Mangel am intellektuellen Geist der Göttinger Sieben in Deutschland

goettingersieben Die Göttinger Sieben wären erschüttert über das heutige Scheitern der deutschen Denker und Forscher und ihr demütiges Verhalten gegenüber staatlichen Einrichtungen (Abb: Göttinger Sieben, Lithografie von Carl Rohde, 1837/38, Lizenz gemeinfrei).

Vor knapp einhundertachzig Jahren, in 1837, zeigten sieben Professoren an der Georg-August-Universität in Göttingen Mut mit ihrer Protestnote gegen die Aufhebung des gerade einmal vier Jahre bestehenden Staatsgrundgesetzes (1833 bis 1837) für das Königreich Hannover an den Landesherrn.

Fachübergreifend zusammengeschlossen wehrten sich die Männer gegen die Abschaffung der erkämpften Rechte für die Bürger und Bauern im Land ohne Rücksicht auf die drohenden Konsequenzen ihres Handelns, die auch prompten Fusses erfolgten.

Friedrich Dahlmann (Historiker), Jacob Grimm (Jurist und Germanist) und Georg Gottfried Gervinus (Literaturhistoriker) wurden vom Landesfürsten entlassen und des Landes verwiesen.

Wilhelm Eduard Albrecht (Staatsrechtler), Wilhelm Eduard Weber (Physiker), Wilhelm Grimm (Jurist und Germanist) und Heinrich Ewald (Orientalist) verloren ebenfalls ihren Lehrstuhl und mit ihm die finanzielle Sicherheit.

Für die Bevölkerung war es ein bitterer Schlag, und obwohl die meisten nicht mit der Universität bei ihrem täglichen Broterwerb verbunden waren, sammelten sie Spendengelder, um das ausgefallene Gehalt zum Teil zu ersetzen. Die Aussetzung der Verfassung brachte für viele die Nachteile zurück, die vorher bestanden.

Jacob Grimm wird mit den Worten zitiert:

„Die Geschichte zeigt uns edle und freie Männer, welche es wagten, vor dem Angesicht der Könige die volle Wahrheit zu sagen; das Befugtsein gehört denen, die den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie verderbt, nicht ihren Namen. Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein, unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen. Solche Beispiele lösen dem Untertanen seine Zunge, da wo die Not drängt, und trösten über jeden Ausgang.“

(in: „Über meine Entlassung“, Basel 1838,Karl Müllenhoff (Hg.): Kleinere Schriften, Band 1 (Berlin 1864), S. 25–56)

Letztendlich gab die Geschichte den verstossenen Professoren Recht. Die Universität und die Stadt errichteten voller Stolz Denkmäler zur Erinnerung an die fortschrittlichen Lehrstuhlinhaber. Mit ihrem couragierten Beispiel versiegte damals nicht die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft: wenn nicht jetzt, dann für künftige Generationen, die den Kampf weiter führen würden.

Bedrückend ist heute die Situation in Deutschland. Das Grundgesetz findet kaum noch öffentliche Verteidigung durch Intellektuelle. An den Universitäten müssen Professoren nicht um den Verlust ihres Lehrstuhls bangen, wenn sie sich für die Einhaltung der Verfassung einsetzen. Kein Rektor würde es wagen, dagegen zu protestieren. Er würde als Staatsfeind seine Reputation einbüssen. Auch der wissenschaftliche Mittelbau könnte nicht mit Disziplinarmassnahmen überzogen werden wenn persönliche Meinungen in der Öffentlichkeit geäussert werden.

Publikumswirksam sind vereinzelte Auftritte von einigen Kabarettisten, die diese Lücke in einer verarmten geistigen Landschaft ausfüllen. Diese werden sehr häufig in den sozialen Medien als etwas besonders Gewagtes, Einmaliges geteilt als wären sie das Einzige, was dieses Land an Kritikern der Rückständigkeit zu bieten hat.

In Deutschland findet ein intellektuelles Scheitern quer durch die akademische Landschaft statt. Dieses Land ist durch die Politik dermassen geistig korrumpiert und gelähmt, dass die Regierung die bisher unvorstellbarsten Massnahmen versucht durchzupeitschen: Auslandseinsätze der deutschen Armee, Einmischung in die Gesetzgebung anderer Staaten, verfassungswidrige Kontrollmassnahmen gegen die eigenen Bürger, Intranzparenz bei Abschlüssen ausländischer Verträge.

Deutschlands Intellektuelle – Wissenschaftler, Künstler, Journalisten – sind von der Oberfläche verschwunden und diskutieren ihre Befindlichkeit unter ihresgleichen, sehen und benennen durchaus die grundgesetzfeindlichen Bemühungen dieses Staatsapparates und wähnen sich dabei elitär mit ihrem Weinglas in der Hand. Etwas öffentlich zu unternehmen steht nicht zur Debatte, mit dem Austausch untereinander ist dem Ego Genüge getan, man ist sich einig. Nicht einmal sieben verlassen ihre Nische, artikulieren deutlich ihren Unmut und schliessen sich interdisziplinär im Sinne der Göttinger Sieben zusammen wo es mit den heutigen Kommunikationsmitteln siebentausend sein könnten, die gemeinsam ein kräftiges „So nicht!“ auslösen könnten.

Was für ein feiger, geistiger Niedergang der Intelligenz, der dazu führt, dass pseudointellektuelle Brandstifter unangefochten ihr vernichtendes Werk ausführen können, welches das Land in Zeiten vor 1945 und noch weiter zurück schleudert. Zum Teil ist es dort durch das passive Verhalten derjenigen angekommen, die es schon weit im Vorfeld hätten aufhalten können. Es ist ein langsames moralisches Absterben, eine gespenstische Friedhofsstille hat sich über die Kultur des Protestes ausgebreitet.