„Angela Merkel kann den kriminell agierenden Autobauern Vollzug melden“
Die Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), bei der heutigen 320. Stuttgarter Montagsdemo der Demokratiebewegung gegen das urbane und regionale Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21)
Liebe Mitstreiter für eine umwelt- und menschenverträgliche Verkehrspolitik, im April 2010 fand in Kalifornien ein Frühstück statt, an dem Angela Merkel, Arnold Schwarzenegger und Mary Nichols, Direktorin der kalifornischen Luftreinhaltebehörde CARB teilnahmen. Thema waren
Klimawandel und Erneuerbare Energien. Nachdem die Türen geschlossen wurden und die Fotografen den Raum verlassen hatten, sprach Frau Merkel das Thema Autos an und klagte, „ehrgeizige kalifornische Grenzwerte für Stickoxide“ würden deutschen Autokonzernen schaden und forderte deren
Absenkung.
Dieses Beispiel zeigt das Durchregieren einer kriminellen Automobilbranche und die erfolgreiche Fernsteuerung der Bundesregierung. Frau Merkel ist Physikerin, war einmal Umweltministerin und weiß was sie tut. Im Februar 2016, fünf Monate nach Bekanntwerden des Volkswagen-Skandals, drückte sie auf Wunsch oder besser Anweisung der mit Arbeitsplatzverlusten drohenden Autobauer in Brüssel erfolgreich eine Aufweichung der Stickoxid-Grenzwerte bis September 2019 durch.
An keinem Ort in Deutschland können Sie die Folgen dieser zynischen Politik drastischer erleben als am Stuttgarter Hauptbahnhof, direkt neben der Großbaustelle Stuttgart 21. Stuttgart trägt seit Jahren den
Titel der „dreckigsten Stadt Deutschlands“, was die Luftschadstoffe angeht. Die NO2-Messwerte am Neckartor sind von 2011 bis 2015 praktisch gleich geblieben, überschreiten die Grenzwerte für Pflanzen um das Drei-, die absurderweise niedrigeren Grenzwerte für den Menschen um mehr als das Zweifache. Warum bleibt der Giftgehalt gleich, wenn sich doch der Autobestand stark erneuert hat? Neue Diesel-Pkws haben doch über 80 Prozent weniger Schadstoffe? Bosch-Vorstand Denner behauptet frech und falsch, die Dieselabgase seien sogar sauberer als die eingesaugte Stadtluft.
Die Antwort ist so einfach wie brutal: Die Fahrzeuge sind nicht sauberer, sondern – bei den NO2-Emissionen – schmutziger geworden. Ein moderner Euro 6 Diesel-Pkw emittiert mehr Stickoxide als ein alter Euro 4 Diesel. Die Autokonzerne vergiften die Menschen in den Ballungsräumen mit Diesel-Pkw, die auf der Straße bis zu 30-mal dreckiger sind als erlaubt. In der Folge sterben nach einer Untersuchung der EU-Kommission alleine in Deutschland jedes Jahr 10.400 Menschen vorzeitig an den Folgen des Dieselabgasgiftes NO2, dreimal mehr als an Verkehrunfällen.
Warum aber hat Stuttgart eine derart verpestete Luft? Nirgendwo in Deutschland ist der Anteil neuer, vermeintlich sauberer Fahrzeuge höher. Daimler wirbt dreist mit dem Slogan „Das Beste oder Nichts“ für Diesel-Pkws, die im Labor phantastische Messwerte zeigen, auf der Straße aber zu den schmutzigsten Diesel-Pkw aller deutscher Hersteller mutieren.
Die DUH hat am 2. Februar enthüllt, dass die modernste Mercedes C-Klasse mit dem in vielen weiteren Modellen verbauten 220 CDI BlueTec Motor unter plus 10 Grad seine Abgasreinigung weitgehend abschaltet. Jetzt wissen wir endlich, wie zwischen Herbst und Frühjahr die besonders hohen Überschreitungen der Luftschadstoffwerte zustande kommen.
Mit vollem Wissen des offensichtlich nur an Profitmaximierung interessierten Konzernlenkers Zetsche war beispielsweise im kalten Februar 2015 zu 100% der Stunden die Abschalteinrichtung aktiviert. Die Mercedes-Pkw taten ihr Bestes, um die Stickstoffdioxidwerte am Neckartor auf Jahreshöchstwerte zu treiben.
Angela Merkel kann den kriminell agierenden Autobauern – anders als in Kalifornien – in Deutschland, Europa, Baden-Württemberg und speziell Stuttgart Vollzug melden. Die gesetzlichen Grenzwerte sind bei uns um den Faktor 4 aufgeweichter als im Sonnenstaat der USA. Das Hauptproblem aber ist die fehlende Kontrolle der Einhaltung dieser Grenzwerte durch die zuständigen Behörden. Die DUH hat bereits 2007 in allen Details die Manipulationen bei den Abgas- und CO2-Tests veröffentlicht, Messungen an Daimler, VW und BMW-Fahrzeugen ab 2010 veröffentlicht und am 11. Februar 2011 dem Bundesverkehrsministerium detailliert den Betrug von VW beim 189er-Dieselmotor anhand von Whistleblower-Messungen vorgestellt. Doch anders als in den USA wurden die Behörden nicht aktiv.
Mit Bekanntwerden des VW-Skandals im September letzten Jahres sollte der Skandal auf VW begrenzt werden. Zwei Tage vor der ersten Meldung aus den USA über den Betrug von VW hat die DUH ihre Kampagne „Diesel-Abgase töten“ gestartet. Wir haben damals bereits veröffentlicht, um welchen Faktor die deutschen und europäischen Autobauer bei NOx die Grenzwerte überschreiten. Nachdem sich die Regierung ahnungslos zeigte und absehbar war, dass die Untersuchungen ergebnislos verlaufen sollen, hat die DUH im Oktober 2015 eigene Untersuchungen nach Abschalteinrichtungen gestartet.
Dass wir hierfür keinerlei staatliche Hilfe bekommen, damit haben wir gerechnet. Nicht gerechnet haben wir mit dem Grad an Behinderungen. Die DUH ist nach wie vor die europaweit einzige Institution, die auf
Abschalteinrichtungen untersucht und gefundene Ergebnisse unzensiert veröffentlicht und die Firmen nennt. In Deutschland und angrenzenden EU-Staaten stand uns bis jetzt kein Prüflabor zur Verfügung, wir mussten auf die Schweiz ausweichen.
Seit September 2015 stehen wir unter massivstem Druck bis hin zur schriftlichen Androhung der Vernichtung der DUH bei gleichzeitiger Androhung juristischer Schritte, sollten wir diesen Drohbrief
veröffentlichen. Die DUH hat dieses Schreiben wie auch alle anderen Androhungen seitens BMW und Opel veröffentlicht. Seit Mitte Januar drohte mir sogar eine sechsmonatige Haftstrafe, wenn ich auch nur aus dem Drohschreiben von Daimler zitieren würde. Vor drei Wochen hat das Landgericht Berlin die Klage von Daimler-Anwalt Schertz zurückgewiesen, der Drohbrief ist wieder zum Download eingestellt, so dass jeder lesen kann, wie Daimler die Ermittlungen zu behindern versucht. Zwei Tage später erreichte uns die Hauptsachenklage des Daimler-Anwalts, das Verfahren geht weiter.
Aber auch die Bundesregierung behindert uns aktiv. Minister Dobrindt verweigert seit September 2015 jede Bitte um eine offizielle Besprechung, hat sich dafür aber in der Zwischenzeit 55 mal mit den Autobauern getroffen. Für die Messungen notwendige technische Werte für die Rollenprüfstände werden uns zeitnah verweigert.
Der vor zehn Tagen veröffentliche Bericht zu den staatlichen Messungen zeigt das Ausmaß des Abgasskandals und die Fortsetzung der Politik für die Autokonzerne und gegen den Gesundheitsschutz. Die Bundesregierung hat die Argumentation akzeptiert, dass die Abgasreinigung zum „Schutz des Motors“ dauerhaft abgeschaltet werden darf. Und dies, obwohl die EU-Vorschriften 715/2007 und 692/2008 dies exakt und ausdrücklich verbieten, Rechtsgutachten der DUH und zuletzt des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags dies als eindeutig „illegale Abschalteinrichtung“ bewerten.
Ausgerechnet US Behörden gehen dem Skandal nach. Am 8.2.2016 führte ich ein Gespräch mit dem Washingtoner EPA Direktor Christopher Grundler in der amerikanischen Botschaft in Berlin, bei dem ich ihm unsere Prüfprotokolle und Bewertungen u. a. zur Mercedes C-Klasse aushändigte. Zehn Wochen später, nach EPA-Messungen und zweimaliger Anhörung von Daimler in den USA, die wie immer die festgestellten Werte nicht erklären konnten, übergab die EPA den Fall dem Justizministerium und marschierte in die Entwicklungsabteilungen und Vorstandsbüros ein, um seitdem mit einem großen Team an Experten Dokumente und Emailverkehr sicherzustellen. Bei festgestellten Verstößen sind die USA konsequent: Wird bei Straßentests festgestellt, dass bei tiefen Temperaturen die Abgasreinigung funktional gedrosselt wird, entfällt automatisch die Straßenzulassung. In Deutschland erklärt hingegen Minister Dobrindt, dass die Abschaltung legal ist und genau vier Tage später erhält die Autoindustrie als Belohnung 600 Mio. € Steuergelder.
Angesichts der dramatischen Situation bei der Luftbelastung fordern wir von den Autobauern:
– Alle neu verkauften Diesel-Pkw müssen ab sofort die geltenden Grenzwerte ohne Verschlechterungsfaktor auf der Strasse einhalten
– Alle ausgelieferten Euro 5 und Euro 6 Diesel Pkw müssen im Rahmen eines amtlich angeordneten Rückrufs mit einer funktionierenden Abgasanlage nachgerüstet werden. Und zwar auf Kosten von Daimler, VW, BMW & Co. Wenn dies technisch nicht möglich ist, muss das Kraftfahrtbundesamt die Zulassung zurückziehen, die Fahrzeuge stillgelegt werden. Die Kosten betragen ca 1.000 Euro pro Pkw.
– Daimler muss alle ausgelieferten Evobusse mit einer funktionierenden Stickoxid-Abgasbehandlung nachrüsten. Es ist ein Skandal, dass diese Busse nicht im realen Einsatz korrekt die Abgase reinigen und
ausgerechnet als unverzichtbarer Bestandteil des ÖPNV zur Luftbelastung beitragen.
Da die deutschen Behörden nicht nach Art und Aufbau der Abschalteinrichtungen untersuchen, bitte ich Whistleblower aus dem Daimler-Umfeld, uns zu helfen. Wer schafft beim oder für den Daimler und
kann uns Details zu den programmierten Abschalteinrichtungen mitteilen? Wir brauchen jetzt jede Hilfe – auch finanziell – um die Arbeit der Behörden zu tun und auf dem Gerichtsweg über im Detail nachgewiesene Funktionsweisen der Abschalteinrichtungen diese Fahrzeuge von unseren Straßen zu verbannen.
In diesem Sinne schließe ich mit dem Gruß und der Bitte an Sie alle: Oben bleiben!