Die Troika demütigt Griechenland: Humanitäre Katastrophen interessieren nicht
Seit 2010 hat die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission wechselnde Regierungen in Athen zu insgesamt sechs Sparprogrammen gezwungen, die den Lebensstandard der arbeitenden Menschen drastisch herabgesetzt, die Sozialsysteme zerstört und Millionen einkommensschwacher Griechen in bittere Armut gestürzt haben. Aus diesem Grund hat die Mehrheit des griechischen Volkes am 25. Januar 2015 eine Partei gewählt, die ihr im Wahlkampf das Ende dieser Sparpolitik versprochen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft gemacht hat.
Vier Wochen später steht fest: Dieser Traum ist geplatzt. Die Troika hat in den Verhandlungen der vergangenen Woche unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht bereit ist, von ihrem Kurs abzuweichen und auf der uneingeschränkten Fortführung der Austeritätspolitik besteht. Das heißt: Die arbeitenden Menschen in Griechenland sollen auch in Zukunft für die durch die Bankenrettung entstandenen Löcher im griechischen Staatshaushalt aufkommen.
Deutschlands Finanzminister Schäuble hat mit seiner unnachgiebigen Haltung ein Exempel statuiert und den arbeitenden Menschen in ganz Europa eine unmissverständliche Botschaft zukommen lassen: Die Troika orientiert sich einzig und allein an den Interessen der Finanzindustrie. Die Nöte arbeitsloser Jugendlicher, hungernder Rentner oder schwerkranker Menschen, die ihre Medikamente nicht bezahlen können, sind ihr gleichgültig.
In der Auseinandersetzung mit der neuen griechischen Regierung hat die Troika mit Nachdruck demonstriert, wer gegenwärtig in Europa das Sagen hat. Nachdem der IWF seine Zahlungen bereits mit der Wahl am 25. Januar eingestellt hatte, zog die EZB am 11. Februar nach und akzeptierte keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheit für EZB-Kredite – eine Maßnahme, die sich nicht gegen die griechischen Banken (deren Rahmen für Notkredite kurz darauf um 5 Mrd. Euro erhöht wurde), sondern ganz gezielt gegen die neue Regierung und ihre Kritik an der Troika richtete.
Nach dieser Vorarbeit durch den IWF und die EZB übernahm die EU unter Führung Deutschlands die Aufgabe, die neue griechische Regierung auch öffentlich zu demontieren. Jegliche Erwähnung der humanitären Katastrophe im Land wurde ignoriert, alle noch so zaghaften Reformvorschläge wurden der Reihe nach abgeschmettert. Stattdessen wurde ein striktes Einhalten aller vertraglichen Vereinbarungen zur unerlässlichen Vorbedingung für weitere Verhandlungen erklärt.
Gleichzeitig wurden sämtliche Mainstream-Medien aktiviert, um der europäischen Öffentlichkeit einmal mehr einzubläuen, Griechenland habe jahrzehntelang „über seine Verhältnisse gelebt“, sich die Mitgliedschaft in der Eurozone zu Unrecht „erschlichen“, sei von der Troika „gerettet“ worden und weigere sich nun, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Schließlich wurde auch noch mit dem Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone gedroht und das Bündel an Unwahrheiten durch eine weitere ergänzt: Dass es sich bei der griechischen Regierung um Alex Tsipras um „Linksradikale“, „Ultralinke“ und gar um „Revolutionäre“ handle, deren Einstellung zum Eigentum und zur Einhaltung von Verträgen fragwürdig sei.
Nichts davon hat auch nur annähernd mit der Wahrheit zu tun. Die arbeitende Bevölkerung Griechenlands hat nie über ihre Verhältnisse gelebt und schon gar nichts mit der Entstehung der Krise zu tun. Schuld daran waren Banker, die sich in Milliardenhöhe verspekuliert haben und die bis heute nicht für ihre zum Teil kriminellen Machenschaften zur Rechenschaft gezogen wurden. Der auf Grund von gefälschten Zahlen erfolgte Eintritt Griechenlands in die Währungsunion geht auf das Konto einer Allianz aus griechischer Regierung, der Investment-Bank Goldman-Sachs und hoher Beamter in der EU, die die griechischen Steuerzahler in dieser Angelegenheit ganz nebenbei auf 5 Mrd. Euro Schulden und Honorarkosten von 800 Mio. Euro für die US-Bank sitzen gelassen hat.
Die vielbeschworene und vor allem von Wolfgang Schäuble immer wieder angeführte „Rettung“ Griechenlands hat es nie gegeben. Stattdessen hat eine gewaltige Vermögensumverteilung von den arbeitenden Menschen zu den Ultrareichen stattgefunden: Nachdem die griechischen Banken durch Spekulationsverluste insolvent geworden waren und ihre Kredite bei deutschen, französischen und anderen ausländischen Banken nicht mehr bedienen konnten, haben führende Politiker der EU das Geld ihrer Steuerzahler – in vielen Fällen an den Parlamenten vorbei – an die griechische Regierung geleitet, die es ihrerseits zum größten Teil auf die Konten europäischer und amerikanischer Gläubiger-Banken transferiert hat.
Vertragliche Verpflichtungen sind in der Schuldenfrage nur von Politikern und Bankern, nicht aber von der arbeitenden griechischen Bevölkerung eingegangen worden. Sie hätte diese also gar nicht brechen können, weil sie nie nach ihrer Haltung zur Austeritätspolitik gefragt wurde. Was schließlich den „Grexit“ angeht, so handelt es sich um Schreckensszenario, das gern als Druckmittel benutzt wird, dessen bewusste Herbeiführung aber höchst unwahrscheinlich ist. Die griechischen Staatsschulden liegen bei 320 Mrd. Euro und sind nach vorsichtigen Schätzungen auf dem Derivate-Markt durch Kreditausfallversicherungen in Höhe von 3 bis 5 Billionen Euro abgesichert. Ein Grexit könnte, selbst wenn die Zahlen in Wirklichkeit darunter liegen sollten, eine oder mehrere internationale Banken zu Fall bringen und den befürchteten „Dominoeffekt“ auslösen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Troika (vor allem der IWF, da Kreditausfallversicherungen in der Hauptsache von den 5 größten amerikanischen Banken ausgegeben werden) alles daran setzen würde, ihn zu verhindern.
Die angebliche „ultralinke“ Einstellung der neuen Regierung entbehrt vollends jeder Grundlage. Tsipras und sein Kabinett haben weder die Enteignung griechischer Milliardäre, noch die Verstaatlichung des Finanzsektors oder gar die Einführung einer sozialistischen Planwirtschaft gefordert. Stattdessen haben sie sich von Anfang an zur EU, zum Euro und sogar zur Sparpolitik der Troika bekannt. Von ihrem politischen Standort her ist Syriza eine liberale Partei, die sich eindeutig zur Marktwirtschaft bekennt und das System des Kapitalismus nicht infrage stellt.
Die Verteufelung Syrizas wie auch die bewusste Demütigung ihrer Minister haben allerdings eine tiefere und weit über Griechenland hinausgehende Bedeutung: Sie sollen den arbeitenden Menschen in ganz Europa aufzeigen, dass es für eine liberale Reformpolitik im Interesse der notleidenden Menschen keinen Spielraum mehr gibt. Sie sind als Warnung an diejenigen gedacht, die aus purer Verzweiflung gegen soziale und wirtschaftliche Notstände aufbegehren: Wer Reformen fordert, wird von nun an in aller Öffentlichkeit als radikaler Aufrührer behandelt, der das System insgesamt in Frage stellt.
Das ist erschreckenderweise in der Sache nicht einmal ganz falsch: Die Dominanz des Finanzsektors ist inzwischen nämlich so allumfassend, dass sie bei der Jagd nach möglichst hoher Rendite nicht einmal mehr die geringsten Zugeständnisse wirtschaftlicher oder sozialer Art duldet. Ursache dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass internationale Spekulanten ihr Geschäft seit der Krise von 2007 / 2008 mangels jeglicher ernsthafter gesetzlicher Einschränkung oder gar Regulierung weitergetrieben und sogar ausgeweitet haben. Weil sie damals straffrei ausgegangen sind, rechnen sie fest damit, im Wiederholungsfall wieder von den ihnen ergebenen Politikern mit Steuergeldern gerettet zu werden. Dieser Freibrief hat dazu geführt, dass die finanzielle (und damit auch die politische) Macht des Finanzsektors in den vergangenen sieben Jahren nicht ab-, sondern ganz erheblich zugenommen hat.
Was die politische Rolle Syrizas anbetrifft, so ist die Partei ohne Frage zum Scheitern verurteilt. Ein Ende der Austerität bei gleichzeitiger Unterordnung unter die Troika ist so wenig wie möglich wie ein Bekenntnis zum Pazifismus bei gleichzeitigem Verbleib in der Nato. Syriza wird ihre im Wahlkampf gemachten Versprechen nicht halten können. Da die arbeitende Bevölkerung Griechenlands Syriza aber nicht aus einer Laune, sondern aus bitterster existenzieller Not heraus gewählt hat, werden Wut, Enttäuschung und das Entsetzen über die Fortsetzung der unmenschlichen Austeritätspolitik nicht ohne Folgen bleiben.
Die eiserne Härte der Troika und Syrizas Abrücken von den eigenen Wahlversprechen werden zu sozialen Unruhen führen, die angesichts der explosiven Lage in Griechenland ein größeres Ausmaß als zu Beginn der Austeritätspolitik annehmen, möglicherweise auf andere Länder überspringen und sich zu einem von den derzeitigen politischen Machthabern kaum beherrschbaren Flächenbrand in ganz Südeuropa ausweiten könnten.