Die U.S.-Regierung wird sich nicht die Blamage geben, die Auflösung des Camps nicht zügig durchzuziehen und mit aller Härte durchgreifen, zumal U.S.-Veteranen, ehemalige Polizei- und Strafverfolgungsbehörden als „nationale Patrioten“ aus allen Bundesstaaten unter professionell durchgestyltem „Militärkommando“ zur Verteidigung des Lagers aufgefordert wurden.
Einen Tag, nach dem Thanks Giving-Feiertag in den U.S.A., übersandte der Chef des U.S. Army Corps of Engineers dem Stammesvorsitzenden Dave Archambault II von Standing Rock eine Botschaft.
In dieser wird ihnen mitgeteilt, dass das Lager am 5. Dezember 2016 aufgelöst wird und an eine andere Stelle weiter nördlich des Cannonball River verlegt werden soll. Zur Begründung hiess es, dass anschliessend die Bauarbeiten für die Dakota Access Pipeline (DAPL) durch die Standing Rock Indian-Reservation fortgeführt werden und die Auflösung des Camps der Sicherheit der Teilnehmer dienen würde. So würden diese vor einer weiteren Eskalation des Konflikts geschützt, vor „befürchteten Todesfällen, schweren Verletzungen, Krankheiten sowie vor den Folgen der Überwinterung bei eisigen Temperaturen in dem Camp, da alle Zufahrten hermetisch abgeriegelt werden und keine Versorgung der Menschen möglich ist“. Das Zeltlager steht derzeit zwischen dem North Dakota Highway 1806 und dem Missouri River (siehe Luftaufnahmen in den Videos).
Dallas Goldtooth, ein Mitglied des indigenen Umweltnetzwerks, bezeichnete am 26.11.2016 auf einer Pressekonferenz das Schreiben des Army Corps of Engineers als eine „widerliche Fortsetzung von fünfhundert Jahren Kolonisierung und systemischer Unterdrückung“. Videos von der 40-minütigen Pressekonferenz sind hier oder hier zu sehen. Alle waren sich einig, ihre Stellung zu halten und nicht zu dulden, dass die Streckenführung nicht geändert werden kann und ausgerechnet durch die Reservation und auf heiligem Gebiet verlaufen muss. Die Sprecher baten jeden, Präsident Obama und den zuständigen Chef des Armee Corps anzurufen um sie zu unterstützen.
Je mehr Menschen sich direkt vor Ort versammeln, um so schwerer wird es für die Soldaten, dass Camp zu räumen. Wenn sich mehrere zehntausend Personen auf den Weg machen und mit ihren Autos die Strassen durch Staus blockieren, ist das ihr Recht als Bürger eines demokratischen Staates, der in seinen Anordnungen längst keiner mehr ist. Und es ist kein ziviler Ungehorsam, sich auf dem Gelände als willkommene Gäste zu versammeln. Das Land ist eine vertraglich zugesicherte, unter Selbstverwaltung stehende Reservation, in die die Angehörigen der Stämme von der U.S.-Armee vor mehr als einhundert Jahren getrieben wurden.
Die ganze Welt blickt entsetzt auf die Eskalationen und fordert das Einstellen der ausgübten Gewalt gegen friedliche Menschen. Unter ihnen sind auch ehemalige Soldaten, die aktiv in Auslandseinsätzen gekämpft haben. Einige wurden zu entschlossenen Friedensaktivisten wie die Mitglieder der Veterans for Peace (VFP). VFP-Mitglieder sind seit Monaten vor Ort und wechseln sich ständig ab, unter ihnen Will Griffin, Ellen Davidson, Sam Adams, Richard Gilchrist, Martin Bates, Michael Sullivan, Ann Wright und Cian Westmoreland.
Darüber hinaus gibts es noch andere Ex-Soldaten, die nach den brutalen Ereignissen in der vergangenen Woche, festgehalten in Fotos und Filmaufnahmen, mit Abscheu reagierten und jetzt die Initiative ergreifen: Einer von ihnen ist Wesley Clark Junior, Sohn des Vier-Sterne-Generals Wesley Clark. Wesley Clark war extremer Hardliner als Supreme Allied Commander of NATO in 1999 während des völkerrechtswidrigen Krieges in Jugoslawien. Im Juli vergangenen Jahres fiel der General erneut in seinem festgefahrenen Weltbild auf, indem er in den U.S.A. Internierungslager nach dem Vorbild der Nazis für radikalisierte U.S.-Bürger forderte. Heute verdient Clark seine Millionen mit hohen Posten in der Energiebranche, unter anderem mit der Gewinnung von „ökologischem“ Ethanol für „Biodiesel“.
Clark Junior hat in der U.S.-Armee als Offizier gedient, aber nie einem Feind im Feld gegenüber gestanden. Heute ist er Co-Moderator bei „The Young Turks“ und engagiert sich für Umweltfragen, Klimaschutz und gegen die Gas- und Ölindustrie.
Gemeinsam mit Michael A. Wood Junior, einem ehemaligen Sergeant des Baltimore Police Department und Whistleblower über Polizeigewalt und ihre Vertuschung, hat er einen generalstabsmässig ausgearbeiteten militärischen Feldzug-Plan (Operations Order) veröffentlicht.
Der Aufruf richtet sich an Veteranen aller Sparten der Armee – die Luftwaffe, die Navy, die Küstenwache, die Marines u.s.w., an ehemalige Feuerwehr- und Polizeibeamte – vom 4. Dezember bis 7. Dezember 2016 die Standing Rock-Bewegung als direkte physische Frontlinie mit ihrem Körpereinsatz zu schützen mit der Bedingung, keine Waffen, Drogen und Alkohol mitzubringen, statt dessen Gasmasken, warme Kleidung, Schlafsäcke, diverse Verteidigungsausrüstung und das Tragen ihrer alten Uniformen aber ohne Orden und Abzeichen.
Auf einer eingerichteten Spendenseite sind zum jetzigen Zeitpunkt in fünfzehn Tagen fast eine halbe Million U.S.-Dollar für die logistischen Aufgaben von annähernd zehntausend Personen überwiesen worden. Wie viele Veteranen dem Aufruf folgen ist noch ungewiss. Michael A. Wood Junior berichtete gestern abend von über zweitausendeinhundert Personen.
So sehr die friedliche Bewegung zur Verteidigung der Unversehrtheit der Natur im Kampf gut ausgebildete Männer benötigt, die verhindern könnten, dass, und gerade im Hinblick auf den 5. Dezember, ein bevorstehendes „Massaker“ verübt wird, ist die Aufmachung des Aufrufs sehr problematisch.
Möglicherweise wurde diese Wahl getroffen um die Denkweise in dieser Kategorie des Geistes der Militärs anzusprechen, die sie gewohnt sind: „This is who we are now, the 27th Cavalry Regiment“.
Der Sohn des Generals kennt sich darin aus, da er seine Kindheit auf den ständig wechselnden Militärstützpunkten während der Laufbahn seines Vaters (so als Kommandierender General des US Southern Command Ende der neunziger Jahre) verbracht hat. Seine Aussage „Most civilians who’ve never served in a uniform are gutless worms who’ve never been in a fight in their life. So if we don’t stop it, who will?” Zivilisten allgemein und im Besonderen die Aktivsten in Standing Rock als „gutless worms“ (feige Würmer) zu nennen ist schon ein starkes Stück. Eine Klarstellung dazu veröffentlichte Clark Junior auf seiner Facebook-Seite.
Die Bezeichnung „27th Cavalry Regiment“ unter Verwendung des Orginal-Logos mit der Inschrift „VAMOS“ (Los geht‘s,vorwärts) bezieht sich augenscheinlich auf das 27th Cavalry Regiment der in 1943 in Fort Clark in Texas gegründeten Amerikanisch-Afrikanischen Einheit.
Aber gerade die rassistisch eingestellten Südstaatler erinnern sich nur zu genau an ihre Niederlage durch die föderalen Streitkräfte während der blutigen 1860er Jahre des Amerikanischen Bürgerkriegs bei dem Versuch, sich unabhängig von dem U.S.-Staatenbund zu machen. Auch dort gab es eine Twenty-seventh Texas Cavalry.
Bis heute gibt es erneut Bestrebungen in bestimmten U.S.-Bundesstaaten, sich aus dem Bund „Vereinigte Staaten von Amerika“ herauszulösen.
Wenn sich diese Sorte von Militärs auf dem Weg nach North Dakota begibt um es der U.S.-Armee mit einer Kraftprobe, die ausser Kontrolle gerät, heimzuzahlen gibt es den Gouverneuren und der U.S.-Regierung den Anlass, den Notstand auszurufen. Die Verlierer werden die Menschen sein, die seit Monaten auf friedliche Weise ihre Stellung halten, denn laut Verfassung können sie dort ihre Rechte ausüben so lange sie das für nötig erachten.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die überwiegende Mehrheit der Ex-Soldaten in ehrlicher Absicht so wie die Veterans for Peace anreisen um diese Sezession-Aufwiegler und andere Provokature abzuwehren.
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