Die Rede von Monika Lege, Bahn für Alle und Robin Wood e.V., bei der heutigen 265. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das urbane staatlich-kommerzielle Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21)
Am vergangenen Donnerstag hat Rüdiger Grube die Bilanz der Deutschen Bahn AG für das Geschäftsjahr 2014 vorgelegt. Es ist die 21. Bilanz seit der Umwandlung von Bundesbahn und Reichsbahn in die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG. Ich spreche hier für das Bündnis Bahn für Alle und die Umweltschutzorganisation Robin Wood.
Bahn für Alle hat in diesem Jahr den 8. Alternativen Geschäftsbericht der DB AG produziert. Bernhard Knierim, Winfried Wolf und ich dröseln Jahr für Jahr die angeblichen Gewinne des zu 100 Prozent in Bundesbesitz befindlichen Unternehmens auf und speisen sie in die Berichterstattung über die angeblichen Erfolge des Unternehmens Deutsche Bahn AG ein.
Dies Jahr schlug Winnie vor, wir müssten eigentlich von der Deutschen Nicht-Bahn sprechen. Warum?
Es herrscht ein krasses Ungleichgewicht zwischen den Unternehmensteilen, aus denen die DB AG ganz überwiegend ihren Gewinn zieht, und den Unternehmensteilen, in denen die DB AG ihren Hauptumsatz macht.
Im Geschäftsjahr 2014 machte die Deutsche Bahn AG mehr als als die Hälfte ihres Außenumsatzes nicht auf der Schiene, sondern mit LKW und Luftfracht als Schenker Logistics sowie mit Bussen. Die Busse fahren in 14 europäischen Ländern unter dem Logo des größten Shoppaholic-Hang-Overs in der Geschichte der DB AG, der Arriva. Grube hatte das britische Unternehmen 2010 für fast 3 Milliarden Euro aufgekauft. Schenker Logistics und Arriva machten 2014 zusammen 19,4 Milliarden Euro Umsatz.
Das übersteigt die Außenumsätze im Schienenverkehr in Höhe von 18,7 Milliarden Euro aus den Unternehmensteilen DB Netze Fahrweg und Personenbahnhöfe, DB Bahn (sic!) Fernverkehr und Regio, DB Schenker Rail.
Rüdiger Grube trat 2009 die Nachfolge von Hartmut Mehdorn an. Der musste wegen großflächiger Bespitzelung von Mitarbeiter_innen und verdeckter PR gegen streikende Lokführer Privatisierungsgegner gehen. In von der DB gekauften Blogs und Kommentaren auf unserer Homepage legten dann „Rainer“, „Susi“, „Andrea“ usw. dar, warum die Bahn verkauft werden soll. Mehdorn bekam den goldenen Handschlag und Rüdiger Grube versprach: „Meine wichtigste Aufgabe ist es, das Brot- und Buttergeschäft der Bahn wieder in Ordnung zu bringen.“
Rüdiger Grube hat erst mit Arriva Mehdorns internationalen Expansionskurs noch getoppt und nun erstmals die Schiene zum Nebenerwerbsbetrieb der DB AG erklärt. Deswegen haben Aktive von Bahn für Alle und Robin Wood letzten Donnerstag Butterstullen an die von der DB zur Bilanzpressekonferenz geladenen Journalist_innen verteilt. Bei den Gewinnen sieht es vollkommen anders aus als beim Umsatz. 1,645 Milliarden Euro Gewinn zieht die DB AG 2014 nur aus den Netzen und dem Nahverkehr (ohne Fernverkehr, +212 Millionen Euro). Das ist fast das Dreifache der Gewinne aus all den Bussen, Lastern und Flugzeugen von Arriva und Schenker (597 Millionen Euro)!
Nun sind die Gewinne aus den Netzen und dem Nahverkehr aber gar keine Gewinne. Sie sind zu einem großen Teil umetikettierte öffentliche Mittel für Infrastruktur und Nahverkehr. Der Bund zahlt Milliardenbeträge für Instandhaltung und Ausbau des Netzes. Der Nahverkehr wird vonden Ländern bestellt und sie erhalten dafür Regionalisierungsmittel vom Bund.
Nahverkehrsbetreiber ziehen ihre Einnahmen nicht aus besonders vielen verkauften Fahrscheinen sondern aus ihren Verträgen mit den Bestellern, also den Ländern.
Die Berichterstattung über die insgesamt eher bescheidene Bilanz der Deutschen Bahn AG wurde in diesem Jahr überstrahlt von der „größten Kundenoffensive in der Geschichte der DB AG“, dem neuen Fernverkehrskonzept. Bahn für Alle hält ein Umsteuern im Fernverkehr weg von Hochgeschwindigkeitskorridoren und leistungsschwachen Protzbahnhöfen hin zu einem gut vertakteten Nah- und Fernverkehr auf der Schiene für dringend geboten. Der DB-Fernverkehrsvorstand, Ulrich Homburg, musste erst die Fernbus-Konkurrenz verschlafen, um nun zumindest auf der großen PR-Bühne in die Hufe zu kommen. (Er tat dies übrigens nicht in einem Nachtzug, denn dieses Verkehrsmittel hat er nach eigener Aussage noch nie benutzt).
Die Bahn will nun Fernverkehrszüge im Nahverkehr einsetzen und die Regionen wieder besser ans Fernverkehrsnetz anbinden. Seit ihrer Gründung 1994 hat die DB AG mehr als 7000 Kilometer Schiene abgebaut, 120 Bahnhöfe geschlossen und den InterRegio ersatzlos gestrichen. Jetzt präsentiert sie DB AG einen Wiedergänger des Interregio als „das neue IC-Netz“. Was mich skeptisch macht: Das Modell setzt voraus, dass sich die Bundesländer an der Finanzierung beteiligen. Für die DB AG soll Ronald Pofalla mit den Ministern der Länder verhandeln.
Der ist laut Visitenkarte „Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen Deutsche Bahn AG” steht. Vor genau zwei Jahren, am 5. März 2013, hat Ronald Pofalla von seinem damaligen Kanzleramtsminister-Telefon die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der DB angerufen, und sie mit sanftem Druck überzeugt, einer über fünfzigprozentigen Erhöhung der Kisten für Stuttgart 21 von 4,5 (Sollbruchstelle!) auf 6,8 Milliarden Euro zuzustimmen. Das war, bevor er von diesem stressigen und schlecht dotierten Job zurück trat, um mehr Zeit für die Familiengründung (sic) zu haben.
Eines der Argumente gegen Stuttgart 21 ist, dass die hier versenkten Milliarden für das Bahnnetz in der Fläche fehlen werden und über kurz oder lang alle Bundesländer für den Kellerbahnhof zahlen werden. Das könnte gerade losgehen.
Vergangene Woche erhielt ein exklusiver Empfängerkreis politischer Entscheidungsträger Post von Pofalla:
“Sehr geehrte Damen und Herren, heute stellt die Deutsche Bahn ihre Angebotsoffensive für den umweltfreundlichen Fernverkehr vor. In der ersten Ausgabe von „perspektiven“ möchte ich Sie zu diesem Vorhaben informieren. Mit dem neuen Format werde ich auch künftig zu zentralen Themen der DB berichten.
Mit freundlichen Grüßen
Ronald Pofalla“
Die DB AG verkauft ihr neues IC-Netz als „Quantensprung“: Die meisten Städte mit mehr als 100.000 Einwohner_innen sollen im Zwei-Stunden-Takt ans Fernverkehrsnetz angeschlossen werden. Kleingedruckt: Und zwar bis 2030. Also in den nächsten 15 Jahren. Keine Stadt wird neu an den Fernverkehr angeschlossen. Sie alle sind erst in den letzten Jahren abgeknipst worden, die letzten, z.B. Treir und Chemnitz, im Dezember 2014.Bahn für Alle hat das Fernverkehrskonzept der DB einem Faktencheck unterzogen. Ich befürchte, dass die DB AG mit „Kundenoffensive“ tatsächlich einen Angriff auf die Intelligenz ihrer Kunden meint.
Vorgestern fuhr ich mit dem ICE von Hannover nach Hamburg. Der hält in Uelzen. Uelzen hat zwar nur ein Drittel der geforderten 100.000 Einwohner_innen, ist aber ein historischer Knotenpunkt im Schienenverkehr. In Uelzen kann man im superschnellen DB–Fernverkehrsnetz aus dem Nord-Süd-ICE in den EuroCity nach Berlin–Bratislava umsteigen. Der Lokführer hat vergessen, anzuhalten.
Mit diesem Schwank von zuhause bedanke ich mich herzlich bei Ihnen für die Einladung und für´s Zuhören.
Ik weet: Jei künnt heier ans, bloß keen plattdütsch. Bleev buum!