Kritik an Interview von Sektenarzt Hartmut Hopp aus der Colonia Dignidad in Chile

Der ehemalige Arzt der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile, Hartmut Hopp, hat sich in einem Interview erstmals ausführlich zu den Anschuldigungen gegen ihn geäußert. Der 72-jährige, der 2011 nach seiner Verurteilung wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger aus Chile geflohen war, wies im Gespräch mit Journalisten der Westdeutschen Zeitung jede formaljuristische Schuld von sich. Menschenrechtsaktivisten und Vertreter von Opfern der Colonia Dignidad reagierten empört auf die Einlassungen des Justizflüchtlings.

In Chile ist der Mediziner wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. In Deutschland schützt ihn seine deutsche Staatsangehörigkeit vor Auslieferung. Die chilenische Justiz hat daher die Vollstreckung der Strafe in Deutschland beantragt.

Über fünf Jahre nach seiner Flucht soll nun das Landgericht Krefeld, dem neuen Wohnort von Hopp, über den Fall entscheiden. Dorthin war die Akte von der Staatsanwaltschaft überwiesen worden. Das Gericht prüft nun, so hieß es auf Anfrage, ob das Urteil aus Chile deutschen Rechtsstandards genügt und somit vollstreckt werden kann.

Hopp gilt als „rechte Hand“ des Gründers und Führers der Colonia Dignidad, Paul Schäfer. Die Sektensiedlung war jahrzehntelang Ort schwerster Menschenrechtsverletzungen. Auf dem weitläufigen Gelände verschwanden Gegner des Pinochet-Regimes (1973-1990); sie wurden gefoltert und ermordet. Deutsche und chilenische Kinder wurden sexuell missbraucht.

Im Interview nun präsentierte sich Hopp als „Opfer der Justiz, der öffentlichen Meinung, die sich durch eine Hetzkampagne von Medien gebildet habe“, wie es in dem Blatt heißt. „Ja, rückblickend muss ich sagen, dass ich mich mitschuldig gemacht habe, nicht jedoch in tatsächlicher und somit juristischer Hinsicht, sondern weil ich nicht die Vertrauensperson für die Opfer von Schäfer war, die ich hätte sein wollen und sollen“, so Hopp.

Gegenüber amerika21 wiesen Kenner des Falls die Äußerungen Hopps als durchschaubare Verteidigungsstrategie zurück. So sagte Andreas Schüller von der in Berlin ansässigen Menschenrechtsorganisation ECCHR:

„Hopp versucht seine Rolle in der Colonia Dignidad im Allgemeinen und bei den Menschenrechtsverbrechen im Besonderen herunterzuspielen und damit die Schuld von sich zu weisen. Das Landgericht Krefeld muss jetzt endlich dem Antrag aus Chile zur Vollstreckung von Hopps Haft in Deutschland zustimmen.“

Im Interview hatte sich Hopp unter anderen gegen ein Dossier des ECCHR über seine Person gewehrt und die Zusammenstellung als „reine Phantasie“ bezeichnet. Schüller sagte dazu:

„Das Dossier des ECCHR beschreibt Hopps Rolle in der Colonia Dignidad und führt die Hinweise auf seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Mittäter oder mittelbarer Täter aus. Paul Schäfer war kein Einzeltäter, es bedurfte der Colonia-Führungsriege um Folter, Ermordungen, Vergewaltigung und Kindesmissbrauch über einen langen Zeitraum begehen zu können. Die Vorwürfe gegen Hartmut Hopp wurden zumindest hinsichtlich der Vorwürfe zum Kindesmissbrauch bereits von chilenischen Gerichten als auch der Staatsanwaltschaft Krefeld bestätigt. Zudem haben chilenische Gerichte weitere Mitglieder der Führungsriege wegen einer Vielzahl von Verbrechen für schuldig befunden, Hartmut Hopp hat sich diesen Verfahren durch seine Flucht entzogen. Die Staatsanwaltschaft Krefeld ist weiterhin aufgefordert, die Kollaboration mit Pinochet-Diktaturverbrechen zu ermitteln. Es gibt genug Zeugen, die in Deutschland und Chile zu Aussagen bereit sind.“

Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika urteilt über die Stellungnahme Hopps ähnlich:

„Was Hopp kurz vor der Verkündung des Beschlusses des LG Krefeld über die Haftvollstreckung verkündet ist haltlos und ein verzweifelter Versuch seinen Haftantritt abzuwenden. Sich selbst als ahnungslos und Paul Schäfer als den alleinigen Täter der Colonia Dignidad darzustellen ist lächerlich und stellt einen erneuter Schlag ins Gesicht seiner vielen Opfer dar. Diese erwarten von Hopp nur eins: Die Wahrheit. Über hundert Menschen wurden vermutlich in der Colonia Dignidad ermordet und sind bis heute verschwunden. Seiner Rolle in der Colonia Dignidad entsprechend müsste Hopp weitreichende Kenntnisse über diese Verbrechen haben. Falls nicht, dürfte er wissen wer diese Kenntnisse hat und sollte zur Aufklärung dieser schrecklichen Taten beitragen anstatt das Unschuldslamm zu spielen.“

Auch die Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, die mehrere Opfer der Colonia Dignidad vertritt, sieht die Schuld von Hopp als eindeutig gegeben an:

„Hopp war Vertrauensmann von Sektenchef Paul Schäfer: Er ist unter anderem nach St. Kitts gereist und hat dort für ihn und seine Adoptivtochter Rebeca Pässe auf falsche Namen besorgt und ein Immobiliengeschäft über zigtausend Dollar abgewickelt, Schäfer hat ihn 1988 in den Bundestagsunterausschuss geschickt, als Vertreter (wo er alle Vorwürfe gegen die Colonia Dignidad unter Beleidigungen gegen die Geflüchteten (Müller/Kneese, Baar und Ehepaat Packmor) abgestritten und sich einer Vernehmung in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bonn durch Abreise entzogen hat. Hopp wohnte – im Gegensatz zu den normalen Bewohnern der Colonia Dignidad außerhalb, in den USA zum Studium und bis ca. 1978 in Santiago, hatte einen Pass, konnte mehrfach ins Ausland reisen und hat – nach Angaben von CD-Mitgliedern auch finanzielle Dinge im Ausland für Schäfer/CD abgewickelt, war gegenüber der Botschaft und den Medien Sprecher für die Colonia Dignidad. Da war Schäfer schon längst weg, das war ab 1996/1997.

Hopp hielt auch Kontakte zur DINA. Er hatte laut Aussage eines Ex-DINA-Mitarbeiters höchste Zugangsstufe zu (Geheimdienstchef) Manuel Contreras im Hauptquartier der DINA in Santiago. Er hat Schäfer laut Aussage eines Bewohners zum Essen bei Pedro Espinoza, dem zweiten Mann der DINA, begleitet. Die Colonia Dignidad hat die Telekommunikationsanlage im DINA-Hauptquartier installiert. Auch in dem von der CD für die DINA in Parral zur Verfügung gestellten Haus ist Hopp aus und eingegangen. Luz Arce, eine ehemalige politische Gefangener, will ihn als den Gringo, der sie, als sie in der Gewalt der DINA war, untersuchte, in einer Fernsehreportage wiedererkannt haben.

Wichtig ist auch Hopps Rolle als Arzt beim Medikamentenmissbrauch. Dieser Missbrauch ging bis 2003 weiter. Da war die Medizinerin Gisela Seewald, etwa seit 1996/1997, nicht mehr in der Colonia Dignidad; Hopp war schon viele Jahre vor 1996/1997 allein verantwortlicher Arzt, der alle Rezepte unterschrieb und die ärztlichen Anordnungen verantwortete.“

Erstveröffentlichung auf Portal amerika21 am 2.2.2017

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