Eine Föderalisierung Syriens durch eine Verfassungsänderung, die die staatliche Integrität wahrt, aber eine Autonomie für die Kurden einschließt, liegt demnächst in Genf bei den Friedensverhandlungen auf dem Tisch. Wer den Sieg Syriens gegen die Invasion und das Überleben dieses Staates will, sollte unterschreiben.
Die russische Regierung bzw der Kreml haben kürzlich, wie immer Jahre zu spät, den einzigen richtigen Vorschlag zur Beendigung des Syrien-Krieges und dem Sieg gegen die Invasoren aus der N.A.T.O und der U.S.-Hegemonie gemacht. Und natürlich protestierte das U-Boot der Invasoren in Damaskus, Außenminister Walid al-Muallem, am lautesten dagegen. Die U.S.-Regierung äußerte sich ähnlich wie al Muallem zum Friedenskonzept, eher wutschnaubend in sich hinein murmelnd. Die ganze Situation ist geprägt von der übliche extremen Heuchelei, von allen Seiten außer – und das sind gute Nachrichten – seitens der Russischen Föderation.
Im Detail.
Die russische Regierung, die nicht generell, aber in diesem Falle 1:1 mit dem Präsidenten Wladimir Putin gleichzusetzen ist, hat im Februar 2016 die Erneuerung Syriens (Stichwort „Föderalisierung“) zu einem föderalen Bundesstaat durch eine Verfassungsänderung vorgeschlagen. Wer nicht weiß was das heißt, möge sich eine Sekunde mal vorstellen wie sich hier die Bayern in Berlin ohne ihren Blitzableiter und Ministerpräsidenten Horst Seehofer aufführen würden, welches Gehaue und Gesteche es um die Amtsprache Köllsch in Neuköllner Bezirksämtern gebe, oder wie viele Dolmetscher man im Bundestag für die Klärung jedes aberwitzigen Anliegens aus Sachsen einstellen müsste. Es braucht für jedes seltsame Völkchen so seinen Auslauf (ich höre jetzt die Franken laut protestieren und sagen, sie gehörten ja gar nicht zu den Bayern. Und so weiter.)
In Zeiten, wo praktisch jede kontrollierte, weil fremdgesteuerte und damit etablierte Zeitung nur Inhalte transportiert die unserer Einschätzung nach schlicht zum Erbrechen sind, muss selbst das Wort „Föderalisierung“ noch einmal grundlegend dargelegt werden. Es beschreibt die regionale, begrenzte Eigenständigkeit von Gebieten innerhalb eines Zentralstaates. Das ist auch der Hintergrund für die 2007 aus dem atlantischen Meeresboden aufgestiegenen „europäischen Föderalisten“. Sie wollen die lästigen souveränen europäischen Demokratien endlich abendländisch machen – also eliminieren – und die seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten anvisierte handliche Fernbedienung über eine halbe Milliarde Menschen in Form von „Vereinigten Staaten von Europa“ installieren (u.a. zur Implementierung der „Freihandelsabkommen“, als Umsetzung des zweitausend Jahre alten römischen „Lex Mercatoria“ und Zementierung des weltweiten Kapitalismus auch im 21. Jahrhundert).
Die Kurden wiederum, die auch in Syrien jahrhundertelang gelitten haben wie kaum ein anderes Volk auf der Erde (Kirchenvölker sind, wir verstehen das, nochmal eine andere Geschichte), wollen von Damaskus nicht mehr als Autonomie. Eine Teilung und damit Zerstörung Syriens – und das damit einhergehende Versinken der ganzen Region in einem noch schlimmeren Blutbad als bisher – lehnen sie klugerweise ab. Organisiert sind die syrischen Kurden vor allem in der „Partiya Yekitîya Demokrat“ („Partei der Demokratischen Union“), abgekürzt P.Y.D. Die Milizen der P.Y.D. sind die „Yekineyen Parastina Gel“, („Volksverteidigungseinheiten“), abgekürzt Y.P.G.
Die Y.P.G.-Einheiten der P.Y.D. haben einen beträchtlichen Teil im Norden Syriens (hier gelb markiert) unter ihre Kontrolle gebracht und werden in den etablierten Medien meistens als „die Kurden“ oder „kurdische Milizen“ bezeichnet.
Übrigens: Als einen Versuch irgendwie bei „den Kurden“ in Syrien einen Atlantiker-Saudi-Fuß hinein zu bekommen (und eine friedliche Lösung und Föderalisierung Syriens irgendwie zu sabotieren) sind die im Oktober 2015 geschaffenen „Demokratischen Kräfte Syriens“ (abgekürzt S.D.F., #SDF) zu begreifen. Diese Formierung kann als Antwort auf die russische Hilfe für die Syrer und das taktische Bündnis zwischen Russland und P.Y.D. / Y.P.G. ab Sommer 2015 gesehen werden.
Wer sich nun lautstark eine „Teilung“ Syriens verbittet (die Moskau und die P.Y.D. nie gefordert haben sondern im Gegenteil unbedingt voraussetzen) und auf genau die „Einheit“ Syriens pocht die gerade Russland erhalten will, ist wieder einmal unser alter Bekannter Walid al-Muallem. (14.10.2012, Wer kontrolliert das syrische Außenministerium?)
Den diesbezüglichen Grund Bashir Assad keinen Diktator zu nennen, habe ich bereits benannt.
Am 1. März erklärte nun der Sprecher des U.S.-Außenministeriums („State Department“) zutreffend, eine Föderalisierung sei keine Teilung. Drei Tage später wiederum sagte der gleiche Sprecher des gleichen kafkaesken State Department, man lehne ein „semi-autonomes Gebiet für die Kurden“ im Norden Syriens ab.
Dass spricht für sich. Was der U.S.-Präsident und sein Prätorianer John Brennan in Langley sagen, ist wertlos.
Die ethnische Teilung Syriens ist die alte Strategie der rechtsradikalen Regierung von Israel, der die U.S.-Regierung wie immer hinterher dackelt, die wiederum entsprechend der unterirdischen meeresboden-mäßigen „atlantischen“ Hackordnung den Bundesnachrichtendienst hinter sich herzieht.
Welchen Abgrund von Heuchelei die U.S.-Politik und die ihrer Alliierten – Tajjip Erdogan in der Türkei, die Monarchie Saudi-Arabien und nicht zuletzt die Bundesregierung mit ihrem Ewigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier – repräsentiert, mag man daran ermessen, dass zur gleichen Zeit im Irak die tatsächlich separatistische Regionalregierung der bereits autonomen irakischen Region Kurdistan unter Masud Barzani gestützt wird, u.a. mit deutschen Waffen und Bundeswehr (Chronologie mit über 300 Tweets ab Juni 2014, ökonomischer Hintergrund hier beschrieben). Barzani wiederum steckt mit Erdogan unter einer Decke und spielt gegen die syrischen Kurden bzw die P.Y.D. / Y.P.G.
Noch ein paar Worte zur Russischen Föderation.
In der Ukraine hatte die Föderation bekanntlich zunächst dem Putsch in Kiew im Februar 2014 tatenlos zugesehen, dann die Krim geschluckt, dann die föderalistischen und demokratischen Proteste in der Ost-Ukraine durch gesponsorte Separatisten abgewürgt, auf eine weitere Sezession gewettet, Sanktionen und weltweite politische Beschädigung Russlands in Kauf genommen und ausgerechnet dem Nordatlantikpakt, der den Putsch in Kiew mit seinen faschistischen Fußtruppen organisierte, die Rolle des Beschützers armer bedrängter (ost)europäischer Demokratien zugespielt. Anschließend wartete Moskau Zehntausende Tote ab, bevor es endlich aus der „Neurussland“-Falle wieder herausfand und ein halbes Jahr nach dem Putsch endlich der Föderalisierung der Ukraine zustimmte und zuarbeitete. Es dauerte ein weiteres Jahr bis dann endlich, unter weiteren ungezählten sinnlosen Opfern, in der Rada die Verfassungsänderung erfolgte, bei Wahrung der Souveränität und staatlichen Integrität der Ukraine.
Es war auch in der Ukraine von Anfang an völlig klar, was das einzig Richtige war, auch im Sinne der Föderation Russland. Genau das aber taten Regierung und Kreml viel zu lange nicht.
Wenn es die Föderation jetzt in Syrien tut, Hunderttausende Tote später, ist das kein Grund Moskau auf die Schulter zu klopfen, sondern im Gegenteil über diese zu schauen. Und zwar mit dem journalistischen Fleischklopfer in der Hand.
Den völlig überforderten Leserinnen und Lesern in Deutschland aber, die sich meiner Meinung nach in über vierzehn Jahren weltweitem Terrorkrieg als zu dumm zum Denken, zum Lesen und erst recht zu dumm für Politik bewiesen haben, rate ich, den Kopf zu trainieren.
Denn „Dummheit“ oder „Klugheit“ gibt es nicht. Es gibt nur trainiert oder nicht.
Für das gequälte und geschundene Volk Syriens, gleich welcher Herkunft oder Sprache, hoffe ich, nein, bin ich zuversichtlich, dass die Trainierten, die auch guten Herzens sind, endlich die Überhand bekommen.
(…)
Artikel zum Thema:
12.10.2012 Wie die Spannungen zwischen der Türkei, Syrien und Russland in 48 Stunden verschwinden
Hillary Clinton und General David Petraeus versuchen also derzeit die zusammengebrochene Syrien-Invasion und ihre alten strategischen Pläne zu retten – um jeden Preis. Ein Krieg zwischen der Türkei und Syrien, die sich in den letzten Jahren auf allen Ebenen angenähert haben und neben kulturellen, politischen und wirtschaftlichen auch viele geostrategische Interessen teilen, würde diesen alten Plänen in die Hände spielen, die sowohl mit der Desintegration der Republik Türkei, also auch der Desintegration Syriens rechnen und u.a. mit der Entstehung eines weiteren, faktisch unabhängigen Kurden-Staates wie der seit 1991 existierenden „Autonomen Region Kurdistan“ im Irak kalkulieren bzw mit dessen Verschmelzung zu einem „Gesamt“-Kurdistan. Die Folgen für die Region wären unabsehbar.
Artikel zuletzt aktualisiert um 20.18 Uhr