„Strategische Überwachung der Telekommunikation“: Die verschwiegene Infrastruktur der Totalüberwachung
Seit Mitte der 90er hat sich innerhalb der beginnenden Berliner Republik der Staat von allen großen Telekommunikations-Firmen Spionage-Einrichtungen vor Ort installieren lassen. Keine Partei, keine Parlamentarier, keine Staatsanwaltschaft, keine Bürgerrechtsorganisationen und fast keine Programmierer oder Journalisten haben dies jemals zum Thema gemacht, sondern laufen davor weg.
Wie Radio bereits berichtete, verfügte die Fernmeldeverkehrüberwachungsverordnung (FÜV) der Regierung vom 18. Mai 1995, dass „jeder, der eine Fernmeldeanlage, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt ist, betreibt..die Überwachung und Aufzeichnung des gesamten Fernmeldeverkehrs“ durch den Staat zu ermöglichen hat – durch in den eigenen Anlagen eingebaute „technische Schnittstellen“.
Das betraf in 1995 primär die gerade entstaatlichte bzw kommerzialisierte Deutsche Bundespost (heute: Deutsche Telekom AG) als damals einzigen Versorger („Provider“) von Telefon und Frühform des Internets.
Wie Radio Utopie ebenfalls bereits berichtete, verpflichtet heute – zwanzig Jahre später – die der FÜV nachfolgende Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV, „Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation”) die Internet- und Telefon-Versorger nicht nur zur Installation von Spionage-Einrichtungen für Polizei, Militär, Behörden, Geheimdienste in Bund und Ländern (§§ 100a, 100b Strafprozessordnung, § 3 Artikel 10-Gesetz, §§ 23a bis 23c Zollfahndungsdienstgesetz und Landesrecht), sondern beinhaltet auch
„Verpflichtungen zur Duldung der Aufstellung von technischen Einrichtungen für Maßnahmen der strategischen Kontrolle nach § 5 oder § 8 des Artikel 10-Gesetzes sowie des Zugangs zu diesen Einrichtungen“ .
Diese Bereitstellung der Infrastruktur zur Spionage gegen die eigenen Kunden beinhaltet für die Provider bzw Telekommunikations-Konsortien
„die Aufstellung und den Betrieb von Geräten des Bundesnachrichtendienstes zu dulden, die nur von hierzu besonders ermächtigten Bediensteten des Bundesnachrichtendienstes eingestellt und gewartet werden dürfen“
und dem Bundesnachrichtendienst (B.N.D.) eine „vollständige Kopie der Telekommunikation“ eines Anschlusses zu übergeben.
Diese Telekommunikations-Überwachungsordnung (TKÜV) gilt für alle “Betreiber von Telekommunikationsanlagen, mit denen Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbracht werden”, mit “mehr als 10.000 Teilnehmern oder sonstigen Nutzungsberechtigten”, also alle großen Internetprovider und Telefongesellschaften in der Republik, vorneweg die Deutsche Telekom AG.
Bereits in der FÜV (1995) wurden die Telekommunikationsfirmen bzw die Deutsche Telekom in § 12 zu „Vertraulichkeit“ gegenüber „Unbefugten“ über die implantierte Spionage-Infrastruktur verpflichtet. In der heutigen TKÜV verpflichtet § 15 die Provider zur „Verschwiegenheit“, sogar gegenüber den eigenen Mitarbeitern.
Die technische Umsetzung der TKÜV regelt übrigens – ganz offiziell – die Bundesnetzagentur in ihrer „Technischen Richtlinie zur Umsetzung gesetzlicher Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation und zum Auskunftersuchen für Verkehrsdaten (TR TKÜV)“.
ES KANN JEDEN TREFFEN
Die Spionage des Staates kann jeden treffen. Das liegt ausschließlich im Ermessen der Spione selbst, bei Zustimmung des Kanzleramts (wenn dieses überhaupt informiert wird, was faktisch unkontrollierbar ist).
Und es geht es um viel mehr, als „nur“ die Übermittlung jedweder Telekommunikation.
Kai Biermann am 14.11.2014 in der „Zeit“, im Artikel „Die Anarchos vom BND“:
„Will der BND heimlich Nachrichten beschaffen, gilt für ihn laut BND-Gesetz Paragraf 8 Absatz 2 des Gesetzes über den Bundesverfassungsschutz. Darin steht sinngemäß, dass die beiden Behörden so ziemlich alles dürfen, wenn sie es vorher als Dienstvorschrift aufschreiben, wenn das Kanzleramt zugestimmt hat und wenn das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages darüber unterrichtet wurde.“
Im Detail: Paragraph 3 B.N.D.-Gesetz erlaubt dem Bundesnachrichtendienst
„zur heimlichen Beschaffung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten die Mittel gemäß § 8 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anwenden“,
während der Auslandsgeheimdienst weiter dem Kanzleramt unterstellt ist (und nicht wie der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz dem Bundesinnenministerium.)
Hier nun der in der „Zeit“ erwähnte Abschnitt im Bundesverfassungsschutzgesetz, Paragraf 8 Absatz 2:
„Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. „
Dass so oder anders beschaffte „Informationen“ die Runde machen unter „den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst, den Polizeibehörden des Bundes und der Länder und dem Zollkriminalamt“, dafür sorgt § 9a B.N.D.-Gesetz, der „eine gemeinsame Datei“ der Behörden zusammen mit dem Bundesnachrichtendienst autorisiert. Diese „eine gemeinsame Datei“, offiziell für max. 4 Jahre, ist in Wirklichkeit eine unbegrenzte Anzahl gemeinsamer Dateien mit unbegrenzter Dauer, da diese im Rahmen einer „befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit“ jeweils neu erstellt werden können. Zudem gilt auch hier: einmal im Speicher, immer im Speicher. Irgendeiner kopiert immer.
„Ihre“ Daten von den Telekommunikations-Konzernen, also Ihre Telekommunikationsdaten, holen sich Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst u.a. via § 2b B.N.D.-Gesetz und § 8d Bundesverfassungsschutzgesetz.
Zudem wurde am 01.01.2009 die TKÜV vollständig an das gerade mit 35 zu 34 Stimmen durch den Bundesrat geboxte B.K.A.-Gesetz gekoppelt, über dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht sich seit über sechs Jahren weigert zu urteilen, welches aber natürlich seitdem in Funktion ist, im Gegensatz zur Republik.
Ein weiteres Beispiel für die völlige Ignoranz fast der gesamten Bevölkerung, ganz zu schweigen von irgendwelchen Funktionären, ist das Thema elektromagnetische Strahlung bzw Abstrahlung, z.B. auch dieses Bildschirms. Die wenigen Quellen wie diese hier, die sich überhaupt zu diesem von allen Zuständigen und Verantwortlichen verschwiegenen Thema äußern, bestätigen, dass das „Abhören“ eines Bildschirms ein Kinderspiel ist.
Entdeckt wurde dieses Phänomen nach Angaben der „National Security Agency“ im Jahre 1943. In der 1990 aufgelösten D.D.R. war das „Ministerium für Staatssicherheit“ (Stasi) im Verbund mit dem Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (Kdo. LSK/LV) zuständig für den Strahlenschutz gegen derartige „parasitäre informationsgebundene Abstrahlung“.
Schließlich verbot der Staat Ende 2006, mehr oder weniger in aller Stille, unter dem heuchlerischen Stichwort „Computerkriminalität“ in Paragraph 202b Personen das Beschaffen von „nicht für ihn bestimmte Daten..aus einer nichtöffentlichen Datenübermittlung oder aus der elektromagnetischen Abstrahlung einer Datenverarbeitungsanlage“.
Dass die staatlichen Diener in den (Staats-)“Sicherheitsbehörden“, samt deren eng vernetzten und anderweitig in Beziehung stehenden KollegInnen aus der „Sicherheitsbranche“, natürlich entsprechende Technologien selber nutzen – und dabei bei ihrem präventiven „Antiterrorismus“ vollständige Immunität genießen – mögen deren lieben FreundInnen von „Sicherheitsexperten“ in Presse und Bundestag bis heute nicht eingestehn. Lieber verschanzen sie sich hinter ihrem angelernten Lieblingsbegriff der psychologischen Kriegführung: „Verschwörungstheorie“.
ES TRIFFT JEDEN
Verfügt wurde die erste Version der heutigen Telekommunikations-Überwachungsverordnung – TKÜV) durch die „rot-grüne“ Regierung Schröder-Fischer am 25. Oktober 2001, also rund anderthalb Monate nach den Attentaten in New York und Washington. Sie trat nach Veröffentlichung im Bundesgesetzesblatt am 22.01.2002 in Kraft.
Dabei blieb es nicht.
In der „Begründung zum Entwurf für eine Erste Verordnung zur Änderung Telekommunikations-Überwachungsverordnung“ vom 29. April 2002 schrieb die Regierung:
Die Überwachungsmaßnahmen nach den §§ 5 und 8 des G 10 zielen auf ein regional begrenztes Gebiet ab, über das Informationen gesammelt werden sollen. Sie beziehen sich auf internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt. Das Besondere an der strategischen Fernmeldekontrolle ist dabei, dass aus einer großen Menge verschiedenster Sachverhalte einzelne ausgewertet werden, die sich hierfür aufgrund bestimmter Merkmale qualifizieren. (…)
Die hierfür bei den Verpflichteten zum Einsatz gelangenden technischen Einrichtungen sind (..) weniger komplex als die Einrichtungen, die zur Umsetzung der übrigen Überwachungsmaßnahmen erforderlich sind. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass der Betreiber bei der technischen Umsetzung dieser strategischen Kontrollmaßnahmen keinen Bezug auf eine bestimmte Person oder Anschlusskennung zu beachten hat. Angesichts der wenigen Anbieter, die internationale Übertragungswege anbieten, auf denen eine gebündelte Übertragung erfolgt, ist davon auszugehen, dass insgesamt nur verhältnismäßig wenige technische Einrichtungen zum Einsatz kommen. (…)
Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des G 10 eine Frist von 2 Jahren eingeräumt, innerhalb der eine Evaluation der geänderten Möglichkeiten gerade mit Blick auf die strategische Kontrolle verlangt wird. Auch diese Vorschrift fordert unverzügliches Handeln bei der technischen und organisatorischen Umsetzung von Maßnahmen zur strategischen Überwachung der Telekommunikation.„
Dazu Heise.de am 1.Februar 2002:
„Offenbar, so vermuten nun Experten, will der Bundesnachrichtendienst wohl nun selbst 100 Prozent erfassen, um dann freiwillig nur 20 Prozent auszuwerten.“
Aus dem Bericht der “Parlamentarischen Kontrollkommission” vom 10. Februar 2012:
„In diesem Berichtszeitraum qualifizierten sich anhand der..Suchbegriffe 27 079 533 Telekommunikationsverkehre„
Es müssen sich jetzt alle fragen, was alle im letzten Jahrzehnt gemacht haben außer „Snowden“ sagen.
Und wer davon weiß.