterials?

Wie Ziercke aussagt, habe das B.K.A. zwei Jahre lang nicht gemerkt, dass der ehemalige Vorsitzende vom Bundestagsinnenausschuss auf der Kundenliste steht. Erst als das B.K.A. am 15. Oktober 2013 eine Liste mit 80 Namen, darunter der Name „Edathy“, zusammen mit den Fällen “geringerer Priorität” an die Landeskriminalämter schickt, habe noch am gleichen Tag die Polizeiinspektion von Nienburg angerufen und dem B.K.A. erklärt,

„dass es sich bei Edathy um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten handelte.“

Das Bundeskriminalamt ist nicht die zuständige Ermittlungsbehörde für Verfahren wegen Kinderpornografie. Seine einzige diesbezügliche Aufgabe war es Informationen bzw Akten und Daten an die zuständigen Länderbehörden weiterzugeben. Dies tat es im Falle Edathy zwei Jahre lang nicht.

Wie Ziercke zudem an diesem 19.2.2014 aussagt, war die Kundenliste von den kanadischen Behörden bereits in 2010 „sichergestellt“ worden.

Was der B.K.A.-Präsident nicht aussagt, sondern sich erst nachher herausstellt (ohne dass dies bis heute groß thematisiert würde): Auf der Kundenliste des Kinderporno-Händlers stand, neben Edathys Namen, auch der Name des für die Bekämpfung von Kinderpornografie zuständigen B.K.A. Kriminaldirektors. Diesen Namen fand das B.K.A. dann und verstand auch sehr wohl auch um wen es sich handelte. Anschließend wurde der eigene Beamte in aller Verschwiegenheit mit 4000 Euro Monatspension „sanft entsorgt“.

Nach eigenen Angaben bemerkt das Bundeskriminalamt also im Januar 2012, dass der eigene Kriminaldirektor, aber bis zum 15. Oktober 2013 nicht, dass der langjährige Bundestags-Innenausschuss-Vorsitzende Edathy auf der Kundenliste steht. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes unterschreiben am 24. Januar 2014 diesbezüglich eine dienstliche Erklärung (mehr hier).

 — Der 18. Dezember 2014 —

Edathy, nach Deutschland zurückgekehrt, hat seinen Auftritt in der Bundespressekonferenz, in die er von dessen Vereinsvorstand übrigens eingeladen worden ist.

Dabei sagt Edathy folgendes:

„Ich habe Mitte November (2013) aufgrund von Medienberichten davon Kenntnis gehabt, dass eine Firma aus Kanada dort Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen ist, von der ich mich erinnern konnte Jahre zuvor Filmmaterial bestellt zu haben; übrigens Material, dass ich damals wie heute als legal einstufe, darin auch bestätigt worden bin von einer Expertise des Bundeskriminalamtes.

Ich habe mich damals bei den Bestellungen übrigens nicht, wie ich teilweise lesen konnte, konspirativ verhalten, ich habe unter meinem Namen bestellt, ich habe mit meiner normalen Kreditkarte bestellt, ich habe an meine private Wohnanschrift liefern lassen. „

Obwohl Edathy nicht ausdrücklich aussagt, dass diese „Expertise“ des B.K.A. über die vermeintliche Legalität seiner Aktivitäten bereits vor Jahren erstellt wurde, ergibt sich dennoch ein auffälliger Zusammenhang mit der der vom B.K.A. laut Zierckes Aussage vom 19.2.2014 (s.o.) nach dem Eingang des Beweismaterials aus Kanada im Oktober 2011 benannten Einteilung der „Azov Films“-Kunden u.a. in 300 Personen, die sich Material heruntergeladen hätten, welches „in Deutschland nicht strafbar ist“.

Ebenfalls passt dazu, dass das Bundeskriminalamt erst am 15. Oktober 2013 Edathys Namen auf einer Liste mit insg. 80 Personen als Fall „niederer Priorität“ an die zuständigen Landeskriminalämter verschickte.

Der naheliegende Verdacht: das B.K.A. nahm sich 2011 (oder bereits vorher) die Freiheit selbst zu entscheiden was strafbar ist und was nicht, stufte Edathys Aktivitäten als legal ein, deckte diesen fortan und verschleppte absichtlich das spätere Ermittlungsverfahren, indem es die entsprechenden Unterlagen nicht an die zuständigen Landesbehörden weiterreichte.

Nun zu dem äußerst interessanten Detail in der Aussage Edathys vom 18.11.2014 – das ebenfalls kein einziger der Leistungsträger in Funktionärskaste, Justiz oder Informationsindustrie so recht wahrnehmen wollte – er habe sich nicht konspirativ verhalten und das Material von der kanadischen Firma „Jahre zuvor“ an seine „private Wohnanschrift“ liefern lassen.

Zuerst einmal wäre dann einigermaßen klar, dass dies den überaufmerksamen „Sicherheitsbehörden“ nicht entgangen sein kann. Allerdings stehen Edathys diesbezügliche Angaben im merkwürdigen Kontrast zu den Angaben der Staatsanwaltschaft Hannover, die mit ihrer denkwürdigen Pressekonferenz vom 14. Februar 2014 die Staatsaffäre erst richtig ins Rollen brachte.

Nur zur Erinnerung: 24 Stunden lang geschah nach dieser Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Hannover erst mal gar nichts. Radio Utopie musste diese erst laut vorlesen. Und dann sprangen sie alle, wieder mal.

 — Die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Hannover —

Aus der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Hannover 14.02.2014, min 31.15:

Frage: „Sie haben gesagt hier, zumindest habe ich sie so verstanden, Edathy habe sich konspirativ verhalten bei der Beschaffung des Materials. Können Sie das bitte mal ausführen?

Staatsanwalt Jörg Fröhlich: „Ja, das könnte ich. Nur so viel – er hat verschiedene Emailadressen benutzt. Das downgeloadete Material war an einer Adresse heruntergeladen, die mehreren Nutzern zugänglich war, nämlich dem IT-Referat des Deutschen Bundestages, so das eine Identifizierung schwierig sein wird. Und es ist so, dass für die Kreditkartenzahlungen nach unseren Erkenntnissen zuvor auch erst Konten eingerichtet wurden.“

Zuerst einmal steht diese Angaben der Staatsanwaltschaft Hannover im Gegensatz zu den Angaben Edathys.

Dazu kommt folgende Merkwürdigkeit: laut einigermaßen wütenden Verlautbarungen aus dem Landeskriminalamt Niedersachsen gegenüber der Presse lud sich Edathy noch im November 2013 “mindestens 21 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts” auf sein persönliches Laptop herunter. Dies, so das L.K.A. Niedersachsen, würden “Computer-Verbindungsdaten vom Fileserver des Deutschen Bundestags” belegen.

 — Das gestohlene Laptop —

Zum Laptop Edathys gibt am 17. Februar 2014, nach Edathys Untertauchen, der Sprecher von Bundestagspräsident Norbert Lammert, Ernst Hebeker, gegenüber dem “Stern” ein äußerst bemerkenswertes Statement ab: Edathy habe bereits fünf Tage vorher, am 12. Februar 2014, eben dieses Laptop beim Bundestag als gestohlen gemeldet. Nur bei wem im Bundestag genau Edathy dies gemeldet hätte, dies sei leider “nicht verifizierbar”, so Lammert-Sprecher Hebeker. Bemerkenswerterweise weiß zu diesem Zeitpunkt die Staatsanwaltschaft in Hannover nichts von dem angeblich vor fünf Tagen von Edathy im Bundestag gestohlen gemeldeten Laptop.

War Edathy als Einziger im Bundestag in die Affäre verstrickt? War er wirklich so leichtsinnig und lud sich noch im November 2013 strafbares Material über den Server des Bundestags auf sein eigenes Laptop? Wenn ja, von wem fühlte sich Edathy in seinen Aktivitäten gedeckt? Wenn nein, wer lud diese Dateien dann über den Bundestags-Server? Wer wusste von den Internet-Aktivitäten Edathys und der Abgeordneten insgesamt? Nur das IT-Referat des Bundestages? Wer „überwachte“, beobachtete diese Aktivitäten?

 — Ill Communication —

Im Juni 2014 stellt sich heraus (wie immer ohne irgendein Zutun der verantwortlichen Abgeordneten), dass die Internet-Telekommunikation des Bundestages und seiner Abgeordneten unter Kontrolle des U.S.-Konzern Verizon steht. Als dies (vor allem Dank ex-Soldat Daniel Lücking) öffentlich wird, beeilt sich das Innenministerium seiner Lordschaft Thomas de Maziere ein paar Blasen aufsteigen zu lassen und zu erklären, jaja, man wolle „die Leistungen“ aus dem Vertrag mit Verizon „schrittweise nicht mehr in Anspruch nehmen“.

Im Klartext: bis heute hat Verizon, haben die assoziierten U.S.-Geheimdienste den Daumen drauf auf der Internet-Kommunikation der deutschen Parlamentsabgeordneten, sowie aller möglichen exekutiven Behörden. Und das hatten sie auch in den letzten Jahren, mitsamt ihrer lieben Kollegen im Apparat zu Deutschland.

— über Parteifreunde und andere Placebos —

Bekanntlich war Sebastian Edathy nicht nur Vorsitzender vom Bundestags-Innenausschuss, sondern auch Vorsitzender vom Untersuchungsausschuss zu dem am 12.11.2011 so plötzlich entdeckten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (der u.a. für die bis dahin nie aufgeklärte Mordserie Bosporus eine Erklärung schuf). Obfrau der S.P.D.-Fraktion im U-Ausschuss war Eva Högl, die eng mit Edathy zusammenarbeitete.

Es gab daher etwas Unmut in der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, als die langjährige gute Bekannte des offenherzigen SMS-Tauschers Edathy nun zur Vorsitzenden des Edathy-B.K.A.-Untersuchungsausschusses wurde.

Nun zu Michael Hartmann.

Hartmann ist, neben Thomas Oppermann, ein weiterer Funktionär der S.P.D., der nicht nur der tief in die Staatsaffäre um Edathy und das B.K.A., sondern in die Machenschaften des Spionage-Apparats insgesamt verstrickt ist und zudem offenkundig ebenfalls erpressbar war (bzw mutmaßlich noch ist). Von 2006-2007 war Hartmann stellvertretender Vorsitzender im Untersuchungsausschuss zu B.N.D.-Aktivitäten während der Irak-Invasion, C.I.A.-Flügen im Inland, und der Entführung von Murat Kurnaz nach Guantanamo. Ab November 2007 bis 2009 war er in diesem (wie üblich konsequent erfolglosen) Untersuchungsausschuss Obmann der S.P.D.-Fraktion. Selbst nach dem Durchpauken des B.K.A.-Gesetzes durch die „große Koalition“ Ende 2008 forderte der „Innenpolitiker“ Hartmann eine „größere Rolle“ für das Bundeskriminalamt. Beim Auffliegen seines Chrystal Meth-Konsums im Juli 2014 war Hartmann stellvertretendes Mitglied der G-10-Kommission des Bundestages (seit den Notstandsgesetzen und der Außerkraftsetzung der Gewaltenteilung bezüglich Artikel 10 Grundgesetz zuständig dafür dass dies nicht begriffen wird), sowie Mitglied im „Parlamentarischen Kontrollgremium“, legendärste demokratische Errungenschaft seit der Erfindung des Placebos. Das damalige Mitglied Wolfgang Neskovic bereits im Dezember 2006 im “Spiegel”-Interview über das „Parlamentarische Kontrollgremium“:

“Neskovic: Diese Veranstaltung ist ein Witz. Seit dem Praktikum (Anm.: beim Bundesnachrichtendienst) bin ich mir noch sicherer, dass wir das Kontrollgremium in der vorhandenen Form gleich abschaffen können. Der Begriff der Kontrolle der Dienste durch das Parlament ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, ein Placebo. Das Gremium hat keine effektiven Mittel. In erster Linie bestimmt der zu Kontrollierende Umfang und Ausmaß der Kontrolle. Das ist absurd.

Spiegel: Der BND arbeitet Ihrer Meinung nach de facto unkontrolliert?

Neskovic: Die neun Mitglieder des PKG haben nicht den blassesten Schimmer, was die 6000 Mitarbeiter des Dienstes tun. Wir treffen uns alle drei bis sechs Wochen und hören meistens das, was die Geheimdienste uns erzählen wollen. So kann das nicht funktionieren.

Nur zur Erinnerung: Während die Ereignisse der Edathy-B.K.A.-Affäre im Herbst 2013 ihren Lauf nahmen, gab es noch nicht einmal diese Witzveranstaltungen G-10-Kommission und „Parlamentarisches Kontrollgremium“, da das Parlament dieser Republik außer Funktion sich selbst ein halbes Jahr ganz offiziell lahmgelegt und nicht einmal die verfassungsmäßigen Ausschüsse gebildet hatte, sondern stattdessen einen seit dem Kaiserreich präzedenzlosen Hauptausschuss.

Nach Bekanntwerden der Edathy-Affäre – und Wiederaufnahme wenigstens vorgetäuschter Aktivität des Parlaments – im Februar 2013 von Journalisten auf die Edathy-Affäre angesprochen, reagiert Hartmann augenblicklich, ganz im Stile von Frank-Walter Steinmeier, dem auch in der Ukraine, im Irak, in Afghanistan, in Syrien, in Mali, vor-in-über Somalia und Libanon und überhaupt erfolgreichsten Außenministers seit dem einen oder anderen Ribbentrop.

Als Hartmann schließlich im Juli 2014 wegen seines offenkundigen Drogenkonsums als Nachfolger Edathys im Amte des „innenpolitischen Sprechers“ der S.P.D.-Bundestagsfraktion zurücktreten muss, wird seitens Journalisten über Hartmann offen als dem „engsten Vertrauten“ von Edathy gesprochen.

Offensichtlich nicht nur von Edathy. Obwohl die Anklage gegen Hartmann bereits am 6. Mai 2014 erhoben worden ist, rückt die Polizei bei Hartmann erst zwei Monate später zur Hausdurchsuchung an (und findet, völlig überraschend, keine Drogen.) Seit November 2014 wieder im Schoße der Bundestagsfamilie aufgenommen, ist Hartmann nun bezeichnenderweise stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss.

Als die Affäre im Februar 2013 losbricht, ist Hartmann Mitglied im Innenausschuss. Also genau dem Gremium, was B.K.A.-Präsident Ziercke am 19.2. befragt (s.o.), dafür zuständig ist Licht ins Dunkel zu bringen, aber seltsamerweise so absolut nichts zustande bringt, sondern sich in der Presse lieber alles laut vorlesen lässt was es selbst hätte wissen müssen. Hartmann schweigt im Innenausschuss zu seiner Verbindung zu Edathy und seine Verwicklung in die Affäre. Es fragt ihn offensichtlich auch keiner der bemühten Herrschaften.

Erst nachdem Edathy schließlich kurz vor seiner Vernehmung im mühsam gebildeten und bereits auf Instrumentalisierung getrimmten Untersuchungsausschuss Hartmann erst im „Stern“ und dann auf seiner Pressekonferenz am 18. Dezember 2014 (s.o.) Hartmann als seinen Informanten benennt – und Ziercke als dessen Informanten – geraten die Dinge wieder in Bewegung.

Der 18. Dezember 2014

Sowohl in seiner Pressekonferenz, als auch in der nachfolgenden Vernehmung im Untersuchungsausschuss macht Edathy, ganz im Stile seiner Partei bis auf die Knochen Soziopath und sich keiner Schuld bewusst, einen jovialen Eindruck. Offensichtlich sagt er, zumindest in manchen Teilen seiner Aussage, durchaus die Wahrheit.

Hartmann dagegen gerät ins Schwitzen. Seine Aussage hinterlässt sogar bei den üblichen Dogmatikern der Zusammenhanglosigkeit von Zusammenhängen viele Fragen.

Zentraler Punkt: das Gespräch zwischen Edathy und Hartmann auf einer „Veranstaltung am Rande des S.P.D.-Parteitages“ am 15. November 2013. Laut Edathy sprach Hartmann ihn damals konkret auf die Vorwürfe wegen Kinderpornografie an. Hartmann wiederum bestreitet das.

Während der Ausschusssitzung an diesem Tage fällt nun einigen Beobachtern ein seltsames Verhalten der Vorsitzenden Eva Högl auf.

Högl, die fünfeinhalb Stunden nach Beginn der Ausschusssitzung diesen weiter mit eigenen endlosen Fragen an Edathy aufhält und keine anderen zulässt (während nachher noch die Befragung Hartmanns stattfinden soll) sieht, zur Irritation von Grünen-Ausschussmitglied Irene Mihalic, „politische Intrigen“ gegen Edathy. Mihalic ist es schließlich, die Hartmann bezüglich seiner Aussagen ins Schwimmen bringt. U.a. fragt sie Hartmann, ob der damalige B.K.A.-Präsident Ziercke bei Hartmanns 50. Geburtstag Gast gewesen sei. Hartmann bestätigt das.

Nochmal in Zeitlupe:

Michael Hartmann bestätigt an diesem 18. Dezember 2014 im Untersuchungsausschuss, dass B.K.A.-Präsident Jörg Ziercke Gast bei Hartmanns 50. Geburtstag war.

Und die anwesende Vorsitzende Eva Högl widerspricht dem nicht.

Mihalic „on fire“ hakt in dieser Nacht des 18. Dezembers nach: wie könne es sein, fragt sie Hartmann, dass Edathy nicht sein Freund, aber für ihn nach eigener Aussage „wichtiger“ gewesen sei als B.K.A.-Präsident Ziercke, mit dem er Geburtstag gefeiert habe?

Der Reporterin Catharina Felke fällt etwas auf. Sie twittert:

Beobachtung: Sobald Mihalic zu unangenehme Fragen stellt, schaut Hartmann zu Högl. #HöglsschützendeHand #Edathy

Es dauert fast einen Monat, bis sich bei der Befragung eines weiteren zentralen Zeugen im Untersuchungsausschuss weitere Widersprüche, man könnte auch sagen Abgründe auftun.

Der 15. Januar 2015

Jörg Ziercke und Sebastian Edathy sind als Zeugen vor den Untersuchungsausschuss geladen. Jörg Ziercke, mittlerweile Pensionär, wird als erster gehört. Zunächst spult er in alter Manier sein Programm ab. Er wirft Edathy „Realitätsverlust“ vor und leugnet Hartmanns Informant gewesen zu sein. Ziercke, jahrelang Verdachtsanbeter und Präventivkommissar wider den zivilistischen Grundrechtspopulismus, entdeckt nun, da es ihn selbst betrifft, plötzlich ein für die „Sicherheitsbehörden“ im 21. Jahrhundert geradezu unvorstellbar altmodisches Wort. Ziercke über Edathys Aussage:

„Besonders perfide ist, dass er selbst keinen Beweis liefert, nur vom Hörensagen berichtet.“

Genau der Präsident der Geheimpolizei, der mittels Internetsperren 80 Millionen Menschen in zwei Grundrechte eingreifen und deren Zugang zum Internet beschränken wollte, weil diese ja theoretisch auf angeblich im öffentlich zugänglichen Internet vorhandene Webseiten mit Kinderpornografie zugreifen könnten, Kinderpornografie, die sein Bundeskriminalamt leider nicht löschen könne, weil das nämlich nicht ginge, während der eigene für die Bekämpfung von Kinderpornografie zuständige Kriminaldirektor diese selbst einkauft und dann in aller Verschwiegenheit in Pension geschickt wird, während er und sein Amt in Wirklichkeit ganz andere Probleme haben, genau dieser Jörg Ziercke sagt nun über seinen langjährigen Steigbügelhalter und Partei-Genossen im Innenausschuss, Sebastian Edathy:

„Hat er wirklich geglaubt, er könne unethisch und unmoralisch handeln und trotzdem wiedergewählt werden?“

Dann passiert etwas.

Auftritt Irene Mihalic, selbst Polizistin und daher ebenfalls Mitglied der üblichen Unverdächtigen.

Zuerst bemerkt sie, dass Ziercke ein „kompetentes Psychogramm“ über Pädophile präsentiert habe. Dann fragt sie, ob Ziercke beim 50. Geburtstag des langjährig für Geheimdienste und (Geheim)Polizei zuständigen „Innenpolitikers“ Hartmann zu Gast war, wie dieser bei seiner Vernehmung am 18. Dezember im U-Ausschuss unwidersprochen ausgesagt hatte.

Ziercke sagt nun folgendes: er sei zwar bei Hartmann zum Geburtstag eingeladen gewesen:

„Aber ich bin nicht hingegangen.“

Hochinteressant, nicht wahr?

Abgeordnete Mihalic konfrontiert Ziercke mit der gegensätzlichen Aussage Hartmanns.

Ziercke:

„Glauben Sie mir etwa nicht?“

Mihalic:

Auch andere haben sie auf der Feier gesehen, es stand sogar in der Zeitung.

Ausgerechnet „Bild“dokumentiert als einzige Zeitung die Brisanz dieses Moments.

„Schließlich „rettete“ Ausschusschefin Högl, selbst Partygast bei Hartmann, Ziercke aus der Mihalic-Zange: „Ich kann sie beruhigen, Herr Ziercke war nicht da!“ „

Die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses kommt also dem ehemaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts in einem entscheidenden Moment zu Hilfe.

Nein, doch nicht.

Minuten später, nachdem sie von der Abgeordneten Mihalic damit konfrontiert wird, am 18. Dezember zur entsprechenden Aussage Hartmanns kein einziges Wort verloren zu haben, twittert Dr. Eva Högl nämlich folgendes:

„Ich hätte sagen sollen „und habe ihn nicht gesehen“ – das wäre präziser gewesen.“

Faszinierend.

Das Innenausschuss-Mitglied Hartmann verschweigt während des gesamten Frühjahrs 2014 sein Wissen in der Affäre und seine enge Bindung an Edathy. Anschließend sagt er im (gegen alles Gewimmer und Gebrumm aus den Regierungsparteien) endlich gebildeten Untersuchungsausschuss, man hätte ihn ja als Zeuge in den Innenausschuss laden können, in dem er selbst Mitglied war.

Laut Hartmann war der damalige Präsident vom Bundeskriminalamt Jörg Ziercke bei seinem 50. Geburtstag.

Ziercke leugnet das am 15. Januar. Und die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Högl springt Ziercke erst bei und zieht dann Minuten später ihre eigene Aussage zurück.

Bilanz

Was den ganzen Vorgang noch ungeheuerlicher macht und ein wesentlicher Grund dafür, dass ich mir noch einmal die Mühe mache der Öffentlichkeit irgendetwas vorzulesen: Artikel 44 Absatz 1 der Verfassung schreibt dem Staat folgendes vor:

„Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden.“

Was der Staat laut Verfassung nicht kann, aber in bekannter Manier einfach macht, ist wie in den Untersuchungsausschüssen zu N.S.A. und B.N.D. und zur Affäre um Edathy und das Bundeskriminalamt zu sagen, der Ausschuss tage öffentlich, um dann gleichzeitig Bild- und Tonaufnahmen zu verbieten. Und die Opposition setzt die Verfassung wieder einmal nicht durch.

Hier wird offensichtlich damit gerechnet, auch das in bekannter Manier, dass die Öffentlichkeit die ganzen Vorgänge einfach nicht versteht, sich aus Furcht als „Verschwörungstheoretiker“ in der Ecke stehen zu müssen sich dem gemein-allgemein gewordenen Dogma der Zusammenhanglosigkeit von Zusammenhängen unterwirft und wieder einmal die Füße in die Luft streckt.

Ich wage jetzt mal die kühne Prognose: Das wird nicht passieren.

Auch alle Versuche in der Presse nun so zu tun, als habe Hartmann am 18. Dezember gelogen, als er Ziercke als seinen Geburtstagsgast benannte, werden bei der gewünschten Niederschlagung der Staatsaffäre zugunsten der viel zitierten „Machtarchitektur“ nicht helfen.

Meiner bescheidenen Meinung nach hat nämlich Hartmann über Zierckes Besuch bei seinem Geburtstag die Wahrheit gesagt.

Es ist für jeden unbestreitbar, dass entweder Ziercke oder Hartmann gelogen hat. Ich rechne nun damit, dass Hartmann bei seiner nächsten Vernehmung so eingeschüchtert und verängstigt sein wird, dass er seine eigene Aussage zurücknehmen wird – egal, ob Zierckes Besuch bei seinem Geburtstag sogar in der Zeitung stand, egal, ob es andere Zeugen gibt, egal, egal, egal. Muss, muss, muss. Es darf nicht sein, was nicht sein darf.

Lieber einigt man sich gütlich, in der Mutti aller Koalitionen, plötzlich doch noch auf die „Wiedereinführung“, oder sagen wir besser: die Legalisierung der Vorratsdatenspeicherung, die meiner bescheidenen Meinung nach vom Staat nie gestoppt wurde, weil dieser machen kann was er will, weil er nicht daran gehindert wird, weil diese Republik vom Staat außer Funktion gesetzt wurde.

Die Öffentlichkeit kann sich einen getrosten Dreck um alles scheren was an vernünftigen Interpretationen, Behauptungen und zur Ablenkung gestreuten Gerüchten in der Zeitung steht und sollte zu allererst den Untersuchungsausschuss untersuchen und was dort so alles erzählt wird.

Denn Lügen haben einen großen Nachteil: sie müssen sich immer wieder von Lügnern bestätigen lassen. Gibt es Widersprüche dabei – und genau davor hat die Nomenklatura am Meisten Angst: Widerspruch – hat die Öffentlichkeit, wenn sie denn mal wach und nicht „breit“ ist, eine Chance den Hebel anzusetzen und sich ihre Republik wiederzuholen, die dieser Tiefe Staat und seine sauberen Diener gekapert haben.

(…)

Anm.: Rechtschreibung korrigiert am 27.02.2015. Der Inhalt wurde nicht verändert.