Landesregierung Thüringen: Beantragen Sie eine „abstrakte Normenkontrolle“ der „Auslegung“ des Grundgesetzes durch die Regierung

Artikel 93 Grundgesetz berechtigt jede Landesregierung, Gesetze und Aktivitäten von Bundestag, Bundesregierung und Bundesbehörden durch das Bundesverfassungsgericht auf deren Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Wie wir bereits mehrfach detailliert umschrieben, ist unsere Republik, mit ihrer durch die Verfassung vorgeschriebenen Gewaltenteilung, außer Funktion gesetzt worden. Die Regierung und ihre Behörden machen was sie wollen und ignorieren das Grundgesetz.

Die neue Landesregierung von Thüringen hat nun die Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht jedwedes Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, ohne mühsam und ggf über ein jahrelanges Verfahren einen bereits stattgefundenen Bruch der Verfassung und Verletzung ihre eigenen jeweiligen Rechte nachweisen zu müssen. Zudem kann die Landesregierung, qua Grundgesetz, vom Bundesverfassungsgericht auch eine „Auslegung“ des Grundgesetzes durch Regierung und Behörden überprüfen lassen. Etwa Dienstvorschriften der Geheimdienste, welche diese für so „ziemlich alles“ ermächtigt, oder das Bundeskriminalamtgesetz, gegen dessen Neufassung und Ermächtigung des B.K.A zur Geheimpolizei vor über sechs Jahren der ehemalige Innenminister Gerhart Baum Verfassungsklage einreichte, die vom Bundesverfassungsgericht bis heute verschleppt wird und nun ganz niedergeschlagen werden soll.

Dieses in der Republik nicht sonderlich gut bekannte Verfassungsrecht von Landesregierungen und einem Viertel der Abgeordneten des Bundestages, Aktivitäten und Gesetze von Regierung und Staat auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, ist von den Wortnebelwerfern der etablierten Justiz „abstrakte Normenkontrolle“ getauft worden. Dabei handelt es sich schlicht um ein Verfassungsrecht.

Artikel 93 Grundgesetz:

„(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;

2. bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;

Die Bundestagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und „Die Linke“, die es u.a. im B.N.D.-N.S.A.-Untersuchungsausschuss nicht geschafft haben ihr Recht auf Akteneinsicht und Zeugenvernehmung vor Ort gegen die Regierung gerichtlich durchzusetzen, verfügen nur über 127 von 631 Abgeordneten im Parlament, scheiden also als Antragsteller aus.

Bleibt die Landesregierung von Thüringen.

Falls sich die Regierung, oder die entgegen dem Grundgesetz nicht „von der Hälfte des Bundestages“ sondern von einem geheim tagenden Wahlausschuss gewählten Verfassungsrichter, auf die Einschränkungen des Verfassungsrechts in Artikel 93 durch das ausführende Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerfGG in § 76 herausredet, könnte die Landesregierung von Thüringen gleich gegen dieses klagen, was auch die seit Jahren sogar vom Parlamentspräsidenten geforderte verfassungsgemäße Wahl der Verfassungsrichter in einem Abwasch klären würde.

Es stellt sich mittlerweile in der Bevölkerung immer mehr die Frage, wem im Staatsapparat das Grundgesetz, die Republik und die Demokratie überhaupt noch etwas zählt. Die seit über sechs Jahren vom Bundesverfassungsgericht verschleppte Klage gegen das B.K.A.-Gesetz ist da ein signifikantes Beispiel.

Denn mal ganz abgesehen von solchen Nebensächlichkeiten wie der Staatsaffäre um den ehemaligen Vorsitzenden vom Innenausschuss des Bundestages, Sebastian Edathy und die Rolle des Bundeskriminalamtes: seit Jahren scheucht das B.K.A. immer wieder die Republik mit ominösen und offenbar erfundenen Terrorwarnungen hoch, um politische Prozesse zu beeinflussen. Nur zwei Beispiele: im November 2010 mit der erfundenen Story einer angeblichen „Paketbombe aus Namibia“, in Zusammenarbeit mit seinen Partner F.B.I. und vor einem Gipfel von „Europäischer Union“ und Nordatlantikpakt in Lissabon, und kürzlich erst durch die Ausserkraftsetzung des Grundgesetzes in Dresden, nach angeblichen Warnungen „ausländischer Geheimdienste“. Von der durch die Innenministerkonferenz angeforderten „Ursprungsfassung“ dieser angeblichen Warnung ausländischer Spione ist nichts mehr zu hören. Die Auswirkungen des im Dezember 2008 nur äußerst knapp durch den Bundesrat gekommenen B.K.A.-Gesetzes, zeitgleich beschlossen mit dem Militäreinsatz vor Somalia, bekamen übrigens u.a. Millionen Menschen in Afrika zu spüren, die kein Grundgesetz zu ihrem Schutz hatten.

Seit der Verfassungsänderung von Artikel 74 Grundgesetz am 27. Oktober 1994 ist die Zuständigkeit von Bund und Ländern in der „konkurrierenden Gesetzgebung“ immer verworrener und unklarer geworden, was das B.K.A. stets zu seinen Gunsten interpretiert und ausgelegt hat, um sich in Ermittlungen und Verfahren auf Landesebene hineinzudrängen und diese umzubiegen – mutmaßlich mit politischem Willen, eventuell sogar auf Anweisung von oben. Auch sowas soll schon vorgekommen sein.

Bevor zeitgleich mit der Entsendung deutscher Marine-Kampfverbände vor Somalia das B.K.A.-Gesetz am 19. Dezember 2008 auf Befehl der Berliner Fraktions- und Parteispitze doch noch mit 35:34 Stimmen durch den Bundesrat gezwungen wurde, war genau vor diesen unklaren „Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern“ gewarnt worden, sogar aus den S.P.D.-regierten Ländern. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Hövelmann (was für ein imposanter, mehrheitsfähiger Lebenslauf), hatte noch getönt:

„Wir können ja das Grundgesetz gleich über Bord werfen und uns ein Schild um den Hals hängen: Wir haben dafür die Freiheit geopfert.“

Doch nicht nur die längst überfällige Klärung, ob die Geheimpolizei Bundeskriminalamt noch auf dem Boden der Verfassung agiert, sollte der Landesregierung unter Bodo Ramelow im Jahre 2015 ein Minimum an Aktivität wert sein; das Anwerfen eines Checks & Balances Mechanismus, der jedes neue Gesetz umgehend auf seine Verfassungsmäßigkeit unter die Lupe nimmt, könnte eine Renaissance des Rechtsempfindens in der Bevölkerung begünstigen und die Republik wiederbeleben.

Die Regierung und ihr – wie man weiß: stets flexibles und handzahmes – Parlament würden es sich fortan dreimal überlegen, ob sie wie bisher das Grundgesetz ignorieren. Auch in Karlsruhe könnte dieser Antrag einer Landesregierung auf Klärung der Auslegung des Grundgesetzes durch die Weltraumtheoretiker in Bundesregierung und Bundestag für einige Unruhe, am Ende sogar noch Aktivität sorgen.

Man muss das natürlich wollen.