Venezuela wählt Verfassungskonvent, Opposition nimmt Proteste wieder auf
Autoren: Philipp Zimmermann und Harald Neuber
Gut acht Millionen Teilnehmer. Regierungsgegner sprachen schon vor Abstimmung von Betrug. Vielfältige internationale Reaktionen
In Venezuela haben sich nach offiziellen Angaben 41,5 Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl der Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung beteiligt. Die Wahlbeteiligung ist damit für venezolanische Verhältnisse sehr niedrig. Die Opposition hatte zum Boykott der Wahl aufgerufen. Insgesamt hätten mehr als acht Millionen Menschen für die Reform des Grundgesetzes ausgesprochen, die von Präsident Nicolás Maduro vorgeschlagen wurde, erklärte die Rektorin des Wahlrats CNE. Bestimmt wurden am Sonntag 537 der 545 Mitglieder des Verfassungskonvents, so die offizielle Erklärung des CNE.
Unter den gewählten Mitgliedern befinden sich auch bekannte Vertreter des Chavismus, der regierenden, linksgerichteten Bewegung, unter ihnen Diosdado Cabello, Präsidentengattin Cilia Flores, die ehemalige Außenministerin Delcy Rodríguez und die frühere Ministerin für den Strafvollzug, Iris Varela. Wer für die verfassunggebende Versammlung kandidierte, musste andere politische Posten niederlegen.
Die noch ausstehenden acht Mitglieder des Gremiums werden von indigenen Volksgruppen nach eigenen Regeln am 1. August bestimmt.
Am Sonntagnachmittag hatte die Präsidentin der Wahlbehörde CNE, Tibisay Lucena, einen ruhigen Ablauf der Abstimmung bestätigt. Die Wahl finde „in einem ruhigen Klima und unter großer Beteiligung“ statt. „Wir begehen eine Feier der Demokratie“, sagte die Chefin der Behörde, die in Venezuela den Rang einer weiteren Staatsgewalt genießt. Lucena bestätigte zugleich aber auch mehrere gewaltsame Zwischenfälle. Sie hätten jedoch keine Auswirkung auf den Ablauf und das Recht der Menschen gehabt, ihre Stimme abzugeben. Die regierungskritische Tageszeitung El Nacional schrieb den Tag über fast nur von gewalttätigen Übergriffen und Zwischenfällen. Dem Blatt zufolge soll es 13 Tote gegeben haben. Später hieß es, die Staatsanwatschaft untersuche zehn Todesfälle.
Die Opposition stellt diese Version massiv in Abrede. Vertreter des Parteienbündnisses Tisch der demokratischen Einheit (MUD) hatten schon vor der Abstimmung von einem anstehenden „Wahlbetrug“ besprochen und verbreitete diese These in sozialen Netzwerken unter Hashtags wie #fraudeconstitucional oder #fraudeconstituyente. Der oppositionelle Parlamentspräsident von der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit), Julio Borges, sprach von einer Beteiligung von nur 1,5 Millionen Menschen bis zum Nachmittag. Dies entspreche lediglich sieben Prozent der eingetragenen Wähler. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Gesamtzahl drei Millionen übersteige. Die Wahlbehörde habe hingegen schon ein Kommunique vorbereitet, in dem die Beteiligung mit 8,5 Millionen Wählerinnen und Wähler angegeben werde, so Borges, ohne seine Quellen zu nennen. Für den heutigen Montag rief das MUD-Bündnis zu neuen Protesten im Land auf.
Die internationalen Reaktionen auf die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung in Venezuela fielen indes gemischt aus.
Boliviens Präsident Evo Morales verteidigte die Wahl in Venezuela. Sie sei ein Mittel, um der Gewalt derjenigen entgegenzutreten, die „Chavisten bei lebendigem Leib verbrennen“, schrieb Morales mit Blick auf die tödlichen Ausschreitungen bei Demonstrationen der venezolanischen Opposition. Gleichzeitig kritisierte er die Regierungen von Kolumbien, Mexiko und Panama, die sich im Vorfeld gegen den Urnengang ausgesprochen und angekündigt hatten, die Ergebnisse nicht anzuerkennen..
Im Laufe des Sonntags äußerten sich auch die Regierungen von Brasilien und Argentinien ablehnend zum venezolanischen Verfassungsprojekt. Der Außenminister von Brasiliens De-facto-Regierung, Aloysio Nunes, bezeichnete die Wahl als „sicheren Weg zur Verschlimmerung der Krise“ in Venezuela. Er warf Venezuelas Präsident Maduro vor, sich mit einer neuen Verfassung „an der Macht verewigen“ zu wollen.
In einem Kommuniqué des argentinischen Außenministeriums heißt es, Argentinien werde die Wahl in Venezuela nicht anerkennen, da sie „den Willen von über sieben Millionen venezolanischen Bürgern nicht respektiert, die sich gegen ihre Durchführung ausgesprochen haben“. Damit bezog sich Argentiniens Regierung auf das vor zwei Wochen durchgeführte illegale „Plebiszit“ der venezolanischen Opposition, bei dem angeblich rund 7,6 Millionen Stimmen gegen die Verfassungsversammlung abgegeben wurden. Die von der Opposition genannten Zahlen konnten jedoch nicht überprüft werden, da es bei dem „Plebiszit“ keinerlei Sicherheitsmechanismen gab, um beispielsweise eine mehrfache Stimmabgabe zu verhindern. Auch hatte der MUD rund 640.000 Stimmen im Ausland angegeben, während in den diplomatischen Vertretungen des Landes nur etwa 102.000 Wahlberechtigte registriert sind.
Auch Perus Regierung ließ über ihr Außenministerium verlauten, das Land erkenne „die Resultate der illegitimen Wahl“ in Venezuela nicht an. Peru verlangt von Maduros Regierung „die rasche Etablierung eines echten nationalen Dialogs, der es erlaubt, die demokratische Ordnung wiederherzustellen“. Auf die zahlreichen Dialogangebote, die Maduro bis zuletzt an Oppositionsvertreter gerichtet hat, geht das peruanische Kommuniqué nicht ein.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, schrieb noch am Sonntag über Twitter, Washington werte das Votum als „vorgetäuschte Wahl“, die Venezuela „einen Schritt weiter an die Diktatur führt“.
In Europa stieß die Konstituante zuletzt auf offene Ablehnung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte am Sonntag, die Wahl „droht die Spannungen im Land weiter zu eskalieren“. Allerdings äußerte sie sich nicht zu möglichen Sanktionen gegen Venezuela, wie sie etwa Spaniens Regierung vergangene Woche gefordert hatte.
Zuletzt hatte sich auch die Schweiz in die Debatte eingemischt. „Die Schweiz ist äußerst besorgt über die aktuelle Lage und zunehmende Gewalt in Venezuela. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, ruft sie die Regierung auf, auf die Konstituierung der verfassunggebenden Versammlung zu verzichten und die Gewaltentrennung zu respektieren“, heißt es in einem Kommuniqué des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Diese Stellungnahme zu einer innenpolitischen Angelegenheit eines anderen Landes ist für die Schweizer Diplomatie eher untypisch, zumal sich das Land in ausländischen Konflikten meist als neutrale Vermittlerin betätigt. Die Erklärung des EDA wurde sogleich von venezolanischen Oppositionspolitikern aufgegriffen. Sogar die Schweiz, die sich „nicht einmal im Zweiten Weltkrieg auf eine Seite schlug“, spreche sich gegen den „Betrug der Constituyente“ aus, twitterte der Rechtspolitiker Freddy Guevara.
Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de am 31. Juli 2017