Berliner Taxigutachten – Analyse

Babylon

Artikel vom Berliner Taxibund e.V. zum Gutachten mit dem Titel „Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes in der Bundeshauptstadt Berlin“ der Firma Linne + Krause, erstellt im Auftrage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.

Auftragsinhalt vom 17. Februar 2015
Ziel der Untersuchung war, eine valide Datengrundlage für die Arbeit der Berliner Behörden zu ermitteln, mit deren Hilfe die wirtschaftliche Lage des Taxigewerbes präzise beurteilt werden kann.

1. Die Daten sollen als belastbare Referenzwerte bei den Plausibilitätsprüfungen des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten im Rahmen der Überprüfung der persönlichen Zuverlässigkeit gemäß § 13 Abs.1 PBefG dienen. Von zentraler Bedeutung ist die Kennzahl Umsatz pro Kilometer.

2. Darüber hinaus dienen die Werte der Fortschreibung des Berliner Taxitarifs durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Von besonderer Bedeutung sind die zeitbezogenen Kennziffern Umsatz pro Stunde und Umsatz pro Schicht.

Maßgeblich für eine Untersuchung der Tarife sind die Bestimmungen der §§ 51 Abs.3 und 39 Abs.2 PBefG. Die letzte Erhöhung des Taxitarifes hätte ohne eine solche Untersuchung nicht vorgenommen werden dürfen. Diese wurde nachgeholt.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass dieses Gutachten keine Untersuchung über die Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes nach § 13 Abs.4 PBefG ist. Gemäß § 13 Abs.4 PBefG „ist die Genehmigung zu versagen, wenn die öffentlichen Verkehrsinteressen dadurch beeinträchtigt werden, dass durch die Ausübung des besagten Verkehrs das örtliche Taxengewerbe in seiner Funktionsfähigkeit bedroht wird.“ Eine solche Untersuchung wäre notwendig um Beweis für Versagung weiterer Konzessionen zu erbringen.

Wichtige Kenngrößen des Gutachtens:
Besetztzeiten 27,3% (Seite 63)
Besetztquote 45,4% (Seite 63)
Umsatz pro Taxi (Seiten 68, 69)
Professionelle Betriebe 54.300 €
Professionelle Alleinfahrer 43.504 €
semiprofessionelle Betriebe 31.539 €
semiprofessionelle Alleinfahrer 25.732 €
Umsatz pro Kilometer (Seiten 71, 73, 74)
Professionelle Betriebe 0.94 €/KM
Professionelle Alleinfahrer 0.83 €/KM
semiprofessionelle Betriebe 0.80 €/KM
semiprofessionelle Alleinfahrer 0.75 €/KM
Fiskaltaxameter 2015 0.98 €/KM

Umsatz pro Stunde (Seite 77)
Umsatz pro Stunde Fiskaltaxameter 15.89 € pro Stunde
Kosten pro Fahrzeug (Seiten 81, 83)
Professionelle Betriebe 48.920 €
Professionelle Alleinfahrer 21.986 €
semiprofessionelle Betriebe 27.014 €
semiprofessionelle Alleinfahrer 15.380 €

Fahrleistungsbezogene Kosten pro Kilometer (Seite 87)
Professionelle Alleinfahrer 0.42 €/KM
Semiprofessionelle Alleinfahrer 0.45 €/KM

Unter fahrleistungsbezogenen Kilometerkosten sind vermutlich sämtliche Kosten, also auch Fixkosten enthalten. Dies kann Unterschiede bei fahrleistungsbezogenen Kosten unterschiedliche Betriebsformen erklären. Nur für die Gruppe der Alleinfahrer können aus dem vorliegenden Gutachten fahrleistungsbezogene Fahrzeugkosten entnommen werden; bei allen anderen Betriebsformen ist dieser Wert mit Personalkosten überlagert. Man kann einen Wert von 0.42 €/KM für fahrleistungsbezogene Kosten pro Kilometer annehmen.
Lohnkosten pro Stunde
Diese betragen auf der Basis eines Mindestlohnes von 8.50 €pro Stunde:
Stundenlohn 8.50 €
Urlaub 0.79 €
Krankheit 0.40 €
SozVers. AG 1,94 €
Berufsgenossenschaft 0.29 €
Abrechnungskosten 0.14 €
Lohnkosten pro Stunde 12.35 €

Fahrzeugkosten pro Stunde
Dieser Wert ist im vorgelegten Gutachten nicht direkt ablesbar. Genannt werden auf Seite 77 Umsätze von 15.89 € pro Stunde und ein Wert von 0.98 €/KM (Seite 73) bezogen auf die Gesamtfahrleistung und bestätigt durch Fiskaltaxameter. Aus diesen Werten ergibt sich eine zurückgelegte Entfernung pro Stunde von 16.21 Kilometer. Multipliziert man diesen Wert mit den obengenannten fahrleistungsbezogenen Kilometerkosten von 0.42 €/KM, ergeben sich Fahrzeugkosten von 6.81 € pro Stunde.

Wirtschaftlichkeit
Der durchschnittliche Umsatz pro Stunde, ermittelt durch Auswertung von Fiskaltaxametern beträgt 15.89 € pro Stunde. Die Lohnkosten betragen auf der Basis des Mindestlohnes € 12.35 € pro Stunde, die Fahrzeugkosten liegen bei einem Betrag von 6.81 € pro Stunde. Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 19.16 Kosten pro Stunde. Übrige Kosten der Betriebsführung sind in diesem Wert nicht enthalten.

Auslastung
Die Besetztquote laut Berliner Fiskaltaxameter liegt bei 45,4% (siehe Seite 62), Finanzämter veranschlagen bei Schätzungen 50% (siehe Seite 61). Die Besetztzeit laut Berliner Fiskaltaxameter liegt bei 27,3% (siehe Seite 63).
Die Besetztquote beträgt 45,4% (siehe Seite 62), hieraus folgt eine Leerfahrquote von 54,6% (100% – 45,4%). Aus diesen Angaben lässt sich die Wartezeit berechnen (Dreisatz: Besetztzeit / Besetztquote= Leerfahrtzeit/ Leerfahrquote).
Hieraus folgt eine Leerfahrtzeit von 32,8%. Die Gesamtfahrzeit ergibt sich aus der Besetztzeit plus Leerfahrtzeit und beträgt somit 60%. Der verbleibende Rest ist reine Wartezeit, dies sind 40% der Einsatzzeit. Ohne Einbuße in der Verfügbarkeit von Taxen könnten alle Fahrgäste mit nur 60% der vorhandenen Taxen befördert werden.
Daneben ist die Verkehrsflussgeschwindigkeit eine wichtige Einflussgröße. Im Berufsverkehr ist diese vermutlich niedriger als bei Fahrten auf der Autobahn oder freiem nächtlichen Verkehr. Je niedriger die Verkehrsflussgeschwindigkeit, umso niedriger die Einnahmen pro Stunde bei ansonsten gleichen Parametern. Die Einnahmen pro Stunde werden sich dahingehend unterscheiden, ob das Fahrzeug hauptsächlich im Berufsverkehr oder nachts eingesetzt wurde.
Augenscheinlich ist eine Diskrepanz der Umsätze pro Stunde. Diese liegen (Seite 77) zwischen 13.73 € und 16,35 €. Im Durchschnitt wurden 15.89 € pro Stunde mit Fiskaltaxametern ermittelt.
Aus obengenannter Berechnung ergibt sich pro Stunde eine zurückgelegte Entfernung von 16.21 Kilometern. Bei 60% Einsatzfahrzeit je Stunde errechnet sich eine durchschnittliche Verkehrsflussgeschwindigkeit von 27 Km/h (nach Fiskaltaxameter). Ob diese Geschwindigkeit im Berliner Stadtverkehr als Durchschnittsgeschwindigkeit repräsentativ ist, wäre glaubhaft zu machen.

Semiprofessionell
Dieser besondere Ausdruck bedarf einer Erklärung. Semi ist die lateinische Bedeutung für halb und professionell für berufsmäßig, beruflich. Übersetzt sollte dieser Ausdruck halbberuflich oder nebenberuflich, besser nicht hauptberuflich lauten und auch so verwandt werden.
Wichtige Bedeutung hat dieser Begriff in der vorgelegten Untersuchung, weil damit eine Einteilung der Betriebe in zwei Gruppen vorgenommen wurde. Einerseits professionelle und andererseits semiprofessionelle Taxibetriebe.
Entscheidend dafür, ob ein Betrieb professionell oder semiprofessionell betrieben wird, ist eine Umsatzgrenze von 35.000 € pro Taxe und Jahr. „Unterschreitet der Jahresumsatz eines Alleinfahrers nachhaltig die Schwelle von 35.000 €, so deutet das auf eine semiprofessionelle Betriebsführung hin“ (siehe Seite 12). Erklärung: Der Bundesverband des Taxi- und Mietwagengewerbes (BZP) geht für einen Münchener Alleinfahrer 2014 von ca. 44.900 € Jahreserlös aus (genannte Quelle: Geschäftsbericht des BZP 2014/2015).
Aus Nachfolgendem ergibt sich, dass der genannte Betrag von 35.000 € Erlös pro Taxe und Jahr angezweifelt werden kann:
Die wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt 48 Stunden nach Richtlinien 93/104/EG, Richtlinie 2003/88/EG und § 7 Abs.8 ArbZG; hiernach ergibt sich eine
Jahresarbeitszeit von 52 Wochen mal 48 Stunden 2496
abzüglich Urlaub 4 Wochen mal 48 Stunden 192
abzüglich Krankheit 10 Tage mal 8 Stunden 80
zulässige Jahreshöchstarbeitszeit 2224 Stunden
Der durchschnittliche Umsatz in Berlin pro Stunde beträgt 15.89 € (siehe Seite 77). Unter Einhaltung der Jahreshöchstarbeitszeit könnten professionelle Alleinfahrer in Berlin bei 2224 Stunden mal 15.89 € gleich 35.339 € Umsatz pro Jahr erzielen. Der BZP nennt einen Vergleichswert von 44.900 € Jahreserlös für einen Münchener Alleinfahrer. Diesen Wert auf Berliner Verhältnisse zu übertragen muss kritisch gesehen werden.
Alternativrechnung für einen sogenannten „semiprofessionellen“ alleinfahrenden Taxiunternehmer:
Eine normalübliche Arbeitszeit beträgt 8 Stunden an 5 Tagen, gleich 40 Stunden pro Woche.
Die tägliche Arbeitszeit eines alleinfahrenden Unternehmers setzt sich zusammen aus etwa 7 Stunden Taxifahrdienst plus 1 Stunde für betriebliche Nebenarbeiten wie Buchführung, Fahrzeugpflege, Werkstattbesuch.
Eine wöchentliche Taxieinsatzzeit ergibt sich hieraus zu 35 Stunden.
Jahreseinsatzzeit 52 Wochen mal 35 Stunden 1820
abzüglich Urlaub 4 Wochen mal 35 Stunden 140
abzüglich Krankheit 10 Tage mal 7 Stunden 70
abzüglich Feiertage ….
Gesamt 1610 Stunden
Auf der Basis des durchschnittlichen Umsatzes pro Stunde von 15.89 € (siehe Seite 77) ergibt sich rechnerisch ein Jahresumsatz von 25.582 €.
Allenfalls dieser Wert sollte darüber entscheiden, ob es sich um eine hauptberufliche oder nebenberufliche Tätigkeit handeln könnte. Auf Seite 69 des Gutachtens wird Folgendes angemerkt: „Semiprofessionelle Berliner 1- Fahrzeugbetriebe weisen in der Buchhaltung im Durchschnitt lediglich ca. 26.900 € aus……Beträge, die eine ordnungsgemäße Betriebsführung praktisch ausschließen.“
Steuerlich angegebene Umsatzerlöse von durchschnittlich ca. 26.900 € korrelieren mit dem oben errechneten Betrag von 25.582 €.

Ergebnis
Unter Einhaltung vernünftiger Arbeitszeiten, wie auch unter Einhaltung gesetzlicher Höchstarbeitszeiten reichen von alleinfahrenden Unternehmern erzielbare Taxierlöse für eine ordentliche Bewirtschaftung nicht aus. In Mehrwagenbetrieben kann Personal wegen der Lohnkosten auf der Basis eines Mindestlohnes kaum beschäftigt werden, ohne den Betrieb in Konkurs zu führen.
Eine ordentliche Bewirtschaftung sämtlicher Taxibetriebe ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht möglich. Die Ursache liegt in der Zahl der ausgegebenen Konzessionen.

Update gemäß des Aushangs an stark frequentierten Taxihalten:

Unser Kommentar:
Unter Einhaltung vernünftiger Arbeitszeiten, wie auch unter Einhaltung gesetzlicher Höchstarbeitszeiten reichen von alleinfahrenden Unternehmern erzielbare Taxierlöse für eine ordentliche Bewirtschaftung nicht aus.

In Mehrwagenbetrieben kann Personal wegen der hohen Lohnkosten auf der Basis eines Mindestlohnes wohl kaum beschäftigt werden, ohne langfristig in Konkurs zu gehen. Durchschnittliche Erlöse von 15.89 pro Stunde € (siehe Seite 77) können Kosten von 19.16 € pro Stunde nicht decken.

Damit liefern nahezu 100% der Berliner Taxen wirtschaftlich nicht plausible Daten.

Eine ordentliche Bewirtschaftung sämtlicher Taxibetriebe ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht möglich. Die Ursache liegt in der Zahl der ausgegebenen Konzessionen.

Unser Vorschlag:

Nur noch Genehmigung von Einzelkonzessionen bei zeitnaher Überprüfung, ob diese unter Einhaltung gesetzlicher Vorschriften wirtschaftlich betrieben worden sind.

Dies könnte zu einer Reduzierung der Konzessionen führen.