„Wir können, also lasst es uns tun“: Über die Mentalität im elektronischen Polizeistaat

Kontext B.N.D.-Gesetz: Die Allermeisten haben weder eine Ahnung was Totalüberwachung aka Massenüberwachung tatsächlich bedeutet, noch welcher Gefahr auch sie dabei ausgesetzt sind, selbst wenn sie sich noch so sehr anpassen und die technischen Möglichkeiten im 21. Jahrhundert über den privaten Konsum hinaus ignorieren. Welche Skrupellosigkeit und geistig-moralischen Verfall die Apparatschiks des elektronischen Polizeistaats bei ihrem Tun an den Tag legen, während gleichzeitig seit Jahren reguläre Polizei, Justiz und Rechtsstaat systemisch verschwinden, zeigen Berichte von Aussteigern, allerdings nicht aus Deutschland.

Wie den Radio Utopie Leserinnen und Lesern bekannt, ist das B.N.D.-Gesetz das Produkt eines regierungsinternen Machtkampfes. Kanzleramtsleiter Peter Altmaier, der schon im Sommer 2015 plötzlich Ärger vom Apparat und seiner Presse bekommen hatte, nachdem er von einem „Eigenleben“ des Bundesnachrichtendienstes gesprochen hatte, stellte im Januar 2016 eine „weltweit einmalige Regelung“, ein „Kontrollrecht des Bundestages“ (!) über den geheimdienstlichen Komplex in Aussicht.

U.a. Hans Leyendecker und Georg Mascolo trugen die Bedenken sogleich in die Presse, konkret die „Süddeutsche Zeitung“:

„Gegen den Entwurf des Reformgesetzes gibt es aber Bedenken bei SPD und Union.“

Der innenpolitische Sprecher der immer so anständig-patriotisch tuenden C.S.U., Stephan Mayer wurde zu diesem drohenden „neuen deutschen Weg“ (!) bezeichnenderweise mit den Worten zitiert:

„Wir werden sehr genau schauen müssen, ob der jetzige Entwurf nicht zu weit geht, wir dürfen den BND nicht entmannen.“

In unserem Artikel vom 19. Januar verwiesen wir bereits diesbezüglich auf die

„so plötzlich wiederkehrende Kanzlerinnen-Skepsis vom traditionellen Paten des Apparats, Dr. Wolfgang Schäuble – angeblich nur wegen der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel“.

Im Klartext: Schäuble erpresste die Kanzlerin, diese so anti-antideutschen, so neudeutschen Pläne ihres schwulen Kanzleramtsleiters Altmaier bezüglich parlamentarischer Kontrolle über die (internationale) Spitzelei in der Republik gefälligst sein zu lassen.

Im März 2016 hatte Schäuble dann den Machtkampf offiziell gewonnen. Altmaiers Gesetzentwurf war wieder einkassiert worden. Ende April wurde B.N.D.-Präsident Gerhard Schindler entlassen (er fiel weich) und der Schäuble-Vertraute Bruno Kahl zu dessen Nachfolger ernannt.

Der nachfolgend im Juni herumgereichte neue Entwurf des B.N.D.-Gesetzes legalisierte dann schlicht dessen längst betriebene Praxis der Massenüberwachung. Von einem „Kontrollrecht des Parlaments“, von dem Kanzleramtsleiter Altmaier noch im Januar gesprochen hatte, war natürlich keine Rede mehr.

Stattdessen hielt der neue Gesetzentwurf den Bundesnachrichtendienst heim im Reich von Ronald Reagans Executive Order 12333, die im Jahre 1981 die „intelligence community“ innerhalb der U.S.-Hegemonie geschaffen hatte (hier mehr zum Kontext von ExO 12333 und zum langen Marsch der sich auf Grundlage dieses U.S.-Präsidentenbefehls entfesselnden Institutionen. Man denke jetzt mal auch voraus, an den neuen U.S.-Präsidenten Donald Trump).

Welche Gefahr für die Allgemeinheit von dieser „intelligence community“, diesem international inzestiös verschmolzenen geheimdienstlichen Komplex tatsächlich ausgeht, wollen die Wenigsten wahrhaben. Dabei ist diese bekannt und belegt. Und sie geht alle an.

Aus Interviews mit AussteigerInnen der mutmaßlich eng mit den Mitgliedern und Mitgliedern der „Technischen Aufklärung“ des Bundesnachrichtendienstes eingebetteten israelischen Einheit 8200, veröffentlicht im „Guardian“ im September 2014:

„Ich nahm eine Funktion an, in der Leute ´Ziele´ genannt wurden, und diese Leute die uns wirklich interessieren sind in keinem Sinne Terroristen, sondern eher generell normale Menschen – die uns interessieren wegen ihrer Funktionen, so dass wir mehr Geheimdienstinformationen über sie bekommen können und mehr Zugang erzielen. Wir nutzen unsere Möglichkeiten über diese Menschen zu unserem Vorteil, um es uns leicht zu machen. Wir nutzen die Einwirkung / die Wucht („impact) die wir auf deren Leben haben. Manchmal beinhaltet dies das Leben, oder die Seele einer Person wirklich zu verletzen. Ich meine Erpressung, bei Dingen die sie vor Leuten um sich herum verbergen müssen. Ich kann Menschen wirklich das Leben zerstören. Es gab mir das Gefühl omnipotent zu sein.

Als ich diesen Job begann, war ich überrascht von dem Ausmaß meiner Verantwortung. Ich hatte das Gefühl über wichtige Dinge ein Mitspracherecht zu haben. Ich konnte Dinge in Gang setzen, die das Leben (Anm.: es folgt die Bezeichnung der ausspionierten Ortsansässigen) betrafen – ich konnte meine Einheit dazu bringen alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Einstellung war ´Warum nicht? Wir können, also lasst es uns tun.´ Ich dachte, dass das, was ich tun konnte verrückt war. Wir waren die Chefs.“

Ein ex-Spion von 8200 berichtet, wie Soldaten unter seiner Ausbildung systematisch moralisch korrumpiert wurden, um sie zu „vergiften“ und die Skrupellosigkeit im Apparat weiter auf Standard zu halten. Bei Razzien „beschlagnahmte“ persönliche Gegenstände von Individuen – „Photos von Kindern, Uhren, Familienfotos, Fussballtrophäen, Bücher“, bis hin zu Juwelen – wurden nicht nur zur Mitnahme angeboten, sondern in den Ausbildungsräumen zur Schau gestellt.

Die Idee war die Auszubildenden („students“) zu vergiften. Zu Beginn des Kurses haben sie keine Ahnung, für welchen Bereich sie zugeteilt worden waren. Also betreten sie am Morgen, an dem sie ihre Zuteilung bekommen haben, die Klasse und wir motivieren sie, neben anderen Dingen, mit den Gegenständen an der Wand. Wir erklärten nicht genau was sie waren; wir sagten nur ´Beute`. Es wird nicht viel darüber gesprochen. Es erregt ihre Neugier und amüsiert sie.“

„Neben dem Wochenquiz gibt es da etwas das `Bonus´ genannt wird – alle Arten von lustigem Zeug. Manchmal werden lustige Konversationen gespielt, die wir zufällig (ab)gehört haben und dann behalten. Das sind unwichtige Dinge, geheimdienstlich nutzlos, die aber behalten werden weil sie lustig sind, und behalten werden für Jahre. Zum Beispiel `Frauengespräche`. Das sind Konversationen von Frauen, zu 99 % privater Nonsens. Alle Arten von Konversation über private Angelegenheiten, eingeschlossen Schreien, Weinen, Streiten und Fluchen.“

„Die Sex-Gespräche (..) waren immer ein heißes Thema, was von einer Person in der Einheit nur nächsten weitergereicht wurde, für einen guten Lacher. Eine Person sagte der Anderen Bescheid sie solle mal rüberkommen und zuhören. Oder andere unterhaltsame Gespräche. Zum Beispiel über ´lustige´ Gesundheitszustände wie Hämorrhoiden. Es war Teil der Moral der Einheit. Du gibst auch für einen Lacher Fotos weiter, die Zielen gehören, oder einfach (Anm.: Begriff für Einheimische). Einfach Fotos, Familienfotos und die Kerle haben ihren Lacher wenn die Kinder hässlich sind. Es gibt auch private Fotos, die Paare für einander gemacht haben.

Die einzige Schlussfolgerung die gezogen wurde, dass es in dieser Einheit so etwas wie einen illegalen Befehl nicht gibt. Es sind nicht wir, die entscheiden was moralisch ist und was nicht. Heute erkenne ich, dass dies das ist, was auch der Bomberpilot sagt: `Es ist nicht an mir zu sagen was moralisch ist und was nicht.` Jeder reicht die Verantwortung an Andere weiter.“

(…)

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