Beliebter Fussball-Reporter Scott McIntyre wegen Anzac-Tweeds gefeuert
John Pilger, eine Instanz der Menschenrechte, erweist Scott McIntyre nach dessen Kündigung durch staatliche Fernsehanstalt höchsten Respekt für seine Zivilcourage: „I salute him“.
Die australische Regierung unter Premierminister Anthony John Abbott blamiert sich bis auf die Knochen vor der Weltöffentlichkeit. Noch vor wenigen Monaten trafen sich die Regierungschefs der westlichen Staaten demonstrativ in Paris, um nach dem Anschlag auf das Magazin „Charlie Hebdo“ mit all ihrem persönlichen Schwergewicht geschlossen die Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen.
Aber wehe, wehe, ein bekannter Journalist wagt es, Kritik an den nationalen militärischen Aufmärschen seines Landes zu üben. Was für ein ungeheures Sakrileg in der parlamentarischen Westminster-Monarchie, bei dem die in Paris beschworene Meinungsfreiheit aufhört.
Scott McIntyre bekam die Strafe für diese „Gotteslästerung“ unmittelbar zu spüren, als der Sportreporter auf seinem eigenen Twitter-Account am „Anzac-Day“ mit fünf Nachrichten die Verherrlichung des Krieges durch Militärparaden zur Hundertjahrfeier der Landung der Anzac-Truppen von Australien und Neuseeland in 1915 bei Gallipoli kritisierte und die entzückten Zuschauer verspottete – und das nicht vor laufender Kamera während einer Sendung.
Die staatseigene Special Broadcasting Corporation (SBS) reagierte mit der fristlosen Entlassung des angesehenen Reporters, der zwei Fussball-Weltmeisterschaften, vier Asian Cups und internationale Spiele kommentierte.
In den Tweeds kritisierte McIntyre die Kultivierung einer imperialistischen Invasion, die Verherrlichung der Gallipoli-Invasion und erinnerte an Übergriffe der Anzac-Truppen wie unzählige Exekutionen, Vergewaltigungen und Plünderungen in Ägypten, Palästina und Japan. Die Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bezeichnete der Reporter als die grössten Terroranschläge in der Geschichte durch eine Nation, mit der Australien verbündet ist. Ein Tweed mit Foto lautet „Unschuldige Kinder, auf dem Weg zur Schule, wurden ermordet. Ihre Schatten wurden in den Beton von Hiroshima gesengt.“
Michael Ebeid, SBS-Geschäftsführer, reagierte auf seinem eigenen Twitter-Feed auf McIntyre Antikriegs-Äusserungen und verurteilte die Kommentare des Journalisten als „respektlos“ und dass diese „überhaupt nicht den Ansichten von SBS entsprechen“. Mit viel Geld und Aufwand hätte der Staatssender die Übertragung der Militärparaden aus verschiedenen Städten gewährleistet.
Beunruhigend sind die zahlreichen empörten Antworten auf den Twitter-Eintrag des Fussball-Reporters. Ein ganzen Heer ist zur Verteidigung der Heimat an die Twitter-Front aufgebrochen.
Kommunikationsminister Malcolm Turnbull mischte sich über Twitter ein und bezeichnete die Kommentare als „sehr beleidigend und anstössig, die es verdienen, verurteilt zu werden“. Nicht etwa diejenigen, die dem Militarismus Australiens frönen.
Am Morgen des 26. April 2015 veröffentlichten mit Unterstützung der Abbott-Regierung und des Kommunikationsministers Turnbull, Ebeid und der Sportdirektor von SBS, Ken Shipp, eine gemeinsame Pressemitteilung, dass McIntyre mit „sofortiger Wirkung“ von seinem Posten entfernt und gekündigt wurde.
Sie erklärten, dass die Tweeds seine Position bei SBS „unhaltbar“ gemacht haben und behaupteten, dass er „die Integrität des Netzwerks kompromittiert und das Vertrauen des Publikums missbraucht“ hat. Eine an Überheblichkeit kaum zu überbietende Einstellung, die den Zuschauern die selbstständige Meinungsfindung abspricht, die so ein Gremium üblicherweise auch gewohnt ist zu verhindern.
Im Herald Sun erschien am 27.April ein regierungskonformer Artikel, der mit dem Satz endet:
„Von allen Hasspredigen ist McIntyre’s jetzt die gefährlichste. Er hat zu gehen.“
In völligem Kontrast dazu steht am 28.April im Sydney Morning Herald (Anm.: eine der wenigen australischen Zeitungen, die es noch wagt, regierungskritische Beiträge und echte Hintergrund-Reportagen zu veröffentlichen) die Verteidigung des Sportreporters durch John Pilger, einer der letzten wirklich ganz grossen Intellektuellen auf diesem Planeten:
„Scott McIntyre fuhr auf Twitter wie ein Fünf-Tonnen-LKW durch solches rührseliges, zynisches Gefasel. Er twitterte das Unsagbare, vieles davon ist die Wahrheit; und alle anständigen Journalisten – oder ich wage zu sagen, die freiheitsliebenden Australier – sollten zu ihm stehen.“
Radio Utopie teilt uneingeschränkt diese Ansicht. Der Vorfall in Australien steht stellvertretend für den angepassten Journalismus der nationalen und internationalen Medien im Dienst der herrschenden Regierungen, die eigene militärische Vergangenheit mit ihren einhergehenden Gräueltaten im Krieg reinzuwaschen und nur Helden- und Opfertum zuzulassen. Auf dieser Grundlage wird die Akzeptanz für die Aufrüstung der Armee und neue Auslandseinsätze erleichtert sowie Rekruten gewonnen.
Abweichler von der vorgegebenen „Norm“ werden umgehend zur Räson gebracht. Eine Lektion für die Kollegen, ihre Ansichten für sich zu behalten. Von Aufschrei und Solidarität mit den Betroffenen durch die eigenen Verbände keine Spur.
Artikel zum Thema
26.5.2015 And The Band Played Waltzing Matilda – glorifizierende Militärparaden
Jedes Jahr wird am 25.April in Australien und Neuseeland den eigenen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs gedacht. Der “Anzac Day” ist Nationalfeiertag und ehrt die Toten des Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC) mit schillernden Militärparaden.
Quellen:
https://www.news.com.au/national/sbs-reporter-scott-mcintyre-fired-over-anzac-tweets/story-fncynjr2-1227321537612
https://www.heraldsun.com.au/news/opinion/reckless-sbs-host-deserves-no-tears/story-fni0ffxg-1227322028612
https://www.smh.com.au/comment/two-unsung-heroes-cut-through-in-a-week-of-propaganda-20150428-1muqon.html