Soziokultur brauchen wir nicht mehr in Jena, nimmt nur Platz weg!
Still und leise kommt die Gentrifizierung auch in der soziokulturellen Szene Jenas an
Arme raus – Reiche rein! Bekennendes Ziel der Jenaer Stadtpolitik. Getragen durch alle drei führenden Stadtratsfraktionen SPD, CDU und die Grünen. Durch einen Umzug der soziokulturellen Szene am 22. Juni 2016 in Jena soll mal wieder auf das Dilemma aufmerksam gemacht werden. Der Aufruf kommt aber eher saft- und kraftlos daher. Es sind die üblichen Forderungen, wie jedes Jahr.
Kämpferisch heißt es im Aufruf: „Wir machen uns Sorgen – Wohin mit uns? Wir veranstalten einen Umzug, um die Vielfalt und Lebendigkeit einer jungen und bunten Stadt Jena im öffentlichen Raum zu zeigen. Die immer wiederkehrende Frage nach dem ‚Recht auf Stadt‘ ist spätestens seit der großen Debatte um die Eichplatzbebauung der letzten Jahre in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Erschwinglicher Raum für Kultur und Leben sind dabei Grundvorraussetzung für einen Wandel zu Weltoffenheit und Freiheit.“
Etwas verwunderlich scheint der Aufruf schon. Immerhin kann man in Jena doch davon ausgehen, dass alles in die richtige Richtung läuft! Scheinbar wohl doch nicht, oder etwa doch? Ich bin verwirrt! Hat der Jenaer Stadtrat nicht letztens erst sein neues cooles Projekt, den Umbau des Volkshauses in epischer Breite diskutiert und tragende Elemente beschlossen? Aber stimmt, so richtig war da nicht von Soziokultur die Rede. Eher von millionenfachen Ausgaben für eine neue Bibliothek, dem Umbau des Volkshauses in ein Kongresszentrum oder eben auch den Anbau für neue Proberäume für die Jenaer Philharmonie. Na, klingelt’s liebe Leute? Ihr seit da nicht vorgesehen, kein Platz…weg,weg,weg aus Jena. Lasst uns bloß mit Euren soziokulturellen Träumen in Ruhe. Sowas brauchen wir hier nicht mehr!
Schauen wir beispielsweise einmal in der letzte Wahlprogramm der Jenaer Grünen, dort heißt es:
„Die freie Szene als Schwerpunkt grüner kommunaler Kulturpolitik“. Oha, man höre auf. Lesen wir mal weiter: „Ein grundlegender Baustein grüner Kulturpolitik ist es, für die freie, kreative, soziokulturelle Szene unserer Stadt Freiräume und Spielräume zu organisieren… Bands sind auf der Suche nach Proberäumen, Künstlerinnen auf der Suche nach Ateliers und Ausstellungsmöglichkeiten, Theatergruppen auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten, junge Menschen auf der Suche nach Platz für ihre Vorstellungen und Experimente von Leben, Politik und Kultur jenseits der bisherigen Vorgaben und des Konsums. Auch wenn dies durch die Gegebenheiten Jenas erschwert wird, werden wir nicht nachlassen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen… Wir setzen uns für eine bessere Kooperation von freier Szene und JenaKultur ein. Wir unterstützen ausdrücklich gemeinsame Produktionen, Abstimmungen in der Programmgestaltung, gemeinsames, für die Vereine kostenloses bzw. kostengünstiges Marketing und gute Arrangements in der Raumfrage… Kunst und Künstler_innen besser fördern Neben der erwähnten Raumfrage setzen wir uns ein, verstärkt im öffentlichen Leben Platz für stationäre oder zeitweilige Kunst, wie die bekannten, wiederzubelebenden „Gartenstücke“, zu schaffen. Dafür möchten wir städtische Grundstücke öffnen, wie auch für die Idee aus dem Kulturkonzept werben – der freiwilligen Verpflichtung, bei Neubauten im Innenstadtgebiet 3% des Investitionsvolumens für eine begleitende künstlerische Gestaltung bereitzustellen.“
Der Abschnitt ist wirklich noch länger, man mag es kaum glauben, muss sich aber fragen, welche Grünen haben das geschrieben? Schaut man sich die Debatte zum Volkshaus und generell zu Jenakultur an, dann reibt man sich verwundert die Augen. Gibt es hier unterschiedliche Wahrnehmungsmuster? Gab es nicht einmal die Idee, gerade auch das Volkshaus eben auch dem Volke zur Verfügung zu stellen? Bezahlbar ist es sowieso schon lange nicht mehr für die kleinen Initiativen, war es eigentlich noch nie und wird es definitiv auch nie wieder sein.
Aber sollte die soziokulturelle Szene nicht endlich mal etwas genauer hinschauen, wie sie in Jena verarscht wird. Und das auch noch von ihren größten Befürwortern! Von den anderen regierenden Parteien würde man sowas ja schon gar nicht mehr erwarten, hier ist die Marschrichtung ganz klar in Richtung Ausverkauf der Stadt. Aber bei den Grünen hätte man das doch nicht erwartet. Oder sind auch die Grünen längst in ihrem elitären Mainstream angekommen? Vielleicht sollte man einfach mal wieder sein Profil schärfen und auch endlich als soziokulturelle Szene in den Kampfmodus schalten, denn irgendwann gibt es nicht mehr, um das es sich lohnt zu kämpfen, denn dann ist alles in der Konzernstadt verkauft!
Vielleicht doch zum Abschluss noch einmal eine kurze Definition, wie die Wikipedia Soziokultur beschreibt: „Unter Soziokultur versteht man die Summe aus allen kulturellen, sozialen und politischen Interessen und Bedürfnissen einer Gesellschaft beziehungsweise einer gesellschaftlichen Gruppe. Die Wortverbindung soziokulturell bezeichnet den engen Zusammenhang zwischen sozialen und kulturellen Aspekten gesellschaftlicher Gruppen und ihren Wertesystemen.“
Demnach haben vielleicht einfach die Jenaer Grünen ihr Wertesystem geändert. Aber dann hätten sie das ruhig mal sagen können. Einige glauben nämlich noch immer, was die Jenaer Grünen ihnen zur letzten Kommunalwahl versprochen haben.
Erstveröffentlichung auf Jenapolis am 18. Juni 2016