Schweinebucht am Bosporos
Das U.S.-Imperium, mitsamt seinen Ablegern „Europäische Union“ und N.A.T.O. und deren „atlantischen“ oder „pro-europäischen“ Lobbyisten und Höflingen, hat mit seinem gescheiterten Militärputsch in der Türkei einen epischen Schiffbruch erlitten. Die geostrategische Lage auf dem Planeten hat sich entscheidend verändert.
Nun versucht die Führung der seit fünfzehn Jahren im als „weltweiten Krieg gegen den Terror“ getarnten Eroberungsfeldzug befindlichen Vereinigten Staaten von Amerika die Lage irgendwie wieder in den Griff zu bekommen und gleichzeitig ihre vom gepflegten Schwachsinn befallenen Kunden in der Hegemonie über die tatsächlichen Vorgänge in Unkenntnis zu lassen.
Ein fast amüsantes Unterfangen, vom Standpunkt des Betrachters aus.
Am morgigen 31. Juli eilt U.S.-Generalstabschef Joseph Dunford in die Türkei. Seine Mission: retten, was zu retten ist.
Dunford muss und wird einige Geschenke mitbringen müssen. Die übliche psychologische Kriegführung – Drohungen, Einflüsterungen, Attentate, Gerüchte, Manipulation der Öffentlichen Meinung, etc – wird nicht reichen.
Nicht in der Türkei. Nicht mehr.
Am gestrigen 29. Juli kommentieren sowohl der Leiter des Zentralkommandos (C.E.N.T.C.O.M.), Joseph Votel, als auch der Leiter des zentralen U.S.-Geheimdienstebüros (Director of National Intelligence), James Clapper, beim jährlichen Familientreffen der Terrorkriegs-Lobby im Aspen Institute (Aspen Security Forum) die Verhaftungen und Entlassungen hunderter hochrangiger Militärs in der Türkei öffentlich (1, 2).
Geheimdienstleiter Clapper konstatiert, dass „alle Bereiche des Nationalen Sicherheits-Apparates“ betroffen und „viele „Gesprächspartner abgeführt oder verhaftet“ seien:
„Keine Frage, dass dies unsere Kooperation mit den Türken zurückwerfen wird.“
In Deutschland titelt die „Bild“:
„US-Geheimdienst besorgt: Erdogans „Säuberungen“ helfen ISIS“
Zentralkommando-Leiter Votel wiederum äußert sich beim Aspen-Treffen „besorgt über die langfristigen Auswirkungen“ der Verhaftungen. Zugleich konstatiert er, dass einige der verhafteten türkischen Offiziere eng mit den U.S.-Stellen zusammengearbeitet hätten, beim vermeintlichen Krieg gegen die Milizen „Islamischer Staat“ / „I.S.I.S.“ / „I.S.I.L.“, etc, in Syrien und Irak und dass dieser Krieg dadurch gefährdet sei. Votel wörtlich:
„Wir hatten sicherlich Beziehungen mit vielen türkischen Führern – militärischen Führern im Besonderen. Ich bin besorgt darüber, was die Auswirkung auf diese Beziehungen ist, während wir fortfahren.“
Votel, steil aufgestiegen vom Leiter des Kommdos für Sonderoperationen (S.O.C.O.M.) zum Leiter des Zentralkommandos, hatte sich im Mai unter Begleitung von diverser U.S.-Presse zu einem Besuch in den eroberten Teil Syriens begeben – wir fragten diesbezüglich, ob zu „geheimer Vorbereitung für einen bevorstehenden Coup“.
Wohlgemerkt: die nun von Votel gestern im Aspen Think Tank vorgetragenen „Besorgnisse“ hat die U.S.-Militär- und Kriegslobby schon in der Nacht zum 16. Juli, als sich das Scheitern des Putsches abzeichnet. Die „Washington Post“ ändert ihre diesbezügliche Schlagzeile (vorher / nachher).
Gerade auf Votels nun fast zwei Wochen später gezielt gestartete Provokation antwortet Tayyip Erdogan, der in der Nacht des Putsches gerade noch dem Schicksal von Ägyptens demokratisch gewählten Präsident Mohammed Mursi entging, in bislang ungekannter Deutlichkeit: Zentralkommando-Leiter Votel stelle sich damit auf die Seite der Putschisten. Wer dieser General Votel überhaupt sei, was er sich einbilde.
Nicht nur für N.A.T.O.-Verhältnisse ein Präzedenzfall.
Der nach dem kleinen Gewitter nun für morgen angesetzte Besuch von U.S.-Generalstabsleiter Dunford in der Türkei kann nun als Versuch der Schlichtung und großen Versöhnung verkauft werden (das Pentagon ruderte heute schon entsprechend zurück: die Äußerungen Votels seien „mißverstanden“ worden).
Dass die Betreiber des Militärputsches, namentlich die gesamte Lobby von U.S.-Regierung, E.U., N.A.T.O, C.I.A., etc, es tatsächlich fertigbrachten explizit in der deutschen Öffentlichkeit, allen voran in der dümmsten Linken der Welt, die eigene desaströse Niederlage als einen inszenierten Putsch Erdogans zu verkaufen, ist ein weiteres Symptom für die Politikunfähigkeit explizit dieser Bevölkerung.
Am 23. Juni hatte der türkische Präsident Erdogan (bei Radio Utopie seit Jahren dafür berühmt aus niederen Motiven heraus wirklich jedem falschen Freund und Berater hinterher zu laufen) der „Europäischen Union“ deren „hässliches Gesicht“ vorgehalten, konstatiert, dass diese ihre Versprechen nicht halte und ihn, Erdogan, nun tatsächlich loswerden wolle. Erdogan drohte mit einer Volksabstimmung über den Beitritt zur E.U., welcher ja bekanntlich im berühmten Deal mit der E.U-Patriarchin Angela Merkel bereits abgemacht schien. Erdogan:
„Wir könnten fragen, sollen die Gespräche mit der Europäischen Union fortgesetzt werden oder nicht.“
Rund drei Wochen später.
Am 11. Juli verkündet die türkische Regierung eine für die U.S.-Führung, die N.A.T.O., die „Europäische Union“ und die gesamte Strategie des Terrorkrieges vernichtende und aus deren Sicht inakzeptable Kehrtwende: anstatt weiter als Brückenkopf für die Invasion Syriens zu dienen, sprach die neue Regierung unter Ministerpräsident Binali Yildirim nun von einer „Normalisierung“ der Beziehungen zu Syrien.
Und damit nicht genug: Yildirim, Nachfolger des E.U.-Apologeten Ahmet Davutoglu (dessen Rücktritt von der paneuropäisch-imperialistischen Lobby in Deutschland entsprechend bedauert worden war), spricht auch von einer inneren Aussöhnung der Republik Türkei.
Yildirim bei einem Treffen der Regierungspartei A.K.P. am Abend des 11. Juli, zitiert von der „Hurriyet“:
„Es gibt nicht viele Gründe für uns mit Irak, Syrien, Ägypten und Ländern in allen Regionen zu kämpfen. Aber es gibt viele Gründe Beziehungen voran zu bringen. (…)
Wir werden unsere Freundschaften erhöhen und unsere Feindschaften verringern. Wir werden auch unsere Freundschaften innerhalb des Landes erhöhen. Wir werden Abstand halten von Bedeutungslosigkeit und leerem Diskurs. Von jetzt an, werden wir unsere Freundschaften mt allen Ländern verbessern, die das Schwarze Meer und das Mittelmeer umgeben. Wir werden unsere Unstimmigkeiten auf einem Minimum halten.“
Am 12. Juli, drei Tage vor Beginn des Militärputsches, legt Yildirim noch einmal nach. Einerseits verlangt er von der N.A.T.O. mehr „Unterstützung“ für die Türkei in derem „Kampf gegen den Terrorismus“. Gleichzeitig verlautbart er:
„Heute gäbe es kein Daesh (Anm.: ebenfalls benutztes Kürzel „Islamischer Staat“ / „I.S.I.L.“ / „I.S.I.S.“) Problem, wenn die Menschheit nicht die Qual der Besetzung des Iraks erleben müsste. Zusammengesetzt von Plünderern, ist Daesh eine Struktur, die aus einem Machtvakuum geboren wurde und keine Religion oder Glauben hat. Es ist das reine Böse. Na gut, lasst uns gegen Daesh kämpfen, gut. Aber woher haben sie diese modernen Waffen? Hat Daesh eine Waffenindustrie in die irakischen Wüsten gepflanzt?“
Der „Guardian“, eine der geübtesten und kaltschnäuzigsten imperialistischen Postillen auf dem Planeten, zeigt sich not amused. Der Richtungswechsel der türkischen Regierung könne „ein Ende der Rebellion gegen Bashir al-Assads Herrschaft in Syrien“ bedeuten.
Offensichtlich begreift die türkische Regierung zu diesem Zeitpunkt die geostrategische Bedeutung der 2008 aus dem Hut gezogenen „Mittelmeerunion“, deren Kontrollgewinnung wir bereits als gescheitertes regionales Endziel des Terrorkrieges einschätzten, mit der Bedingung einer zuvor gelungenen Invasion eben der Etappe Syrien.
Es ist genau dieses (nun auch für die Betreiber der Syrien-Invasion offenkundige) bevorstehende strategische Scheitern von Syrien-Invasion und Mittelmeerunion, die nun den Hintergrund des Militärputsches in der Türkei bilden. Auch erschließt sich so der enorme Zeitdruck, unter dem die Putschisten offensichtlich stehen.
In der Nacht des Militärputsches vom 15. auf den 16. Juli steigen, so die „Hurriyet“, von der u.a. von U.S.-, N.A.T.O.- und Bundeswehr-Einheiten benutzen Militärbasis Incirlik Kampfflugzeuge auf und bombardieren Ankara, u.a. das Parlament. Tankflugzeuge (KC-135) aus Incirlik unterstützen die putschistischen Streitkräfte (wir berichteten).
Nach dem Scheitern des Putsches werden der Militärchef und dann gleich noch ein General-Militärchef von Incirlik verhaftet. Die türkische Regierung stellt der Militärbasis in Incirlik die externe Stromversorgung ab und verbietet Luftbewegungen, also ein Aufsteigen der U.S.-N.A.T.O.-Bundeswehr-Kampfflugzeuge. Der Kommandeur der in Malatya basierten 2. türkischen Armee, wo 2012 der erste Teil des N.A.T.O.-Raketensystems in Betrieb ging, General Adem Huduti, wird ebenfalls verhaftet. Hintergrund: die 2. türkische Armee „sichert“ die Grenzen zu den Kriegsgebieten in Irak und Syrien.
Am 17. Juli meldet der Kreml nach einem Telefonat zwischen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Tayyip Erdogan:
„Die zwei Staatsführer erneuerten ihre Intention sich in naher Zukunft persönlich zu treffen, wie es in einer vorhergehenden Konversation diskutiert worden war.“
Am 20. Juli nennt der Kreml dann „Anfang August“ als Besuchstermin Erdogans. Später wird der 9. August genannt.
Am 25. Juli benennt das türkische Portal „Yeni Safak“ den U.S.-General John Campbell, ehemals I.S.A.F.-Kommandeur in Afghanisten, als operativen Drahtzieher des Putsches. Der Bericht wirkt, aus vielerlei Gründen, glaubwürdig. Das Portal bezieht sich auf Quellen aus dem türkischen Sicherheitsapparat und benennt die UBA Bank in Nigeria als Abwicklungsstruktur für den Fluss von insgesamt 2 Milliarden Dollar in die Türkei, die über C.I.A.-Kontakte verteilt worden sei. Campbell selbst hätte zwei konspirative Treffen in der Türkei besucht, einen in der Militärbasis Erzurum und einen in Incirlik, einem Zentrum der Putschisten.
Demnach hätten die Putschisten in Incirlik, unter persönlicher Anleitung von U.S.-General Campbell, bereits ab 2015 über alle Soldaten unter ihrem Kommando Dossiers angelegt, in der diese als Unterstützer, Gegner oder neutral bewertet worden seien.
Den Militärputsch in der Türkei korrekt eingeschätzt haben im deutschsprachigen Raum nur wir. International wären da noch zu nennen Andrew Korybko, William Engdahl, und, bereits zu Beginn des Putsches, George Galloway.
Gerade für die innere Aussöhnung der Türkei gibt es derzeit gute Chancen. Demgegenüber ist jeder militärische Angriff auf oder von der P.K.K.-Miliz als Angriff auf die „Demokratische Volkspartei“ H.D.P. und den politischen Erneuerungs- und Friedensprozess in der türkischen Republik zu betrachten, für den gerade die H.D.P. steht. Dass der türkische Ministerpräsident Yildirim auch diese parlamentarische Vertretung nicht nur der kurdischen Minderheit, sondern auch der Linksdemokraten und Intellektuellen in der Republik Türkei zu Gesprächen über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung einladen möchte, kann als Sensation gelten und repräsentiert, nach dem Zurückschlagen des Putsches durch das türkische Volk, eine weitere große Chance für die türkische Republik.
Der oberste Militär der Vereinigten Staaten von Amerika hingegen, der morgen nun u.a. ausgerechnet die Militärbasis in Incirlik besucht, wird sicherlich mit Perlen nur so um sich schmeißen, um die lieben Eingeborenen irgendwie wieder einzufangen.
Es wird ihm nichts nützen. Weder General Dunford, noch das U.S.-Imperium, noch die Anhängsel N.A.T.O. und „Europäischen Union“ werden sich diesem vom gescheiterten Militärputsch am Bosporos ausgehenden geostrategischen Erdbeben entziehen können.
Sie haben es selbst zu verantworten.
(…)
Anmerkung: der Titel dieses Artikels bezieht sich auf den gescheiterten Umsturzversuch in Kuba im Jahre 1961 durch u.s.-gestützte Contras.