Ein Artikel der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde durch die verschiedensten sozialen und wirtschaftlichen Prozesse geprägt. Neben den Änderungen auf nationaler Ebene spielte auch die wachsende europäische Harmonisierung eine immer größere Rolle. Dies traf in zunehmendem Maß auf den Verkehrssektor zu und hatte somit auch Auswirkungen auf die Deutsche Bundesbahn und ihre Beschäftigten.
Gemeinsame europäische Verkehrspolitik
Die Ratifizierung der Römischen Verträge am 1. Januar 1958 legte den Grundstein für die Europäische Union, wie wir sie heute kennen. Die Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande, Frankreich und Luxemburg gingen nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) damit einen weiteren entscheidenden Schritt Richtung europäischen Integration. Inhalt der Verträge waren die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Europäischen Atomge-einschaft (EURATOM) und dem Abkommen über gemeinsame Organe für EWG, EURATOM und EGKS in Form einer gemeinsamen parlamentarischen Versammlung, eines gemeinsamen europäischen Gerichtshofs sowie eines gemeinsamen Wirtschaft- und Sozialausschusses.
Der Verkehrssektor gehörte dabei zu einem der ersten gemeinsamen Politikbereiche der EWG, welcher seine Basis in eben jenen Römischen Verträgen findet. Dabei oblag es zunächst den Mitgliedsstaaten, sich über Inhalte und Ziele einer solchen Politik zu einigen, wodurch der Harmonisierungs- und Liberalisierungsprozess auf diesem Gebiet zunächst langsam voran ging.
Der Einfluss auf die Lokomotivführer
Bis in die 1980er Jahre war der europäische Einfluss auf die Deutsche Bundesbahn und damit ihre Lokomotivführer relativ gering. Die Entscheidung einer umfassenden Harmonisierung des Schienenweges innerhalb der EWG fiel 1965 mit dem Ziel, den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft zu koordinieren und auf eine Eigenständigkeit der Bahnen der Mitgliedsstaaten hinzuwirken. Auch der grenzüberschreitende Verkehr gewann zunehmend an Bedeutung. Verschiedene Verordnungen in folgenden Jahren verpflichteten die Mitgliedsstaaten zudem, die Wettbewerbsverzerrungen in der Verkehrspolitik anzugleichen. Dies hatte zunächst eine Schubwirkung für die Deutsche Bundesbahn, da unter anderem gesetzliche Ausgleichsansprüche für Sozialtarife im Personenverkehr bestanden. Das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Vollendung eines gemeinsamen Binnenmarktes behandelte auch den Verkehr und setzte erstmals zu erreichende Ziele bis 1992 fest.
Unter dem Eindruck des zunehmenden Zusammenwachsens des europäischen Schienenverkehrs reifte auch in den Lokomotivführern der GDL der Entschluss heran, die Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen Lokomotivführer-Gewerkschaften zu verstärken. Der Gedanke dahinter war kein neuer, da bereits seit der Gründung des VDL gute Kontakte zu den Kollegen im europäischen Ausland bestanden, wie die Gründung von Ortsgruppen in Posen oder der Schweiz zeigten.
Die Gründung der ALE
Der Gedanke des Zusammenschlusses fand sich bereits 1985 in ersten Gesprächen zwischen den verschiedenen europäischen Lokomotivführer-Gewerkschaften und GDL. Er setzt parallel zu der beginnenden Liberalisierung und Harmonisierung innerhalb der EWG ein. Ziel der Gespräche war es zunächst, die Interessenvertretungen der verschiedenen Lokomotivführer-Gewerkschaften zu einem Zusammenschluss zu bewegen. Vor diesem Hintergrund kam es am 8. Juni 1989 schließlich zur Gründung der Autonomen Lokomotivführer-Gewerkschaften Europas (ALE) in Rom.
Eines der Gründungsmitglieder der GDL war der ehemalige GDL Vorsitzende Karl Klein (verstorben 30. Mai 1996). Ziel der GDL war es, durch ein solches Zusammenführen der europäischen Lokomotivführer gegen die Liberalisierung des Schienenmarktes und die damit einhergehenden, möglichen Verschlechterungen für den Berufsstand bei Arbeitszeiten und Entgelt rechtzeitig einschreiten zu können.
Die Hauptgefahr sah die Gewerkschaft in dem Angleichen der Bedingungen an vorgegebene Mindeststandards, was eine Verschlechterung der nationalen Vorgaben bedeuten könnte. Vielmehr sollte die Zusammenführung zu einer Bündelung der Kräfte führen, um die materiellen und sozialen Voraussetzungen für die Lokomotivführer europaweit anzugleichen.
Lohndumping sollte unterbunden werden, bei grenzüberschreitenden Unfällen sollte dem betroffenen Lokomotivführer schnell und unbürokratisch geholfen werden. Lokomotivführer sollen auch im grenzübertretenden Verkehr vor einem Verdrängungswettbewerb sowie der Vernachlässigung von Ausbildungsrichtlinien geschützt werden. Im Laufe der Jahre engagierte sich die ALE zunehmend bei der Eingabe von Memoranden an die europäischen Institutionen und dem Ausbau der Zusammenarbeit sowohl untereinander, als auch mit den verschiedenen europäischen Schienenverkehrsträgern.
Dabei wird die ALE auch von der CESI (Europäische Union der unabhängigen Gewerkschaften) unterstützt und arbeitet seit vielen Jahren eng mit ihr zusammen.
Die Organisation der ALE
Die ALE hat heute 17 Mitgliedsgewerkschaften und organisiert weit über 100 000 europäische Lokomotivführer. Die Gründungsmitglieder GDL, die italienische SMA (heute FAST Ferrovie), die niederländische VVMC und der Schweizer VSLF einigten sich früh über die Organisationsstrukturen. Der Kongress ist das höchste Organ der ALE. In Abständen von circa vier Jahren werden hier die grundsätzlichen politischen Ziele festgelegt und der dreiköpfige Vorstand gewählt. Der Vorstand tagt wiederum zweimal jährlich. Präsident und zwei Vizepräsidenten bilden den geschäftsführenden Vorstand, desweiteren sind dem Vorstand der Schatzmeister und die Präsidenten der nationalen Gewerkschaften angegliedert. Er fasst zeitnahe gewerkschaftspolitische Ziele, die sich an Hauptzielen des Kongresses orientieren. Seit jeher ist die GDL im Vorstand vertreten, aktuell durch den GDL-Bundesvorsitzenden Claus Weselsky.
150 Jahre GDL (Teil 18) Die GDL und die ALE (12.12.2016)
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Artikel von Radio Utopie zum Thema:
11.05.2016 Resolution der Autonomen Lokomotivführergewerkschaften Europas ALE zur Unterstützung der GDL