In Venezuela ist eine heftige Debatte um die von Präsident Nicolás Maduro vorgeschlagene Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung entbrannt. Mit der Novellierung der Verfassung will der Präsident die schwere politische Krise des südamerikanischen Landes lösen. Die Opposition ist bereits in Fundamentalopposition zu dem Vorhaben gegangen, Kritik kommt aber auch aus den Reihen des Chavismus.
Am Mittwoch gab Maduro neue Details zu dem Vorhaben bekannt. Die Bevölkerung solle in direkter und geheimer Wahl „binnen der kommenden Wochen“ über die Vertreter der „Constituyente“ entscheiden, sagte der Präsident nach Angaben des lateinamerikanischen Nachrichtensenders Telesur. „Ich übergebe damit die Macht an euch, damit Ihr über das Schicksal der Nation entscheidet“, sagte Maduro. Das Volk solle entscheiden, ob es Krieg oder Frieden wolle. Er forderrte zudem die Opoosition auf, ihre Kandidaten für die Teilnahme an der Versammlung zu benennen.
Venezuela hat diesen Prozess im Jahr 1999 schon einmal vollzogen, ebenso wie andere Staaten mit linksgerichteten Regierungen in der Region. Sie haben mit diesen neuen Verfassungen demokratische und soziale Rechte gestärkt.
In Venezuela kommt dennoch auch Kritik aus den Reihen des Chavismus. Eustoquio Contreras, ein Abgeordneter des Regierungsbündnisses Großer Patriotischer Pol, wandte sich am Dienstag in einem Interview mit der Station Unión Radio dagegen. Eine „Constituyente“ sei nur angebracht, wenn die Magna Charta ineffizient sei, sagte Contreras. Die Verfassung von 1999 biete aber geeignete Mittel, den Staat zu leiten, ihre Bestimmungen müssten lediglich erfüllt und umgesetzt werden. Auch kritisierte Contreras, dass Präsident Maduro die Versammlung direkt einberufen möchte, ohne – wie 1999 – vorab eine Volksabstimmung über das Vorhaben anberaumen zu lassen.
Mit heftigen Worten reagierte der chavistische Dissident Nicmar Evans, der das Vorhaben als „klaren Verrat an (dem Ex-Präsidenten Hugo) Chávez und dem Volk“ bezeichnete. Der verfassunggebende Prozess würde den Rechtsstaat vorübergehend aushebeln. Dies nannte er einen „Putsch gegen die von Chávez vorangebrachte Verfassung“.
Der ehemalige Kulturminister Héctor Navarro befürwortete die Durchführung der ausstehenden Regionalwahlen anstelle einer verfassungsgebenden Versammlung.
Das oppositionell dominierte Parlament bezeichnete den Vorstoß von Präsident Maduro indes als illegal. Der Abgeordnete Juan Miguel Matheus von der rechtspopulistischen Partei Zuerst Gerechtigkeit sprach von einem „fortgesetzten Staatsstreich“ der Regierung. Matheus behauptete ebenfalls, Präsident Maduro müsse rechtmäßig zunächst eine Volksabstimmung durchführen. Diese Position, die von internationalen Medien übernommen und verbreitet wurde, ist jedoch falsch. Nach Artikel 348 der geltenden Verfassung kann Maduro mit seinem Kabinett eine verfassunggebende Versammlung auch unmittelbar einberufen.
Bei zunehmend gewalttätigen Protesten kam es indes zum 34. Todesopfer seit Beginn Anfang April. Nach heftigen Angriffen von Protestteilnehmern auf die Polizei kam am Mittwoch in der Hauptstadt Caracas der Demonstrant Armando C. ums Leben. Er wurde von einem Polizeiwagen überrollt, der in Brand gesteckt worden war.
Die Informationen über den Fall waren von politischen Interessen deutlich beeinflusst. Die rechtsgerichtete, regierungskritische Tageszeitung El Nacional berichtete, der 17-Jährige sei „bei Repression der Polizei ermordet worden“. Die Opposition sprach vom Tod eines Minderjährigen und kündigte öffentlich an, die Kosten der Beerdigung zu tragen.
Nach Angaben des TV-Senders Telesur, der eine regierungsnahe Position vertritt, hatte der junge Mann, dessen Alter mit 18 angegeben wird, an den gewalttätigen Protesten teilgenommen. Die Staatsanwaltschaft in Caracas hat die Ermittlungen übernommen.
Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de am 4.5.2017