„Wie gelähmt“: Was die (parlamentarische) Opposition tun kann, aber nicht tut
Seit zwei Jahren ist unsere Republik außer Funktion. „Die Linke“ und „Bündnis 90/Grünen“ verfügen über die verfassungsmäßigen Mittel sie wieder in Gang zu setzen. Aber sie nutzen diese nicht. Eine unvollständige Aufzählung.
1. In zwei Jahren keine einzige zuende gebrachte Klage, weder vor dem Bundesverfassungsgericht, noch vor dem Bundesgerichtshof, zur Durchsetzung von Recht auf Akteneinsicht und Zeugenvernahme vor Ort
2. Entsprechend Hilflosigkeit bei der Einsicht in die Listen von Spionage-Zielen des B.N.D. („Selektoren“) durch „Sonderermittler“, statt des Parlaments und seiner Gremien
3. Keine „abstrakte Normenkontrolle“ der Aktivitäten von Bundesregierung und Geheimdiensten und deren Auslegung des Grundgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht
4. Keine Verfassungsklage zur Herstellung von Öffentlichkeit in öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschüssen
5. Verschweigen der tatsächlich beweisbaren Infrastruktur der Totalüberwachung, durch die bei allen Providern und Telekommunikationsfirmen eingebauten staatlichen Überwachungs- und Kopier-Anlagen
Im Detail.
Punkt 1. Seit Beginn der sogenannten „Snowden-Enthüllungen“ im Juni 2013 hat die Opposition es nicht geschafft, auch nur eine einzige gerichtliche Klage zwecks Akteneinsicht und Vernehmung von Zeugen vor Ort auf den Weg zu bringen.
Zunächst sahen „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ zu, wie nach der Bundestagswahl im September 2013 im Zuge des Geschachers von S.P.D., C.D.U. und C.S.U. das Parlament für ein halbes Jahr faktisch lahmgelegt wurde und nicht einmal die verfassungsmäßig zwingend vorgeschriebenen Ausschüsse bildete, geschweige denn das „Parlamentarische Kontrollgremium“, das Geheimgericht G-10-Kommission, oder den schon im Sommer 2013 angekündigten Untersuchungsausschuss bezüglich der Massenüberwachung durch Bundesnachrichtendienst, National Security Agency und alle anderen staatlichen, nichtstaatlichen und / oder internationalen Akteure.
Als sich dann endlich im März 2014 der „1. Untersuchungsausschuss“ bildete, konnte dieser gegen den Willen der Regierung und der Vetreter ihrer Parteien im Ausschuss weder Akten einsehen, noch Zeugen vor Ort verhören. Nachdem sich bereits der Generalbundesanwalt ihrer Majestät Bundesjustizminister Heiko Maas, Harald Range, in Stasis fallen ließ – und sich bis heute weigert zu ermitteln, sondern sich hinter dem Begriff „prüfen“ verschanzte – übernahm die Opposition einfach dessen Toter-Mann-Taktik und verkündete, sie wolle nun „prüfen“, ob sie denn mal vor dem Bundesverfassungsgericht klagen solle. Selbst der „Stern“ bemerkte, dass der Bundestag „wie gelähmt“ wirkte:
„Alles wirkt betäubt.“
Wohlgemerkt: zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Jahr vergangen.
Als sich dann nach endlosen „Wenn…Dann..“-Drohungen, „Ultimaten“ und Interviews die parlamentarische Opposition nach der Sommerpause im September 2014 endlich zu einer Verfassungsklage für das Recht auf Akteneinsicht und Zeugenvernahme vor Ort durchrang, sah sie keinen Anlass zur Eile. Ein Antrag auf einstweilige Verfügung – ein Eilverfahren, einen sofortigen, wenn auch vorläufigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – wurde weggelassen.
Begründung der prozessbevollmächtigten Professorin Astrid Wallrabenstein: die Kläger, also die Fraktionen „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“, hofften, dass das Bundesverfassungsgericht zügig entscheide.
Natürlich tat es das nicht. Stattdessen ließen sich die Verfassungsrichter bis zum Dezember 2014 Zeit, sich für nicht zuständig zu erklären und in Beschluss 2 BvE 3/14 die mit Rechtsanwälten vollgestopften Bundestagsfraktionen „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ genüsslich darauf hinzuweisen, dass sie als deutliche Beweise lediglich zwei Schreiben der Bundesregierung, aber keinen „tauglichen Angriffsgegenstand“ vorgelegt hätten.
Und was machte die „Opposition“ nach dieser maximalen Blamage im Dezember 2014?
Man werde nun eine Klage vor dem Bundesgerichtshof „prüfen“, so Rechtsanwalt Christian Ströbele. „Prüfen“.
Nichts ist diesbezüglich passiert, bis heute.
Punkt 2. Entsprechend die Lage heute bei der Einsichtnahme in die Liste von „Selektoren“, von denen weder der Innenminister Thomas De Maiziere, noch der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes Ernst Uhrlau vor Presseveröffentlichungen jemals etwas gehört haben (trotzdem klammern sich gerade die Vertreter der Opposition im Untersuchungsausschuss wie die Ertrinkenden an diesen ihnen wohl vom B.N.D. angedrehten Fantombegriff).
Die Liste der „nachrichtendienstliche Erfassungsziele“, die entweder von Bundesnachrichtendienst und / oder National Security Agency, oder einem ganz anderen „Nachrichtendienst“ stammen und vom B.N.D. verfolgt wurden, können die Abgeordneten des Parlaments der Republik nicht sichten.
Jedes bisschen an Information bekommt der „Untersuchungsausschuss“ von denjenigen, die er „untersucht“, und zwar auf freiwilliger Basis der „Untersuchten“. Der „Untersuchungsausschuss“ hat also keine Ahnung, da er keine Instrumente in der Hand hat, da er sie sich nicht gleich zu Anfang besorgt hat.
So dumm und naiv zu sein, das würde an ein Phänomen grenzen. Stattdessen kann man nach zwei Jahren durchaus mutmaßen, dass „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ sich nicht durch Zufall oder grobe Fahrlässigkeit in ihre jetzige Lage gebracht haben, sondern mit voller Absicht.
Und nun das gleiche, lächerliche Spiel bei den „Selektoren“, mit all den leeren „Wenn..Dann“-Drohungen, jetzt aber, jetzt aber, jetzt aber, ja, nee, jetzt aber werde man vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.
Eine Farce ist das.
Die Regierung hat sich ihren „Sonderermittler“ bereits ausgesucht, dem sie nun, stellvertretend für das Parlament in der parlamentarischen Demokratie, Einblick in die nachrichtlichen Erfassungsziele gewähren lassen will. Wohlgemerkt, in das, was sie gnädigerweise herausrückt, ungeschwärzt. Die direkte bzw indirekte Propaganda für Kurt Graulich läuft bereits, vermeintlicher Widerstand aus Washington als Schmuck und Tand dazu, um ihn sympathisch erscheinen zu lassen. Dabei ist Graulich geradezu ein Klischee, eine Blaupause von Apparatschik und Kriegsideologe. Und um seine Person geht es gar nicht. Es geht um das Recht, die Macht des Parlaments, wie sie durch die Verfassung garantiert ist.
Stattdessen hebt man bei „Die Linke“ und „Grünen“ weiter die Hufe.
Punkt 3. Wie wir im Februar 2015 darlegten, berechtigt Artikel 93 Grundgesetz jede Landesregierung, Gesetze und Aktivitäten von Bundestag, Bundesregierung und Bundesbehörden auf deren „Auslegung“ des Grundgesetzes überprüfen zu lassen, durch das Bundesverfassungsgericht.
Falls sich die Verfassungsrichter auf vermeintliche Einschränkungen des Verfassungsrechts in Artikel 93 durch das ausführende Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 76 herausreden sollten, könnte die Landesregierung von Thüringen auch gegen dieses klagen und so praktischerweise auch die seit Jahren (sogar vom Parlamentspräsidenten) geforderte verfassungsgemäße Wahl der Verfassungsrichter in einem Abwasch klären.
Doch passiert ist nichts, obwohl die Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow seit Dezember 2014 im Amt ist.
Stattdessen stellte sich Ramelow im Mai in die Presse und erzählte folgendes:
„Seit wir in Bad Aibling das amerikanische Abwehrzentrum übernommen haben, sind wir Teil des Abhörsystems. Dass mir irgendeine Regierung erzählt, sie habe nicht gewusst, was sie da übernimmt, ist einfach Quatsch. Wenn ich mir den Internetknoten in Frankfurt anschaue oder in Wiesbaden das NSA-Headquarter, dann sage ich: In Deutschland gibt es offensichtlich Territorien, auf denen allgemeines Staatsrecht unseres Landes außer Kraft gesetzt ist. Deswegen müssen wir über unsere Souveränitätsrechte reden.„
Wir verstehen – er will drüber reden. Nur tun will Ramelow offensichtlich nichts, samt seiner Partei und deren Koalitionspartner.
Punkt 4. Artikel 44 Grundgesetz lautet:
„(1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden.“
Was hat die parlamentarische Opposition getan um dieses Verfassungsrecht durchzusetzen – wohlgemerkt, während der gesamten letzten 32 Jahre, als „Die Grünen“ Westdeutschlands und ab 1990 als „Partei des Demokratischen Sozialismus“, heute „Die Linke“?
Die Antwort lautet, wieder einmal – nichts.
Stattdessen lässt die Opposition zu ihrem eigenen Schaden zu, dass Ton- und Bildaufnahmen im Untersuchungsausschuss verboten werden und die wenigen aktiven BeobachterInnen der Öffentlichkeit sogar wegen Kabeltrommeln schikaniert werden, in öffentlicher Sitzung.
Wo ist die Verfassungsklage, um Ton- und Filmaufnahmen im Untersuchungsausschuss zu erzwingen? Wie konnte sich die Opposition überhaupt auf so eine Farce von angeblich „hergestellter Öffentlichkeit“ einlassen, wo doch alle Beobachter durchgängig konstatieren, dass bei Filmaufnahmen in diesem Ausschuss die Regierung ob ihres bizarren Auftretens längst zum Teufel gejagt wäre?
Punkt 5. Nie, zu keinem Zeitpunkt, haben „Linke“ und „Grüne“ die faktische Außerkraftsetzung von Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis im Jahre 1968 durch die „Notstandsgesetze“ der „großen Koalition“ Westdeutschlands zum Thema gemacht. Erst diese machte es möglich, das heute die „Telekommunikations-Überwachungsverordnung“ (TKÜV) jeden großen Provider bzw Telekommunikationsanbieter bei Androhung von Strafe dazu zwingt,
„dem Bundesnachrichtendienst an einem Übergabepunkt im Inland eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen“.
Durch das „Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ („Notstandsgesetze“) vom 24. Juni 1968 trat in Artikel 10
„an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane„.
Ergänzend eliminierte in 1968 das „Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ in Artikel 19 Grundgesetz das uneingeschränkte Recht der Staatsbürger auf Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Heute lautet Artikel 19 Absatz 4 wie folgt (der 1968 hinzugefügte Absatz ist fett markiert):
„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.“
Dieser Eliminierung der Gewaltenteilung in einem entscheidenden Grundrecht folgte am 13. August 1968 das ausführende „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (G10), die die Deutsche Bundespost dazu verpflichtete „das Abhören des Fernsprechverkehrs und das Mitlesen des Fernschreibverkehrs“ (Art. 1 § 1 Abs. 2) von jedweder Person in Westdeutschland und Westberlin zu ermöglichen.
Die heutige G 10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium sind genau die „Organe und Hilfsorgane“, die seit 1968 für uns „an die Stelle des Rechtsweges“ getreten sind. Sie wurden durch die „Notstandsgesetze“ geschaffen.
Wer weiß das?
Wer weiß, dass sein eigener Provider (deren Namen ich aus rechtlichen Gründen hier nicht alle aufzählen will) die Spione des B.N.D. in seinen eigenen Räumen dulden muss, dulden muss, dass dieser dort seine eigenen Spionage-Einrichtungen installiert, dulden muss, dass dieser die gesamte Telekommunikation seiner Kunden raubkopiert und darüber bei Androhung von Gefängnis schweigen muss?
Wer weiß das?
Wer kennt diese über Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur der Totalüberwachung, die sich einst über Telefon und Funk erstreckte, nach Erfindung und Verbreitung des World Wide Web entsprechend angepasst und Ende 2005 auf die neuen Internetknoten ausgedehnt wurde?
Wer erklärt, warum darüber fast alle schweigen, vorneweg „Die Linke“ und „Bündnis 90/Die Grünen“, obwohl diese durch Ronald Pofalla am 11. Mai 2012 explizit über das Kopieren der Telekommunikation am weltweit größten Internetknoten DE-CIX in Frankfurt informiert wurden?
Und wie kann es sein, dass „Grüne“ und „Linke“ am 21. Mai in der IuK-Kommission des Deutschen Bundestages vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (B.S.I.) hören, dass laut Verfassungsschutz der „Cyberangriff“ auf den Bundestag durch eine „von einem anderen Land beauftragten“ Firma“ entdeckt worden sei? Durch einen „Zufallsfund“?! Wie kann es sein, dass zu dieser Farce alle Funktionäre und Abgeordneten beider Parteien dazu bis heute schweigen?
Will man uns exemplarisch die devoten Opfer und Idioten aufführen, quasi als Abschreckungsmanöver wider die erbärmliche, parlamentarisch-nichtparlamentarische Pseudodemokratie? Nach dem Motto „was seid ihr für Idioten, ihr glaubt doch nicht etwa, das Parlament hätte hier irgendwas zu melden?!“
„Es ist zum Heulen“, sagt der Ströbele.
Mann, hau doch ab.