„Untersuchungsausschuss“, Grüne, „Linke“, „Sonderermittler“ und Regierung versuchen unter allerlei Nebelkerzen die Verlängerung von Terrorgesetzen und Totalüberwachung vor deren Auslaufen Ende 2015 noch schnell durch den Bundestag zu bekommen. Dabei stellen sich alle Parteien, alle Parlamentarier, alle etablierten Organisationen, alle Gerichte, alle Juristen, alle Bürgerrechtler und die gesamte Informationsindustrie weiter um die Wette tot.
Thorsten Denkler zitiert heute in der „Süddeutschen“ aus dem der SZ (magischerweise straffrei) vorliegenden 300 Seiten langen „Abschlussbericht“ vom „Sonderermittler“ der Regierung gegen den eigenen geheimdienstlichen Komplex, Kurt Graulich. Wie die SZ nun meldet, habe der Bundesnachrichtendienst von 2005 bis 2015 – also zehn Jahre lang – so und so viele Personen, Firmen und Organisationen in mehreren Staaten ausspioniert, u.a. auf dem Kontinent Europa.
Es fällt, wieder einmal, der in die Presse lancierte Nebelbegriff „Selektoren“, von dem selbst der ehemaligen Präsident des B.N.D. nie gehört hat.
Diese Daten des B.N.D. habe dann die National Security Agency „durchforstet“.
Behauptet wird, diese Erkenntnisse seien einem „Beweisantrag“ („Beweisbeschluss“) des „Untersuchungsausschusses“ zu verdanken. Wie hoffentlich alle wissen, richten sich solche Beweisbeschlüsse an den Bundesnachrichtendienst oder eine andere Behörde, mit der Bitte doch einmal diese oder jenen Akten herauszugeben.
Wohlgemerkt: es geht da kein Parlamentarier hin zu der Behörde und sagt „Tür auf! Raus! Ich habe hier was zu durchsuchen!“. Keineswegs. Der „Untersuchungsausschuss“ verlässt sich vielmehr darauf, dass die entsprechende Behörde ihr alle Akten ausliefert die er haben will.
Es stellt sich nun die Frage, wie naiv man eigentlich sein muss um zu glauben, diese Behörde würde das freiwillig, tatsächlich und umfassend tun. Gerade wenn sie ja schon „untersucht“ wird durch einen Ausschuss, der es in zweieinhalb Jahren nicht einmal fertig gebracht hat eine einzige gerichtliche Klage zuende zu bringen bzw beim richtigen Gericht einzureichen.
Folgend wird nun erläutert, warum der heutige SZ-Bericht und die vermeintlichen Enthüllungen über B.N.D. und N.S.A eine plumpe Nebelkerze einer „Opposition“ sind, die nichts von dem tut was ihre verfassungsmäßige Pflicht und Möglichkeiten sind, sondern vielmehr die Fortsetzung einer mittlerweile zweieinhalbjährigen Posse in einer Republik außer Funktion.
Zuerst einmal erklärt sich der Hintergrund dieser Staatsaffäre auch dadurch, dass beide „Oppositionsparteien“, Bündnis 90/Die Grünen und „Die Linke“, das Grundgesetz durch offizielle Erklärungen und Beschlüsse bereits in Frage gestellt haben und genauso beseitigen wollen wie ihre vermeintlichen Gegner in den Regierungsparteien.
Des Weiteren hat die Bevölkerung – dank der Totschweiger von Prominenten, Parteien und Nomenklatura – schlicht keine Ahnung über Ausmaß, Umfang und Tiefe des internationalen und innerstaatlichen geheimdienstlichen Komplexes, dem sie ausgesetzt ist.
Im Ratsbeschluss 96/C 329/01 der „Europäischen Gemeinschaft“ vom 17. Januar 1995 über die rechtmäßige Überwachung des Fernmeldeverkehrs heisst es über die Behörden in den Mitgliedsstaaten der 1957 gegründeten „Europäischen Gemeinschaft“, sowie die in der 1992 gegründeten Parallelorganisation „Europäische Union“:
„Die gesetzlich ermächtigten Behörden benötigen eine permanente Überwachung des Fernmeldeverkehrs in Echtzeit. Verbindungsrelevante Daten sollen auch in Echtzeit bereitgestellt werden.“
Wie bereits in Schach dem Neoconopticon beschrieben, wurde dieser Beschluss des E.G. Rates von 1995 jahrelang geheimgehalten. Erst als dieser zur Jahrtausendwende bekannt wurde, umschrieb dazu der „Guardian“ am 29. April 1999 im Artikel „Intercepting the Internet“, was der Beschluss von 1995 tatsächlich bedeutete: den Einbau von Abhöreinrichtungen in Telekommunikationshardware und die „Installation eines Netzwerks von Abhörzentren quer über Europa“, die „über alle nationalen Grenzen hinweg operieren“ und den „Zugang zu jeder Art von Kommunikation zur Verfügung stellen“ sollten, „eingeschlossen den zum Netz und zu Satelliten“. Wie der „Guardian“ damals in 1999 schrieb, folgten die E.U./ E.G. folgten damit den Vorgaben
„einer U.S.-geführten internationalen Organisaton von Polizei- und Sicherheitsagenturen“:
dem „International Law Enforcement Telecommunications Seminar“ der U.S.-Bundespolizei F.B.I., das u.a. in Bonn geheim getagt hatte.
Die Vorgaben des E.G.-Ratsbeschlusses vom 17. Januar 1995 setzte am 18. Mai 1995 der Staat mit der Eigenbezeichnung Bundesrepublik Deutschland in der „Fernmeldeverkehrüberwachungsverordnung“ (FÜV) um, welche die nun kommerzialisierte Bundespost (heute „Deutsche Telekom AG“) anwies, „die Überwachung und Aufzeichnung des gesamten Fernmeldeverkehrs“ zu ermöglichen. (wir berichteten)
Anschließend wurde zur Jahrtausendwende am 29.Mai 2000 die Überwachung der Telekommunikation innerhalb eines E.U.-Staates durch Stellen eines anderen E.U.-Staates, auch „ohne technische Hilfe“ des betroffenen Staates, durch das E.U.-Rechtshilfeabkommen festgelegt („über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“).
Nach Kriegsausbruch und den bis heute nie zivilgerichtlich untersuchten Attentaten des 11. Septembers 2001 erließ die „rot-grüne“ Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer die „Telekommunikations-Überwachungsverordnung“ (TKÜV), die bereits in 2002 zur „strategischen Überwachung der Telekommunikation“ durch und für den Bundesnachrichtendienst ausgebaut wurde.
Eine weitere Verschärfung der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) der Regierung in 2005 verfügte die „Überwachung“ von Netzknoten auf deutschem Territorium, auch „vom und in das Ausland geführten Telekommunikationsverkehr“ (Zitat Bundesverfassungsgericht in Beschluss 1 BvL 7/08)
Spätestens seit der Antwort Ronald Pofallas für die Bundesregierung vom 11. Mai 2012 auf die Kleine Anfrage der „Linksfraktion“ vom 5.April 2012 mussten alle Fraktionen des Parlaments, gerade „Die Linke“ und Bündnis 90/Die Grünen, über diese Sachlage informiert sein. (Linke und Grüne wussten seit 2012 vom vollständigen Kopieren des B.N.D. an Netzknoten)
Technisch gesehen verfügt der Bundesnachrichtendienst bis heute über eine vollkommen eigenständige und von keinem außer 4 Personen und ihren Mitarbeitern, der „G-10-Kommission„, einsehbare Infrastruktur zur Totalüberwachung. Auszug aus der TKÜV:
„(2) Der Verpflichtete hat dem Bundesnachrichtendienst an einem Übergabepunkt im Inland eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen, die über die in der Anordnung bezeichneten Übertragungswege übertragen wird.
(3) Der Verpflichtete hat in seinen Räumen die Aufstellung und den Betrieb von Geräten des Bundesnachrichtendienstes zu dulden, die nur von hierzu besonders ermächtigten Bediensteten des Bundesnachrichtendienstes eingestellt und gewartet werden dürfen (..)“
Die TKÜV gilt auch für Betreiber von Telekommunikationsanlagen bzw „Netzknoten…die der Zusammenschaltung mit dem Internet dienen“, was trickreich versteckt wurde. In § 3 („Kreis der Verpflichteten“) werden diese in Absatz 2 zunächst ausgenommen, nur um dies anschließend wieder aufzuheben.
Desweiteren ermächtigt die TKÜV natürlich auch jede „berechtigte Stelle“ über die direkt bei den Providern eingebauten Kopieranlagen zu (vermeintlich oder tatsächlich) individuellen Überwachungsmaßnahmen gegen einzelne „Verdächtige“: z.B. die sechzehn Landespolizeien / Landeskriminalämter, die sechzehn Landesbehörden des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutz, dessen Bundesamt, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, etc, sowie deren „Erfüllungsgehilfen“ (§ 5 Absatz 3), also kommerzielle („private“) Firmen und Konzerne, müssen von den Providern die „vollständige Kopie“ der Telekommunikation erhalten, die „unter der zu überwachenden Kennung abgewickelt wird“.
Die nun nach Kriegsausbruch in 2001 durch den Staat installierten Terrorgesetze, das parallel zum „Patriot Act“ in 2001 beschlossene Gesetzesbündel „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ (ab 2006 „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“), schuf nun einen ständig eskalierenden und ausgebauten Dschungel von Zugriffsmöglichkeiten aller staatlichen Behörden auf diese Telekommunikation der Bevölkerung: emails, Chats, privateste Unterlagen, Telefonate, etc, etc. Ausgebaut wurde dieser Apparat noch durch „Anti-Terror-Datei“ und das Ende 2008 durchgedrückte B.K.A.-Gesetz, dem anschließend das Bundesverfassungsgericht sechseinhalb Jahre lang freie Hand ließ indem es die Verfassungsklagen verschleppte.
Es liegt auf der Hand, dass dieser Dschungel von Kompetenzen und Möglichkeiten aller möglichen staatlichen Behörden bis heute schlicht auf folgendes hinaus läuft:
Der Bundesnachrichtendienst gibt alle Daten an alle anderen weiter, unkontrolliert und nach eigenem Ermessen: andere innerstaatliche Stellen, ausländische Geheimdienste, auch Konsortien – Banken zu Beispiel. Die wiederum verkaufen sie weiter.
Gleichzeitig beteuert der dem Parlament aufgebundenen B.N.D.-Bär, er habe zwar die Finger im Honigtopf, aber würde natürlich nicht naschen. Wo käme er dann da hin. Heise.de am 1.Februar 2002 zur neuen TKÜV:
„Offenbar, so vermuten nun Experten, will der Bundesnachrichtendienst wohl nun selbst 100 Prozent erfassen, um dann freiwillig nur 20 Prozent auszuwerten.“
Aus dem Bericht der “Parlamentarischen Kontrollkommission” vom 10. Februar 2012:
„In diesem Berichtszeitraum qualifizierten sich anhand der..Suchbegriffe 27 079 533 Telekommunikationsverkehre„
Gerade solche Staatsschauspieler wie Konstantin von Notz oder Christian Ströbele erklärten bis heute nicht, wie sich fast 30 Millionen Telekommunikationsverkehre denn nun „qualifizierten“. Und wo. Und unter was.
Die Terrorgesetze aka der „deutsche Patriot Act“ wurden bislang zweimal verlängert, Ende 2006 und Ende 2011.
Abermals laufen nun mit dem Inkrafttreten der entsprechenden Klausel von Artikel 10 „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“am 10. Januar 2016 folgende Gesetze in ihrer jetzigen Form aus:
– das Artikel 10-Gesetz – G 10 (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses), dessen erste Fassung nach den Verfassungsänderungen der Notstandsgesetze 1968 wir abgetippt veröffentlicht haben und eng mit der TKÜV interagiert („die Ausgestaltung der Verpflichtungen zur Duldung der Aufstellung von technischen Einrichtungen für Maßnahmen der strategischen Kontrolle nach § 5 oder § 8 des Artikel 10-Gesetzes sowie des Zugangs zu diesen Einrichtungen“)
– das Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG (Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz
– das BND-Gesetz – BNDG (Gesetz über den Bundesnachrichtendienst),
– das Bundeskriminalamtgesetz – BKAG (Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten),
– das MAD-Gesetz – MADG (Gesetz über den militärischen Abschirmdienst),
– das Sicherheitsüberprüfungsgesetz – SÜG (Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes),
und das Straßenverkehrsgesetz (StVG) (die allgemeine Totalüberwachung der Bevölkerung umfasst natürlich auch deren Bewegungen auf der Straße).
Wäre dies alles nicht ein Grund für die sogenannte „Opposition“ von Grünen und „Linken“ mit aller Kraft auf diese Chance des Rückbaus vom geheimdienstlichen Komplexes hinzuweisem?
Sicher. Doch stattdessen sichern Grüne und „Linke“ den geheimdienstlichen Komplex und legen die Hände in den Schoß.
Am 26. August verwies Radio Utopie auf die Behauptung der Regierung und Informationsindustrie in der „Sommerpause“ des nur 22 von 52 Wochen im Jahr tagenden Parlaments, die Verlängerung der Terrorgesetze – und der damit einhergehenden Totalüberwachung über die bei den Providern installierte Infrastruktur – bis zum Jahre 2021 sei bereits beschlossen.
Offensichtlich verwechselte diese Regierung sich wieder einmal mit einer Chunta. Vollkommen unnötig. Denn auf „Linke“ und Grüne, sowie natürlich auf den gesamten Bundestag, kann sich der geheimdienstliche Komplex stets verlassen.
Am 24. September ging der „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen“ nun zur ersten Lesung im Bundestag (Radio Utopie berichtete.) Im Gesetzentwurf hieß es:
Artikel 1
Änderung des TerrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzesIn Artikel 13 Absatz 2 des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes vom 5. Januar 2007 (BGBl. I S. 2), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) geändert worden ist, wird die Angabe „10. Januar 2016“ durch die Angabe „10. Januar 2021“ ersetzt.
Was machte die „Opposition“? Sie schwieg nicht nur in der Öffentlichkeit. Sie schwieg auch im Parlament. Nicht einmal Reden hielt sie, sondern gab sie „zu Protokoll“. Innerhalb von Sekunden wurde in der „Ersten Lesung“ dieses Parlaments das für 80 Millionen Menschen – und darüber hinaus – so essentielle (und für die „Opposition“ und ihren „Untersuchungsausschuss“ angeblich zentrale Thema) abgehakt. Der Gesetzentwurf wurde in den „Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz“ verwiesen.
Hatte sich die „Opposition“ vor ihrer „ersten Lesung“, wenigstens im Stillen, einmal das Ganze durchgelesen? Hatten sich Grüne und „Linke“ darum gekümmert, hatten sie den Gesetzentwurf im Vorfeld überprüft, den sie ja später abnicken sollten?
Nun, vielleicht hatten sie das.
Auszug aus dem Plenarprotokoll des Bundestages vom 24. September:
„Grundlage des Gesetzentwurfs ist der Evaluierungsbericht unabhängiger Wissenschaftler des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation. Die Auswahl des Instituts war zusammen mit dem Bundestag erfolgt.“
Sicherlich haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, von der Sitzung des „Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz“ am 28. Oktober gehört. Da stand nämlich auf Tagesordnungspunkt 5 von 15 der „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen“, also die Ermächtigungen von Geheimdiensten, Polizei, Behörden dieses oder jenen Staates über Ihre Daten, Ihre Privatspäre, Ihr Leben. Und Ihre BerichterstatterInnen, Ihre Abgeordneten, Ihre Vertreter, Ihre Volksvertreter waren an jenem Tage Alexander Hoffmann (C.D.U. / C.S.U.), Dr. Johannes Fechner (S.P.D.), Halina Wawzyniak (die Linke), Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen)
Na sicher haben Sie davon gehört. Sie haben doch eine Opposition im Parlament. Und Bürgerrechtler. Und Rechtsanwälte. Und freie Presse. Und alle erzählen Ihnen was.
Und sicherlich wussten Sie auch, dass der „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen“ – also die erneute Verlängerung der Totalüberwachung und der Terrorgesetze ab 2001 auch über Sie bis zum Jahre 2021 – nun am 5. November unter Tagesordnungspunkt 7 von 25 in zweiter und dritter Lesung durch den Bundestag gewunken werden soll.
Natürlich wissen sie das. Radio Utopie ist doch nicht das einzige Pressemedium was Ihnen darüber Informationen liefert.
Oder?
(…)
Artikel zuletzt aktualisiert um 22.22 Uhr