Opposition in Venezuela ruft nach Streik parallele Regierung und Justiz aus
Artikel von Eva Haule, Harald Neuber
Regierungsgegner in Venezuela werten Ausstand als Erfolg, Zahlen wie bei jüngstem Plebiszit schwer nachvollziehbar. Warnung aus Moskau
In Venezuela reklamieren nach einem 24-stündigen Generalstreik der Opposition beide politische Lager den Sieg für sich. Vertreter des oppositionellen Parteienbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) sprachen von einer Beteiligung von 85 Prozent. Vertreter der Regierung stellten dies in Abrede. Nach Angaben von Präsident Nicolás Maduro arbeiteten die 700 größten Unternehmen des Landes von Donnerstag bis Freitag uneingeschränkt weiter. Indes kam es erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit mindestens zwei Toten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesen Fällen.
Auswirkungen hatte der von der MUD-Allianz ausgerufene Streik offenbar vor allem in der Hauptstadt Caracas und einigen anderen Städten des Landes. Das englischsprachige Venezuela-Portal venezuelanalysis.com – eine Partnerseite von amerika21 – berichtete jedoch von regionalen Unterschieden: „Während des Streiks wurden vor allem in wohlhabenden Gegenden (von Caracas) Geschäfte geschlossen und Straßen blockiert, während Arbeitergegenden weitgehend nicht betroffen waren“, heißt es in einem entsprechenden Bericht.
Die Angaben der Opposition zur Beteiligung, die in der internationalen Presse erneut weitgehend unhinterfragt übernommen wurden, sind tatsächlich nicht nur schwer nachprüfbar, sondern auch fragwürdig. Am vergangenen Sonntag hatte die MUD-Allianz eine Volksbefragung organisiert, an der nach eigenen Angaben über sieben Millionen Menschen teilgenommen haben sollen. Der MUD-Vertreter und aktuelle Parlamentspräsident Julio Borges hatte zuvor getwittert, dass alle Venezolaner, „ob als Wähler eingeschrieben oder nicht, mit gültigem Ausweis oder ohne“ an der Abstimmung teilnehmen könnten. Später hat die Opposition die unterschriebenen „Wahlzettel“ vernichtet.
Indes kam es erneut zu heftigen Ausschreitungen und Sabotageakten seitens der Opposition. Im Unternehmen DISICA, das den staatlichen Erdölkonzern PdVSA mit Bauteilen versorgt, übernahmen die Arbeiter die Produktion, nachdem die Führungsebene die Arbeit niedergelegt hatte. Der staatliche Lebensmittelkonzern Lacteos Los Andes berichtete von Angriffen durch vermummte und bewaffnete Demonstranten. Das Unternehmen sei mit selbstgebauten Mörsern und Brandsätzen attackiert worden, dabei hätten regierungsfeindliche Demonstranten versucht, einen Industriegas-Tank zur Explosion zu bringen. In der Hauptstadt wurde der Sitz des staatlichen Fernsehkanals VTV angegriffen.
Der MUD hat unterdessen – wie angekündigt – einen Vorstoß in Richtung einer „Parallelregierung“ unternommen: Am Freitag bestimmte das vom Oppositionsbündnis dominierte Parlament in einer Sondersitzung die 33 Richter des Obersten Gerichtshofes (TSJ) neu und ließ sie anschließend vom Parlamentspräsidenten vereidigen. Die Wahl von 13 Richtern und 20 Stellvertretern im Dezember 2015 – kurz vor dem Ende der Legislaturperiode – mit den Stimmen der damaligen Mehrheit der Linken sei „illegal“ gewesen, so die Begründung. Mehrfach hatte die Opposition dem TSJ vorgeworfen, eine „Rechtsvertretung der Regierung“ zu sein. Vizeparlamentspräsident Freddy Guevara rief bei einer Pressekonferenz die Bevölkerung auf, am Samstag im ganzen Land „massiv auf die Straße zu gehen, um die Unterstützung der Streitkräfte und der anderen Staatsgewalten für diese Entscheidung einzufordern“.
Am Tag zuvor hatte die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes das Parlament gewarnt, die Ernennung stelle ein „Delikt widerrechtlicher Aneignung von Funktionen“ dar. Unmittelbar nach der Ernennung der neuen Richter erklärte die Kammer die Entscheidung dementsprechend für „null und nichtig“ und das Vorgehen der Opposition für verfassungswidrig.
Bereits am Mittwoch stellte das Bündnis sein Programm für eine „Regierung der nationalen Einheit“ vor, die das Land „aus Krise und Diktatur“ führen solle. Der Wechsel sei unaufhaltsam und stehe kurz bevor, heißt es darin. Als Legitimation zieht der MUD das von ihm bekannt gegebene, jedoch nicht nachprüfbare Ergebnis der Volksabstimmung am vergangenen Sonntag heran, bei der es unter anderem um „die Erneuerung der Staatsgewalten, die Durchführung von Wahlen und die Bildung einer neuen Regierung der nationalen Einheit“ ging. Als Schwerpunkte der MUD-Regierung werden aufgeführt: „Soziale Gerechtigkeit; Beseitigung der humanitären Krise; ein effektiver Plan gegen die Unsicherheit, Gewalt und Kriminalität; die Säuberung und Sanierung der Polizei und Nationalgarde; die Entwaffnung und Auflösung der von der Regierung bewaffneten paramilitärischen Gruppen“, zitierte MUD-Sprecher Ramos Allup.
Wiederholt hat Russland zur Lage in Venezuela Stellung genommen. Moskau mahnte inbesondere den Verzicht auf äußere Einmischung in die politischen Abläufe des Landes an. Nun hat der stellvertretende Direktor für Information und Presse im russischen Außenministerium, Artiom Kozhin, die Politiker in Venezuela zu „staatsmännischer Weisheit“ ermahnt: „Man darf sich nicht dem Wunsch hingeben, den Gegner um jeden Preis zu unterwerfen“, dies könne zu einer „Selbstzerstörung des Staatswesens“ führen, so Kozhin.
Der Funktionär bekräftigte, dass Russland die Wiederaufnahme eines ernsthaften und konstruktiven Dialogs der Konfliktparteien in Venezuela favorisiere, der in Kompromissen mündet, die dem Land Frieden und Ruhe brächten.
In diesem Zusammenhang kritisierte der Außenamtsvertreter die am 16. Juli abgehaltene, selbstorganisierte Abstimmung des Oppositionsbündnisses MUD. Diese Aktion, die Stimmen gegen die Regierung und insbesondere gegen eine verfassunggebende Versammlung sammelte, hätte die venezolanische Bevölkerung nur einmal mehr gespalten. Die Ergebnisse der Befragung seien zudem durch ihr irreguläres Zustandekommen nicht überprüfbar.
Als „ungemein gefährliche Methoden“ qualifizierte Kozhin die Absicht der Opposition, parallele Körperschaften zu den existierenden staatlichen Institutionen zu organisieren. Die USA kritisierte er für deren jüngste, an die sozialistische Regierung gerichtete „Ultimaten und Sanktionsdrohungen“.
Erstveröffentlichung am 22.07.2017 auf Portal amerika21.de