Rede von Lothar König, Träger des Zivilcouragepreises der Stadt Jena, zur aktuellen Stunde zur „Thügida Demo am 17.08.2016“ in Jena (anzuhören auf SoundCloud hier)
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen.
Eine “Aktuelle Stunde” hat den Sinn, daß (ich zitiere) „im Stadtrat eine Aussprache über ein bestimmtes bezeichnetes Thema von allgemeinem kommunalem aktuellem Interesse stattfindet.“ Anlaß in der heutigen “Aktuellen Stunde” ist der Nazi-Aufmarsch vom letzten Mittwoch, das Thema ist das Verhalten der Versammlungsbehörde incl. das der Polizei.
Ich denke, wir entsprechen dem Anliegen einer Aktuellen Stunde in höchstem Maß.
Daß es nach dem Geschehen am vorigen Mittwoch solch eine aktuelle Stunde geben würde stand allerdings schon fest, während der Nazi-Aufzug noch lief und die Gegenproteste stattfanden:
Zu martialisch das Agieren einzelner Polizei-Beamter (es stellt offensichtlich mittlerweile den Normalfall dar, wenn Polizisten Pfefferspray gegen Bürger von Jena einsetzen und Beamte mit ihren Schlagstöcken auf diese einprügeln). Von den Wasserwerfern, die jeweils gut sichtbar drohend im Hintergrund aufgefahren werden, ganz zu schweigen.
Zu unverständlich (um es gelinde zu sagen) das Auftreten der Versammlungsbehörde – das hat mit Bürgernähe und mündigem Bürger nicht mehr viel zu tun, das passt vielmehr in eine Zeit, die wir längst glaubten, hinter uns gelassen zu haben.
Seit gut einem Jahr schon, genau seit dem Naziaufmarsch im Juni 2015, befremdet das Auftreten der Versammlungsbehörde in steigendem Maß engagierte Bürger und Bürgerinnen. Das Agieren der Versammlungsbehörde erscheint mit einer demokratischen Gesellschaft, in der Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement Grundpfeiler derselben darstellen, nach meinem Verständnis nicht mehr in Einklang zu stehen. Solch demokratische Gesellschaft kann nicht befohlen werden. Deren Gefährdung kann nicht durch Verbote gesichert werden. Es ist die Zivilgesellschaft, deren bürgerschaftliches Engagement solch Demokratie lebendig erhält. Und für sie streitet.
Aber anstelle dieses Engagement zu stärken und zu fördern – im Rahmen der Gesetze, versteht sich -, breitet sich das Gefühl aus, daß dasselbe kriminalisiert wird. Sollte es nicht unsere Aufgabe als Stadtrat sein, aber eben auch der Verwaltung mit all ihren Ämtern, gegenteilig aufzutreten, also zu stärken und zu fördern anstelle mit immer mehr einschränkenden Auflagen und erhöhter Polizeipräsenz einer Kriminalisierung Vorschub zu leisten?
Wenn das nur zum Teil stimmen mag (und es sprechen einige Erlebnisse dafür, die ich letzten Mittwoch selbst erfahren habe, wie auch diese Aktuelle Stunde selbst ein Beleg dafür ist), dann stellt sich die Frage, in was für einem System wir leben?
Vor allem aber steht die Frage: Wer ist dafür verantwortlich?
Mit Unterzeichnung der „Sicherheitsrelevanten Verfügung“ am 08. August ist erst einmal der OB verantwortlich. Dafür ist er ja auch die oberste Verwaltungsspitze, kurz: DER OB.
Mit Unterzeichnung dieser Verfügung ist der Ort des Naziaufmarsches offizell festgelegt, treten die Auflagen für die Aufzüge der Nicht-Nazi-Demonstranten in Kraft und wird das Demonstrationsrecht dieser Nicht-Nazi-Bürger unseres Erachtens gesetzeswidrig eingeschränkt.
Ja, es geht sogar noch weiter:
Wenn Sie sich diese Allgemeinverfügung einmal genau anschauen, dann kann bei unbedarften Bürgern sehr schnell der Eindruck aufkommen, daß es sich bei diesen sog. Gegendemonstranten um lauter gewaltbereite, ja, vielleicht gar kriminelle dunkle Gestalten handelt, die das Demonstrationsrecht mißbrauchen, um friedlichen Neonazis Gewalt anzutun.
Ob das so stimmt oder nicht, ist zweitrangig. Daß manche Bürger dieser Stadt so denken, weiß ich.
Daß das Handeln der Versammlungsbehörde – und der OB ist deren oberster Chef – bei manchen Bürgern sogar an Nazi-Kollaboration erinnert, geht sicher zu weit und dem ist zu widersprechen. Aber für alles andere hier Gesagte trägt der OB die Verantwortung. Diese kann ich ihm nicht nehmen, auch wenn ich der festen Hoffnung bin, daß Albrecht dem 2011 verliehenen Preis für Zivilcourage gegen Rechtsextremismus entsprechen kann und weiterhin entsprechen wird.
Aber es wäre zu einfach, für all das Geschehene den OB allein verantwortlich zu machen.
Ihm zur Seite steht ein ganzer Apparat, der die rechtlichen, sicherheitsrelevanten und sonstige, das Zusammenleben einer Stadt zu berücksichtigende Aspekte zu bedenken hat. Allen voran der Leiter des Rechtsamtes, der Leiter des Ordnungsamtes. Dazu kommen persönliche Referenten und Berater, die Dezernenten nicht zu vergessen, insbesondere den für Sicherheit und Ordnung, und, zuletzt, zur Erinnerung: wir, die Stadträte.
Der Stadtrat ist das politisch entscheidende Gremium dieser Stadt – nicht die Verwaltung. Diese hat unseren politischen Willen umzusetzen.
Hat sie das?
Auch hier zur Erinnerung, ich denke, Sie werden mir zustimmen: Uns, den Stadträten und ihren Fraktionen steht die Aufgabe zu, einen politischen Willen zu entwickeln und diesen in Beschlüsse zu fassen. Ehe diese Gültigkeit erlangen, sind sie vom Rechtsamt auf Gesetzeskonformität zu prüfen und werden – bei Bedarf – widerrufen.
Aber es ist auch unsere weitergehende Aufgabe, die Interpretationsspielräume, die das Rechtsamt je nach eigener Weltanschauung nutzt und vertritt, zu überprüfen. Es ist unsere Aufgabe, gegebenenfalls der Auffassung des Rechtsamtes zu widersprechen, diese nicht als „ultima ratio“ anzusehen. So sind zum Beispiel die in der „Sicherheitsrelevanten Verfügung“ aufgeführten Auflagen in puncto ihrer rechtlichen Gültikgkeit in Zweifel zu ziehen. Es gilt daher, mit dem Rechts- und Ordnungsamt zu streiten. Das ist unsere Aufgabe.
Und jetzt frage ich – auf dem Hintergrund all des Gesagten – die Regierungskoalition, die mit ihrer eindeutigen Stimmenmehrheit die Geschicke dieser Stadt nun schon seit einigen Jahren lenkt und gestaltet:
Hat die Verwaltung mit der zum 17.08.2016 erlassenen und in der erlebten Praxis umgesetzten Verfügung dem politischen Willen der Koalition entsprochen?
Wenn JA, dann zieht Euch bitte aus dieser Aktuellen Stunde sofort zurück.
Wenn NEIN, (wenn die genannten Herren dem nicht nachgekommen sind), dann fragt nicht nach Demonstrationsverboten, auch nicht nach lärmenden Hubschraubern, die nachts herumfliegen. Nutzt nicht „eure“ Aktuelle Stunde, um Geschehenes zu verwässern oder zu verharmlosen, dann redet nicht um den heißen Brei.
Sondern dann stellt hier schon klare Forderungen, benennt Roß und Reiter, zieht klare personelle Konsequenzen aus dem Geschehenen und setzt diese in den nächsten Wochen um. Denn der nächste Naziaufmarsch steht schon fest, und weitere werden kommen. Es ist höchste Zeit, dem Gebaren der Versammlungsbehörde Einhalt zu gebieten. Es ist höchste Zeit, als Stadtrat unserer Aufgabe nachzukommen. Danke.
(Falls noch Zeit und Aufmerksamkeit – die Redezeit ist auf 5 Minuten begrenzt, eine Aktuelle Stunde gesamt auf 30 Minuten beschränkt):
Ich möchte diese Forderung gegenüber der Versammlungsbehörde kurz erläutern:
Im Vorfeld der Nazi-Propaganda-Veranstaltung am 20. Juli auf dem Markt in Jena wurde von der Versammlungsbehörde in einer höchst offiziellen Runde mehrfach betont, daß das Verhalten der Demonstranten (gemeint sind die Anti-Nazi-Demonstranten) entscheidend Einfluß nehmen wird auf die Gefahreneinschätzung insgesamt und explizit auf die Auflagen der Behörde für die (Anti-Nazi-) Proteste am 17.08.2016.
Die Proteste gegen die Propaganda-Veranstaltung am 20.07. 2016 verliefen völlig gesetzeskonform, es gab keinerlei Ansatz für eine gefährliche Eskalation oder eine sonstige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
In der „Sicherheitsrelevanten Verfügung“ vom 08.08.2016 wird dieses Verhalten – entgegen der Ansage – in keiner Weise berücksichtigt. Vielmehr werden wieder Vorfälle vom 20. April bemüht, um verschärfte Auflagen für die Demonstrationen zu begründen. Nur einmal kommt der 20. Juli in der Verfügung zum Tragen: Von nun an verbietet die Versammlungsbehörde auch Trillerpfeifen!
Die Versammlungsbehörde begründet ihre, das Demonstrationsrecht in bedrohlicher Weise einschränkenden Auflagen, gern mit Berufung auf das Grundgesetz und die geltende Rechtsprechung. Wo aber, bitte, steht geschrieben, daß Trillerpfeifen verboten sind?
Und noch ein zweites, an die Polizei gerichtetes Beispiel will ich hier in Erinnerung rufen:
Am 17.08.2016 werden im Zusammenspiel von Polizei, Versammlungsbehörde (und dem Jenaer Nahverkehr?) Neonazis mit einem Bus des Öffentlichen Nahverkehrs zu ihrem Versammlungsort transportiert. Diese Möglichkeit steht gesetzlich der Polizei zu. Gesetzlich verpflichtend ist diese Maßnahme nicht.
Im Gegenteil: Am 17.10.1998 sollte einer der ersten Naziaufmärsche in Jena stattfinden. Dazu kam es nicht, weil zu dieser Demonstration auf dem Inselplatz mehr (Anti-Nazi-) Demonstranten erschienen als Nazis. Letztere strömten in kleinen Gruppen durch die Jenaer Innenstadt und stellten eine ernsthafte Gefährdung dar. Der damalige Leiter der Polizeidirektion Jena, Herr Schnaubert, ließ diese Gruppen von Polizeibeamten einsammeln, ließ einen Nahverkehrsbus stoppen, die Insassen aussteigen, die Neonazis einsteigen und – nicht zu ihrem Demonstrationsort – an den Stadtrand nach Göschwitz bringen.
Auch das ist ein Verhalten der Polizei, das ich hier in Jena erlebt habe, und offensichtlich eine Möglichkeit darstellt.
Was hat sich in den dazwischenliegenden 18 Jahren in Jena verändert? Es sind noch die gleichen Fraktionen im Stadtrat vertreten, gar manche Stadträte von damals sind es noch heute und mittlerweile in höchsten kommunalen Funktionen. Was also bzw. wer hat sich verändert? Das ist meine Frage. Und es ist, so bin ich überzeugt, unsere Aufgabe als Stadtrat, dies zu erkennen und die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen. Danke
Veröffentlicht auf Jenapolis am 13.07.2016
http://www.jenapolis.de/2016/09/13/lothar-koenig-1998-liess-man-noch-die-neonazis-an-den-jenaer-stadtrand-bringen/