Hersh-Bericht: Die Verlierer des Syrien-Krieges versuchen sich zu Siegern umzulügen

Berater des U.S.-Generalstabs: Militärs von Deutschland, Israel und Russland halfen bereits 2013 Syriens Regierung mit Geheimdienst-Informationen.

In einem neuen Artikel im „London Review of Books“ zum Krieg in Syrien beruft sich der (auch von Radio Utopie) hochangesehene Enthüllungs-Journalist Seymour Hersh u.a. auf einen hochrangigen „Berater“ vom Generalstab des U.S. Militärs. Laut dessen Angaben begann der U.S. Generalstab im Herbst 2013 – hinter dem Rücken von Präsident Barack Obama und der mit „Alliierten“ in Großbritannien, Katar und Saudi-Arabien zugunsten von terroristischen Gruppen „konspirierenden“ C.I.A. – über die Bundeswehr, die israelischen Verteidigungskräfte und das russische Militär Informationen an die Assad-Regierung weiterzugeben, um diese gegen jihadistische / terroristische Gruppen zu unterstützen.

Ohne jetzt auf alle Einzelheiten im Artikel eingehen zu wollen: ich halte diese Geschichte für eine Finte. Gegenteilig nehme ich an, dass diese Geschichte Seymour Hersh von genau den Kräften angedreht wurde, die alles auf einen Sieg in der Invasion Syriens gesetzt, dafür ohne Skrupel alle verfügbaren Mittel eingesetzt und nun verloren haben.

Eine kleine Zusammenfassung.

Informelles

Im Herbst 2013, also zum Zeitpunkt der angeblichen Unterstützung der syrischen Regierung durch Stellen in Deutschland, Israel und Russland, waren in Syrien gerade Chemiewaffen nahe Damaskus eingesetzt worden. Alle Westwelt beschuldige Syriens Regierung. Dabei hatte diese genau zum Zeitpunkt des Massenmordes am 21. August 2013 eine U.N.-Expertenkommission zu Besuch, die sie selbst eingeladen hatte, und die nur wenige Kilometer entfernt vom Giftgas-Einsatz einen mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen an drei anderen Orten in Syrien untersuchen sollte, der ebenfalls der syrischen Regierung angelastet wurde.

Allein die Annahme, eine Regierung oder ein Regime könnte so dumm sein genau zu diesem Zeitpunkt Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzen, was dann durch magischerweise im Einschlagsgebiet anwesende zahlreiche Filmteams ausführlich dokumentiert in den Abendnachrichten der Westwelt hoch und runter läuft, sagt nichts anderes aus als etwas über die Intelligenz derjenigen aus die so etwas glauben. Nichtsdestotrotz behaupteten genau das u.a. die Regierungen von Israel und Deutschland, also genau die Stellen, die laut dem von Seymour Hersh zitierten Berater des U.S. Generalstabs im Herbst 2013 angeblich, im Geheimen, die syrische Regierung gegen die „Rebellen“ unterstützten.

Später gab es eine ganze Reihe ernstzunehmender Hinweise und Beweise, dass das Giftgas von den „Rebellen“ bzw Proxy-Milizen der Invasionsmächte selbst eingesetzt worden war (1, 2, 3).

Am 27. September 2013 war im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 2118 im Falle eines erneuten Chemiewaffen-Einsatzes in Syrien “durch irgendwen” (“by anyone”, Originaltext der Resolution) eine umfassende Kriegsvollmacht gegen Syrien beschlossen worden, nach Kapitel VII der U.N. Charta aus 1945, und entgegen allen vorhergehenden Beteuerungen auch mit Unterstützung der Russischen Föderation.

Wie wahrscheinlich ist nun die Behauptung, es habe ausgerechnet in dieser Situation, „im Herbst 2013“, eine Hilfestellung der Bundeswehr (bzw vom praktisch mit dem Militär verschmolzenen Bundesnachrichtendienst), sowie des israelischen und des russischen Militärs für die syrische Regierung gegeben?

Seymour Hersh beruft sich in seinem Artikel auf eine weitere Quelle: Michael Flynn (Michael T. Flynn), den ehemaligen Chef der „Defense Intelligence Agency“ (D.I.A.).

Flynn war ehemals Leiter der Geheimdienstabteilung der Todesschwadronen des „Joint Special Operations Command“ (J.S.O.C.). Über die verdeckten Kriegseinsätze des J.S.O.C. im Iran, welche vorbei an Kongress, US-Zentralkommando und sogar Verteidigungsminister auf direkten Befehl von Präsident Bush und unter direkter Kontrolle von US-Vize Dick Cheney erfolgten, hatte Seymour Hersh im Juni 2008 in „Preparing the Battlefield“ selbst berichtet.

Am 30. Dezember 2009 ereignet sich in Afghanistan in der Provinz Khost ein äußerst obskures Attentat auf die vorgeschobene C.I.A. Operationsbasis Chapman; diese befindet sich auf dem Gelände des von Sondereinheiten des Militärs genutzten Camp Salerno. Im Zuge des Attentats erschiesst ein Soldat den C.I.A.-Sicherheitschef der Basis. Später wird eine wilde Geschichte über einen jordanischen Doppelagenten nach draußen gegeben.

Nur ein paar Tage später veröffentlicht am 4. Januar 2010 die „Denkfabrik“ „Center for a New American Security“ (C.N.A.S.) einen umfangreichen Bericht über den Zustand der militärischen sowie nachrichtendienstlichen Aufklärung und Spionage der Koalitionstruppen in Afghanisten. Leiter des C.N.A.S.: Michael Flynn.

Der Bericht von Flynn´s C.N.A.S., der eher einer Werbebroschüre für eigene Budgets und Ressourcen gleicht, wird als Frontalangriff auf die konkurrierende C.I.A. verstanden.

Zum Leiter der D.IA. im Juni 2012 ernannt, als sein Militärkollege David Petraus aus der „Viererbande“ bereits Leiter der C.I.A. ist, baut Michael Flynn den „Defense Clandestine Service“ auf; Hunderte weiterer Militäragenten schwärmen in die Kriegszonen aus. Doch irgendwann wird der D.I.A.-Chef selbst dem Pentagon zu radikal: im April 2014 wird Flynn gefeuert und reicht offiziell selbst sein Abschiedsgesuch ein.

Nun stellt sich die Frage: wie glaubwürdig ist nun die Aussage von Michael T. Flynn gegenüber Seymour Hersh, er habe eine „konstante Flut von geheimen Warnungen über die entsetzlichen Folgen eines Sturzes von Assad an die zivile Führung“ geschickt?

Analyse

Meiner Einschätzung nach versuchen sich hier einige Verlierer im Syrien-Krieg – neben allerlei imperialistischen Schreibtischhelden vor allem das U.S.-Militär, der Bundesnachrichtendienst und der Mossad – irgendwie auf die Gewinner-Seite zu lügen und dem bereits in Bedeutungslosigkeit versunkenen Präsidenten Obama noch schnell den Schwarzen Peter zuzuschieben, nachdem sie vorher alles daran setzten diesen schwachen Präsidenten erst auf den „Regime Change“ in Libyen (also die Invasion) und dann auf den „Regime Change“ in Syrien (also die Invasion) festzunageln.

Gerade die Nummer mit dem Bundesnachrichtendienst bzw der Bundeswehr, die ja schon im Herbst 2013 Damaskus half vor dem Islamismus zu schützen, ist maximal zynisch und passt zu der Meldung der „Bild“-Zeitung vom 18. Dezember, die große Teile der Öffentlichkeit in noch tiefere Verwirrung stürzte als bisher. In dem Bericht über angeblich seit langem bestehende Kontakte zwischen B.N.D. und syrischem Geheimdienst wird der B.N.D. dem Anschein nach zwar moralisch vorgeführt; letzten Endes stellt er den Bundesnachrichtendienst aber als trickreichen Gewinner dar, der immer schon vorher weiß wo der Sieger steht. Und das schon im Herbst 2013. (20. September 2013, Meine Option: Syriens Sieg gegen die Invasoren)

Es zählt den B.N.D.-Apparatschiks nur eines: unbedingt und um jeden Preis als Gewinner dazustehen. Wie schmerzlich muss das sein, wenn man selbst das noch verliert.

Was die unsauberen Kontakte „westlicher“ und russischer Geheimdienste nach Damaskus und deren Einflüsterungen angeht, so habe ich für meinen Teil bereits 2012 gefragt wer eigentlich das syrische Außenministerium kontrolliert und meine deutliche Einschätzung zu den Regierungen von Russland und Iran angesichts deren passiver Duldung der Syrien-Invasion geäußert. Am 13. Dezember 2012 schrieb ich zu der passiven Haltung Russlands zum Blutbad in Syrien:

Die naheliegendste Erklärung lautet: Wladimir Putin hat Syrien für die South Stream Pipeline verkauft. Am 3. Dezember war Putin in Ankara und schloss insg. elf Handelsabkommen ab, am 7. fing Gazprom an zu bauen. Die Pipeline soll durch türkisches Hoheitsgebiet verlaufen.

Sollten sich diese Hinweise und diese Sicht der Dinge entsprechend verdichten, wird Russland mehr verlieren als man jemals mit Geld kaufen könnte.

Es brauchte weitere zweieinhalb Jahre und wahrscheinlich über hunderttausend weitere Tote und Ermordete, bis die Russische Föderation endlich dem verbündeten Syrien zu Hilfe kam und bezüglich ihrem vermeintlich ehrenwerten Handelspartner Erdogan die Augen öffnete.

Nun ist, angesichts des wieder hergestellten geostrategischen Gleichgewichts, endlich ein Frieden in Syrien in Aussicht. Und zwar ohne den anvisierten Umsturz im Etappenziel Syrien, ohne das damit unvermeidbare weitere Blutbad in der Region, ohne einen weiteren Umsturz im Libanon und damit ohne Erreichen des Endziels einer vollständig kontrollierten Mittelmeerunion.

Und jetzt dürfen alle ganz genau hinschauen wer hier für wen gewonnen hat.

 

(…)

Artikel zum Thema:

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