Über dem kleinen Land mit der bisher grössten U.S.-Botschaft braut sich das nächste Unheil zusammen: „Militärputsch“ in Armenien
Ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen im zeitigen Frühjahr 2017 kommt es fast zeitgleich mit dem Militärputsch vom 15.Juli in der Türkei zu einem ähnlichen Aufruhr in Miniaturausgabe in Armenien: In der Hauptstadt Jerewan fand am 17.Juli ein Versuch eines Militärputsches mit Geiselnahme von führenden Polizeichefs statt, der völlig aussichtslos war. Das war den Putschisten durchaus bewusst, die sich im Polizeigebäude verschanzten. Das Ziel der bewaffneten „Oppositionsgruppe“ zum Sturz der Regierung war als Initialzündung gedacht, die Bevölkerung unter Ausnutzung der aufgeheizten Stimmung zu mobilisieren um die Sache unter demokratischem Anstrich zu vollenden.
Armenien erregte in politischer Hinsicht die Aufmerksamkeit der deutschen Bevölkerung vorrangig durch Berichte über die Anerkennung des Massakers der türkischen Regierung des Osmanischen Reichs während des Ersten Weltkrieges als Völkermord und die Verhandlungen zur Lösung des Berg Karabach-Konfliktes.
Jahrzehntelang hat die Anerkennung des Massakers von 1915 als Völkermord auf sich warten lassen. Am 24.April 2016 verabschiedete endlich der Deutsche Bundestag – der Zeitpunkt ist sicher nicht rein zufällig gewählt – eine Resolution im Sinne des armenischen Volkes, das damit näher an die Europäische Union gebunden wurde mit der Armenien seit 2010 in Assoziierungsverhandlungen steht. Zugleich ist das Land eines der Gründungsmitglieder der von Russland initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion, die am 1.Januar 2015 in Kraft trat.
Das Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika an der Kaukasus-Republik ist ein sehr spezielles. Das zeigen die Investitionen in die offizielle U.S.-Vertretung in Jerewan, die nach Fertigstellung aller Baumaßnahmen in 2005 zur grössten U.S.-Botschaft ausgebaut wurde. Übertroffen wurde die westasiatische U.S-Vertretung später durch den Ausbau der Botschaft in Bagdad auf einem fünfmal so grossen Gelände.
Armenien mit 3 Millionen Einwohnern und einer Fläche mit 29800 km² ist zum Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland mit fast 82 Millionen Bürgern und einer Fläche von 357375,62 km² ein sehr kleines Land.
Die ehemalige Sowjetrepublik Armenien weckt durch seine geografische Lage in der Mitte zwischen dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer auf der Ost-West-Route gelegen und in Richtung Norden fast an Russlands Grenze stossend sowie im Süden die gemeinsame Grenze mit der Türkei und dem Iran die Begierde ausländischer Mächte, dieses Land unter eigenen Einfluss zu bringen. Seit 2007 ist Armenien an die Iranisch-Armenische Erdgas-Pipeline angeschlossen. Im Gegensatz zu dem östlichen Nachbarn Aserbaidschan sind Meldungen spärlich, dessen Regierung international von allen Seiten mehr als hofiert wird.
Wer Jerewans Innen- und Außenpolitik dominiert, beherrscht weit mehr als nur die Kaukasus-Region. Russland unterhält im Rahmen eines bilateralen militärischen Beistandsabkommens im eigenen Interesse enge Beziehungen zu dem ehemaligen Satelliten und ist mit einem Luftwaffenstützpunkt präsent. Das U.S.-Militär bildet seit Februar 2014 armenische Gefreite im Land aus unter dem Anstrich zukünftiger friedensbildender Missionen unter Leitung der N.A.T.O. und als Hilfe bei der Reform des armenischen Verteidigungsministeriums um es mit den westlichen N.A.T.O.-Standards vertraut zu machen. Am 4.August 2016 flogen – offiziell – fünfundzwanzig Soldaten zum ersten Mal im Rahmen des Militärabkommens nach Kansas. Um sie mit den Trainingsprogrammen der U.S.-Streitkräfte vertraut zu machen, werden die Gefreiten in die Abteilung „Phoenix“ der Nationalgarde integriert.
Wozu die Vereinigten Staaten von Amerika eine so gewaltige und damit zugleich unübersichtliche Botschaft benötigen dürfte kein grosses Rätselraten darstellen. Mit verschiedenen Eingängen, Nebengebäuden und viel Platz für technische Anlagen, elektronische Abhörgeräte und Personal ist es für Geheimdienste und strategische Beobachter sehr aufwändig, die Vorgänge im Inneren des Komplexes und die Art der Besucher zu überwachen. Ein perfekter Ort auf bisher relativ neutralem Boden, konspirative Zusammenkünfte zu organisieren, die nicht nur armenische sondern darüber vor allem weit hinausgehende Planungen für Operationen in anderen Staaten begünstigen.
Mit den neuen politischen, militärischen und ökonomischen Verhältnissen in jüngster Vergangenheit werden die angewandten Mittel einiger Staaten immer aggressiver und trotz Bemühungen durch Verschleierung offensichtlicher.
Armenien ist das nächste Ziel im globalen Kampf um Macht und Einfluß unter die eigene Hemisphäre und ein von außen angestrebter Regierungswechsel folgt den fast gleichen Mustern in ähnlich gelagerten Fällen.
In keinem Land dieser Welt sind die meisten führenden Politiker frei von Anfälligkeit für Korruption, sei es zum eigenen Machterhalt, der Partei oder materieller Bereicherung in allen Abstufungen. Ihre Verfehlungen – die eigene Gier oder durch falsche, „vorgebliche gut meinende“ Berater verursacht – werden ihnen zum Verhängnis, sie werden genutzt um sie zu Fall zu bringen.
Angefangen hatte es in der kleinasiatischen Republik vor Jahren mit öffentlichen Protesten der Bevölkerung gegen die Regierung wegen Preissteigerungen. Im vergangenen Monat eskalierte die Lage mit einer Belagerung durch einunddreissig bewaffnete Personen und der Geiselnahme von sieben Polizisten einer Polizeistation in Jerewan. Unter ihren Gefangenen befand sich der stellvertretende armenische Polizeichef Vardan Yegiazaryan und der stellvertretende Polizeichef Valerii Osipyan von Jerewan. Die Gruppe gab sich den Namen „Sasna Tsrer“ oder auch „Daredevils of Sassoun“ (der Name eines armenischen Helden-Epos, das als immaterielles Kulturerbe im Jahr 2012 in die repräsentative Liste der UNESCO aufgenommen wurde). Die Mitglieder wurden von mehreren Veteranen des Berg-Karabach-Kriegs der frühen 1990er Jahre koordiniert.
Auslöser war die Verhaftung Mitte Juni diesen Jahres wegen des illegalen Erwerbs und des Besitzes von Waffen von Zhirayr Sefilian, ein ehemaliger Militärkommandeur, Oppositionsführer und Gründer der Bewegung „Founding Parliament“ in 2008 – die zuvor Dutzende von friedlichen Kundgebungen organisiert hatte um den Regimewechsel zu fördern. Sefilian hatte die Regierung in ihrer Reaktion zu den Vorfällen im April der pro-armenischen „Separatisten“ in der Region Berg-Karabach kritisiert (Bergkarabach: militärische Muskelspiele vor Staatsbesuch aus Armenien in Berlin).
Sasna Tsrer forderte auch den Rücktritt von Präsident Serge Sarkissjan, beschrieb ihre Aktionen als den „Beginn eines bewaffneten Coups“ mit dem Ziel „die Korruption zu beseitigen und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit“.
Nach einer Woche mit ergebnislosen Verhandlungen, in der die „Eroberer“ Zeit zum erhofften Widerstand der Bevölkerung gegen die Regierung herausschlugen – und der Veröffentlichung der Forderungen der Geiselnehmer – wurden Heckenschützen aufgeboten. Diese schossen gezielt nur in die Beine der „Aufständigen“. Acht Mitglieder der bewaffneten Gruppe wurden verletzt und anschließend ins Krankenhaus transportiert. Das war ein sehr besonnenes Vorgehen, denn Tote hätten einen Märtyrerkult geschaffen und die Lage im Land wäre ausser Kontrolle geraten. Dass zuvor ein Schütze aus dem Inneren der Polizeistation einen Polizisten in einem 350 Meter entfernt parkenden Polizeiauto erschoss, hätte keine Rolle gespielt.
Gleich zu Beginn hatten sich ein Dutzend Sympathisanten rund um die Polizeistation versammelt. In den zwei Wochen dieser sogenannten „Juli-Krise“ waren es zum Schluß eintausend Personen (andere Quellen nennen die Zahl 5000), die einen Absperrgürtel zum Schutz der Putschisten um das Gebäude bildeten. In den Auseinandersetzungen mit der Polizei starben zwei Polizisten, es gab viele Verletzte und Hunderte wurden verhaftet. Am 31.Juli ergab sich die Gruppe und legte ihre Waffen nieder.
Im Zentrum von Jerewan auf dem Freiheitsplatz fanden anschliessend weitere Demonstrationen statt sowie in der Stadt Gjumri.
Am 1.August, einen Tag nach Beendigung des „Mini-Militärputsches“, verspricht der Staatspräsident die Bildung einer neuen Regierung der „Nationalen Übereinstimmung“ ohne „Terroristen und ihre Verteidiger“ innerhalb weniger Monate. Das heisst im Klartext, Kritiker und Oppositionelle.
Per Dekret entliess der Präsident am 4.August den Ersten Stellvertretenden Direktor des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) von Armenien.
In Medien wurde am 4.August verbreitet, dass Premierminister Howik Abrahamjan zum baldigen Rücktritt aufgefordert wurde.
Am 5.August reichte der achtunddreißigjährige Generalstaatsanwalt Kostanian sein Rücktrittsgesuch wegen gesundheitlichen Problemen ein, das vom Präsidenten akzeptiert wurde. Vor diesem Amt war Kostanian Chef-Militärstaatsanwalt, anschliessend juristischer Assistent des Präsidenten Sarkissjan und einer der stellvertretenden Justizminister.
Morgen, am 10.August, wird der armenische Präsident auf einem Arbeitstreffen mit dem russischen Präsidenten in Moskau die weiteren Entwicklungen diskutieren, hiess es am 3.August.
In 2015 wurde in Armenien über eine Verfassungsänderung abgestimmt, die in 2018 das Präsidialsystem durch ein parlamentarisches System ersetzt so wie in Deutschland. Sarkissjan hätte nach der bisherigen Verfassung nicht für eine weitere Präsidentschaftskandidatur antreten können. Der neue Staatspräsident wird nur repräsentative Funktionen erfüllen. Für den Fall, dass Sarkissjan die verbleibenden zwei Jahre politisch übersteht und zum Regierungschef gewählt wird, übernimmt er seine bisherigen Machtbefugnisse in diesem Amt. Dieser Aspekt sollte bei den derzeitigen Zuständen nicht unerwähnt bleiben.
Strategen planen langfristig und im Geheimen. Was in den Medien steht und in Pressekonferenzen verlautbart wird ist belanglos. Von Bedeutung sind die Hintermänner, die einen Regime change arrangieren oder ob es im Gegenteil eine riskante Vortäuschung war um die Opposition auszuschalten.
Armenien stehen turbulente Zeiten bevor. Die Proteste gehen weiter. Ob zum Guten oder Schlechtem für die Bevölkerung selbst, die manipuliert und benutzt wird als notwendige Statisten, wird erst die Zukunft zeigen. Wie leicht Bürger zu lenken sind, wird tagtäglich zur Genüge weltweit vorgeführt.
Abbildung oben unter Lizenz CC BY-SA 3.0, Autor Viktor V. (Виктор_В/Wikipedia)
Artikel zum Thema
04.04.2016 Bergkarabach: militärische Muskelspiele vor Staatsbesuch aus Armenien in Berlin
Vor gerade einmal vier Tagen trafen sich getrennt auf der Nuklearkonferenz beide Präsidenten der Kaukasusstaaten, Ilham Aliyev und Sargsjan, mit dem U.S.-Vizepräsidenten, John Biden. Kurz zuvor erhielt Aliyev eine gemeinsame Privataudienz mit dem U.S.-Aussenminister John Kerry und John Biden. Und nur einen Tag später bricht dieses Scharmützel aus?
09.11.2015 Aserbaidschan droht offen Armenien mit baldigem Krieg
26.10.2011Kaukasus-Drehscheibe Aserbaidschan
Quellen:
http://asbarez.com/153671/armenian-soldiers-to-train-in-u-s/
https://iwpr.net/global-voices/making-sense-armenias-crisis
http://armenianweekly.com/2016/08/05/armenias-prosecutor-general-resigns/
http://www.bbc.com/news/world-europe-36931851
http://www.armradio.am/en/2016/08/03/sargsyan-putin-to-meet-in-moscow-2/diskutieren.
http://news.az/articles/world/111217
http://www.njherald.com/article/20160801/AP/308019642