Bei den Friedensverhandlungen in Genf ist statt einer Teilung und Zerschlagung eine demokratische Erneuerung und Föderalisierung Syriens plötzlich zentrales Thema.
Wie wir gestern berichteten, liegt bei den in Genf am Montag beginnenden Friedensverhandlungen das Konzept einer Föderalisierung Syriens zu einer Bundesrepublik (z.B. wie Deutschland) auf dem Tisch. Dies würde die staatliche Integrität selbstverständlich wahren und gleichzeitig eine Autonomie bzw ein Mitbestimmungsrecht der einzelnen Teilregionen über entsprechende Organe (in Deutschland der Bundesrat) umfassen, z.B. für die kurdischen Syrer. Das Konzept wurde Ende Februar vom russischen Vize-Außenminister Sergey Ryabkov vorgebracht. Ich fand schon vorher, dass das eine gute Idee sein würde. Hinterher fanden das natürlich auch die „Führer der Freien Welt“ und versuchten gleichzeitig diese gute Idee wieder einzufangen.
Am 10. März ging „Reuters“ in die Offensive und ließ die übliche anonyme Quelle von „Diplomat“ aus dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu Wort kommen. Diese anonyme Quelle bzw „Reuters“ besagte also, dass
„einige westliche Großmächte, nicht nur Russland, ebenfalls die Möglichkeit einer föderalen Struktur für Syrien in Erwägung gezogen und diese Idee an (U.N.-Unterhändler) de Mistura weitergeleitet haben“.
Also erstmal: wenn „Reuters“ wieder mal Megafon für U.S.-U.N.-Botschafterin Samantha Power spielt, der ich bereits geraten habe sich vom Wasser fernzuhalten, sollte diese Nachrichtenagentur das wenigstens weniger auffällig bewerkstelligen. Zweitens: eine „föderale Teilung“, wie „Reuters“ es in der Überschrift formuliert, gibt es nicht. Es sei denn, man würde von einer föderalen Teilung der geistigen und politischen Fähigkeiten der U.S.-Administration ausgehen, was immerhin mal ein These wäre.
Entweder ein Staat ist föderal, oder er ist geteilt. Und wie wir bereits erwähnten, ist der Plan der „ethnischen Teilung“ – und das heisst Teilung und Zerschlagung – von Syrien uralt und wird u.a. von der rechtsradikalen Regierung Israels heftigst verfolgt und in letzter Zeit in Washington unter lauten Klagelauten eingefordert.
Das diesbezügliche Argument des Netanjahu-Regiments ist der übliche Versuch den eigenen Weltrekord im Zynismus-Hochsprung nochmal zu toppen und die Latte noch etwas höher zu legen: da Syrien wegen des Krieges als Staat „desintegriere“, also zerfalle, brauche man auch die seit 1967 besetzten Golanhöhen nie zurückzugeben. Es gäbe ja keinen Staat mehr, an den man sie zurückgeben könne.
Natürlich dackelte die U.S.-Regierung ihren kleinen Brüdern wieder einmal hinterher und sprach von einer ethnischen Teilung Syriens als „Plan B“. Dass sogar U.N.-Generalsekretär Ban Ki Moon in seinem Bericht an den U.N.-Sicherheitsrat vom 1. Dezember 2014 von einem „Interagieren“ („interacting“) des isralischen Militärs und der terroristischen Al Nusra-Front auf den Golanhöhen sprach, verschweigen natürlich nicht nur die etablierten Medien, sondern auch gewisse „Diplomaten“ der Russischen Föderation weiter konsequent.
Die Nachrichtenagentur Radio Utopie hatte die entsprechenden Meldungen bereits mehrfach verbreitet, zuletzt am 12. Februar 2016.
Womit wir zu einem anderen Vize-Außenminister der Russischen Föderation kommen, Mikhail Bogdanov (Michail Bogdanow).
Im Dezember 2012 konstatierte dieser Mann, man müsse den Fakten ins Gesicht sehen. Ein Sieg der „Opposition“ in Syrien könne nicht mehr ausgeschlossen werden. Chemiewaffen des syrischen Regimes könnten in die Hände der „Opposition“ fallen. Es könnten es Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschen sterben, so Bogdanov.
Mal abgesehen davon, dass dies alles damals für den ehrenwerten Vize-Außenminister Russland nicht etwa Argument dafür war, das Eingreifen Russlands in diesem blutigen „Bürgerkrieg“, bzw vielmehr dieser dem Libyen-Krieg nachfolgenden Invasion Syriens, zweieinhalb Jahre vorzuziehen und Hunderttausenden Menschen dadurch das Leben zu retten, so erschien uns das bei Radio Utopie Ende 2012 als
„ein weiteres, unleugbares Anzeichen dafür, dass die derzeitige Regierung in Moskau, wenn nicht sogar Russlands Präsident Wladimir Putin, bei der laufenden Invasion und Zerschlagung Syriens durch Proxy-Armeen einfallender Militärmächte – namentlich der Türkei, Frankreich, U.S.A., Großbritannien, sowie diverser asiatischer Kirchenstaaten und Monarchien – aktiv oder passiv kollaboriert.“
Als Gründer und ein Autor von Radio Utopie schrieb ich damals:
„Die naheliegendste Erklärung lautet: Wladimir Putin hat Syrien für die South Stream Pipeline verkauft. Am 3. Dezember war Putin in Ankara und schloss insg. elf Handelsabkommen ab, am 7. fing Gazprom an zu bauen. Die Pipeline soll durch türkisches Hoheitsgebiet verlaufen.
Sollten sich diese Hinweise und diese Sicht der Dinge entsprechend verdichten, wird Russland mehr verlieren als man jemals mit Geld kaufen könnte.“
Sieht man sich nun an, wie sich dieser saubere Geschäftspartner Tayyip Erdogan gegenüber Russlands Interessen im Weiteren verhielt, so können wir durchaus behaupten, zumindestens was Erdogan anging, mit unserer Einschätzung nicht unbedingt daneben gelegen zu haben. Die Southstream-Pipeline ist übrigens mittlerweile in Betrieb und Gazprom hat die Gaslieferungen in die Türkei kräftig erhöht. Neben allem Theaterdonner und Aufgepluster auf der militärischen Ebene regieren zwischen Russland und der Türkei also nackte Geschäftsinteressen. Seit sechzehn Jahren im Aufsichtsrat von Gazprom und dessen langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender ist übrigens der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew.
Gestern erschien nun unser Artikel zum in Genf vorliegenden Konzept einer Föderalisierung von Syrien zu einer Bundesrepublik, durch entsprechende Verfassungsänderung seitens des syrischen Volkes selbst (z.B. durch genau die Verfassungsgebene Versammlung, um die die Ägypter mit dem bekannten Resultat betrogen wurden).
Danach geschah folgendes:
Noch am Abend schrieb „RT“:
„Während Medien-Gerüchte behaupten, dass Moskau ein Post-Krisen-Syrien als föderalisierten Staat sieht, dementiert Russland solch eine Meinung. (…)
Der Kreml antwortete dadurch, dass er sagte, dass keine solchen Gespräche auf dem Tisch lägen – eine Botschaft, die am Samstag unterstrichen wurde durch Russlands Außenministerium:
`Das ist totaler Unsinn. Wir äußern keine solchen Ideen; diese müssen von den Syrern selbst kommen – es liegt an ihnen über solche Dinge zu diskutieren und sich zu einigen`, sagte Vizeaußenminister Mikhail Bogdanov, laut TASS.“
„RT“ meldet also, ohne weitere Angaben, der Kreml habe verlautbart, es lägen „keine solchen Gespräche“ bezüglich einer Föderalisierung Syriens auf dem Tisch und verweist im Folgenden auf den russischen Vize-Außenminister Mikhail Bogdanov. Das steht mindestens im Widerspruch zu den Vorschlägen von Vize-Außenminister Sergey Ryabkov.
Zudem „diskutieren“ in Genf nicht die Syrier. Es verhandelt die syrische Regierung und ihre Schutzmacht Russland mit den Invasionsmächten, allen voran Saudi-Arabien, mit deren im Oktober 2015 in Saudi-Arabien gegründeten „Opposition“. Das zudem ausgerechnet die alles entscheidende kurdische P.Y.D. durch U.N.-Vermittler Staffan de Mistura schon wieder nicht eingeladen wurde, darüber – wie immer – kein einziges Wort von Bogdanov bzw lauwarme Worte von dessen Vorgesetzten, Außenminister Sergej Lawrow.
Zur entscheidenen Frage im Syrien-Krieg bemühte sich seit gestern auch „Ria Novosti“ bzw „Sputnik“. indem es schnellstens ein Interview mit Stephen Lendman an Land zog, um dann zu titeln:
„Russland, Syrien ´absolut dagegen` in Damaskus Bundesregierung einzuführen“
Also Stephen Lendman mag ja ein netter Mensch sein. Aber dass dieser nun für Russland und Syrien sprechen soll, erschließt sich mir nicht.
Fakt ist: ein demokratisches, föderales und damit stabiles Syrien, was auch den Kurden kulturell endlich Luft zum Atmen lässt, ist der Albtraum der israelischen, u.a.-amerikanischen und nicht zuletzt paneuropäischen Kriegsstrategen, die Syrien nichts als zerschlagen wollen, um endlich dem angestrebten Endziel einer Kontrollgewinnung über die Staaten im 2008 aus dem Hut gezogenen trikontinentalen Blocks der „Mittelmeerunion“ näher zu kommen. Unausweichlich beinhaltet diese imperiale Strategie aber nach der Zerschlagung Syriens den weiteren Export des Blutbades in den ebenfalls noch nicht kontrollierten Libanon, sowie in die aufständische israelische Kolonie des Gazastreifens von Palästina.
Nur eine demokratische, säkulare, föderale Bundesrepublik Syrien, in dem die Bevölkerung durch Wahlen das eigene Schicksal bestimmt, setzt diesem Kreislauf der Gewalt und damit der Dynamik des vierzehnjährigen Terrorkrieges ein Ende, zumindest in dieser Region, Vorderasien.
Die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung, eine Verfassungsänderung, eine Föderalisierung Syriens zur Bundesrepublik schließt einen militärischen Sieg gegen die Invasion keineswegs aus, im Gegenteil. Genau darauf habe ich, wirklich als einer der Wenigen, seit Jahren gesetzt. (20.09.2013, Meine Option: Syriens Sieg gegen die Invasoren).
Doch kann dieser militärische Sieg nur erfolgreich sein, wenn er in Ausgleich und Einigung mit der P.Y.D. und ihren Y.P.G.-Volksverteidigungseinheiten vonstatten geht.
Es liegt nun nicht nur an der Russischen Föderation, sondern auch an den entscheidenen Kräften in Syrien, allen voran Bashir Assad, das U.S.-Paradoxon des „war on terror“, eines ungewinnbaren, endlosen Krieges gegen den Krieg, eben nicht zu spiegeln, sondern damit zu brechen.