Wie sich eine Partei den Namen „Die Linke“ gab
Zwei Essays von Hermann Ploppa aus 2005 mit dem Titel „Ein neuer Mantel für die PDS“ beleuchten, wie die ehemalige DDR-Staatspartei (ab 1990 „PDS“) im Jahre 2004 mithalf die „Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) zu gründen, auf deren Rücken anschließend wieder in den Bundestag einzog, sie anschließend schluckte und sich selbst in „die Linke“ umbenannte.
Zu Hermann Ploppa: Autor („Die Macher hinter den Kulissen: Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“, Übersetzer von Tim Andersons „Der Schmutzige Krieg gegen Syrien: Washington, Regime Change, Widerstand“.
Die Essays sind hier zu finden (Teil 1, Teil 2) und hier gespiegelt (Teil 1, Teil 2). Teil 1 wurde veröffentlicht im Juni 2005, Teil 2 im August 2005, also noch vor der vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder so plötzlich vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005.
Dass Schröder damals die Wahl über eine selbst organisierte „gescheiterte“ Vertrauensfrage im Bundestag so plötzlich vorzog – eine vom Grundgesetz nicht vorgesehene faktische Auflösung des Parlaments nach dem Gusto eines Kanzlers! – erschließt sich nur vor dem Hintergrund eben dieser Entwicklungen.
Kanzler Schröder ließ das Vorziehen der Bundestagswahl noch am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 von seinem damaligen Generalsekretär Franz Müntefering verkünden. An der NRW-Wahl hatte der Landesverband der WASG, gegen den massiven Widerstand des WASG-Bundesvorstands, eigenständig teilgenommen und 2,2 Prozent erreicht.
Hier nun ein Auszug von Hermann Ploppas „Ein neuer Mantel für die PDS“, Teil 1 vom Juni 2005:
„Nach außen hin wurde die eilige Eheanbahnung von WASG und PDS mit dem Zeitdruck begründet, den Schröder mit der vorzeitigen Neuwahl aufgenötigt habe. Zudem betrat Oscar Lafontaine das Spielfeld mit der Drohung, nur anzutreten, wenn sich beide Mannschaften vereinigten. Plötzlich brachte der Bundesvorstand der WASG vor, die Partei habe kein Geld und sei noch ohne richtige Infrastruktur. Zuvor hatte aber eben der selbe Bundesvorstand diese Argumente verworfen, als es um die Frage ging, ob die WASG in Nordrhein-Westfalen antreten solle. Die weiteren Schritte geschahen unter Ausschluß der Basis.
Man hätte erwarten können, daß nach der Ankündigung von Neuwahlen bereits im Jahre 2005 die Führung der WASG sofort mit einem Maßnahmenkatalog die eigene Basis mobilisiert. Aber: nichts ist geschehen.
Während die anderen Parteien ihr Mitgliederpotential in höchste Aktivitätsstufe versetzte, Wahlprogramme auf den Weg brachte, Propagandamaterial entwarf, Kandidaten bestimmte, sich mit der Presse verlinkte, geschah bei der WASG in dieser Hinsicht – gar nichts.
Die WASG-Führung hätte sich um des eigenen Überlebens willen umgehend mit allen sozialen, ökologischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Kräften in Deutschland kurzschließen müssen, um mit ihnen zusammen einen bündnisfähigen Wahlkampf auf den Weg zu bringen. Sie hätte Wissenschaftler um sich scharen müssen, um ihre Wahlkampfaussagen auf ein solides Fundament stellen zu können.
Doch der Bundesvorstand tat nichts dergleichen.Die einzige Aktivität, die seit Mai 2005 seitens des Bundesvorstandes der WASG festzustellen ist: man wirbt um Oscar Lafontaine und verhandelt permanent mit der Führung der PDS über ein möglichst rasches Aufgehen der WASG in der PDS. Die WASG hat auf diese Weise nicht die geringste Chance, politisch und finanziell die nächsten Jahre zu überleben. Der Auftritt auf der nunmehr verabredeten Liste der zur Linkspartei umetikettierten PDS wird der PDS immense Geldbeträge aus der Wahlkampfkostenrückerstattung einbringen. Die WASG dagegen wird nach der Bundestagswahl bankrott sein.
Wie erklärt sich ein solcher Selbstmordkurs? Wie kann eine Parteiführung alles unternehmen, um den eigenen Ruin einzuleiten?
Ist es überhaupt die WASG-Führung, die die Vereinigung mit der PDS angestrebt hat? Oder hat die PDS womöglich das Aufgehen der WASG in der PDS strategisch überlegt eingefädelt?
Diese These klingt abenteuerlich. Aber es gibt handfeste Hinweise für die Annahme, daß die PDS den Kampf gegen ihren eigenen Verfall durch eine – nicht sonderlich raffinierte, aber dennoch skrupellose – Inszenierung schon mindestens seit dem Jahre 2002 in die Wege geleitet haben könnte.
Diesen Hinweisen wird im nachfolgenden Kapitel nachgegangen. Wir betrachten zunächst den aktuellen Zustand der PDS. Dann werden wir die von PDS-Vordenkern anvisierten Rettungsstrategien unter die Lupe nehmen.“
Im Weiteren legt Hermann Ploppa sehr überzeugend nahe, warum die in 2002 aus dem Bundestag geflogene PDS, deren Mitglieder damals zu 77% Rentner aus Ostdeutschland waren, dringend eine Blutzufuhr benötigte und sich eben diese organisierte. Die PDS refinanzierte sich und ihre Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Wahlkampfkosten-Rückerstattung durch den Wiedereinzug in den Bundestag als flux umbenannte „Linkspartei“, sowie natürlich durch nun zunehmend erfolgreiche Teilnahme an Landtagswahlen, gerade im Westen.
Später, im Juni 2007, benannte sich die ehemalige PDS endgültig in „Die Linke“ um, die WASG wurde aufgelöst und angeschlossen. Alle WASG-Mitglieder wurden automatisch Mitglieder einer anderen Partei – eines von vielen juristischen Manövern, gegen die nie wirklich durchgeklagt wurde. Mein (Aus)Tritt-Schreiben vom 13. Juni 2007 liest sich bis heute recht schmissig, wie ich finde.
Am 9. Dezember 1989 war Gregor Gysi in der Staatspartei der untergehenden DDR als faktischer Nachfolger von Egon Krenz (vorher: Generalsekretär) zum nun Vorsitzenden der SED gewählt worden.
Über 23 Jahre später, am Abend der Bundestagswahl in 2013, sagte Gysi als Fraktionsvorsitzender von „Die Linke“, wer diese Partei tatsächlich ist:
„Wer hätte das 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste politische Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird?“
Auszug aus Teil 2 von Hermann Ploppas „Ein neuer Mantel für die PDS“ vom August 2005, kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl und nach der Aufstellung der entsprechenden Kandidatenliste durch die gerade in „Linkspartei“ umbenannte PDS:
„Die WASG-Basis murrt vernehmlich. Doppelt und dreifach sind sie von der PDS gelinkt worden: erstens, sind kaum WASG-Kandidaten unter die Glaskuppel des Berliner Reichstags gebracht worden; zweitens kommt kein Geld aus der PDS-Zentrale, und drittens dürfen die WASGler kostenlos für die PDS Plakate kleben und Flugblätter verteilen. Und die PDS kassiert die Wahlkampfkostenerstattung aus dem Portefeuille des geduldigen Steuerzahlers zur Gänze ab. Die PDS ist saniert, die WASG trotz Mordsanstrengung pleite. Der Bundesvorstand hat zudem die WASG in der Besenkammer abgestellt, wo sie jetzt verstaubt.
Keine Newsletter, keine Statements, nichts. Nur weißes Rauschen.
Wie lange halten die geleimten WASG-Mitglieder noch still?
Klar. Wer von einem Trickbetrüger an der Haustür auf plumpeste Weise übers Ohr gehauen worden ist, dem ist das zunächst mal peinlich, besonders, da ja gute Freunde eindringlich vor dem Gauner gewarnt haben. Er möchte auch nicht, daß seine Nachbarn von dieser Schande erfahren. Also macht er womöglich weiter, und tut so als sei nichts geschehen. Aber wenn so viele Leute gleichzeitig aufs Kreuz gelegt worden sind, müßte doch eigentlich allein die Masse der Geschädigten zu einer Solidarisierung und Überwindung der individuellen Scham führen. Warten wir mal ab.“
Wer über 11 Jahre nach diesem Essay nicht mehr abwarten und sich schämen will, sollte umgehend aus dem Knick kommen. Ein Blick in die Geschichte, in die Welt und der Gedanke wie das letzte Jahrzehnt wohl mit einer linken Partei statt „die Linke“ in einem der mächtigsten und einflussreichsten Länder auf dem Planeten und diesem Kontinent verlaufen wäre, reicht dafür aus. Wer nicht einmal zu diesem Gedanken fähig ist:
aus dem Weg!
(…)
Hinweis: in diesem Artikel wurden Abkürzungen wie “WASG” oder “PDS” nicht als solche durch Punkte gekennzeichnet.