U.S.-Senat: Verlängerung von N.S.A.-Vollmacht „Patriot Act“ Section 215 gescheitert, läuft am 1. Juni aus

Konsortien, staatliche Spione, Geheimpolizeien, Regierungen, sowie die gesamte Nomenklatura des weltweit eng vernetzten Apparats der Totalüberwachung, haben gestern im Parlament der U.S.-Republik eine schwere Niederlage erlitten.

Zuerst einmal: alles was heute in der weltweit durch wenige Konsortien kontrollierten kommerziellen Informationsindustrie zum Thema steht ist Desinformation. Zudem sind, bis auf eine geschätzt dreistellige Zahl unter 7 Milliarden, die Betroffenen zu dumm zum Lesen, geschweige denn zu begreifen was geschieht.

Der Senat der Vereinigten Staaten von Amerika hat im Laufe der gestrigen Nacht den sogenannten „Freedom Act“ mit 57 Ja und 42 Nein Stimmen nicht angenommen, also effektiv abgelehnt. Für eine Annahme wären 60 Stimmen gewesen.

In einem „hastigen“ („New York Times“) Versuch, das nach den Attentaten vom 11. September 2001 durch Abgeordnetenhaus und Senat gepeitschte Terrorgesetz (was die Abgeordneten beider Kongresskammern nach Aussage des Abgeordneten Jim McDermott zuvor nicht einmal gelesen hatten) doch noch zu retten, wurde ein Gesetz zur wenigstens zweimonatigen Verlängerung des am 1. Juni auslaufenden „Patriot Acts“ eingebracht. Es scheiterte ebenfalls knapp, mit 54 Ja und 45 Stimmen an der 60-Stimmen-Hürde.

Damit läuft der „Patriot Act“ am 1. Juni aus. Das Abgeordnetenhaus ist bis zu diesem Termin wieder einmal im Urlaub. Der sogenannte „Freedom Act“ – in klassischer psychologischer Taktik wie der „Patriot Act“ als sein genaues Gegenteil verkauft – hätte das erste Verlängerungsgesetz „USA Patriot Improvement and Reauthorization Act“ von 2005″ erneut bis zum 15. Dezember 2019 verlängert.

Pendant zum “Patriot Act” in Deutschland sind das von allen Parteien des Bundestages in 2001 aktiv oder passiv mitgetragene “Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus” (“Terrorismusbekämpfungsgesetz”), sowie dessen weiter eskalierend antidemokratische Verschärfung in 2006 durch das  “Gesetz zur Ergänzung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus” (“Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz”). Dieses läuft übrigens Ende 2015 aus (dazu mehr in einem weiteren Artikel).

Was nun am 1. Juni 2015 passieren wird beschrieb das „National Journal“ wie folgt:

„Laut Stabsmitgliedern in Regierung und Kongress mit Kenntnis des Programms würde ein Auslaufen von Section 215 eine Umkehr zur Autorität vor 9/11 veranlassen, die Massensammlung der N.S.A. von Aufzeichnung von Telefongesprächen in den U.S. würde sofort heruntergefahren.“

Die Verlängerung des „Patriot Acts“ im Senat hatte explizit Rand Paul aufgehalten, durch eine rund zehnstündige Rede („filibuster“). Unterstützt wurde der republikanische Präsidentschaftsbewerber Rand Paul, der sich im Zuge seines anstehenden Kampfes gegen Hillary Clinton bereits von den Neokonservativen in seiner Partei abgrenzte, durch Ron Wyden (Partei „Demokraten“).

Senator Ron Wyden, langjähriges Mitglied in diversen Geheimdienst-Ausschüssen des Parlaments (die bekanntlich in Deutschland nicht einmal existieren), hatte bereits bei der Verlängerung des „Patriot Acts“ in 2011 für vier weitere Jahre verdeutlicht, dass die U.S.-Regierung durch geheim gehaltene „Interpretation“ von Gesetzen und Verfassung faktisch geheime (Terror)Gesetze geschaffen hatte, von deren Anwendung selbst die Bevölkerung des eigenen Landes keine Ahnung hatte, obwohl es auch gegen sie angewendet wurde.

U.S.-Senator Ron Wyden am 27. Mai 2011, also vor vier Jahren:

„Ich habe über eine Dekade lang im Geheimdienstausschuss gedient und ich möchte heute Abend eine Warnung aussprechen. Wenn das Amerikanische Volk herausfindet, wie die Regierung den Patriot Act geheim interpretiert hat, werden sie fassungslos („stunned“) und aufgebracht sein. Und sie werden Senatoren fragen – wussten Sie, was dieses Gesetz tatsächlich erlaubt? Warum wussten Sie das nicht, bevor Sie darüber abgestimmt haben? Fakt ist, jeder kann den einfachen Text des Patriot Acts lesen, doch viele Mitglieder des Senats haben keine Ahnung, wie das Gesetz durch die Exekutive im Geheimen interpretiert worden ist, weil diese Interpretation unter Verschluss ist. Es ist fast so, als gäbe es zwei Patriot Acts, und viele Mitglieder des Senats haben nicht den gelesen der zählt.“

Als Senator Wyden fast ein Jahr später seine Aussage, dass die Amerikaner „fassungslos“ („stunned“) seien wenn sie Bescheid wüssten, bei einer Anhörung im Senat wiederholte, fiel zu Recht empörten Stimmen überhaupt nicht auf, dass Wyden diese Warnung lediglich wiederholt hatte.

Ron Wyden gegenüber Jeremy Scahill, in der Anfang 2013 veröffentlichten Dokumentation “Dirty Wars – The World is a Battlefield” (Deutsche Kinofassung: “Schmutzige Kriege”):

„Es ist wichtig für das Amerikanische Volk zu wissen, wann der Präsident einen amerikanischen Bürger töten kann und wann die das nicht können.

Es ist sogar schon fast so, als ob es zwei Arten von Gesetzen gäbe in Amerika. Und das amerikanische Volk wäre außerordentlich überrascht, wenn sie den Unterschied sehen könnten zwischen dem was sie glauben dass ein Gesetz besagt und wie es tatsächlich im Geheimen uminterpretiert wurde.

Jeremy Scahill: Ihnen ist es nicht erlaubt, diesen Unterschied öffentlich aufzudecken?

Das ist korrekt.“

Der „Patriot Act“ ermächtigt in eben jener Section 215, die den „Foreign Intelligence Surveillance Act of 1978“ (F.I.S.A. Act) verändert, den Justizminister, gleichzeitig auch oberster Staatsanwalt („Attorney General“), für eine „Untersuchung“ durch Geheimdienste und Polizei „Handlungsanweisungen“ („guidelines“) nach dem Präsidentenbefehl („Executive Order“) 12333 von Ronald Reagan vom 4. Dezember 1981 zu erlassen.

Durch ExO 12333 wurden, neben einer Vielzahl neuer Vollmachten und Bestimmungen, der heute etablierte, fast schon esoterische Begriff der “intelligence community” geschaffen und definiert, der Nationale Sicherheitsrat weiter ermächtigt und die Kompetenzen u.a. für Spionage und Kontrollmaßnahmen von “National Security Agency” (N.S.A.), Bundespolizei “Federal Bureau of Investigation” (F.B.I.) und “Central Intelligence Agency” (CIA) erweitert und definiert.

Der Auslandsgeheimdienst C.I.A. wurde dazu ermächtigt in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei F.B.I. “ausländische Geheimdienstinformationen oder Informationen zur Spionageabwehr innerhalb der Vereinigten Staaten” zu sammeln (“collection of foreign intelligence or counterintelligence within the United States”), sowie zur “Spionageabwehr” (“counterintelligence”) auch im Inland auch aktiv zu operieren, ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei. Allgemein wurde die C.I.A. dazu ermächtigt “besondere Aktivitäten” durchzuführen, die lediglich vom Präsidenten vorher genehmigt werden mussten, sowie bei Auslandsoperationen durch andere US-Stellen “sonst nicht beschaffbare Information” (“information not otherwise obtainable”) zu besorgen.

Des Weiteren wurde durch den Präsidentenbefehl Reagans von 1981, der nie aufgehoben wurde, die N.S.A. dazu beauftragt eine “vereinigte Organisation für Aktivitäten hinsichtlich durch Signale übertragenen Geheimdienstinformationen” (“signals intelligence activities”) zu schaffen und bekam dafür die alleinige Kompetenz. Die Sammlung der “signals intelligence” für “ausländische geheimdienstliche Zwecke” durch die N.S.A. hatte “in Übereinstimmung unter Anleitung” des Chefs der C.I.A. zu erfolgen, der gleichzeitig auch die Rolle des Chefs aller Geheimdienste in der durch Executive Order 12333 neu definierten “intelligence community” inne hatte.

Rund 32 Jahre nach ihrem Erlass am 4. Dezember 1981 wurde Executive Order 12333 als Großer Sprung nach vorn eines Molochs auf seinem langen Marsch in den 11. September und in die Welt begriffen, in der wir heute leben.

(…)

Anm.: Angabe zur Redezeit von Rand Paul korrigiert am 24.05.2015