Waffenfähige Heron TP-Drohne
Im Jahr 2014 wurde nach einer Anhörung im Verteidigungsausschuss des Bundestages am 30. Juni und einer aktuellen Stunde zu dem Thema am 2. Juli debattiert, ob die Bundeswehr zusätzlich zu ihren nicht bewaffnungsfähigen Drohnen, wie z.B. der LUNA oder der Heron 1, auch über Solche verfügen soll, die selbst als Plattform für Bomben und Raketen dienen können. Dies war dann anscheinend auch die im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der SPD groß angekündigte Prüfung „alle[r] damit [der Beschaffung neuer Waffensysteme, Anm. d. Autors] im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen“[1] und gleichzeitig auch noch die versprochene breite gesellschaftliche Debatte. Am Tag der aktuellen Stunde des Bundestages, also am 2. Juli 2014, erschien ein Interview der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Süddeutschen Zeitung, in dem sie ihre Entscheidung für die bewaffnungsfähigen Drohnen bereits verkündete.
Bislang war es möglich, mit den ferngesteuerten Fluggeräten Patrouillen zu begleiten, Ziele auszuspähen und für einen Angriff auszuwählen. 2015 wurde dann eine Absichtserklärung über die Erstellung einer eigenen „europäischen“ Drohne von den VerteidigungsministerInnen Frankreichs, Italiens und Deutschlands unterzeichnet. Im weiteren Verlauf des Jahres schloss sich Spanien noch dem Projekt an. Doch die Eigenproduktion, auf welche die heimischen Rüstungsindustrien gepocht haben und dabei auch von der IG Metall Unterstützung bekamen, wird allerdings nicht vor Ende 2025 einsatzbereit sein.[2]
Überbrückung bis zur europäischen Drohne
Bis zum Start der gemeinsam produzierten Drohne soll die „Fähigkeitslücke“ der Bundeswehr, also die vom BMVg erwünschten Fähigkeiten, die mit einer bewaffneten Drohne einhergehen, nicht bestehen bleiben. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, fällte deshalb am 12. Januar 2016 die Entscheidung, israelische Drohnen des Typs Heron TP zu leasen. Insgesamt fünf dieser Exemplare, die der MALE-Klasse (mittlere Höhe lange Ausdauer, engl. Medium Altitude Long Endurance) angehören, sollen der Bundeswehr in Zukunft zur Verfügung stehen.[3] Bis zum Jahr 2025 soll dies mindestens 580 Mio. € kosten, wobei dies noch keine wirklich belastbare Prognose ist. Der Grundbetrieb soll in Israel erfolgen, wo auch das Training der PilotInnen sowie des Bedienpersonals der Sensorik, bzw. der Bewaffnung, ebenso wie die technisch-logistische Betreuung der Drohnen selbst stattfinden soll. Die Details zur möglichen Bewaffnung sind nicht bekannt, da betreffende Unterlagen als geheim eingestuft sind, geplant ist aber ein „skalierbarer“ Waffeneinsatz. Soll heißen, dass mehrere Waffentypen mitgeführt werden. Die USA bestückt ihre Reaper-Drohnen meist mit vier Hellfire-Raketen und zwei Lasergelenkten Bomben. Die Heron-Drohnen sollen auf der Basis Tel Nof stationiert werden, die auch bemannte wie unbemannte Luftfahrzeuge der Israeli Air Force beheimatet. Über dem Grundbetrieb hinaus sollen zwei weitere Einsatzgebiete abgedeckt werden können.[4]
Die Entscheidung für die Heron TP sollte nicht getrennt von der geplanten Eigenproduktion mit den drei europäischen Partnernationen betrachtet werden. Denn, wie die Bundesregierung schreibt, „wurde auch die Entscheidung zur MALE UAS Überbrückungslösung vor dem Hintergrund der laufenden Aktivitäten zur Entwicklung der Eurodrohne getroffen. Die Entscheidung für das System Heron TP führt zum Aufbau realen industriellen Know-hows bei europäischen Unternehmen. Dies ist eine zentrale Voraussetzung für die angestrebte Eurodrohne.“[5] Aber mit der Entscheidung für die Heron TP hat man sich gegen das Hauptkonkurrenzprodukt der US-Firma General Atomics (GA) entschieden. Der Certifiable Predator B, der durch die Integration von sense and avoid Technologie auch zulassungsfähig für den europäischen Luftraum sein soll. Die Modelle Predator und Reaper (Raubtier und Sensenmann) des Herstellers sind vor allem durch den weltweiten, räumlich wie zeitlich unbeschränkten „Krieg gegen den Terror“ bekannt und durch die vermeintlich „gezielten“ Tötungen von Terrorverdächtigen. Großbritannien hat die Absicht bis zu 26 dieser Drohnen zu kaufen und diese auch im eigenen Luftraum einzusetzen, wenn auch unter einem weniger martialisch klingenden Namen. Dort heißt das Beschaffungsprogramm „Protector“, also Beschützer. Bis zu einer Milliarde US-Dollar ist ihnen dieses Rüstungsgeschäft wert. Auch andere europäische Staaten haben sich in den vergangenen Jahren mehrheitlich für die amerikanischen Drohnen entschieden, darunter auch die drei Partnernationen für die europäische Drohne Frankreich, Italien und Spanien.
Hindernisse und Umgehungstaktiken
Der ursprüngliche Zeitplan für die Anschaffung der Heron TP wurde durch die Klage des amerikanischen Rüstungsunternehmen GA nach hinten verschoben. So war es noch im Februar dieses Jahres unsicher, ob man den Haushaltsausschuss noch vor der Sommerpause mit der obligatorischen Vorlage bei Projekten, die ein Volumen von 25 Mio. € übersteigen, befassen könnte. Und wenn der Bundestag wieder Sitzungswoche hat, ist auch schon die Bundestagswahl nicht mehr weit. Somit wäre der Vertragsabschluss zumindest in dieser Legislaturperiode unwahrscheinlich geworden. GA hatte zunächst vor der Vergabekammer des Bundeskartellamtes eine Nachprüfung beantragt. Die Waffenschmiede monierte, dass keine Ausschreibung bei der Auftragsvergabe stattfand. Sie scheiterte aber vor der Vergabekammer am 17. August 2016.[6] Danach klagte das Rüstungsunternehmen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Am 13. September 2016 entscheid das Gericht, dass das BMVg bis zum Abschluss des Verfahrens keinen Vertrag mit IAI unterzeichnen kann. In dieser Entscheidung wurde auch angedeutet, dass die Klage von GA gerechtfertigt sein könnte.[7]
Seitdem gab es mehrere Verhandlungstage am Gericht. Die Entscheidung ist am 31. Mai 2017 gefallen. Das OLG urteilte, dass das BMVg den Vertrag mit dem Hauptauftragnehmer Airbus eingehen und somit die Heron TP-Drohnen leasen darf. Das Urteil ist sofort rechtskräftig, eine Möglichkeit zur Revision gibt es nicht. Der Haushaltsausschuss wird sich also wohl bereits in der 25. Kalenderwoche, voraussichtlich dem 21. Juni, mit der Vorlage befassen können.[8] Doch das Ministerium plante dies auch unabhängig davon, wie das OLG entscheiden würde, damit der Beschaffungsprozess nicht noch weiter verzögert würde.[9] Im Falle einer Niederlage vor dem Gericht, hätte der übliche Vergabeprozess umgangen werden sollen, indem ein sogenannter „government-to-government“ Vertrag – also ein Vertrag direkt zwischen der deutschen und der israelischen Regierung – abgeschlossen worden wäre. Dies wäre möglich durch § 145 Nr, 4 lit. a GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Dieser Paragraph besagt, dass hier eine Ausnahme vom normalen Vergabeverfahren gemacht werden kann, wenn „die Lieferung von Militärausrüstung im Sinne des § 104 Absatz 2 [Definition von Militärausrüstung] oder die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags im Sinne des § 104 Absatz 3 [nicht-militärisch, aber auch schutzbedürftig] vergeben wird“.[10] Ein Vertrag zwischen den beiden Regierungen dürfte in jedem Fall, auch bei einer normalen Vergabe, nötig sein, weil ja unter anderem die Stationierung auf der Basis Tel Nof und das Training ein Teil des Deals ist. Und somit wird auch in einer Antwort auf die schriftliche Frage des MdB Andrej Hunko diese Entscheidung wie folgt begründet: „Diese [government-to-government] Vereinbarung umfasst Inhalte, die nur die Regierungsseite zur Verfügung stellen kann, wie beispielsweise Ausbildung“.[11]
Der Vertrag scheint laut des Briefes fertig verhandelt zu sein und wartet nur noch auf die Unterzeichnung. Nach einem Vertragsabschluss würde es wohl in etwa zwei Jahre dauern, bis die Drohnen dann in Dienst gestellt werden können. Also könnte es bereits im Sommer 2019 so weit sein, dass auch die Bundeswehr dann über bewaffnungsfähige MALE-Drohnen verfügt und diese in Krisengebieten eingesetzt werden. Der Club der Staaten, der Drohnen dieser Art besitzt, wächst rapide. Ebenso wie der, der diese auch schon tödlich eingesetzt hat. Laut des US-Think-Tanks New America sind 28 Staaten im Besitz von bewaffnungsfähigen Drohnen, neun haben ihre Drohnen auch bereits tödlich eingesetzt. In der Aufzählung fehlen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die ihre Drohnen bereits in Jemen und im Falle der VAE auch in Libyen eingesetzt haben.[12] Sie fehlen in der Liste, weil diese Staaten Drohnenschläge nicht öffentlich bekannt machen, und es noch keine bestätigten Berichte über den tatsächlichen (tödlichen) Einsatz gibt. Die Entwicklung, dass jetzt auch Deutschland bewaffnete Drohnen anschafft, bleibt umstritten. Das hat auch ein Protest gegen die Anschaffung von Kampfdrohnen während eines „Friedensgottesdienst“ am 26. Mai 2017 gezeigt, zu dem die „Kriegsministerin“ Ursula von der Leyen die Predigt hielt, sowie der Protest am 31. Mai 2017, am Rande der Urteilsverkündung in Düsseldorf vom Friedensforum Düsseldorf, Attac und der DFG-VK.
Anmerkungen
[1] Bundesregierung (bundesregierung.de, 17.12.2013): Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 178.
[2] Pletsch, Marius (imi-online.de, 21.1.2016): Eine Drohne für Europa.
[3] Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 175. Sitzung, Plenarprotokoll 18/175 (8.6.2016), Anlage 26.
[4] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verwendung von bewaffneten Drohnen der MALE-Klasse ab Frühjahr 2019. Drucksache 18/9857 (29.9.2016), S. 2f.
[5] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auswahlentscheidung zur Beschaffung von bewaffneten Drohnen. Drucksache 18/7725 (26.2.2016), S. 13.
[6] Wiegold, Thomas (augengeradeaus.net, 30.8.2016): Predator-Hersteller klagt gegen Drohnen-Entscheidung der Bundeswehr.
[7] Wiegold, Thomas (augengeradeaus.net, 16.9.2016): Gerichtsbeschluss verzögert Drohnen-Beschaffung weiter (mehr Details).
[8] Wiegold, Thomas (augengeradeaus.net, 31.5.2017): Entscheidung über deutsche Kampfdrohnen noch vor der Sommerpause (Zusammenfassung).
[9] Thiels, Christian (tagesschau.de, 26.5.2017): Drohnendeal durch die Hintertür.
[10] § 145 Nr, 4 lit. a GWB
[11] Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage 5/135 des Abgeordneten Andrej Hunko der Fraktion DIE LINKE (26.5.2017).
[12] New America (newamerica.org, laufend aktualisiert): The World of Drones.
Erstveröffentlichung des Artikels auf Informationsstelle Militarisierung e.V. von Marius Pletsch am 1. Juni 2017