Nachdem der „Untersuchungsausschuss“ des Bundestages gestern wieder einmal alles tat um Theorien der gelernten Hilflosigkeit an sich selbst zu üben, machen wir diesem heute wieder einmal Beine. Und wieder einmal kürzere. Denn offensichtlich scheint es im Feld etwas Verwirrung zu geben: Parlament, Parteien und „Untersuchungsausschuss“ sind bezüglich der Aktivitäten von Geheimdiensten und Regierung keineswegs so ahnungslos wie sie immer tun.
Ganz im Gegenteil.
Andreas Schmidt, Frank Hofmann, Bertold Huber, Ulrich Maurer (oben v.l.n.r.) sind die Mitglieder des obersten de-facto Geheimgerichts des Republik: der Kommission „G 10“. Gewählt wird die G 10-Kommission vom „Parlamentarischen Kontrollgremium“.
Geschaffen wurden diese beide bizarren Gremien (seinerzeit unter anderem Namen) durch das „Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ („Notstandsgesetze“) vom 24. Juni 1968, welches die Gewaltenteilung bezüglich Grundrecht Artikel 10 ausdrücklich außer Kraft setzte, sowie nachfolgend durch das ausführende „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ vom 13. August 1968 (hier als PDF gespiegelt).
Zu den Mitgliedern der G 10-Kommission:
Andreas Schmidt. Ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Partei: „Christlich-Demokratische Union“. Immerhin sieben Jahre lang (2002-2009) Vorsitzender vom Rechtsausschuss des Parlaments von Deutschland.
Frank Hofmann. Ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Partei: „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. In seinem Wikipedia-Eintrag heißt es wohlwollend, er sei „zu Beginn der 18. Wahlperiode zum Mitglied der G 10-Kommission“ gewählt worden. Genauer gesagt geschah dies im Januar 2014, nachdem sich der Bundestag nach seiner Wahl im September 2013 ein halbes Jahr lang fast vollständig abgeschaltet und im Schatten von beginnender Geheimdienst- und Edathy-Affäre nicht einmal die verfassungsmäßig zwingend vorgeschriebenen Ausschüsse gebildet hatte, geschweige denn „Kontrollgremium“, „G 10-Kommission“ oder den „Untersuchungsausschuss“ zu Aktivitäten von National Security Agency und Bundesnachrichtendienst.
Bertold Huber. Ehemaliger Vorsitzender Richter ausgerechnet am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. G 10-Kommissar Huber auf einem Vortrag auf dem 3. Gustav-Heinemann-Forum der Humanistischen Union am 21. Juni 2014 in Rastatt, zitiert von Netzpolitik.org im März 2015:
„Jürgen Seifert hatte bereits damals die Problematik der Auslands-Auslands-Überwachung des BND angesprochen und in seinem Beitrag „BND: Der unkontrollierbare Mithörer“ thematisiert. Das liegt inzwischen mehr als 15 Jahre zurück. Auch ich hatte hin und wieder in verschiedenen Publikationen dieses Thema aufgegriffen – ohne Resonanz, es hat niemanden interessiert.“
Es kann auch daran liegen was man erzählt.
Ulrich Maurer. Partei „Die Linke“. Dass dieses Mitglied des G 10-Tribunals mutmaßlich keinerlei Skrupel hätte eine geheimdienstliche Operation z. B. gegen mich durchzuwinken, erwähnte ich bereits. Wer sich in diese lange linke Geschichte einlesen möchte: bittesehr.
Diese vier G 10-Kommissare also entscheiden nun – nach eigenem Anspruch des Staates und seinem aktuellen „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“, – über alle „Beschränkungen“ des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses von 80 Millionen Menschen.
Nicht über einige. Über alle.
Wörtlich heißt es im heutigen „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ („Artikel 10-Gesetz“) in § 15 Absatz 5:
„Die G 10-Kommission entscheidet von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Die Kontrollbefugnis der Kommission erstreckt sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach diesem Gesetz erlangten personenbezogenen Daten durch Nachrichtendienste des Bundes einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene.“
Mit „Nachrichtendienste des Bundes“ sind die Spione von Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst und Bundesamt für Verfassungsschutz gemeint.
Nicht einige Spione. Alle.
Die heutige Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) (wir berichteten), Nachfolger der Fernmeldeverkehrüberwachungsverordnung (FÜV) aus 1995, verpflichtet alle großen Telekommunikationsdienstler wie Internet-Provider und Telefongesellschaften – auch die Betreiber der „Auslandsköpfe“, “Auslandsknoten”, „Internetknoten“ oder „Netzknoten“ genannten Schnittstellen des Internets, wie den DE-CIX in Frankfurt – zum Einbau von Kopier- bzw Abhör-Anlagen für die staatlichen „berechtigten Stellen“: Geheimdienste, Polizei, Militär (dem Militärischen Abschirmdienst), Behörden, etc. Nach außen hin seit je her mit der „Strafverfolgung“ gegen Einzelne begründet, diente dies auch immer zur „Abwehr“ (neuer Artikel 10 Grundgesetz nach 1968), also zur Spionage im Vorfeld, ohne irgendein Vergehen des oder der Betroffenen.
Im Zuge des Kriegsausbruchs in 2001 erlassen, wurde die TKÜV in 2002 denn auch schnell zur „strategischen Überwachung der Telekommunikation“ durch den Bundesnachrichtendienst ausgeweitet und verpflichtete ab November 2005 die Betreiber der Netzknoten diese „überwachungstauglich“ zu machen, sowie Regierung und Bundesnachrichtendienst auch die Telekommunikationsverkehre „vom und in das Ausland“ (Wortlaut Bundesverfassungsgericht in Beschluss 1 BvL 7/08) zu kopieren.
Die Telekommunikations-Firmen sind über diese bis heute andauernde Zuarbeit für die „berechtigten Stellen“, z.B. die Geheimdienste, zum Stillschweigen verpflichtet.
In der TKÜV heisst es diesbezüglich in § 27 („Grundsätze, technische und organisatorische Umsetzung von Anordnungen, Verschwiegenheit“);
(3) Der Verpflichtete hat in seinen Räumen die Aufstellung und den Betrieb von Geräten des Bundesnachrichtendienstes zu dulden, die nur von hierzu besonders ermächtigten Bediensteten des Bundesnachrichtendienstes eingestellt und gewartet werden dürfen (…)“
(4) Der Verpflichtete hat während seiner üblichen Geschäftszeiten folgenden Personen nach Anmeldung Zutritt zu den in Absatz 3 bezeichneten Geräten zu gewähren:
1. den Bediensteten des Bundesnachrichtendienstes zur Einstellung und Wartung der Geräte,
2. den Mitgliedern und Mitarbeitern der G 10-Kommission (§ 1 Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) zur Kontrolle der Geräte und ihrer Datenverarbeitungsprogramme
Also haben nicht nur Andreas Schmidt, Frank Hofmann, Bertold Huber, Ulrich Maurer das Recht sich nach Anmeldung die Gerätschaften des B.N.D. vor Ort zu sichten, sondern auch deren Mitarbeiter.
Ein Rausreden a la „ich hab leider zuviel zu tun gehabt seit dann und dann und morgen auch noch und überhaupt, was sooooll ich denn machen, ich bin bloß Geheimrichter über 80 Millionen Menschen“ sollten die Herren G 10-Kommissare lieber nicht versuchen. Und auch nicht deren StellvertreterInnen Wolfgang Götzer (C.S.U., nicht mehr im Bundestag), Burkhard Lischka (S.P.D., Obmann im „Parlamentarischen Kontrollgremium“, und stellvetretendes Mitglied im N.S.A.-„Untersuchungsausschuss“), Halina Wawzyniak („Die Linke“) und Wolfgang Wieland („Bündnis 90/Die Grünen“), die im G 10-Geheimtribunal Rederecht und Anwesenheitsrecht haben.
Das Z.D.F.-Magazin „Frontal 21“ am 15. Juli 2014, 06.00 min:
„In Frankfurt liegen die Leitungen für den größten Internetknoten Europas. Dass der BND hier auf Daten zugreifen kann, wurde 2013 enthüllt. Aktuelle Recherchen von Frontal 21 zeigen: Der deutsche Auslandsgeheimdienst hat seit 2009 eine eigene, dauerhafte Datenleitung geschaltet, mit Zugriff auf alle Datenströme.
Niko Härting: Dann wird der gesamte Datenverkehr, der in diesen Leitungen ist, der wird gedoppelt. Das heißt: unbemerkt von den Beteiligten gehen alle emails, alles was so durch die Datenleitungen fließt, nochmal im Doppel gleichzeitig und unbemerkt an den Bundesnachrichtendienst.„
7.00 min:
„Der BND versteckt seine Spionage geschickt, erklärt ein Insider, der mit dem Geschehen unmittelbar zu tun hat, gegenüber Frontal 21. Ein großer deutscher Internetanbieter gäbe die Tarnung für die BND-Datenleitung ab.
Wir fragen die deutsche Telekom: Sie dürfe keine Auskunft zu möglichen Überwachungsmaßnahmen geben. Aufklären könnte die Bundesregierung. Doch die will die Recherchen weder bestätigen, noch dementieren.“
Hierzu muss die Öffentlichkeit auch folgendes wissen: Theoretisch könnte die Regierung selbst den G 10-Kommissaren den Zutritt zu den Spionage-Einrichtungen bei den Telekommunikationsfirmen zu verweigern – wenn die Firmen mitspielen.
Denn vor dem oben zitierten § 27 TKÜV heißt es zuvor in § 26 („Kreis der Verpflichteten“):
„(2) Die Bundesnetzagentur kann im Einvernehmen mit dem Bundesnachrichtendienst Betreiber nach Absatz 1 auf deren Antrag für einen bestimmten Zeitraum, der drei Jahre nicht übersteigen darf, von den Verpflichtungen befreien, die sich aus den §§ 27 und 28 ergeben; wiederholte Befreiungen sind zulässig.“
Im Klartext: Ein Konzern, z.B. die Telekom, stellt bei den Bundesbehörden einen Antrag, die heben das Besuchsrecht der G 10-Kommissare auf. Nach drei Jahren wird dies einfach erneuert. Die Öffentlichkeit erfährt nichts. Nach der TKÜV wäre dies möglich.
Das Vorstandsmitglied vom „Verband der deutschen Internetwirtschaft“ e.V., Besitzer der DE-CIX Management GmbH, welche wiederum den DE-CIX Internetknoten in Frankfurt betreibt, hat am 26. März vor dem „Untersuchungsausschuss“ im Bundestag selbst ausgesagt, dass der B.N.D. am 14. August 2008 bei ihnen aufschlug und nicht weniger als alle über den Netzknoten transportieren Daten haben wollte.
Nicht einige. Nicht „G 10“. Nicht lala. Alle.
Daraufhin wandte sich die DE-CIX an die G-10 Kommissare. Und was machten die? Die liefen davon. Nur ein einziges Mitglied wollte mit den Betroffenen der Betreibergesellschaft überhaupt reden, der inzwischen verstorbene Max Stadler, und der sagte, ja, er könne leider nichts machen.
Daraufhin zitierte die Regierung die DE-CIX Betreiber am 27. Februar 2009 ins Bundeskanzleramt und verbot diesen, auch nur einmal noch mit den G 10-Kommissaren zu sprechen. Alle Bedenken und deren Träger wurden durch die „Bedarfsträger“ ignoriert. DE-CIX wurde gezungen die Anordnung umzusetzen.
Warum verhallen solche Fakten und Aussagen in der Öffentlichkeit? Warum wird da nicht nachgesetzt? Warum verlieren diese Angeber und Selbstdarsteller im „Untersuchungsausschuss“ nicht nur Jahre Zeit, sondern sich in irgendwelchen Geschichten über „Selektoren“, „Wirtschaftsspionage“ (?!) und die auf das Abfangen von Satellitenkommunikation spezialisierte Spionagestation in Bad Waibling, die ihnen vom Mascolo-Netzwerk in S.Z., N.D.R., W.D.R., oder über „Bild“ und „Spiegel“ vorgeblasen werden? Warum setzen sich die Vertreter eines Volkes (offensichtlich das ihrer eigenen Wahl) nicht für die Interessen von 80 Millionen Menschen in der Republik ein, darunter auch Millionen Gutgläubige die sie gewählt haben? Und warum müssen die DE-CIX Betreiber, die bereits im Juli 2013 erklärten, dass die „Politik die Betreiber mit den Knebelparagraphen allein lasse“, erst selbst die Regierung verklagen, anstatt dass die „Opposition“ mit ihren Myraden von Rechtsanwälten und Akademikern ausnahmsweise mal einen Finger krumm macht?
Auch da fragt man sich: was soll dieses Theater in diesem „Bin Tagen“ von Parlament, dass an 30 von 52 Wochen im Jahr sowieso nur Bundes ist, weil es nämlich nicht tagt?
Hat sich irgendjemand mal Gedanken darüber gemacht, welches Wissen und damit welche Macht dieser Raub am „Ramstein des World Wide Web“ auf dem Planeten im 21. Jahrhundert repräsentiert, in dem jetzt in Hochzeiten das Äquivalent von 4 Milliarden Emails (4 Terabit) durchrauscht, in jeder Sekunde?
Seit 2009 wird nun der DE-CIX in Frankfurt angezapft, laut Aussage der Betreiber selbst. Irgendwelche Behauptungen des B.N.D. über Umfang und Kapazitäten dieser „Überwachung“, dieses Raubkopierens der Daten von Menschen überall auf dem Planeten, sind irrelevant. Keiner überprüft die Angaben des Geheimdienstes, weil das offensichtlich keiner will, jedenfalls nicht im Bundestag und / oder bei den Witzfiguren von G 10-Kommission, „Parlamentarischen Kontrollgremium“, etc, pp. Auch die gesamte Bürgerrechtsbewegung sitzt auf ihren Händen, wenn sie grade mal nicht vor einer „Snowden“-Büste betet. Gerade als Katholik möchte man schaudern. Und als Künstler an die Drehbuch-Nummer vom „American Hero“ denken.
Es erübrigt sich jetzt endgültig das Geplärre nach einem „Snowden“ im B.N.D. oder den involvierten Geheimdiensten. Stattdessen müssen jetzt die G 10-Kommissare, sowie „Untersuchungsausschuss“ und Bundestag insgesamt, selbst auspacken, nämlich darüber, was sie über diese verschwiegene Infrastruktur der Totalüberwachung bei den Telekommunikationsfirmen wirklich wissen; u.a. über das, was ihnen Ronald Pofalla nach seiner Antwort vom 11. Mai 2012 über die Spionage des B.N.D. explizit am DE-CIX Internetknoten in Frankfurt in der Geheimschutzstelle des Bundestages hinterlegte und worüber seitdem alle noblen Damen und Herren im Bundestag, gerade die aus der „Opposition“, den Mantel des Schweigens fallen ließen.
(…)
Quellen für Bilder:
Andreas Schmidt: cducsu.de
Frank Hofmann: spdfraktion.de
Bertold Huber: humanistische-union.de
Ulrich Maurer: linksfraktion.de
Rechtschreibung partikulär von „G10“ in „G 10“ geändert am 04.06.2015