Als das Bundesverfassungsgericht Deutschland zur elektronischen Kolonie erklärte
Abschließender Teil der Artikelserie zu den Verfassungsgerichtsbeschlüssen 2 BvE 5/15 (zur Nichtannahme der Verfassungsklage der G 10-Kommission auf Einsicht in die „N.S.A.-Selektorenliste“) und 2 BvE 2/15 (zur Geheimhaltung der „Selektorenliste“ auch vor dem „Untersuchungsausschuss“ von Bundesnachrichtendienst und National Security Agency)
Mit seinen Beschlüssen 2 BvE 5/15 (verkündet am 14.10.2016, aber schon vom 20.09.2016) und 2 BvE 2/15 (verkündet am 15.11.2016, aber schon vom 13.10.2016) gab das Bundesverfassungsgericht das unauffällige Startsignal für den Beschluss des neuen B.N.D.-Gesetzes am 21.10.2016 im Bundestag.
Die Absegnung des B.N.D.-Gesetzes durch ihre Über-Dreiviertel-Mehrheit im Parlament, gegen die es laut Karlsruhe nun keine Opposition mehr im Sinne von Artikel 44 des Grundgesetzes gab, hatte die Regierung bis zu den Freifahrtscheinen der Verfassungsrichter taktisch verzögert.
Am 12. Dezember 1970 hatte das „Abhörteil“ (BVerfGE 30, 1) vom Verfassungsgericht Westdeutschlands die Aufhebung der Gewaltenteilung beim Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis durch die Verfassungsänderungen der „Notstandsgesetze“ als verfassungsgemäß beurteilt. Das damalige Urteil war gegen schwerste Bedenken und vorausschauende Warnungen der Verfassungsrichter Geller, Dr. v.Schlabrendorff und Dr. Rupp mit 5 zu 3 Stimmen entschieden worden.
Im Jahre 2016 nun übertrugen Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Peter Müller, Doris König und Ulrich Maidowski die Machtfülle der in 1968 unter Besatzungsrecht geschaffenen „Notstandsgesetze“ der damaligen „großen Koalition“ auf deren heutige Nachfolger.
Und in Deutschland, wie es heute ist, eskalierten die Verfassungsrichter selbst die damalige antidemokratische und antiparlamentarische Auslegung des Grundgesetzes ein weiteres Mal.
Die durch die Verfassungsänderungen der „Notstandsgesetze“ und das nachfolgende erste Artikel 10-Gesetz vom 13. August 1968 geschaffene G 10-Kommission, als einziges parlamentarisches Gremium bevollmächtigt Inlandsspionage der Behörden zu verbieten, hatte dies siebenundvierzig Jahre effektiv nicht getan und lediglich als Feigenblatt der Regierungsmacht gedient.
Als die G 10-Kommission schließlich Mitte 2015 zum ersten Mal in ihrer Geschichte gegen die Regierung revoltierte und Einblick in die sogenannte „N.S.A.-Selektorenliste“ verlangte – eine Liste mit Spionagezielen, die der Bundesnachrichtendienst abgelehnt hatte, nicht etwa einer Liste mit tatsächlich anvisierten Zielen – verweigerte die Regierung selbst diesem Gremium die Einsichtnahme. Als die G 10-Kommission dann im Dezember 2015 endlich Verfassungsklage einreichte, stellte sie keinen Eilantrag.
Am 14. Oktober 2016 weigerte sich dann das Bundesverfassungsgericht im (wie erwähnt bereits am 20. September 2016 getroffenen) Beschluss 2 BvE 5/15, die Verfassungsklage der G 10-Kommission auch nur anzunehmen.
Begründung der Karlsruher Richter: Ihrer Interpretation des Grundgesetzes nach, sei die vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages gewählte G 10-Kommission kein „Hilfsorgan“ (Wortlaut Artikel 10 Grundgesetz) des Bundestages, weil sie in dessen Geschäftsordnung (!) nicht „mit eigenen Rechten ausgestattet“ sei.
Abseits dieser bizarr anmutenden Begründung hatte das Urteil einen verheerenden, tatsächlichen Kern: eben den Bezug auf die Legitimierung der „Notstandsgesetze“ Westdeutschlands durch das „Abhörurteil“ BVerfGE 30, 1, von 1970. In einem in der Tat historischen Schritt bestätigten die Verfassungsrichter nicht nur die seitdem als verfassungsgemäß geltende selektive Außerkraftsetzung der Gewaltenteilung, sondern vollzogen in deren letzter Konsequenz selbst die Erniedrigung der parlamentarischen G 10-Kommission und entblößten diese als Placebo, als jahrzehntelanges, lediglich im Falle von Folgsamkeit geduldetes Feigenblatt exekutiver Willkürmacht.
Auszug aus Verfassungsgerichtsbeschluss 2 BvE 5/15:
„Das Kontrollorgan kann innerhalb und außerhalb des Parlaments gebildet werden (vgl. BVerfGE 30, 1 <23>). Das Prinzip der Gewaltenteilung erlaubt, dass Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Exekutive ausnahmsweise nicht durch Gerichte, sondern durch vom Parlament bestellte oder gebildete, unabhängige Institutionen innerhalb des Funktionsbereichs der Exekutive gewährt wird (vgl. BVerfGE 30, 1 <28>).“
Und weiter:
„Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ermächtigt zu einer Beschränkung der Mitteilungspflicht, gebietet eine solche aber nicht. Würde der einfache Gesetzgeber eine Mitteilungspflicht gegenüber den Betroffenen begründen, entfiele folglich das verfassungsrechtliche Bedürfnis der Existenz eines Kontrollorgans. Damit hängt schon die Existenz der G 10-Kommission vom Willen des Gesetzgebers ab.„
Wer es nicht verstanden hat – die Verfassungsrichter bekundeten hier u.a. in letzter Konsequenz: informiert die Regierung „die Betroffenen“, also im Zweifel die gesamte Bevölkerung, darüber dass diese bespitzelt und ihr verfassungsmäßiges Recht auf Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis mit Füßen getreten wird, braucht sie sich bei diesem Treten nicht parlamentarisch kontrollieren oder gar irgendwas verbieten lassen.
Damit ist ebenfalls klar, was bei allen weiteren Verfassungsklagen zum Thema, etwa zum B.N.D.-Gesetz, die Vorratsdatenspeicherung, oder zum „Sonderermittler“ Kurt Graulich (der anstelle von G 10-Kommission, Opposition und Parlament Einsicht in die „N.S.A.-Selektorenliste“ bekam) von diesen Verfassungsrichtern zu erwarten ist.
Von diesen (seitens aller beteiligten Parteien, Gremien, Juristen und „Experten“ verschämt verschwiegenen) Beschlüssen des Verfassungsgerichts, wie von allem Anderen einmal abgesehen, ist den Allermeisten auch der historisch wie weltpolitische Kontext offensichtlich immer noch nicht geläufig.
Mit diesen Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts, durch die sich ein Betrafungs- und Kontrollwahn gekränkter, autoritärer Geister in entsprechender Tradition zog, verfolgt das Bundesverfassungsgericht eine kohärente Linie: die Erniedrigung und Zerstörung einer einst nur als „Etappe“ gedachten, aber nun souverän gewordenen Berliner Republik hin zu einer elektronischen Kolonie in der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika, die zusammen mit Dutzenden anderer europäischen Demokratien im Zuge jahrzehntealter Strategien und der Taktik des Terrorkrieges „Leak“ und „Whistleblower“ in die Subhegemonie der „Europäischen Union“ überführt, entdemokratisiert und entstaatlicht werden soll (wovor wir bereits zu Beginn der Veröffentlichungen von Edward Snowden im Juni 2013 gewarnt hatten).
Diese beiden Beschlüsse, ergangen nur Monate vor dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz, gaben die Republik einem – vom Bundesverfassungsgerichts selbst dokumentierten – Jahrzehnte lang unkontrollierten und in Willkür handelnden internationalen geheimdienstlichen Komplex zum Abschuss frei und sicherten diesem, zumindest auf Bundesebene und bis zur nächsten Parlamentswahl im September 2017, gegen jeden Untersuchungsausschuss und damit parlamentarische Kontrolle durch die noch verbliebene Opposition ab.
Des Weiteren wirkten diese Beschlüsse effektiv als Öffnen der Schleusen eines elektronischen Polizeistaates, welcher, bei gleicher Mentalität und in Kontinuität zu vorhergehenden historischen Modellen, in seinen Ausformungen nur noch gebremst wird durch digitale Selbstverteidigung der Bürgerinnen und Bürger (etwa durch Verschlüsselung ihrer Telekommunikation) und das Weiterbestehen der durch den Staat bereits weitgehend ignorierten oder uminterpretierten Verfassung.
Dabei markiert die u.a. mit dem B.N.D.-Gesetz durch den Staat offiziell begonnene skrupellose und hemmungslose Inlandsspionage gegen die gesamte Bevölkerung den Beginn einer (nun offen exekutierten und) jedem Polizeistaat immanenten politischen Verfolgung, sei es durch erklärte „Eigensicherung“.
Am 2. Juli 2016 warnte Radio Utopie genau davor. Nun, bald ein Jahr später, warnen die Vereinten Nationen vor dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ der Regierung gegen „Hate Speech“, was auf die gesamte „Europäische Union“ übertragen werden soll, und die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien versuchen als internationale Kriegskoalition gegen das World Wide Web dessen „Regulierung“ auf Ebene des imperialistischen G20-Bundes vorzubereiten. Selbst Kinder im Alter von sechs Jahren sollen offen vom Staat „überwacht“ werden wie wilde Tiere, die Kommuniktion von Menschen allen Alters durch Kommunikationsdienste wie WhatsApp (allein schon 1,3 Milliarden Nutzer) soll ausspioniert werden. Dabei hat die Polizei die Macht erhalten selbst zu definieren, wer „Gefährder“ ist und unter „Überwachung“ gestellt wird. Die Bevölkerung im Öffentlichen Raum soll automatisiert identifiziert werden („Gesichtserkennung“) und Verschlüsselung der (Welt)Bevölkerung insgesamt durch faktische Erpressung der technischen Anbieter unterminiert und infiltrierbar gemacht werden.
Dass die Durchleuchtung, Bespitzelung und Massenanalyse der Bevölkerung durch Abfangen und Kopieren ihrer Telekommunikation bemerkenswert passiv hingenommen wurde, interpretierten Staat und internationaler geheimdienstlicher Komplex offensichtlich als Einladung nun eine Kontrolle der Telekommunikation (also Zensur) zu versuchen. Was das für die Bevölkerung bedeutet, wenn sie sich auch das noch gefallen lässt, dürfte auf der Hand liegen.
Dabei muss offensichtlich leider auch darauf hingewiesen werden, dass ebenfalls der gesamte Telefonverkehr, auch der am Festnetz, dem klassischen „analogen“ Telefonnetz entzogen und durch „Voice over IP“ (VoIP) unauffällig dem Internet angeschlossen wurde.
Derweil versuchen Bürgerrechtler/innen wie Digitalcourage wenigstens mit der Auflistung der neuen Repressions- und „Überwachungs“-Gesetze in Deutschland hinterherzukommen.
Das reicht nicht, um die zweite deutsche Demokratie zu bewahren.
Das Verfassungsgericht hat diese Republik zu einer elektronischen Kolonie erklärt, zu einem (nicht nur digitalen) Abbaugebiet; diese Linie vertritt es auch hinsichtlich des weltweiten kapitalistischen Finanzsystems, seinem von vielen bizarr angebeteten „Euro“-Ableger und die anvisierte Entstaatlichung und Entdemokratisierung über Handelsabkommen wie C.E.T.A., T.T.I.P., etc, etc.
Gleichzeitig haben die angeblichen Hüter des vier Jahre nach dem Faschismus in Kraft getretenen Grundgesetzes die heutige Berliner Republik einem sich im Zuge von sechzehn Jahre Terrorkrieg transfomierenden und sukzessive aus dem Schatten entpuppenden Polizeistaates zum Abschuss freigegeben. Dieser wiederum agiert, als Untergebener einer übergeordneten Hierarchie, in zunehmendem Tempo als an der Fernsteuerung hängender Abbruchunternehmer dieser Demokratie, bei gleichzeitiger „Überwachung“ der begriffstutzigen Entrechteten und Ausgeraubten, sowie ängstlicher „Gefahrenabwehr“ gegen potentielle „Anführer“, natürlich und explizit im Spektrum der demokratischen Linken und natürlich explizit mittels ihrer rechtsradikalen und contralinken Truppenteile, ob im Apparat, im „privaten“ Sektor und / oder „transatlantisch“ geführter Scheinopposition.
Der Schritt von einem nun offen zutage getretenen – und auch von der dümmsten Linken der Welt nicht mehr leugbaren – elektronischen Polizeistaat hin zu einer Digitalen Diktatur ist nicht mehr weit.
Es ist die persönliche Entscheidung von Jeder und Jedem, ob sie angesichts dieser Entwicklung so passiv und objektiv wertlos bleiben wollen wie bisher alle Populären und Prominenten, deren erklärter Anspruch und teilweise hochbezahlte Aufgabe es über die Jahrzehnte war, genau diese Entwicklung zu verhindern.
(…)
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Einmal „Post-, Brief- und Fernmeldegeheimnis“ korrigiert zur Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis um 18.41 Uhr. Rechtschreibfehler korrigiert am 08.02.2019.