„Der Vorrang der Verfassung macht eben verfassungswidrige Beschlüsse unbeachtlich.“
Die Rede von Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21 und juristischer Vertreter des 2. Bürgerbegehrens gegen Stuttgart 21 (Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung), bei der heutigen 271. Montagsdemo für den Kopfbahnhof.
Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 4. Mai einige von uns enttäuscht, weil er nicht die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der Projektverträge wegen der Mischfinanzierung von S21 festgestellt hat. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, wir gemeinsam haben doch erfolgreich viel erreicht: Alle kleinkarierten kommunalrechtlichen Blockadeversuche der Stadt zu Frist und Form des Bürgerbegehrens wurden abgewiesen. Und das Wichtigste: die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist zugelassen. Damit fallen wir nicht in ein schwarzes Loch, sondern wir gehen in die Verlängerung des Kampfes und auf die Zielgerade. So weit waren wir noch nie. Wir haben gut begründete Erfolgsaussicht, dass der Ausstieg der Stadt aus der Mitfinanzierung von S21 beim Bundesverwaltungsgericht wegen Nichtigkeit der Projektverträge gelingt.
Was heißt das Verbot der Mischfinanzierung? Bund, Länder und ihnen zugehörige Kommunen tragen jeweils gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Hoheitsträger dürfen nicht käuflich sein für eine ihnen fremde Aufgabe und damit das solidarische und bundesstaatliche Zusammenleben preisgeben. Das gilt auch für das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Bundesaufgabe, wie Prof. Meyer im November 2011 gutachtlich untermauert hat. Das brachten die Juristen zu S21 deshalb unter meiner Mitwirkung auf den Weg. Empörend war: Der ehemalige OB Schuster beauftragte den zuvor gegen uns festgelegten Gutachter Prof. Dolde zur Beeinflussung des Gemeinderats, der das Begehren nicht zuließ. Das Regierungspräsidium blieb auf den erhobenen Widerspruch fast ein Jahr untätig, so dass dagegen Untätigkeitsklage zu erheben war. Und der grüne OB Kuhn versäumte es, der Sprungrevision gegen das Urteil des VG Stuttgart zuzustimmen, worum ich ihn zur Beschleunigung der Sache eindringlich ersucht hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hätte dann jetzt schon entschieden.
Das Urteil des VGH bringt uns meilenweit voran: alle formalen Fallstricke wie die Sechs-Wochen-Frist für die Anfechtung von Gemeinderatsbeschlüssen haben sich als unhaltbar falsch erwiesen. Der Vorrang der Verfassung macht eben verfassungswidrige Beschlüsse unbeachtlich. Fälschlich hatte uns die Stadt auch vorgeworfen, wir hätten mit dem Bürgerbegehren nicht die Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung feststellen und dafür werben dürfen. Reichlich absurd war ferner die Forderung der Stadt, es hätte erst mal auf Feststellung der Nichtigkeit der Projektverträge geklagt werden müssen, denn solches Klagerecht hätten ja nur die Vertragspartner von S21, aber wir gerade nicht gehabt.
Unser Hauptbevollmächtigter Hans-Georg Kluge – ehemaliger Oberverwaltungsrichter und Justizstaatssekretär a.D. – hatte auf 66 Seiten die Berufung hervorragend begründet. Mit Herrn Kollegen Bernhard Ludwig von den Juristen zu S21 und mir war das zuletzt noch intensiv zu ergänzen, so auch mit 28 Beweisanträgen. Letztlich sind wir beim VGH in vielen Sachfragen und durch Zulassung der Revision durchgedrungen. Das Bürgerbegehren gegen die Mischfinanzierung war nicht mundtot zu machen, die Verfassungswidrigkeit des Projekts ist jetzt allen Grabgesängen zum Trotz neu auf der Tagesordnung.
Bei der Mischfinanzierung blieb der VGH allerdings argumentativ brüchig und widersprüchlich. Er hat zwar der Höhe nach anerkannt, dass die Stadt neben dem Kaufpreis eine halbe Milliarde Euro zur Mitfinanzierung von S21 leistete, bestehend aus 291 Mio. Euro laut Finanzierungsvertrag und 212 Mio. Euro Zinsverzicht. Aber er versäumte es, unsere Beweisanträge für mehr als doppelt so hohe unentgeltliche Leistungen einzubeziehen.
Besonders widersprüchlich ist: der VGH hat zwar das grundlegende Verbot der Mischfinanzierung für die Bahn als „verlängertem Arm des Staates“ anerkannt, er hat dieses Verbot aber völlig entwertet, weil er es noch für angemessen erklärte, wenn die Stadt sich eine „städtebauliche Chance“ zusätzlich zum Kaufpreis für die Grundstücke mit 500 Mio. Euro erkaufe.
Nein, das Recht der Stadtentwicklung kann Stuttgart nicht außerhalb des Grundstückspreises käuflich ergattern. Die Planungshoheit der Stadt folgt allein aus der Verfassung, aus dem Gesetz und aus dem Grundstückserwerb. Der VGH stützt sich dagegen auf eine städtische Berechnung, bis 2035 würden durch die auf dem Gleisvorfeld zu erwartenden Einwohnerzahlen und den Finanzausgleich steuerliche Einnahmeeffekte von 300 Mio. Euro und durch die Überbauung bisher getrennter Stadtteile der Höhe nach nicht berechenbare kommunale Vorteile entstehen. Das sind aber ausschließlich Reflexwirkungen des Grundstückserwerbs , der deshalb nicht doppelt und dreifach abgegolten werden darf, andernfalls das Verfassungsverbot der Mischfinanzierung in krassem Maße missachtet wird.
Die Fakten belegen es und wir wissen es, dass S21 von Stadt, Land, Flughafen und Region deshalb milliardenschwer querfinanziert wurde, um das unsägliche Projekt für die Bahn wirtschaftlich attraktiv zu machen.
Die Revision gegen das VGH-Urteil ist also aussichtsreich. Innerhalb von zwei Monaten werden wir die Begründung einreichen.
Zum Schluss nur kurz: Auch an anderen Baustellen gilt es, weiter gegen S21 einzuwirken. Dafür eignen sich besonders der ungenehmigte Filderabschnitt, unsere Einwände gegen die grundrechtswidrige Gefährdung von Leib und Leben der Bahnreisenden durch sechsfach überhöhte Gleisneigung und die unzumutbar verfassungswidrige Bahnhofsverkleinerung. Die schwerwiegende wirtschaftliche und planerische Schieflage des Projekts gilt es, auch dem teilweise neuen Bahn-Aufsichtsrat neu bewusst zu machen.
Schließlich bleibt es für uns als demokratische Bewegung untragbar, dass die Kanzlerin den Weiterbau von S21 im Bahn-Aufsichtsrat illegal herbeigeführt hat. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit verloren, indem sie die genannten Verfassungsbrüche ermöglicht. Es sind viele Gründe, die unseren Widerstand auf allen Ebenen legitimieren.
Oben Bleiben!