Die neokonservative Bedrohung der Weltordnung
Paul Craig Roberts: Vortrag zum 70. Jahrestag der Konferenz von Jalta
Vortrag zum 70. Jahrestag der Konferenz von Jalta, veranstaltet von Instituten der Russischen Akademie der Wissenschaften und dem Moskauer Staatsinstitut für Internationale Beziehungen.
Moskau, 25. Februar 2015, Hon. Paul Craig Roberts
Kollegen,
Meine These, die ich Ihnen vorlege, geht davon aus, dass die gegenwärtigen Schwierigkeiten in der internationalen Ordnung nicht mit Jalta und seinen Konsequenzen zusammenhängen, sondern dass sie ihren Ursprung im Aufstieg der neokonservativen Ideologie in der nach-sowjetischen Ära und ihrem Einfluss auf die Außenpolitik Washingtons haben.
Der Kollaps der Sowjet Union beseitigte die einzige Beschränkung der Macht Washingtons, nach außen einseitig zu agieren. Damals schätzte man, dass der Aufstieg Chinas ein halbes Jahrhundert dauern würde. Die Vereinigten Staaten fanden sich plötzlich als Die-Einzige-Macht, als „einzige Supermacht der Welt“. Die Neokonservativen erklärten „Das Ende der Geschichte“. Als „Ende der Geschichte“ verstehen die Neokonservativen, dass der Wettstreit unter sozio-ökonomisch-politischen Systemen zu Ende ist. Die Geschichte hat den „Amerikanischen Demokratischen Kapitalismus“ erwählt. Die Verantwortung Washingtons – von der Geschichte an Washington übertragen – ist es, die Hegemonie über die Welt auszuüben und die Welt in Einklang zu bringen mit der von der Geschichte getroffenen Wahl des amerikanisch demokratischen Kapitalismus.
Mit anderen Worten: Marx wurde widerlegt. Die Zukunft gehört nicht dem Proletariat, sondern Washington.
Die neokonservative Ideologie erhebt die Vereinigten Staaten auf den einzigartigen Status, das „außergewöhnliche Land“ zu sein. Und die Amerikaner erwerben den Status des „unverzichtbaren Volkes“.
Wenn ein Land das „außergewöhnliche Land“ ist, dann heißt dies, dass alle anderen Länder gewöhnlich sind. Wenn ein Volk „unverzichtbar“ ist, dann heißt dies, dass alle anderen Völker verzichtbar sind. Wir habe diese Attitüde in Washingtons Aggressionskriegen im Mittleren Osten in den letzten 14 Jahren gesehen. Die Hinterlassenschaft dieser Kriege sind zerstörte Länder, Millionen von Menschen tot, verwundet und entwurzelt. Dennoch fährt Washington fort, von seiner Verpflichtung zu reden, kleinere Länder vor der Aggression größerer Länder zu schützen. Die Erklärung für diese Heuchelei liegt darin , dass Washington Washingtons Aggression nicht als Aggression betrachtet, sondern als das Ziel der Geschichte.
Wir haben diese Attitüde am Werk gesehen in Washingtons Missachtung von Russlands nationalen Interessen und in Washingtons propagandistischen Antworten auf russische Diplomatie.
Die neokonservative Ideologie verlangt, dass Washington seinen Die-Einzige-Macht-Status aufrecht erhält, denn dieser Status ist notwendig für die Hegemonie Washingtons und für das Ziel der Geschichte.
Die neokonservative Doktrin der US-Welt-Überlegenheit ist am klarsten und bündigsten von Paul Wolfowitz dargelegt, einem führenden Neokonservativen, der zahlreiche hohe Posten innehatte: Deputy Assistant Secretary of Defense, Director of Policy Planning US Department of State, Assistant Secretary of State, Ambassador to Indonesia, Undersecretary of Defense for Policy, Deputy Secretary of Defense, President of the World Bank. (Anm. d.Übers. nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragbar, etwa: zweiter im Verteidigungsministerium, Direktor der politischen Planung im US Außenministerium, stellvertretender Außenminister, Botschafter in Indonesien, Unterstaatssekretär für Politik im Verteidigungsministerium, stellvertretender Verteidigungsminister, Präsident der Weltbank. Vgl. Lebenslauf in Wikipedia)
„Unser erstes Ziel besteht darin, die Wiederauferstehung eines neuen Rivalen zu verhindern, sei es auf dem Territorium der früheren Sowjetunion oder sonst wo, die eine Bedrohung von der Größe der früheren Sowjetunion darstellen könnte. Das ist die dominante Überlegung, die der neuen regionalen Verteidigungsstrategie zugrunde liegt und das verlangt, dass wir danach trachten, eine feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen ausreichen, unter konsolidierter Kontrolle globale Macht zu erzeugen.“
Zur Klarstellung: eine „feindliche Macht“ ist ein Land mit einer unabhängiger Politik (Russland, China, Iran und früher Saddam Hussein, Gaddafi, Assad).
Diese gewagte Feststellung traf das traditionelle amerikanische außenpolitische Establishment als eine Deklaration von amerikanischem Imperialismus. Das Dokument wurde neu geschrieben, um die blanke Behauptung der Überlegenheit abzuschwächen und zu verbergen, ohne den Inhalt zu verändern. Diese Dokumente sind online erhältlich, Sie können sie problemlos im Internet studieren.
Diese Mäßigung in der Sprache erlaubte es den Neokonservativen, zu außenpolitischer Dominanz aufzusteigen. Die Neokonservativen sind verantwortlich für die Attacken des Clinton-Regimes gegen Jugoslawien und Serbien. Die Neokonservativen, insbesondere Paul Wolfowitz sind verantwortlich für die Invasion des Irak unter George W. Bush. Die Neokonservativen sind verantwortlich für den Sturz und die Ermordung von Gaddafi in Libyen, für den Angriff auf Syrien, für die Propaganda gegen Iran, für die Drohnen-Angriffe gegen Pakistan und Jemen, die Farben-Revolutionen in ehemaligen Sowjet-Republiken, für die versuchte „Grüne Revolution“ im Iran, den Coup in der Ukraine und die Dämonisierung von Vladimir Putin.
Viele besorgte Amerikaner haben den Verdacht, dass die Neokonservativen verantwortlich sind für 9/11, denn dieses Ereignis gab den Neokonservativen das „Neue Pearl Harbour“, das in ihren Positionspapieren als notwendig dargestellt wurde, um ihre Kriege um Hegemonie im Mittleren Osten zu starten. 9/11 führte direkt und unmittelbar zur Invasion von Afghanistan, wo Washington schon seit 2001 kämpfte. Neokonservative kontrollierten alle wichtigen Regierungsämter, notwendig für einen Angriff unter „falscher Flagge“
Die neokonservative stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland, verheiratet mit einem anderen Neokonservativen, Robert Kagan, implementierte und überwachte Washingtons Coup in der Ukraine und wählte die neue Regierung aus.
Die Neokonservativen sind hoch organisiert und vernetzt, gut finanziert, unterstützt von den Print- und TV-Medien und im Rücken gestärkt vom US Militär/Sicherheits- Komplex, sowie von der Israel-Lobby. Es gibt kein Gegengewicht zu ihrem Einfluss auf die außenpolitische Macht der US.
Die neokonservative Doktrin geht über die Brzezinski-Doktrin hinaus, welche von der Detente (Entspannung-Politik, Anm.Übers) abwich und in provokanter Weise Dissidenten innerhalb des sowjetischen Imperiums unterstützte. Trotz ihres provokativen Charakters blieb sie eine Doktrin von Großmacht-Politik und Eindämmung. Sie ist keine Doktrin von US Welt-Hegemonie.
Während die Neokonservativen ein Jahrzehnt lang hauptsächlich mit ihren Kriegen im Mittleren Osten beschäftigt waren, mit der Schaffung eines US Afrika-Kommandos, mit der Organisierung von Farben-Revolutionen, aufregenden Abrüstungsverträgen, Russland mit Militärbasen einzukreisen und mit „pivoting to Asia“, um China mit neuen Luft- und See-Stützpunkten einzukreisen, führte Vladimir Putin Russland zurück zu ökonomischer und militärischer Kompetenz und unterstrich eine unabhängige russische Außenpolitik.
Als Russlands Diplomatie die von Washington geplante Invasion von Syrien und die von Washington geplante Bombardierung des Iran blockierte, realisierten die Neokonservativen, dass sie das „erste Ziel“ der Wolfowitz-Doktrin verpaßt hatten und „die Wiederauferstehung eines neuen Rivalen …. auf dem Territorium der früheren Sowjetunion“ zugelassen hatten, mit der Macht, einseitige Aktionen von Washington zu blockieren.
Der Angriff auf Russland begann. Washington gab über einen Zeitraum von 10 Jahren in der Ukraine 5 Milliarden Dollar zur Schaffung von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) und zur Pflege ukrainischer Politiker aus. Die NGOs wurden auf die Strasse beordert. Die extremen Nationalisten und Nazi-Elemente wurden benutzt, um Gewalt ins Spiel zu bringen, und die demokratisch gewählte Regierung wurde gestürzt. Die aufgefangene Konversation zwischen Victoria Nuland und dem US Botschafter in Kiew, in der die beiden Washingtoner Arbeiter die Mitglieder der neuen ukrainischen Regierung auswählten, ist wohl bekannt.
Wenn die Information stimmt, die kürzlich aus Armenien und Kigisistan zu mir gekommen ist, dann hat Washington NGOs finanziert und pflegt Politiker in Armenien und den früheren zentralasiatischen Sowjet-Republiken. Wenn diese Information korrekt ist, dann kann Russland weitere „Farb-Revolutionen“ oder Umstürze in weiteren ehemaligen Territorien der Sowjetunion erwarten. China erlebt ähnliche Bedrohungen in Uigurien.
Der Konflikt in der Ukraine wird oft als „Bürgerkrieg“ bezeichnet. Das ist nicht korrekt. Ein Bürgerkrieg ist, wenn zwei Seiten um die Kontrolle der Regierung kämpfen. Die wegbrechenden Republiken In der Ost- und Süd-Ukraine kämpfen einen Sezessionskrieg.
Washington wäre glücklich gewesen, seinen Coup in der Ukraine zu nützen, um Russland aus seiner Schwarzmeer-Flotten-Basis zu vertreiben, da dies ein strategischer Militärerfolg gewesen wäre. Dennoch: Washington freut sich darüber, dass die „Ukraine-Krise“, von Washington orchestriert, als Ergebnis die Dämonisierung von Vladimir Putin brachte und so die ökonomischen Sanktionen ermöglichte, die Russlands ökonomische und politische Beziehungen mit Europa zerrüttete. Die Sanktionen haben Europa im Einflussbereich Washingtons gehalten.
Washington hat kein Interesse daran, die Ukraine-Krise zu lösen. Die Situation kann nur diplomatisch gelöst werden, wenn Europa hinreichende Souveränität bei seiner Außenpolitik erreicht, um im Interesse Europas anstelle im Interesse Washingtons zu handeln.
Die neokonservative Doktrin der US Welt-Hegemonie ist eine Bedrohung der Souveränität eines jeden Landes. Die Doktrin verlangt eine Unterwerfung unter Washingtons Führerschaft und Washingtons Absichten. Unabhängige Regierungen werden das Ziel von Destabilisierung. Das Obama-Regime stürzte die Reform-Regierung in Honduras und gegenwärtig arbeitet es an der Destabilisierung von Venezuela, Bolivien, Ecuador und sehr wahrscheinlich auch von Armenien und früheren zentral-asiatischen Sowjet-Republiken.
Jalta und seine Konsequenzen haben zu tun mit Großmacht-Rivalitäten. Doch in der neokonservativen Doktrin gibt es nur eine Großmacht – Die-Einzige-Macht. Es gibt keine anderen und andere sind nicht gestattet.
Daher ist die Zukunft eine des Konfliktes, es sei denn, eine moderne Außenpolitik entsteht in Washington und ersetzt die Neokonservativen.
Es wäre ein strategischer Fehler, die neokonservative Ideologie als unrealistisch abzutun. Die Doktrin ist unrealistisch, aber sie ist die führende Kraft der US Außenpolitik und sie ist imstande, einen Weltkrieg auszulösen.
In ihrem Konflikt mit Washingtons Hegemonie sind Russland und China im Nachteil. Die Erfolge der amerikanischen Propaganda während des Kalten Krieges, die großen Unterschiede im Lebensstandard in den US und jenen in kommunistischen Ländern, öffentliche kommunistisch-politische Unterdrückung, zeitweise brutal, und der sowjetische Zusammenbruch haben in den Köpfen vieler Menschen Vorstellungen über nicht existierende Vorzüge der Vereinigten Staaten erzeugt. Da Englisch die Weltsprache ist und die westlichen Medien zusammen arbeiten, ist Washington in der Lage, die Erklärungen ungeachtet der Fakten zu kontrollieren. Die Fähigkeit Washingtons, der Aggressor zu sein und die Opfer zu beschuldigen, ermutigt Washingtons Marsch hin zu mehr Aggression.
Damit beschließe ich meine Ausführungen. Morgen möchte darüber sprechen, ob es innere politische oder ökonomische Beschränkungen der neokonservativen Ideologie gibt.
Orginalartikel The Neoconservative Threat To World Order — Paul Craig Roberts vom 26.Februar 2015
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2015_03_01_dieneokonservative.htm
Herzlichen Dank an Herrn Konrad Kiener für die Übersetzung und freundliche Überlassung des Artikels!
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