Als das Bundesverfassungsgericht beschloss, dass es keinen Untersuchungsausschuss gegen die Regierung gibt
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Diese Artikelserie dokumentiert für jeden einsehbare Inhalte der bereits erfolgten Verfassungsgerichtsbeschlüsse 2 BvE 5/15 (zur Nichtannahme der Verfassungsklage der G 10-Kommission auf Einsicht in die „N.S.A.-Selektorenliste“) und 2 BvE 2/15 (zur Geheimhaltung der „Selektorenliste“ auch vor dem „Untersuchungsausschuss“ von Bundesnachrichtendienst und National Security Agency).
Und deren Folgen.
Zusammenfassung
Der B.N.D.-N.S.A.-Untersuchungsausschuss ist faktisch keiner. Ebenso konnte in dieser Legislaturperiode gegen den Willen der Regierung keiner gebildet werden. Auch ein Untersuchungsausschuss zu den Umtrieben der Behörden im Zuge des Attentats von Berlin wäre eine Farce.
Die Verantwortung dafür trägt das Bundesverfassungsgericht, welches die Republik im Oktober und November 2016 mit zwei verheerenden Beschlüssen für die Bundesbehörden faktisch zum Abschuss freigab.
Im Detail
Der Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht der „Opposition“ von „Bündnis 90/Grünen“ und „Die Linke“ mitteilte, dass sie keine Opposition und ihr „Untersuchungsausschuss“ kein Untersuchungsausschuss im Sinne von Artikel 44 Grundgesetz ist, war der 15. November 2016.
An diesem Tage veröffentlichten die Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Peter Müller, Doris König, Ulrich Maidowski ihren Beschluss 2 BvE 2/15, der formell bereits am 13. Oktober gefasst worden war.
Die von den Regierungsparteien „C.D.U.“, „C.S.U.“ und „S.P.D.“ über deren Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag unter Aussschluss der Öffentlichkeit im Wahlausschuss und nach Expertenmeinung über fünfzig Jahre lang, bis 2015, verfassungswidrig bestimmten Verfassungsrichter verweigerten an diesem 15. November 2016 dem „Untersuchungsausschuss“ bzw den dortigen Vertretern der Opposition die Einsichtnahme in die „Selektorenliste“ von Bundesnachrichtendienst (B.N.D.) und National Security Agency (N.S.A.).
Wie wir bereits in unserer Artikelreihe dokumentierten, umfasst diese vielzitierte „Selektorenliste“ sowieso nur die Spionageziele („Selektoren“) des Bundesnachrichtendienstes, die nach dessen eigenen Angaben „durch diesen abgelehnt worden waren“– also nicht etwa die Spionageziele, die der Bundesnachrichtendienst selbst tatsächlich anvisiert hatte und bis heute anvisiert.
Doch obwohl nach einem verfassungsgerichtlich offiziell verbrieften jahrzehntelangen Totalausfall der Demokratie und Willkür im geheimdienstlichen Komplex schließlich am 16. September 2015 immerhin zwei Fraktionen des Parlaments in einem offziell als „erster Untersuchungsausschuss“ betitelten Gremium des Bundestages eine Verfassungsklage eingereicht hatten, verweigerte das Verfassungsgericht der Republik selbst diesen Klägern die Einsichtnahme in eine Liste mit vom B.N.D. abgelehnten Spionagezielen gegen deutsche Interessen.
Die entsprechenden Schlüsselsätze von Beschluss 2 BvE 2/15:
„Nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG ist nur eine Viertelminderheit als organisatorisch verfestigte selbstständige Teilgliederung des Deutschen Bundestages mit eigenen verfassungsrechtlichen Rechten ausgestattet. (…) Hieran vermag die Einfügung des § 126a Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 GO-BT nichts zu ändern. Eine geschäftsordnungsmäßig verbriefte Rechtsposition ist nicht zwangsläufig von einem (behaupteten) Verfassungsorganstatus, das heißt vom Verfassungsrecht, umfasst.„
Das Verfassungsgericht verwies in seinem Urteil darauf, dass die Abgeordneten der „Opposition“ von „Bündnis 90/Die Grünen“ zum Zeitpunkt der Einsetzung des Untersuchungssausschusses weniger als ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages stellten, zusammen 127 von 631.
Auch der am 3. April 2014 mit Zustimmung der Regierungsparteien in die Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) eingefügte Zusatzartikel 126a ändere nichts daran, so die Verfassungsrichter, dass die Minderheit von einem Viertel des Untersuchungsausschusses eben nicht „parteifähig“ und damit auch nicht zur Verfassungsklage berechtigt sei, da sie kein Viertel des Bundestages repräsentiere.
Mit diesem Beschluss stellte das Verfassungsgericht am 15. November 2016 die „Opposition“ von „Bündnis 90/Die Grünen“ und „Die Linke“ geradezu brutal bloß: diese hatte nach der Bundestagswahl auf der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 22. Oktober 2013 zunächst ohne Gegenstimme eine Geschäftsordnung abgenickt, die sie selbst vollständig entmündigte (wir berichteten), dann zugesehen wie das gesamte Parlament für ein halbes Jahr praktisch vollständig lahmgelegt und die Republik außer Funktion gesetzt wurde und sich dann im April 2014 auf eine von den Regierungsparteien und ihrer Drei-Viertelmehrheit im Bundestag gnädigerweise genehmigte Änderung der Geschäftsordnung eingelassen, die ihr nun wieder nichts half, weil sie vom Verfassungsgericht als irrelevant kassiert wurde.
Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht im seinem am 14. Oktober 2016 bekannt gemachten Beschluss 2 BvE 5/15 eben dieser, unter komatösen Nichtbegreifens der „Opposition“ beschlossenen und geänderten Geschäftsordnung noch einen ganz anderen Stellenwert gegeben:
Das Bundesverfassungsgericht hatte es in Beschluss 2 BvE 5/15 abgelehnt, die Verfassungsklage der G 10-Kommission auch nur anzunehmen – weil die vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages gewählte G 10-Kommission angeblich keines der „durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane“ (Artikel 10 Grundgesetz!) des Bundestages und kein „durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten“ ausgestatteter Beteiligter sei. (Wie die Geschäftsordnung des Bundestages eine Verfassungsklage über die B.N.D.-N.S.A.-„Selektorenliste“ entschied)
Einerseits also benutzte das Bundesverfassungsgericht in 2 BvE 5/15 zur G 10-Kommission eine einfache Geschäftsordnung des Parlaments dazu, um die Verfassungsklage des einzigen Gremiums, welches alle der von der Regierung und ihren Behörden gegen das Brief-, Post- Fernmeldegeheimnis von 80 Millionen Bundesbürgern durchgeführte „Beschränkungsmaßnahmen“ aufheben und verbieten kann, auf Einsichtnahme in die „Selektorenliste“ abzubügeln.
Andererseits konstatierte das Verfassungsgericht in 2 BvE 2/15 der Geschäftsordnung Irrelevanz, als es die Geheimhaltung der „Selektorenliste“ auch vor dem „Untersuchungsausschuss“ und dessen Minderheit ging, den einzigen Parteien im Parlament, die nicht der Regierung angehören.
Dazu kommt noch Folgendes.
Artikel 44 Grundgesetz, seit Inkrafttreten des Grundgesetzes vier Jahre nach dem Faschismus unverändert, lautet wie folgt:
Artikel 44
(1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden.
(2) Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleibt unberührt.
(3) Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet.
(4) Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrunde liegenden Sachverhaltes sind die Gerichte frei.
Wie also jeder lesen kann, schrieb der Verfassungsgeber in 1949 ins Grundgesetz der Regierung und ihrer Mehrheit die Pflicht hinein, einen Untersuchungsausschuss auf Antrag eines Viertels der Abgeordneten einzusetzen.
Aber von einer fehlenden Befugnis zweier Parteien in einem Untersuchungsausschuss Akteneinsicht von der Regierung zu bekommen, auch wenn diese Parteien nicht über ein Viertel der Abgeordneten im Parlament verfügen, ist in Artikel 44 nicht die Rede.
Das heisst: Die von den Verfassungsrichtern Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Peter Müller, Doris König, Ulrich Maidowski beschriebene „Viertelminderheit als organisatorisch verfestigte selbstständige Teilgliederung des Deutschen Bundestages mit eigenen verfassungsrechtlichen Rechten“ ist deren eigene Interpretation des Grundgesetzes.
Diese Interpretation versenkt nicht nur die parlamentarische Demokratie innerhalb dieser Legislaturperiode, von September 2013 bis September 2017. Sie bestätigt auch in vollem Umfang, was wir bei Radio Utopie seit Jahren behaupten: das unsere Republik seit 2013 außer Funktion gesetzt worden ist.
Fazit
Diese Regierung und ihre Parteien „C.D.U.“, „C.S.U.“ und „S.P.D.“. brauchen, mit Rückendeckung aus Karlsruhe, seit der Bundestagswahl in 2013 keine Opposition im Bundestag zu fürchten. Alle Untersuchungsausschüsse des Bundestages in dieser Legislaturperiode sind effektiv keine, auch der „B.N.D.-N.S.A.-Untersuchungsausschuss“ nicht. Ebenfalls eine Farce wäre ein „Untersuchungsausschuss“ bezüglich des Attentats in Berlin am 19. Dezember auf dem Breitscheidplatz. Kein Wunder, dass die Regierungsparteien wieder einmal Zustimmung zu einem solchen Staatsschauspiel signalisieren, genauso wie seinerzeit nach den „Snowden-Veröffentlichungen“ (nach denen alles noch schlimmer wurde und die Regierung schlicht alles „legalisierte“ was sie tat).
Es darf nun gemutmaßt werden, ob bereits nach der letzten Bundestagswahl im September 2013 die angehende neue Merkel-Regierung Entsprechendes aus Karlsruhe signalisiert bekam. Die seitdem aus der Regierung, ihren Funktionären und aus deren Behörden, Geheimdiensten und Polizeien wie Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt strömende bräsige Selbstgefälligkeit und Ignoranz („erkläre die Affäre für beendet“, etc) wäre mit dieser Rückendeckung genauso erklärbar wie deren Eigenleben, gerade hinsichtlich des Attentats in Berlin, welches nur einen knapp einen Monat erfolgte, nachdem die Verfassungsrichter durch Beschluss 2 BvE 2/15 Regierung und (internationalem) geheimdienstlichen Komplex attestierte, dass sie zumindest in dieser Legislaturperiode keinen Untersuchungsausschuss im Parlament fürchten müssen.
Ebenso würde Sinn ergeben, dass jetzt die Bundesregierung und Bundesinnenminister Thomas De Maiziere, mit seinem Dr. Maaßen im Bundesamt für Verfassungsschutz, ausgerechnet den Massenmord am Breitscheidplatz dazu benutzen will die eigenen Bundesbehörden weiter zu ermächtigen, das Militär im Inneren einzusetzen und den Landesbehörden, namentlich denen aus Nordrhein-Westfalen, dafür auch noch den Schwarzen Peter zuschanzen und weiter schwächen möchte.
Die Option der „Oppositionsparteien“, über von ihnen geführte Landesregierungen in Baden-Württemberg und Thüringen eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung einzureichen („abstrakte Normenkontrolle“), nehmen „Grüne“ und „Linke“ weiterhin nicht wahr: im Gegenteil, sie thematisieren diese nicht einmal, sondern versuchen ihre tatsächlichen Möglichkeiten im Bundesrat genauso zu vernebeln wie ihre Hilflosigkeit im Bundestag.
Beide „Oppositions“-Parteien tragen so weiter zum moralisch-politischen Zusammenbruch des etablierten und populären fortschrittlichen Spektrums bei, den wir ebenfalls seit geraumer Zeit beschrieben haben.
Bei dieser Zusammensetzung von Bundestag und Bundesverfassungsgericht ist selbst die real existierende parlamentarische Demokratie nicht mehr real existierend.
Es bleibt der Republik durchzuhalten bis zur nächsten Bundestagswahl im September 2017. Danach ist zwar eine erneute Kanzlerschaft von Angela Merkel und ihrer Parteien „C.D.U.“, „C.S.U.“ und „S.P.D.“ zu erwarten, aber nicht deren abermalige Drei-Viertel-Mehrheit; was nicht heißt, dass dann alles besser wird, aber die nächste Regierung wenigstens einen tatsächlichen Untersuchungsausschuss des Parlaments fürchten muss, trotz ihrer Interpreten in Karlsruhe.
nachfolgender Artikel der Serie:
19.02.2017 Als Ihr Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis die Gewaltenteilung verlor – im Jahre 1968
(…)
vorhergehende Artikel zum Thema:
03.01.2017 Auch die „F.D.P.“ deckt die optische Massenerfassung der Bevölkerung
Sonst noch Wünsche, Herr Kubicki? Etwa gewählt werden zu wollen?
23.07.2014 Wie Interpreten von Recht das Recht verändern, brechen, stürzen können
Erfolgen diese Prozesse in Absprache und / oder auf Befehl der höchsten staatlichen Ebenen, in Exekutive, Legislative oder Judikative, gar allen zusammen, im Geheimen, in Absprache mit einer ausländischen Macht, oder gleich mit mehreren, nennt man so etwas Hochverrat und einen organisierten Staatsstreich.
zwei Rechtsschreibkorrekturen vorgenommen und eine Formulierung geändert am 24.01.2016