Was haben diese G20-Chefs mit unserem Internet vor?

Beitrag von Friedemann Ebelt auf Digitalcourage vom 11. Juli 2017

Die Abschlusserklärung des G20-Gipfels in Hamburg trägt den Untertitel „Eine vernetzte Welt gestalten“. Klingt gut, aber wer gestaltet hier was zu wessen Vorteil? Wir werfen einen Blick in die Abschlusserklärung und die wenig diskutierte Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus.

Das Vorzeichen der G20-Digitalisierung

Die Präambel der Hamburger G20-Erklärung macht klar, welchen Kurs ‚die Chefs‘ für ‚ihre Bürger‘ vorsehen:

Aus der Präambel: „Wir, die Staats- und Regierungschefs der G20 (…) sind (…) zusammengekommen, um (…) unser gemeinsames Ziel (…) – Wachstum – (…) voranzubringen. (…) Vor allem müssen wir unsere Bürger besser in die Lage versetzen, die Chancen, die [die Globalisierung] bietet, zu nutzen.“

Als erste Herausforderung für die Gestaltung der Globalisierung nennt die Erklärung den Terrorismus, nicht Gleichheit, Freiheit oder Grundrechte. Es wurde auch kein Gedanke darauf verwendet, dass Bürgerinnen und Bürger in einer selbstbestimmten Zivilgesellschaft selbst Globalisierung und Vernetzung gestalten können. Genauso wenig wird gesehen, dass Grundrechte und Freiheit die bessere Basis für die Gestaltung der Gesellschaft sind als Terror und Angst vor Terror.

„Eine vernetzte Welt gestalten“ – zu wessen Vorteil?

Das sind die wichtigsten Digitalisierungs-Punkte der Hamburger G20-Abschlusserklärung:

Wir streben an, zu gewährleisten, dass all unsere Bürger bis 2025 digital angebunden sind (…)

Bürgerinnen und Bürger sollen Zugang zum Internet erhalten. Das ist keine Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die G20-Chefs haben versäumt, Klarheit zu finden, wie Menschen Zugang zu welcher Infrastruktur erhalten sollen. Hier müsste stehen, dass das Internet technisch solide, vertrauliche Kommunikation möglich machen muss, und dass Grundprinzipien wie Netzneutralität eingehalten werden müssen.

Wir werden Digitalkompetenz in allen Bildungswegen und Formen des lebenslangen Lernens fördern.

Wer Bildung fordert, erntet immer Applaus und Kopfnicken. Aber unter dem Vorzeichen des Gipfels heißt das nur, dass Bürgerinnen und Bürger in der Lage sein sollen, das Wachstum der Datenökonomie sicherzustellen. Die dringend notwendige Forderung würde lauten, dass in allen Bildungswegen freie Software, Verschlüsselung und verantwortungsbewusster Umgang mit eigenen und fremden Daten verankert sein müssen.

Modernisierung und Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung (…)

Hier wird ein dringender Nachholbedarf als engagierte Forderung verkauft. Aber auch hier sind mit Modernisierung der Verwaltung nur e-Governance-Programme gemeint, die darauf abzielen, dass möglichst viele Daten möglichst automatisch verarbeitet werden. Notwendig wäre aber, endlich daran zu arbeiten, dass Bürgerinnen und Bürger vertraulich – das heißt verschlüsselt – E-Mails an Behörden senden können, und dass Behörden flächendeckend freie Software einsetzen.

Entwicklung eines umfangreichen Spektrums neuer und innovativer Geschäftsmodelle (…)

Was ist innovativ? Wer alles daran setzt, Wachstum zu generieren, hält Plattformkapitalismus und datengetriebene Geschäftsmodelle für innovativ. Das heißt, wer Wege findet, an private Daten zu gelangen und diese gewinnbringend verarbeitet und verkauft, wird gefördert. Hier ist genau das Gegenteil nötig: datenschutzfreundliche Geschäftsmodelle und tatsächliche ökonomische und technische Lösungen für Probleme statt Datenhandel.

Entwicklung und (…) Einsatz markt- und industriegesteuerter internationaler Standards für die digitalisierte Produktion sowie digitale Produkte und Dienstleistungen auf der Grundlage von Offenheit, Transparenz und Konsens (…); Standards sollten nicht als Hemmnisse für Handel, Wettbewerb oder Innovation wirken.

Hier kommt es darauf an, welche Standards gesetzt werden. Den G20-Chefs geht es um Standards, die Datenhandel und kommerzielle Überwachung im Alltag erleichtern. Sinnvoll wäre es, technische Standards festzulegen, die den Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Geräte und Daten geben, wie zum Beispiel „Privacy by Design“.

Wir unterstützen den freien Informationsfluss unter Achtung der anwendbaren rechtlichen Rahmen für den Schutz der Privatsphäre, den Datenschutz und die Rechte des geistigen Eigentums. Das Arbeitsprogramm der G20 zum Thema Digitalisierung (Roadmap for Digitalisation PDF) wird uns bei unserer weiteren Arbeit leiten.

Mit freiem Informationsfluss ist nicht freier Zugang zu Wissen gemeint. Im Gegenteil, hier geht es darum, dass persönliche Daten frei gehandelt werden dürfen. Wer in die Roadmap schaut, wird feststellen, dass es hauptsächlich um den Ausbau von Datenhandel geht. Der Punkt Datenschutz wird abgehakt, indem gesagt wird, dass das Vertrauen der Menschen in datengetriebene Geschäftsmodelle gefestigt werden muss – anstatt dass die G20-Staaten sich der Aufgabe annehmen, den Datenschutz in Geschäftsmodellen zu festigen.

Wir sind entschlossen, dazu beizutragen, ein sicheres IKT-Umfeld zu gewährleisten, in dem alle Sektoren von den Vorteilen profitieren können, und bekräftigen, wie wichtig es ist, Sicherheitsfragen beim Einsatz der IKT gemeinsam aufzunehmen.

Hier wird von Sicherheit gesprochen, die die Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus (siehe unten) aushöhlt. Was denn nun, G20-Chefs?

Wir werden uns konstruktiv in die WTO-Diskussionen über den elektronischen Geschäftsverkehr und auch in anderen internationalen Foren mit Zuständigkeit für verschiedene Aspekte des digitalen Handels einbringen, um die Entwicklung der digitalen Wirtschaft und den digitalen Handel zu fördern.

In letzter Zeit hatten es die Handelsabkommen TTIP, CETA und Co. in der Öffentlichkeit schwer. Bürgerinnen und Bürger haben erkannt, dass mit den Abkommen das Internet, dessen Inhalte, ihre persönlichen Daten und Grundrechte ausverkauft werden. Weil die Abkommen unpopulär sind, wird jetzt versucht, Datenfreihandel über die WTO durchzusetzen (siehe: norberthaering.de: „Über die WTO sollen wir den Datenkraken schutzlos ausgeliefert werden“).

Wir begrüßen den Start der Initiative „#eSkills4Girls“, mit der Frauen und Mädchen Chancen in der digitalen Wirtschaft eröffnet und der Weg für ihre gleichberechtigte Teilhabe geebnet werden sollen (…)

Warum ist ausgerechnet dieses Projekt konkret benannt, während die Hamburger G20-Erklärung sonst so vage bleibt wie möglich? Die Antwort ist leicht: #eSkills4Girls ist ein Google-Projekt. Hat hier jemand erfolgreich Lobbyarbeit gemacht?

Bekämpfung des Terrorismus

Wir bekräftigen, dass sämtliche Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und allen völkerrechtlichen Verpflichtungen einschließlich dem internationalen Menschenrecht durchgeführt werden müssen.

Die Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus gibt sich sehr viel Mühe, den Anschein zu erzeugen, dass die beschlossenen Maßnahmen den Terror einschränken oder verhindern können. Wo sind die Belege, die Politik auf Basis von Terror rechtfertigen? Im Grunde zielen fast alle Punkte der Erklärung auf Überwachung, Kontrolle und Einschränkung der Privatsphäre. Das alles ist geschickt verpackt, denn Terror kann niemand wollen, also erscheint der Kampf gegen Terror mit den Mitteln der Erklärung als alternativlos. Beteuert wird an mehreren Stellen, dass sich dieser Kampf im Rahmen von Menschenrechten und Datenschutz abspielt.

Wer sich die Anti-Terror-Politik der letzten Monate und Jahre ansieht, erkennt aber, wie dieser Rahmen verbogen, zerissen und durchlöchert wird. Warum also gibt es eine Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus und keine zum Erhalt von Freiheit, Demokratie und Grundrechten? Schließlich betreffen die meisten Anti-Terror-Maßnahmen alle Bürgerinnen und Bürger.
Hier eine punktuelle Übersetzung, die zeigt, was der G20-Kampf gegen Terror bringen wird:

Wir werden einen schnellen, gezielten Informationsaustausch zwischen Nachrichtendiensten, Strafverfolgungs- und Justizbehörden zu operativen Informationen, vorbeugenden Maßnahmen und strafrechtlichen Verfolgungen erleichtern

Das bedeutet mehr Geld, politische Aufmerksamkeit und Macht für Geheimdienste. Wer Informationen austauschen möchte, muss sie erst erheben. Vorbeugende Maßnahmen zielen auf vorhersagende Polizei- und Geheimdienstarbeit, also die möglichst automatische Analyse von Verhalten und Kommunikation. Dafür ist in der Praxis der Zugang zu sozialen Netzwerken, Kommunikationswegen und Organisationen notwendig. Das wurde mit dem BND-Gesetz Ende 2016 Realität. Das Gesetz hat die von Edward Snowden aufgedeckte Überwachung nachträglich legalisiert.

Wir werden daran arbeiten, das bestehende internationale Informationsgefüge in den Bereichen Sicherheit, Reisen und Migration, darunter INTERPOL, zu fördern und dabei das erforderliche Gleichgewicht von Sicherheit und Aspekten des Datenschutzes gewährleisten.

Mit diesem Punkt ist unter anderem die Überwachung von Reisenden gemeint. Die Überwachung von Fluggästen wurde vom EU-Parlament im April 2016 beschlossen. Die belgische Regierung will gemeinsam mit den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien den grenzüberschreitenden Zugverkehr überwachen – Busse und Fähren sollen folgen.

Wir rufen dazu auf, dringend gegen Schwachstellen bei Sicherheitsvorkehrungen auf dem Flughafengelände vorzugehen, wie Zugangskontrolle und Screening (…)

In der Praxis bedeutet das, dass – zunächst an Flughäfen – Reisende akribisch durchleuchtet werden.

Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung

Unter diesen Punkt fällt unter anderem auch die Einschränkung von Bargeldzahlungen, an der in der EU aktuell gearbeitet wird, und die Aufhebung des Bankengeheimnisses im Juni 2017.

Unter der Überschrift: „Bekämpfung der Radikalisierung im Hinblick auf Terrorismus und der Nutzung des Internets für terroristische Zwecke“ ist unter anderem aufgeführt: „Wir werden mit dem Privatsektor, insbesondere mit Kommunikationsdienstleistern und den Administratoren einschlägiger Anwendungen, zusammenarbeiten, um den Missbrauch des Internets und der sozialen Medien für terroristische Zwecke (…) zu bekämpfen, und dabei die Menschenrechte uneingeschränkt achten.“

Hiermit werden unter anderem Maßnahmen zur anlasslosen Massenüberwachung gefordert – wie beispielsweise die verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung.

Im Einklang mit den Erwartungen unserer Bürger regen wir die Industrie ferner dazu an, einen rechtmäßigen, nicht-willkürlichen Zugang zu verfügbaren Informationen dort zu gewähren, wo er für den Schutz der nationalen Sicherheit vor terroristischen Bedrohungen erforderlich ist.

Im Klartext werden hier Hintertüren gefordert, die Zugang zu unseren Geräten und Daten erlauben. Auch das ist längst im Gange, denn der im Juni 2017 beschlossene Staatstrojaner ist eine Gefahr für die Sicherheit aller Geräte aller Menschen und wird mit Terrorbekämpfung gerechtfertigt.

Auch Markus Beckedahl hat die G20-Abschlussdokumente für netzpolitik.org analysiert und macht klar, in welchem Kontext die Dokumente zu lesen sind:

Zu den G20-Staaten gehören viele Staaten mit dreistelligen „Plätzen“ auf der Rangliste der Pressefreiheit: Brasilien (103), Indonesien (124), Indien (136), Mexiko (147), Russland (148), Türkei (155), Saudi-Arabien (168) und China (176). In diesen Staaten werden Bürgerrechtler und Journalisten wie Terroristen behandelt, nur weil sie sich für Menschenrechte einsetzen. Mit anderen Worten: Das, was da vorher zu lesen ist, wird in diesen Staaten dann auch gegen Bürgerrechtler und Journalisten eingesetzt.

https://digitalcourage.de/blog/2017/was-haben-diese-g20-chefs-mit-unserem-internet-vor

(…)

Artikel von Radio Utopie zum Thema:

14.06.2017 May, Macron und Merkel: Kriegskoalition gegen das World Wide Web
Die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Deutschland flüchten mit ihren Fantasien einer Kontinuität des weltweiten Wahrnehmungs-Managements auf die G20-Ebene.