Staatliche Abhör-Skandale und Spionage – ein internationaler Vergleich
Kolumbianische Verhältnisse – „Bananenrepublik“ oder Rechtsstaat? Was ist uns die Verteidigung der Werte des Grundgesetzes noch wert?
Wie sehr sich die deutsche Bevölkerung von der Politik in einen traumatisch-irrationalen Zustand in einem kurzen Zeitraum von wenigen Jahren versetzen liess, werden wir an einem Beispiel im Ausland aufzeigen. Es geht um die heimliche Überwachung staatlicher und ziviler Instanzen, Organisationen und einzelner Bürger durch den Geheimdienstapparat und deren Auftraggeber in der Regierung.
Widerstandslos werden die verfassungswidrige, illegale Datenerfassung und -speicherung der Kommunikation durch Lauschangriffe ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl bis auf Wenige hingenommen. Es werden keine Forderungen ausser Lippenbekenntnisse nach juristischer Aufklärung noch Strafverfolgung erhoben. Ganz im Gegenteil verharrt die Gesellschaft in einer gespenstischen Starre, als ob Deutschland einem grossen Hospital gleichen würde, in dem den Patienten eine kollektive Langzeit-Narkose verabreicht wurde, die das rationale Denken und das Gedächtnis ausgelöscht hat. In diesem Zustand der Lähmung gibt es nicht das kleinste Aufbegehren, wenn Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden, die das Aushebeln der Artikel des Grundgesetzes auf die Unantastbarkeit der Privatsphäre zum Ziel haben.
Sehen wir nach Kolumbien, einer der korruptesten und für die Bürgerrechte gefährlichsten Staaten in Lateinamerika, in dem täglich Menschen bedrängt und mit dem Tod konfrontiert sind, die sich gegen Repressalien wehren. In diesem Land gibt es ein noch einigermassen funktionierendes Verfassungsgericht, auch wenn die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Bogota jahrelang auf sich warten lassen. Aber ist das hierzulande grundlegend anders?
Vor sechs Jahren begannen in Kolumbien die ersten Prozesse gegen den staatlichen Geheimdienst Administrative Department of Security (D.A.S.) und gegen die Auftraggeber aus allerhöchsten Regierungskreisen zu einem Abhörskandal, in dem Mitglieder des Obersten Gerichts, Bürgerrechtler und Journalisten ausgeforscht wurden. Am Ende dieses Beitrages haben wir zum Nachlesen einige Artikel verlinkt, in denen wir die Hintergründe dokumentierten.
Über zwanzig Geheimdienstmitarbeiter und Regierungsangestellte des damaligen Präsidenten Alvaro Uribe – einem Vasall Washingtons und Grossmaul im derzeitigen Exil – wurden seither zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Gegen den ehemaligen Pressesekretär Cesar Mauricio Velasquez und den Justizsekretär Edmundo del Castillo werden derzeit noch Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt. Inzwischen wurde genügend Beweismaterial für einen Prozess gesammelt. „Velasquez und Castillo wussten und beteiligten sich an illegalen Aktivitäten, die von den Nachrichtendiensten des Staates durchgeführt wurden und trugen effektiv zu der Verfolgung eines kriminellen Zwecks bei“, hiess es in einer Erklärung des Obersten Gerichtshofs.
In ihrer Amtszeit hatten die beiden Angeklagten mit rechtsextremen, paramilitärischen Todesschwadronen konspirativ zusammengearbeitet – so mit der United Self-Defense Forces of Colombia – um den Gerichtshof zu diskretitieren, dessen Richter gegen den Cousin und Kongressabgeordneten des damaligen Präsidenten zu den Verbindungen zu Paramilitärs Ermittlungen durchführte.
Und nun zurück zu Deutschland. Reisst es hier noch irgendwen vom Hocker bei Meldungen wie diesen: „Bundesinnenministerium plant neue Sicherheitsbehörde für Abhörtechnologie„, „Fünfländerzentrum zur Überwachung der Telekommunikation: Details zum geheimen Staatsvertrag„, „Kanzleramtschef Peter Altmaier über den BND und den Drohnenkrieg “ oder „Kanzleramtsleiter Altmaier erstellt „weltweit einmalige Regelung“ zur Kontrolle des Spionage-Apparats“ – oder das Versteckspielen zum N.S.U., zum Verfassungsschutz, zur N.S.A., zum B.N.D.?
Deutschland ist zu einem sprachlosen Land geworden, in dem lautstarke Grabenkämpfe gegeneinander ausgefochten werden – gesteuert von einer ganzen Menagerie von nationalen und internationalen Erzreaktionären, die die Demokratie als Totfeind verabscheuen und zu vernichten suchen.
In Kolumbien wanderten zumindesten einige Täter für ungesetzliches Ausspionieren und zum Anstiften dazu in den verdienten Knast. Die Affäre führte zudem zur Auflösung des Geheimdienstes D.A.S. und zum Prozess gegen die Leiterin der Spionagebehörde, Maria del Pilar Hurtado. Hurtado wurde nach ihrer Flucht aus Kolumbien nach Panama per Interpol auf Anordnung des Obersten Gerichts gesucht.
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