„Berliner Staatsanwaltschaft sagt, sie nehme keine Ermittlungen auf gegen die Beschuldigten, denn es sei nicht sicher, dass sie wussten was sie tun“
Die Rede von Rechtsanwalt Dr. Eisenhart v. Loeper, Sprecher im Aktionsbündnis gegen S21, am 17. August 2015 auf der 284. Stuttgarter Montagsdemo der Demokratiebewegung gegen das staatlich-kommerzielle Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21). Die Rede trug den Titel „Was tut sich an der juristischen Front gegen S21?“
Liebe Anwesende, Freundinnen und Freunde, vor fünf Wochen konnte ich über wichtige Teilerfolge berichten:
1. Das Kanzleramt räumt im Prozess in Berlin ein, dass die Kanzlerin und die damalige Koalition gegenüber dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn vor zweieinhalb Jahren massiv auf den Weiterbau von Stuttgart 21 Einfluss genommen haben, obwohl das Projekt nicht mehr wirtschaftlich war. Darin sehen wir einen schweren Rechtsbruch der Regierung, der schnellstens beendet werden muss.
2. Bei amtlichen Vermerken des Kanzleramts an Pofalla und die Kanzlerin haben wir hilfreiche Entschwärzungen in Händen, die unsere Position erhärten – SWR-Landesschau, Stuttgarter Zeitung und andere Medien haben darüber Anfang Juli berichtet. Auf die neue Lage gestützt hatten wir am 29. Juni auf 23 Seiten eine erneute Strafanzeige gegen die Bahnvorstände , zwei Staatssekretäre, die ehemaligen Minister Pofalla und Rösler und weitere Tatverdächtige erstattet. Kronzeuge Kanzleramt.
Was tat daraufhin die Berliner Staatsanwaltschaft? Sie kam zu einer zwiespältigen „Kriminalität ohne Schuldvorwurf“. Sie hat die brisante neue Strafanzeige innerhalb von nur 16 Tagen mit wenigen Zeilen abgebügelt: Die neuen Unterlagen aus dem Kanzleramt ließen – ich zitiere –
„nichts dafür ersehen, dass den Beteiligten an der Aufsichtsratssitzung vom 5. März 2013 bewusst gewesen sein muss, dass ein Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“ mit geringeren Kosten verbunden sein würde als dessen Fortführung“.
Daher bleibe es dabei, dass eine billigende „Inkaufnahme eines Vermögensnachteils bei der Bahn nicht angenommen“ werden könne.
Diese Entscheidung sagt uns zweierlei:
1. Gar nicht mehr bezweifelt wird, dass der Beschluss des Aufsichtsrats der Bahn zum Weiterbau von Stuttgart 21 die Deutsche Bahn schädigt und die Tatverdächtigen durch Rechtsbruch Untreue begangen haben können. Das müsste öffentlich Wellen schlagen.
2. Die Berliner Staatsanwaltschaft sagt nur, sie nehme keine Ermittlungen auf gegen die Beschuldigten, denn es sei nicht sicher, dass sie wussten, was sie tun. Das hat man den Beschuldigten entgegenkommend in den Mund gelegt, ohne sie zu vernehmen. Ist das nicht erstaunlich? Ach ja, es waren ja nicht die kleinen Leute, denen man solche Schutzbehauptung niemals gönnen würde nach dem Motto „da klaut einer, aber leider wissen wir nicht, dass er das wollte“.
Nein, es gibt hier das „zweierlei Maß“: Es ging doch um hochbezahlte Bahnvorstände, Staatssekretäre, Aufsichtsräte und Minister. Sie ließen sich willfährig vor den machtpolitischen Karren der Kanzlerin sperren, die eine Ausstiegsdebatte zu S21 ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl unbedingt vermeiden wollte.
Es ist lächerlich und der Staatsanwaltschaft unwürdig zu behaupten, die Täter hätten die geringeren Ausstiegskosten nicht in Kauf genommen, obwohl drei Monate um die Entscheidung gerungen wurde, obwohl die Staatssekretäre die Kostenrechnung der Bahn für „nicht belastbar“ erklärt hatten, obwohl sie die Ausstiegsalternative zu S21 eingefordert hatten, bis sie der massiven Direktive der Kanzlerin gehorchten, um ihre politische Zukunft nicht zu gefährden. Da liegt doch der Hase im Pfeffer. Von Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla wissen wir noch, wie er ausfällig gegenüber dem Abweichler Bosbach seiner Fraktion wurde, er könne dessen „Fresse“ nicht mehr sehen. Und jüngst schüchterte der Unions-Fraktionschef Volker Kauder Abweichler mit drohendem Amtsverlust ein. Unbestreitbar mussten also die Staatssekretäre im Bahn-Aufsichtsrat ein Ende ihrer politischen Karriere fürchten, wenn sie dem klaren Verlangen der Kanzlerin nicht gefolgt wären.
Herr Staatsanwalt, Sie können doch dies nicht ausblenden und auch nicht die belastenden Dokumente aus dem Kanzleramt ignorieren. Das schadet dem Ansehen der Justiz und erweckt sogar den Eindruck von Strafvereitelung im Amt. Wir haben daher vor drei Tagen gegen den unhaltbaren Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Beschwerde zum Generalstaatsanwalt eingelegt und sorgfältig begründet.
Was gibt es sonst noch von der juristischen Front zu berichten? Ein paar Stichworte seien genannt:
1. Unabhängig von der genannten Strafanzeige geht unser Prozess gegen das Kanzleramt um die weitere Entschwärzung der Stuttgart-21-Vermerke beim Verwaltungsgericht Berlin voran. Es werden später noch neue Gründe ans Licht kommen, die Entschwärzung auch der noch geheim gehaltenen Fakten zu verlangen.
2. Seit diesem Monat gibt es auch eine Schiefbahnhofklage, die an den zuständigen Verwaltungsgerichtshof in Mannheim abgegeben wird. Die Klage ist für unseren Gutachter Sven Andersen gegen das Eisenbahnbundesamt eingereicht und noch zu begründen. Das Eisenbahnbundesamt tut so, als sei die sechsfache Gleisneigung mit sechs Metern Höhenunterschied im Tiefbahnhof eine Frage seines Ermessens, obwohl die vorgeschriebene gleiche Sicherheit grob verletzt wird. Die Klage ist überfällig, denn höchste Gerichte anerkennen, dass Leib und Leben der Menschen durch keine staatliche Maßnahme gefährdet werden dürfen. Das hat der VGH sogar letztes Jahr anlässlich des Hausabrisses in der Sängerstraße bescheinigt. Dann muss das auch für die regelwidrig überhöhte Gleisneigung gelten, damit Bahnreisende nicht wie in Köln durch Wegrollvorgänge Leib und Leben riskieren. Hier geht es um ein zentrales, nicht verhandelbares KO-Kriterium gegen S21. Das lässt härteste Widerstände erwarten.
3. Der Eilantrag zum 3. Bürgerbegehren „Storno 21“ ist im Gang. Die Stadtverwaltung Stuttgart soll bis zum 19. August erwidern. In der zweiten Septemberhälfte könnte es zur Entscheidung kommen.
4. Die Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim zur Mischfinanzierung ist von dem Team um unseren Berliner Rechtsanwalt Kluge bis zum 24. August zu begründen, das ist weichenstellend, weil auch hier eine Lawine des Ausstiegs aus S21 wegen Nichtigkeit der Projektverträge entstehen kann. Bis zur Revisionsverhandlung in Leipzig wird aber noch einige Zeit verstreichen.
Zum Schluss möchte ich Euch allen danken: Mit Euch, mit uns lebt und begründet sich der Geist des Widerstands gegen den S21-Wahnsinn – beispielhaft für die Stärke unserer Demokratie und für künftige Generationen. Bei unserem engagierten Einsatz brauchen wir unser aller Mut und langen Atem, auch den Mut und die Einsicht Anderer
– zu erarbeiten ist eine Bilanz zu den galoppierenden Kosten und zu nicht beherrschbaren S21-Risiken
– einzubringen auch gegenüber dem Lenkungskreis und vor der
Landtagswahl und
– gegenüber dem Aufsichtsrat, der Mitte Dezember 2015 tagt.
Lasst uns miteinander verbunden sein – stark, kreativ, aktiv! Dranbleiben, Oben Bleiben!