Die Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der heutigen 264. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das urbane Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21). Die Rede trägt den Titel „Brandschutz bei S21 unvollständig, ungeklärt, durchgefallen!“
Liebe K21-Freunde!
Am 16.1.2015 war in der Zeitung zu lesen, das neue Brandschutzkonzept für S21 läge jetzt vor, auch Feuerwehr und Regierungspräsidium hätten zugestimmt, das Eisenbahnbundesamt werde demnächst die Genehmigung erteilen.
Daraufhin hatten wir beim Eisenbahnbundesamt Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) gefordert; nach einigem Hin und Her wurde diese auch gewährt, allerdings begrenzt auf zwei Stunden! Das hat uns dennoch gereicht, eine Fülle von Ungereimtheiten aufzudecken. Einiges davon will ich hier wiedergeben.
Ein umfassender Brandschutz im Tiefbahnhof und den Tunneln ist für die
Sicherheit der Reisenden wie der Mitarbeiter unerlässlich; ein großer Brand kann viele Menschenleben fordern.
Nach einer Statistik der DB kommt es im Schnitt 64mal im Jahr zu einem Brand im Bahnreise-Verkehr, d.h. jeden 6. Tag. Auf freier Strecke oder im oberirdischen Bahnhof geht das meist glimpflich aus. Anders im Tunnel – ein schwerer Brand wird dort schnell zur Todesfalle mit vielen Toten und Verletzten. Und je mehr Tunnel, desto größer das Risiko! Für Stuttgart21 sollen 62 km Tunnel gebaut werden, die längsten in Deutschland. Von Feuerbach bis auf die Filder würde ein Zug künftig 15 km durchgehend im Tunnel fahren – der Tiefbahnhof mittendrin ist ebenfalls ein Tunnel!
Das neue Brandschutzkonzept für S21 ist das alte – alter Wein in neuen
Schläuchen! Die Bahn behauptet, S21 sei sicher und trickst dabei mit
allen Mitteln. Im Brandfall müssen nach EBA-Formel 16.124 Personen den
Bahnhof sicher verlassen können, bevor alles verraucht ist. Dafür werden
je Bahnsteig zwei zusätzliche Fluchttreppen vorgesehen. Die Bahn schiebt
das auf neue verschärfte Brandschutzbestimmungen. Doch waren bereits im
Planfeststellungsbeschluss von 2005 diese 16.124 Personen so festgelegt.
Für die Räumung legt die Bahn eine gleichmäßige Verteilung der Personen
auf alle vier Bahnsteige zugrunde. Das aber entspricht nicht der im
Stresstest vorgesehenen Doppelbelegung der Gleise im Tiefbahnhof. Dies
führt zu sehr unterschiedlichen Personenzahlen auf den Bahnsteigen – der
am stärksten belegte Bahnsteig müsste dann von über 6.000 Personen geräumt werden. Dadurch verlängern sich auch die Räumzeiten um rund 50 %; ein gesichertes Verlassen vor Beginn der Verrauchung wäre dann nicht mehr möglich!
Hier zeigt sich die ganze Verlogenheit des S21-Vorhabens: Entweder die Anzahl der Züge wird so begrenzt, dass die Räumzeiten eingehalten werden können – dann liegt die Leistung des Tiefbahnhofes unter 30 Zügen je Stunde anstatt bei 49 wie mit dem Stresstest versprochen. Oder es wird eine erhebliche Gefährdung für die Reisenden im Brand- und Katastrophenfall in Kauf genommen. Einen Tod muss S21 sterben: Entweder Brandschutz oder Leistung!
Das Brandschutzkonzept wurde von BPK Brandschutz Planung Klingsch aufgestellt, ganz im Sinne der Bahn, und 2013 überarbeitet, sodann vom unabhängigen EBA-Sachverständigen Dr. Portz im Auftrag der Bahn überprüft. Wie unabhängig ist aber ein EBA-Prüfer im Dienste der Bahn? Weil er zugleich für das EBA tätig ist und im Zweifel seinen eigenen Prüfbericht bewerten müsste, kann er nicht als unabhängig angesehen werden.
Im Großen und Ganzen bescheinigt Dr. Portz denn auch dem Brandschutzkonzept seine Zustimmung. Einige Punkte bemängelt er jedoch und äußert Zweifel und Kritik. Doch anstatt diese Mängel am Konzept beheben zu lassen, machte die Bahn dazu 3 Besprechungsrunden mit Vertretern von DB, BPK Klingsch, EBA, Ingenhoven und SVG Portz; Feuerwehr und Regierungspräsidium wurden daran nicht beteiligt. Stattdessen tauchten in der letzten, entscheidenden Sitzung aber zwei bekannte Gesichter auf: die Rechtsanwälte der Bahn Dr. Schütz und Kirchberg!
Es stellt sich die Frage, wieviel brandschutztechnischen Sachverstand diese beiden Herren dort wohl eingebracht haben, während auf die Beteiligung der Feuerwehr verzichtet wurde.
Doch es ging auch gar nicht um den Brandschutz, sondern darum, die Kritikpunkte des Prüfers Dr. Portz aus seinem Prüfbericht zu tilgen, was
denn unter Mitwirkung der beiden Rechtsanwälte auch vollständig gelungen ist. Die ursprünglichen Prüfbemerkungen wurden um Anmerkungen ergänzt wie: „nicht planfeststellungsrelevant“ und „erst im Zuge der Ausführungsplanung nachzuweisen“.
So hatte der Prüfer Dr. Portz beanstandet, dass BPK Klingsch behauptet, die Bahnhofshalle sei kein Gebäude, um so die Vorschriften der Landesbauordnung zu umgehen. Als Ergebnis der Beratung unter Mitwirkung der beiden Rechtsanwälte heißt es dann: „Es handelt sich um einen ungeregelten Sonderbau, für welchen Bundesrecht [EBO] anzuwenden ist. Nicht planfeststellungsrelevant; Ergänzungen im Zuge der Ausführungsplanung!“
Damit werden wesentliche Vorschriften zum baulichen Brandschutz umgangen:
– Treppenaufgänge und Verteilerstege werden nicht brandschutzmäßig abgetrennt, somit Verrauchung der Flucht- und Rettungswege in kürzester Zeit!
– Abtrennung „Bahnhofslounge“ von Bahnsteighalle mit VSG-Verglasung (ohne Brandschutz-Anforderung) – Versagen im Brandfall möglich; lt. BSK Klingsch aber unwahrscheinlich!
– Stegkonstruktion nur „feuerhemmend“ – Einsturz bei längerer Branddauer möglich!
– Glasbausteine im Verteilersteg ohne Brandschutz-Anforderung, können bei Hitze zerspringen! Laut BSK Klingsch wird Steg bei Brand gesperrt (!), ist auch für Feuerwehr nicht nutzbar!
– Fluchttreppenhäuser anstatt „feuerbeständig“ nur „feuerhemmend“ – Versagen der Verglasung bei Hitze; (Vollbrand-Ereignis wird im Brandschutzkonzept von BPK Klingsch ausgeschlossen!)
– Lichtaugen brandschutztechnisch nicht bemessen! – Versagen im Brandfall möglich; wird laut BSK Klingsch aber ausgeschlossen, weil Temperatur unter 200 °C bleibt!
– Maßnahmen für die Selbstrettung mobilitätseingeschränkter Personen:
o die Verpflichtung zur Hilfeleistung (Verweis auf§ 323c StGB) und
o die vorgesehenen Stauflächen in den Treppenräumen
Die Rettung mobilitätseingeschränkter Personen ist prinzipiell möglich. Der vorstehende Punkt ist nicht planfeststellungsrelevant. Details sind im Zuge der Ausführungsplanung zu klären. Soll das der versprochene barrierefreie Bahnhof sein?
Die Simulation der Verrauchung geht von gesundheitsschädigenden Voraussetzungen wie Zulassen einer zu hohen Rauchdichte bei zu geringer Sichtweite und zu hohen Giftgas-Anteilen aus. Dies hatte schon 2012 der
damals eingeschaltete Gutachter GRUNER AG/Basel beanstandet, der an die
DB schrieb, es gäbe kein genehmigungs- und funktionsfähiges Rettungskonzept. Nach spätestens 24 Minuten ist die gesamte Bahnhofshalle (Stege A, B und C) verraucht. Es wird toleriert, dass flüchtende Personen kontaminierte Luft atmen. Dieses Schreiben der GRUNER AG ist ein einziger Verriss des Brandschutzkonzeptes der DB.
Merkwürdigerweise findet sich dieses aber nicht in der Verfahrensakte des EBA! GRUNER war offensichtlich nicht mehr an der weiteren Bearbeitung des Brandschutzkonzeptes beteiligt – solche Kritiker kann die Bahn schließlich nicht gebrauchen!
Gänzlich ungeklärt ist nach wie vor die Zuluftführung in die Tiefbahnhofhalle zum Abdrängen des Rauches. Hierzu heißt es im Prüfbericht des Dr. Portz als Ergebnis der Beratung nur:
* Über die Tunnelplanung ist die Zuluftzuführung für die Entrauchung sicherzustellen.
* Die hier aufgeführten Fragestellungen sind nicht im Rahmen des hier vorliegenden Brandschutzkonzeptes zu klären, sondern richten sich an die Sicherheitskonzepte der Tunnel.
* Dieser Punkt ist nicht planfeststellungsrelevant.
Über die Tunnellüftung liegen nach wie vor keinerlei Unterlagen vor – an allen Tunneln wird aber schon gebaut! Das ist unhaltbar; es kann nur ein ganzheitliches Entrauchungskonzept geben.
Schließlich noch zur Verrauchung des Straßburger Platzes mit den Notausstiegen der Fluchttreppen zwischen den Lichtaugen. Vor zwei Jahren
schon hatte Branddirektor Knödler einen Nachweis über die Rauchfreihaltung dieser Notausstiege gefordert. BPK Klingsch hat dazu eine 4½ seitige Untersuchung vorgelegt, die mit einem völlig falschen Ansatz zu einem völlig falschen Ergebnis führt. Die Bahn erklärt das jedoch als „rechnerischen Nachweis einer weitestgehenden auszuschließenden Rauchgefährdung aufgrund seitenwindbedingter Rauchstrahlauflösung“. Von niemanden weiter überprüft oder auch nur kritisch hinterfragt, auch nicht vom unabhängigen Prüfer Dr. Portz, wurde das allseits so hingenommen.
Als Nachweis der Rauchfreihaltung der Notausstiege ist das aber untauglich; ein solcher Nachweis ist auch gar nicht möglich – die Rauchfreihaltung der Notausstiege kann nicht gewährleistet werden. Damit darf der Tiefbahnhof aber auch nicht gebaut werden!
Wie die Bahn durch ihren Konzeptersteller BPK Klingsch der Feuerwehr das
Wort im Mund umdreht, zeigt der Vermerk über ein Gespräch mit Vertretern der Feuerwehr. Diese wurden gefragt, wie lange es dauern würde vom Alarm-Eingang bis zum Beginn des Löschangriffes. Die Antwort war: 10 Minuten Anfahrt + 10 Minuten Erkundung + 10 Minuten Vorbereitung Löschangriff, ergibt zusammen 30 Minuten. Das wäre zu lange, ob es nicht schneller ginge. Wenn´s gut läuft, käme man auch mit 80 % der Zeit aus.
Das heißt also 8 + 8 + 8 = 24 Minuten – wenn alles gut läuft.
Was aber macht Prof. Dr. Klingsch daraus? Eine wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtung mit 0,8 x 0,8 x 0,8 = 0,512,
folglich 0,512 x 30 Minuten = 15 Minuten bis zum Löschangriff. Der unabhängige Prüfer Dr. Portz nennt das in seinem Prüfbericht lediglich
unlogisch.
Ihr seht, der Brandschutz ist unvollständig, untauglich und somit
durchgefallen. Der Brandschutz ist aber eines der wichtigsten
KO-Kriterien von S21.
Da müssen wir dran bleiben!