Der Kollateralschaden der Sparpakete
„Regierungsvertreter in Frankreich und in Brüssel sagten am Montag, dass sie über das Abstimmungs-Nein sprachlos und unglücklich seien, ließen aber durchblicken, dass sie die Türe offenlassen würden für die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen Griechenland und seinen Gläubigern.“
Sprachlos? Warum? Weil die gottgleiche Macht der Gläubiger beleidigt wurde?
Die Berichterstattung der Massenmedien über Wirtschaftangelegenheiten – das obige Zitat stammt aus der New York Times – dringt selten tief in die Welt des Geldes ein, stellt selten die Frage nach der Verantwortung und wagt selten anzudeuten, dass ein Wirtschaftssystem der Menschheit dienen sollte statt umgekehrt.
Die Sparpakete, die Griechenland als seinen Zustand der wirtschaftlichen Sanierung im vergangenen halben Jahrzehnt über sich ergehen lassen musste – diktiert von denen, die die finanzielle Macht ausübten und entschlossen waren, enorme Profite aus dem Leiden der wirtschaftlichen Verlierer Europas herauszuschlagen – haben nicht nur die gebrochene Wirtschaft des Landes noch weiter verschlechtert und jegliche Art von Erholung in Richtung Selbsterhaltung verhindert, sondern haben die sozioökonomische Struktur des Lebens eines großen Teils der griechischen Bevölkerung zerschlagen. Das ist alles … Sie wissen es, verdammt schlimm. Das Geld ist, wie das Geld handelt. Die Gläubiger haben keine Wahl, als harte Einschränkungen über die griechischen Sozialausgaben zu verhängen.
Robert Kuttner schrieb vor kurzem in der Huffington Post, dass Griechenlands wirtschaftliche Erholung, darunter nötige Regierungsreformen wie etwa effizientere Steuereintreibung, „um ein Vielfaches einfacher und effektiver gehen würden in Zusammenhang mit einem Erholungsprogramm im Gegensatz zu einem Schuldgefängnis.“
Viel von dem, was ich über diese Situation lese, erinnert mich an die Art und Weise, wie die Massenmedien über Krieg berichten: als sowohl notwendig und in menschlichen Begriffen höchst abstrakt, wobei seine Konsequenzen in getrennten, weniger aufwendigen Geschichten behandelt werden, die keinen Bezug haben zu dem nationalen Wert und der anhaltenden Notwendigkeit des Kriegs.
Unter Kollateralschaden der Sparpakete in Griechenland fallen:
– Eine Arbeitslosenquote von über 25% und eine nahezu doppelt so hohe bei jungen Menschen. „Mittlerweile läuft unsere Zukunft davon. Eine Viertelmillion Universitätsabsolventen haben unser Land verlassen. Ihnen bleibt keine Wahl: die Arbeitslosigkeit für diejenigen unter 25 hat 48,6% erreicht,“ schreiben Michael Nevradakis und Greg Palast in OpEd News.
– Nach mehrfachen Kürzungen der Pensionen leben laut Nevradakis und Palast „zwei Drittel der Pensionisten unter der Armutsgrenze.“
– Verheerende Kürzungen im Gesundheitswesen, die nahezu eine Million Menschen ohne Versorgung lassen, so die Zeitung Independent im Vereinigten Königreich. Der Artikel zitierte Dr. David Stuckler von der Universität Oxford, den führenden Verfasser eines Berichts über die Krise in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet: „Die Kosten der Sparprogramme werden hauptsächlich von einfachen griechischen Bürgern getragen, die von den größten Kürzungen auf dem Gesundheitssektor betroffen worden sind, die man in modernen Zeiten in Europa gesehen hat.“ Die Konsequenzen waren besonders verheerend für die Verletzlichsten, die Kindersterblichkeit stieg zwischen 2008 und 2010 um 43% und die Zahl der Totgeburten um 21%, so der Artikel.
„Und, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist weit verbreiteter Hunger zurückgekehrt,“ schreiben Nevradakis und Palast.
„Es heißt, dass 500.000 Kinder in Griechenland unterernährt sind. Schüler, die ohnmächtig vor Hunger werden in kalten Schulen, die sich kein Heizöl leisten können, sind jetzt ein verbreitetes Phänomen.“
Schuldenverlies, in der Tat. „Stellen Sie sich vor,“ schreibt Kuttner, „wenn die Europäer mit entsprechender technischer Hilfeleistung, Investitionskapital und Schuldenumstrukturierung daherkämen, anstatt mit weiteren Austeritätsforderungen.“
Stellen Sie sich ein Wirtschaftssystem vor, das sich darauf konzentriert, den Erfordernissen der Menschheit und des Planeten zu dienen. Im gegenwärtigen Sterbegeheul des Kapitalismus hingegen werden menschliche Erfordernisse als frivoler Luxus hingestellt. Welchen Profit bringen gute Schulen und gesunde Kinder? Während die Profiteure den Verletzlichen Sparpakete aufoktroyieren, wird Verschuldung zu einem Zustand, der verspottet wird. Dennoch sind wir alle verschuldet. Unser Leben hängt ab von dem guten Willen anderer.
Zum Beispiel wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland die meisten seiner Schulden aus der Nazizeit erlassen. „In den 1950ern wurde Europa gegründet auf der Vergebung von Schulden aus der Vergangenheit,“ schreiben Thomas Piketty und andere Wirtschaftswissenschaftler in einem offenen Brief an die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der in The Nation veröffentlicht wurde. Diese Vergebung ermöglichte einen „massiven Beitrag zur wirtschaftlichem Wachstum und Frieden nach dem Krieg. Heute müssen wir die Schulden Griechenlands umstrukturieren und reduzieren, der Wirtschaft Luft verschaffen, damit sie sich erholen kann …“
Kuttner fordert uns auf, „die vielen Hunderte Milliarden Dollars an staatlicher Hilfe zu bedenken, die an die großen Banken gingen, die den finanziellen Kollaps 2007-2008 verursacht hatten. Deren Sünden und der daraus resultierende Schaden für die globale Wirtschaft waren weit schlimmer als die Griechenlands. Dennoch wurden sie mit staatlicher Hilfe überhäuft. Diese Doppelmoral ist ebenfalls atemberaubend.“
Eine betrügerische moralische Autorität scheint die Anhäufung von Reichtum zu begleiten – ein Gefühl, dass man ihn verdient, während diejenigen ohne Reichtum Knechtschaft und Hoffnungslosigkeit verdienen. Hinter dieser moralischen Autorität steckt das verzweifelte Bedürfnis, ja nicht die gemeinsame menschliche Natur derjenigen zu erkennen, die kämpfen, um zu überleben.
Orginalartikel The Collateral Damage of Austerity vom 8.Juli 2015
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2015_07_09_derkollateralschaden.htm