Offener Brief an Verantwortliche der Berichterstattung nach der Thügida Demonstration in Jena am 09.11.2016

Nachdem in Jena wieder einmal eine angemeldete Thügida Demonstration und zahlreiche Gegenproteste stattfanden, muss ich mit Bestürzung feststellen, wie der Abend in der deutschen vorrangig nicht lokalen Presse beschrieben wird und welches Bild damit von Jena in Deutschland entsteht. Im Spiegel online gibt es z.B. nur einen kurzen Artikel indem von „Zusammenstößen zwischen rechten und linken Demonstranten“ berichtet wird und mehrfach wird die hohe aggressive Gewaltbereitschaft der Gegendemonstranten betont. Die angeblichen Zusammenstöße wurden zwar später von dpa revidiert, aber nicht mehr von allen Redaktionen wahr genommen. Während die lokalen Nachrichtenmedien noch mit eigenen Vertretern vor Ort waren, um sich ein objektives Bild der Lage zu machen, beziehen sich die überregionalen Medien vorrangig auf die Informationen der dpa und diese wiederum auf die Informationen der Pressestelle der Polizei.

Ich war zum einen Anwohnerin und zum anderen bei einigen Gegenprotesten anwesend. Mein Bild ist ein vollkommen anderes als jenes, welches sich nach der Lektüre der Medien darstellt. Bei den Gegendemonstranten handelte sich überwiegend – fast nur – um normale Bürger der Stadt Jena die es satt haben, wieder mit nationalistischen Parolen belästigt zu werden und nicht um linke Radikale. Aber wird man bereits als links angesehen wird, wenn man gegen Nazis ist und als linksautonom, wenn man gegen Nazi Aufmärsche demonstriert? Dies ist der typische Duktus die Diffamierung tausender Jenaer Bürger des Anmelders David Köckert.

Bei den zahlreichen Fotos, die man bei lokalen Pressenmedien nachschauen kann, bestätigt sich auch der Eindruck den ich selbst bekommen habe, dass es sich um friedliche Gegenproteste aus der Bevölkerung handelt. Ganz im Gegenteil wurden diese von Seiten der Polizei durch Ausrichten des Wasserwerferfahrzeuges auf die Gegenprotestler und Beleuchten mit Flutlicht und Filmen durch die Polizei regelrecht als kriminell behandelt.

Dagegen war es den Einsatzkräften erst am Ende des Thügida Umzuges nach mehreren Stunden möglich, dem Verstoß der Auflage zu Anzahl der Fackeln nach Teilnehmerzahl zu reduzieren. Diesbezüglich brauchte es zig Hinweise aus der Bevölkerung u.a. via Twitter bis reagiert wurde. Am Ende bleiben genügend Fotos in der Presse, in denen ein Sarg mit den Aufschriften Antifa und Demokratie mit 12 Fackeln umringt abgebildet ist. Laut Auflagenbescheid hätte die Versammlung allein schon deswegen und wegen des Mitführens von diversen rot weiß schwarzen Fahnen, die direkt am Startpunkt von der Polizei nicht genehmigt aber auch nicht beschlagnahmt wurden, und wegen der von Beginn an sehr provokativen Reden u.a. eines bekennenden Holocaust Leugnern aufgelöst werden können. Bei den Redebeiträgen wird deutlich, dass die Veranstaltung weniger wie in der Anmeldung proklamiert auf den 09.11. als Datum zum Mauerfall bezogen ist, sondern immer wieder nationalistische Botschaften übermittelt wurden. Auf youtube kann man sehr gut verfolgen, wie lange es dauerte, bis die Polizei, die den Thügida Umzug begleitet, brauchte, bei der Sachbeschädigung eines Teilnehmers einzugreifen. Tatsächlich konnte dieser Teilnehmer in Ruhe auf das mitgeführte Fahrzeug klettern (laut Auflagenbescheid untersagt), ein Banner herunterreisen um dieses dem Anmelder David Köckert zu übergeben. Dieser hatte dann noch mehrere Minuten Zeit, dieses unter den Scheibenwischer zu klemmen und die Aktion zu feiern. Warum hat hier die Polizei wieder ein sofortiges Eingreifen versäumt? Und warum kann man davon kaum in überregionaler Presse lesen?

Sicherlich gab es einen einzigen Durchbruchsversuch von Gegendemonstranten, der aber sofort von der Polizei vereitelt wurde. Den an dieser Stelle zurückgebliebenen friedlichen Gegenprotestlern wurden dann Tränengas, Polizeihunde ohne Maulkorb und ein ausgerichtetes Wasserwerferfahrzeuges entgegengesetzt. Dabei fanden auch sehr rabiate Festnahmen (u.a. ein 13jähriges Mädchen) aus der friedlichen Gruppe heraus statt. Übrigens sieht man auf den Fotos der Festnahmen sehr gut das Vorgehen der Beamten.

Immer wieder lese ich dann, dass vier Beamte durch Tränengas leicht verletzt wurden. Wer hat denn das Tränengas eingesetzt? Am Ende bleibt ein Gegendemonstrant, der mit einer Zaunlatte gedroht hat. Wenn ich diese Person den 1500 friedlichen Gegendemonstranten gegenübersetze, ergibt sich bei mir ein vollkommen anderes Bild.

Deshalb fordere ich vor allem die überregionalen Medien und die dpa auf, in Zukunft genauer hinzuschauen und dann wahrheitsvoller zu berichten. Des weiteren fordere ich die Pressestelle der Polizei auf, bei der Beschreibung der tatsächlichen Vorkommnisse wahrheitsvoller und objektiver zu berichten. In diesen Zeiten, in denen mit Populismus Meinungen aufgebaut und benutzt werden, um eigene Machtinteressen zu unterstützen, ist es gerade die Aufgabe der Medien, sachlich und wahr zu berichten und dem entgegen zuwirken und Populismus keine Grundlage zu liefern.

Vielen Dank

Sabine Köhler, Jena

Leserbeitrag auf Jenapolis vom 11.11.2016

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