Die Ministerin im Wahlkampf
Autor: Bernhard Klaus, Artikel publiziert am 15. September 2017 auf Information Militarisierung e.V.
Die „Sommerreise“ und die ungeklärten Vorfälle bei der Bundeswehr
Anfang September erstattete ein Berliner Rechtsanwalt eine Strafanzeige gegen die Bundeskanzlerin Merkel wegen Untreue. Anlass war, dass die Bundeskanzlerin, die Verteidigungsministerin und der Innenminister für die An- und Abreise zu Wahlkampfauftritten mehrfach – allein Merkel bereits 50 Mal in diesem Jahr – die Flugbereitschaft der Bundeswehr in Anspruch genommen haben. Zwar wurden für diese Reisen durchschnittlich 1.500 Euro aus der Parteikasse bezahlt, dies entspricht jedoch nur einem Bruchteil der tatsächlichen Kosten und auch jener Kosten, die eine entsprechende Reise samt Sicherheitspersonal bei privaten Anbietern kosten würde.[1]
Im Falle der Bundesverteidigungsministerin kommt hinzu, dass sie in Ausübung ihres Amtes zahlreiche Termine wahrnahm, die durchaus auch den Charakter von Wahlkampfauftritten hatten. So besuchte sie die letzten Monate bundesweit Kasernen und sonstige Liegenschaften der Bundeswehr und kündigte dort Ausbaumaßnahmen an, was von der Lokalpresse fast ausnahmslos positiv bewertet wurde. Hintergrund sind die bereits jetzt massiv gestiegenen Verteidigungsausgaben und die sog. „Trendwende Personal“, die es der Ministerin erlauben, eine generelle Aufrüstung scheibchenweise als Wahlkampfgeschenke zu verkünden.
So sprach der Nordkurier bereits im Vorfeld des Besuchs der Ministerin am 6. August von einer „frohen Botschaft“: „Es sieht ganz danach aus, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an diesem Tag nach Torgelow kommt, um zu verkünden, was längst alle wissen: Der Standortübungsplatz der Bundeswehr Jägerbrück wird hochgestuft zum Truppenübungsplatz… Die Bundeswehr ist für eine Kleinstadt wie Torgelow ein großer Wirtschaftsfaktor“.[2]
Am 9. August besuchte die Verteidigungsministerin die Offiziersschule des Heeres in Dresden und die Dresdner Neueste Nachrichten zitierten: „Die Trendwende wirke sich auch auf die Offizierschule des Heeres aus. ‚Allein die Tatsache, dass wir in den nächsten fünf Jahren hier über 40 Millionen Euro investieren werden, zeigt doch, dass dieser Standort Zukunft hat’“.[3]
Am 14. August berichtete die Rheinpfalz: „Rund 77 Millionen Euro sollen in den nächsten Jahren in die Modernisierung und Erweiterung der Südpfalzkaserne in Germersheim investiert werden. 41 Millionen davon bis 2020. Das sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Montag am Rande eines Truppenbesuches in Germersheim. ‚Der Standort hat Zukunft‘, sagte von der Leyen…“.[4]
Den feierlichen ersten Spatenstich der Offiziersschule der Luftwaffe im bayrischen Roth hatte demgegenüber Bayerns Innen- und Bauminister Joachim Herrmann genutzt und die Kosten von 140 Mio. als „wichtige Stärkung der Region und ein klares Bekenntnis der Bundeswehr zu Bayern“ bezeichnet. „Die Ausgaben des Bundes für die Baumaßnahmen in Bayern werden laut Herrmann in den kommenden fünf Jahren auf bis zu 250 Millionen Euro pro Jahr steigen“, so das Landesministerium in einer Pressemitteilung zu diesem Anlass.[5]
Auch die sog. „Sommerreise“ der Verteidigungsministerin wurde vom BMVg zumindest durch Pressearbeit mit einem eigenen „Dossier“ unterstützt,[6] das zu jedem Anlass entsprechende Pressemitteilungen veröffentlicht, die manchmal fast wortgleich von der Lokalpresse übernommen wurden. Ende August stand noch das Ausbildungszentrum Technik Landsysteme in der Aachener Lützow-Kaserne auf dem Reisplan. In einer entsprechenden Pressemitteilung hieß es auch hier: „Der Standort Aachen hat Zukunft: In den nächsten 10 Jahren sollen über 100 Millionen Euro in den gesamten Standortbereich investiert werden.“[7]
Kurz darauf vermeldete der SWR: „Das Verteidigungsministerium will in den nächsten zehn Jahren mehr als 100 Millionen Euro am Bundeswehrstandort Idar-Oberstein im Hunsrück investieren … Die Bundeswehr ist der größte Arbeitgeber in Idar-Oberstein – 2.300 zivile Beschäftigte und Soldaten arbeiten dort“.[8]
Der letzte Termin der Sommerreise führte sie am 13. September nach Müllheim, wo sie die Deutsch-Französischen Brigade besuchte und unmittelbar eine „CDU-Veranstaltung“ im benachbarten Bad Krozingen anschloss, wie die Badische Zeitung berichtet. Demnach habe die Ministerin auch hier versprochen: „Seien Sie gewiss, der Standort ist sicher“. Außerdem habe sie angekündigt, „die Bundeswehr werde in Müllheim in den nächsten fünf Jahren mehr als 50 Millionen Euro investieren“.[9]
Der Besuch in Hardheim im Norden Württembergs am Folgetag gehörte hingegen nicht mehr zur „Sommerreise“, sondern wurde auch in der Presse als „Wahlkampftermin“ bezeichnet, der jedoch zumindest zeitlich in engem Zusammenhang mit der Reaktivierung der dortigen Carl-Schurz-Kaserne steht. Die eigentlich bereits aufgegebene Liegenschaft soll ab Oktober wieder von der Bundeswehr genutzt werden – soweit der Presse zu entnehmen ist, sehr zur Freude der Lokalpolitik.
Die Ministerin nutzte ihr Vorab-Interview in der Rhein-Neckar-Zeitung, um die Reaktivierung der Kaserne in den größeren Zusammenhang mit der „Trendwende“ und ihrem persönlichen Wirken zu bringen: „Der neue Bedarf für die Truppe geht zum Teil auf die von mir eingeleitete Trendwende Personal zurück… Es gibt ja einen Grund dafür, warum wir in dieser Legislatur die starren Personal- und Obergrenzen für die Bundeswehr angehoben haben“.[10]
Als Grund nennt sie die dabei im Interview die „veränderte Sicherheitslage“, wegen der die Bundeswehr „auch gehäuft internationale Verpflichtungen erfüllen“ müsse. Zu Beginn ihrer Amtszeit hatte sie das stärkere, auch militärische „Engagement“ Deutschlands noch als proaktive Strategie vorgestellt und u.a. mit Deutschlands Rolle als „bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe“ begründet.
Rechtsextreme Netzwerke?
Unwidersprochen blieb auch die Aussage der Ministerin, wonach die Vorfälle um Misshandlungen und den Tod eines Offiziersanwärters „offen und transparent“ aufgearbeitet würden. Mit ihrer Aussage, „die Wogen haben sich mittlerweile geglättet“ mag die Ministerin durchaus recht haben, doch von einer transparenten Aufarbeitung kann keine Rede sein. Vielmehr ist es erklärungsbedürftig und durchaus als politisches Meisterstück zu sehen, wie sich gerade im Wahlkampf Schweigen über zahlreiche ungeklärte Skandale in der Bundeswehr breitet.
Fast schon in Vergessenheit geraten scheint etwa der Fall des offenbar rechtsextremen Terrorverdächtigen Franco Albrecht, der im April 2017 in der Infanterieschule Hammelburg wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, Betrugs und Verstoß gegen das Waffengesetz festgenommen wurde. Nach der Befragung und Verhaftung weiterer Bundeswehrangehöriger war zunächst über ein rechtsextremes Netzwerk mit terroristischen Zielen spekuliert worden und offenbar halten die Ermittlungen hierzu an. Über die Ergebnisse dringt allerdings kaum etwas nach Außen. Zuletzt wurde öffentlich, dass die Durchsuchungen bei einem Polizist und einem Rechtsanwalt im Großraum Rostock, die Todeslisten geführt haben sollen, auf Informationen aus dem Umfeld des in Illkirch stationierten Soldaten beruhen würden. Welt.de berichtete: „Im Zuge der Ermittlungen gegen Franco A. tauchte nach WELT-Informationen auch ein Bundeswehroffizier der Reserve auf. Bei einer Befragung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz soll der Ex-Soldat, der im Verfahren als Zeuge geführt wird, schließlich Hinweise auf eine Gruppe von ausländerfeindlichen und bewaffneten Rechtsextremisten geliefert haben, die sich angeblich in Norddeutschland auf einen Bürgerkrieg vorbereiten.“[11] Dass im Umfeld der Bundeswehr Waffen und Munition gesammelt werden, um bei Gelegenheit Todeslisten abzuarbeiten, hat jedoch keinen größeren Aufschrei – und bislang auch keine politischen Konsequenzen nach sich gezogen. Auch die Hinweise auf rechtsextreme Musik und Hitlergrüße bei einer Feier des Kommandos Spezialkräfte, die am 17. August von der ARD-Sendung Panorama veröffentlicht wurden, lösten kein größeres Echo aus und brachten die Ministerin auf ihrer Sommerreise in keinerlei Erklärungsnöte.[12]
Gelenkte Spekulationen im Fall Munster
Demgegenüber wurde über den Tod eines Rekruten nach einem „Eingewöhnungsmarsch“ ausführlich berichtet. Anhand der dabei zutage getretenen Informationspolitik lässt sich jedenfalls nachweisen, dass die Aufarbeitung alles andere als offen und transparent erfolgt und es fast so scheint, als würden gezielt falsche Hinweise gegeben.
Der Vorfall wurde Ende Juli erst bekannt, nachdem ein Offiziersanwärter in der Klinik verstorben war. Zehn Tage zuvor war er bei einem Übungsmarsch auf dem Truppenübungsplatz Munster kollabiert. Aus der Pressemitteilung des Ausbildungszentrums Munster ging hervor, dass am selben Tag drei weitere Soldaten zusammengebrochen seien, ihr Zustand sei mittlerweile jedoch „stabil beziehungsweise auf dem Wege der Besserung“. Der verstorbene Offiziersanwärter sei „nach einer Marschleistung von drei Kilometern unvermutet“ zusammengebrochen, die restlichen Vorfälle hätten sich „über den Tag verteilt ereignet“.[13]
Bereits diese erste öffentliche Erklärung legte nahe, dass diese Häufung von medizinischen Notfällen nicht an der Ausbildungsmaßnahme selbst gelegen haben dürfte: „Die gemessene Höchsttemperatur am 19. Juli betrug im Raum Munster 27,7 Grad Celsius, weshalb die Soldaten nur mit leichter persönlicher Ausrüstung unterwegs waren.“ Der MDR bezeichnete den Vorfall entsprechend als „mysteriös“.
Der Verlauf der Diskussionen um das Ereignis kann man auf dem gewöhnlich gut informierten Blog Augengeradeaus.net nachvollziehen. Bereits im dritten Kommentar zur ersten Meldung zum Tod des Soldaten heißt es: „Die beschriebenen Umstände des Marsches (leichtes Gepäck, keine Zeitbegrenzung, erst drei Kilometer marschiert, mit 27,7°C keine unerträgliche Hitze) würden ja eher vermuten lassen, dass da bei der ärztlichen Untersuchung im Assessmentcenter für Führungskräfte der Bundeswehr eine Vorerkrankung o.ä übersehen wurde“.[14] Die weitere Debatte dreht sich dann v.a. darum, dass die Einstellungskriterien für neue Rekruten zu lax und die Möglichkeiten bzw. Verpflichtung zum Aufbau und Erhalt körperlicher Fitness nicht ausreichend gegeben seien.
Zwei Wochen später nahmen die Spekulationen über die Ursache eine leichte Wendung: Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hätte einer der kollabierten Soldaten „in einer internen Untersuchung“ ausgesagt, „er habe gemeinsam mit einigen Kameraden vor dem Marsch Aufputschmittel genommen“.[15] Das Bundesverteidigungsministerium konterte daraufhin, zu „Aufputschmitteln“ hätte es keine Erkenntnisse, ein Soldat habe lediglich ausgesagt, „dass er vor dem Marsch eine Dose eines Energy Drinks zu sich genommen habe.“[16] Trotzdem war die Meldung der FAZ Anlass dafür, dass sich kurzfristig in verschiedenen Medien eine eher allgemeine Diskussion um den Konsum von legalen und illegalen Drogen in der Bundeswehr entspann. Kaum nahm diese an Fahrt auf, ließ die Bundeswehr am 14. August einen neuen, zugleich sachlichen und und wenig aussagekräftigen Bericht durchsickern, in dem es hieß: „Einschränkungen der Dienstfähigkeit für den OA-Lehrgang bzw. die Ausbildung bestanden bei keinem der vier betroffenen Soldaten. Bei allen vier Soldaten wurden Körperkerntemperaturen von >40° C gemessen, sodass von einem Hitzschlag (Hyperthermie-Syndrom) ausgegangen wird.
Dies ist die schwerste Form der generalisierten Gesundheitsstörungen bei thermischer Belastung, die auch bei einer optimalen klinischen Versorgung in 10-20% der Fälle und unbehandelt fast immer zum Tode führt.“ Genau genommen ist hier keinerlei Information zu finden, die nicht bereits zwei Wochen vorher bekannt gewesen sein muss. Zur Häufung von Hitzeschlagerkrankungen könnte weiter „keine eindeutige Ursache“ genannt werden, so das Ministerium weiter.[17] In der Bundespressekonferenz wurde der Sprecher des Ministeriums noch deutlicher: “Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, was die Ursachen für dieses tragische Unglück sein könnten. Es gibt keine Gründe, die das erklären könnten.“ Die ebenfalls auf Augengeradeaus.Net veröffentlichte Abschrift der Pressekonferenz verdeutlicht viel mehr, wie sehr sich die Nachfragen und insbesondere auch die Dementis auf das Thema Aufputschmittel konzentrierten. Zwei Wochen später enthüllte die Hannoversche Allgemeine vermutlich auf Informationen aus Polizeikreisen basierend, dass alle kollabierten Soldaten auf derselben Stube untergebracht waren und illegale „Diätpillen“ zu sich genommen hätten. Außerdem hätten Feldjäger bei der Durchsuchung der Spinde noch am Tag des Vorfalls ein Plastikbeutel mit weißem Pulver gefunden, das sich später als Kreatin herausgestellt hatte.[18]
Noch am 16. August hieß es von der Bundesverteidigungsministerin: „[Wir haben] eine Untersuchungsgruppe eingesetzt, die mit großer Genauigkeit und Detailschärfe alle verschiedenen möglichen Ursachen für den Hitzschlag mehrerer Soldaten untersucht. Das geht sowohl in die Frage der klimatischen Rahmenbedingungen als auch der körperlichen Belastung als auch der Frage was haben sie getragen aber auch der Versorgung mit Getränken bis hin zur körperlichen Fitness. Bisher zeigt sich keine heiße Spur.“ Es zeige sich vielmehr „ein ganz unterschiedliches Muster und Bündel unterschiedlicher Ursachen“. Die Befragung der Soldat_innen und Soldaten solle „nur ergeben haben, dass ein Soldat in einer Pause eine Dose Energy-Drink zu sich genommen hat“. Aus Rücksicht auf die Soldat_innen und Soldaten verböten sich außerdem „Spekulationen zu einem verfrühten Zeitpunkt.“ Einen Abschlussbericht kündigte die Ministerin für Ende des Monats an.[19]
Neue Erkenntnisse über Ablauf
Bereits am Folgetag jedoch erhielten die Obleute des Verteidigungsausschuss ein Schreiben, das mit zahlreichen neuen Details aufwartete. Demnach musste ein Großteil der Offiziersanwärter vor dem eigentlichen Marsch nochmal drei Kilometer zur Kaserne und von hier zurück zum Ausgangspunkt des Eingewöhnungsmarsches zurücklegen und zwar teilweise im Laufschritt und unterbrochen durch Liegestütze. Der mittlerweile verstorbene Soldat sei schon auf dem Weg zur Kaserne, also bereits nach etwa 3km zusammengebrochen, zwei weitere mussten „kurz vor“ Ende des Orientierungsmarsches notfallmedizinisch behandelt werden und ein weiterer zeigte sich „unmittelbar vor Erreichen des Marschziels benommen sowie nicht mehr ansprechbar und brach anschließend zusammen“.
Eine weitere Teilnehmerin sei während der Märsche mehrmals nicht ansprechbar gewesen und ein weiterer „nach dem Eingewöhnungsmarsch und Abgabe seiner Ausrüstung durch Stubenkameraden kurzfristig nicht ansprechbar auf einem Stuhl in der Unterkunft aufgefunden“ worden. Außerdem berichtet das Schreiben von fünf weiteren Personen mit unterschiedlichen Beschwerden, darunter eine Knieverletzung durch einen Sturz, Schmerzen in Unterschenkeln, Bauch und Füßen. Eine weitere Person musste den Marsch wegen Erschöpfung abbrechen.[20] Laut Angaben der Hannoverschen Allgemeinen befand sich zu diesem Zeitpunkt – fast einen Monat nach dem Marsch – noch ein Soldat auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Eppendorf in Behandlung und zwei weitere befanden sich nach stationärer Behandlung in Reha. Insgesamt haben also elf von 43 Teilnehmer_innen Beschwerdesymptome gezeigt, sechs mussten den Marsch abbrechen, vier stationär behandelt werden und einer starb.
Zwar heißt es in dem Brief an die Abgeordneten, dass diese bereits am 29. Juli mündlich über einen zusätzlichen Marsch informiert worden wären, in der Öffentlichkeit ist dies zumindest nie angekommen. Stattdessen wurde wieder und wieder die an diesem Tag gemessene Höchsttemperatur und das Gewicht der Ausrüstung zitiert und auf dieser Grundlage über Ursachen spekuliert. Von Laufschritt und Liegestützen als zusätzliche „erzieherische Maßnahme“ war offenbar auch gegenüber den Abgeordneten noch nie die Rede gewesen, die stattdessen mit allgemeinen Statistiken zur Letalität von Hitzeschlägen abgespeist wurden.
Die Aussage der Ministerin, es gebe noch keine „heiße Spur“ und der Verweis auf ein „unterschiedliches Muster und Bündel unterschiedlicher Ursachen“ denen „mit großer Genauigkeit und Detailschärfe“ nachgegangen werde, erscheint demgegenüber zumindest als Irreführung. Denn dass sich die Erkenntnisse über einen „Strafmarsch“ und Beschwerden bei über einem Viertel der Teilnehmenden trotz „intensiver Befragung“ aller Beteiligten durch ein eigens aufgestelltes Untersuchungsteam erst nach vier Wochen bestätigt haben sollten, ist sehr schwer vorstellbar. Es ist also in jedem Fall von einem taktischen Preisgeben von „Details“ auszugehen und somit handelt es sich eben nicht um eine transparente Aufklärung. Ende August wurde tatsächlich ein „vorläufiger Abschlussbericht“ vorgelegt (aber nirgends dokumentiert), der angeblich „Fehler einräumt“ aber letztlich jeden Einzelfall als „ungünstige Verkettung von Umständen und Faktoren“ bezeichnet.[21] Seit dem scheint das Thema abgehakt.
Zeigt der Maulkorb Wirkung?
Erklärungsbedürftig ist v.a., dass lange keine Informationen an die Öffentlichkeit kamen, bevor sie vom Verteidigungsministerium bekannt gemacht wurden – Ausnahme ist hier lediglich das Gerücht von Aufputschmitteln, welches vom Ministerium erfolgreich dementiert bzw. auf den Konsum von Energydrinks reduziert wurde. Von der Strafmaßnahme, die offensichtlich 29 „Staatsbürger in Uniform“ unmittelbar betraf und vor den Augen 14 weiterer (plus die anwesenden Ausbilder_innen) vollzogen wurde und bei elf von ihnen zu klinischen Beschwerden bis hin zum Tod führten, drang einen Monat lang nichts an die Öffentlichkeit.
Das gilt auch und obwohl die Staatsanwaltschaft Lüneburg einige Tage nach dem Bekanntwerden des Todesfalls ebenfalls Ermittlungen aufgenommen hat. Bei einem Fall, der die interessierte Öffentlichkeit offenbar so betroffen macht und an dem so viele Menschen als Zeugen und Betroffene beteiligt waren, wäre normalerweise durchaus zu erwarten, dass die eine oder andere Information an die Medien gelangt, ohne vorher vom Ministerium zurechtgeschnitten und mit irreführenden Details angereichert worden zu sein.
Fast scheint es, als wäre der Anfang 2017 diskutierte und als „Maulkorb-Erlass“ bezeichnete Verhaltenskodex doch umgesetzt worden. Damals wollte die Verteidigungsministerin Soldat*innen und zivile Beamte darauf verpflichten, „informelle Kontakte“ zu Abgeordneten und Medienvertreter*innen zu vermeiden und mit diesen über dienstliche Angelegenheiten zu kommunizieren, wenn dies ausdrücklich autorisiert ist. Der Kodex wurde dann nicht erlassen, weil es massive Kritik und Gegenwind gab. Soldat*innen waren jedoch bereits zuvor durch das Soldatengesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet und das Ziel, diese zukünftig strikter auszulegen, kam womöglich auch ohne neuen Erlass zum Ausdruck. Bemerkenswert ist aber v.a. auch, dass über die zivilen Ermittlungsbehörden nur sehr spärlich Informationen an die Öffentlichkeit geraten. Das gilt insbesondere im Fall des möglichen rechtsterroristischen Netzwerks um Franco Albrecht, in dem die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen und in einen Mantel des Schweigens gehüllt hat.
Der Absturz in Mali
Eine ähnlich selektive und zeitlich verzögerte Preisgabe von Informationen zeigte sich beim Tod zweier weiterer Soldaten der Bundeswehr beim Absturz eines Hubschraubers in Mali. Die Bundeswehr bestätigte diesen erst, nachdem die UN längst darüber informiert hatte. Die UN hatte über Zusammenhänge mit Gefechten am Boden berichtet, während die Bundeswehr die konkreten Umstände des Flugs zweier Kampfhubschrauber gekonnt in den Kontext eines Routineeinsatzes stellte. Diese sollten bis zur Klärung der Ursachen eingestellt und stattdessen nur noch Einsätze geflogen werden, bei denen es „um Leib und Leben“ geht.
Diese Erklärung lenkte die Spekulationen klar in Richtung technischer Defekt, obwohl offiziell zunächst keine Ursache ausgeschlossen wurde. Dass es keinen Hinweis auf einen Beschuss gegeben hätte, erklärte das Verteidigungsministerium dennoch, noch bevor aus dem völlig ausgebrannten Wrack nach mehreren Tagen ein Flugschreiber geborgen werden konnte. Noch am Tag des Absturzes meldete Spiegel Online, dass nach den Beobachtungen des Piloten des zweiten Hubschraubers die Maschine plötzlich nach vorne abgekippt und zu Boden gegangen wäre. Am folgenden Tag deutete die Welt an, dass die Besatzung des zweiten Hubschraubers auch von verlorenen Rotorblättern berichtet hätte.[22]
Obwohl aus öffentlichen Quellen schnell ersichtlich war, dass am Tag des Absturzes heftige und entscheidende Gefechte zwischen verschiedenen Milizen im Norden Malis stattgefunden hatten, gingen die Medien hierauf kaum ein und bis heute gab es keine Informationen über den Kontext des konkreten Hubschraubereinsatzes[23] – auch nicht etwa auf die mitgeführte Bewaffnung – vonseiten des Ministeriums.
Die Spekulationen bezogen sich auf eine möglicherweise mangelhafte Ausbildung der Piloten – was vom Ministerium wiederum erfolgreich dementiert wurde – und wieder um das Klima und erstaunlich genaue Zahlen: Mit 36°C hätten vor Ort relativ kühle Temperaturen geherrscht, soll das Ministerium noch am Tag des Absturzes mitgeteilt und deshalb einen Zusammenhang mit der Temperatur ausgeschlossen haben.
Den Spekulationen um mangelnde Ausbildung und die zuvor erlassene Ausnahmegenehmigung, mit der die Höchsttemperatur zum Flug des Tiger von 43,26 auf 48,26°C erhöht wurde, begegnete das Verteidigungsministerium mit einem vorgezogenen Besuch in Mali und der gut vorbereiteten Berichterstattung über die Überführung der toten Soldaten. Die vorgebrachte Anteilnahme war meist verbunden mit der Ankündigung genauer, aber möglicherweise langwierigen Ursachenforschung und der Einschätzung, dass sich Spekulationen mit Rücksicht auf die Angehörigen verbieten sollten.
Knapp zwei Wochen später wurden wiederum die Obleute des Verteidigungsausschusses und über die Bundespresskonferenz am 9. August auch die breitere Öffentlichkeit über „erste Erkenntnisse“ informiert. Diese bestätigten im Wesentlichen das, was bei Spiegel und Welt.de bereits durchgesickert war: Dass der Tiger plötzlich quasi kopfüber in den Sinkflug überging und Rotorblätter verlor. Außerdem wartete das Ministerium mit weiteren Zahlen auf: „Das Luftfahrzeug flog mit einer Geschwindigkeit von ca. 135 Knoten (ca. 250 km/h) in einer Höhe von ca. 1.800 Fuß (ca. 550 m) über Grund in nordostwärtige Richtung, als es plötzlich und für die Besatzung überraschend radikal die Nase senkte und in einen starken Sinkflug überging. Nach ca. 10 Sekunden schlug das Luftfahrzeug am Boden auf und fing unmittelbar Feuer. Das Luftfahrzeug wurde zerstört, der Aufprall war nicht zu überleben.“ Außerdem könne einer der beiden aufgefundenen Flugschreiber ausgelesen werden und diese Informationen würden „mit in die Analyse ein[fließen], die dann in einigen Wochen oder Monaten vorliegen wird“.[24]
Seit dem wurden keine weiteren Informationen über den Absturz bekannt. Bemerkenswert ist hier, dass ausgerechnet im robusten Einsatz in Mali das stattfindet, was im Fall Munster und auch bezogen auf das KSK bis heute nicht passiert ist: dass (augenscheinlich) Informationen durch die beteiligten Soldaten, in diesem Falle die Piloten des zweiten Hubschraubers, durchsickern und das am Tag des Vorfalls selbst. Ob es sich dabei aber tatsächlich um ein unerwünschtes Durchsickern und nicht eine bewusste Irreführung handelt, wird offenbar auch von Bundeswehrangehörigen selbst bezweifelt. Jedenfalls halten sich auch in diesen Kreisen hartnäckig Gerüchte, wonach es sich doch um einen Abschuss gehandelt haben könnte. Dass Informationen selektiv preisgegeben werden, ist zumindest am Fall Munster klar zu erkennen.
„Freundliches Desinteresse“
Die Kommunikationsstrategie der Ministerin ist jedenfalls bislang erfolgreich. Während zahlreiche ungeklärte Skandale vermeintlich „offen und transparent“, aber ergebnislos untersucht werden, lässt sich die Ministerin bei als Truppenbesuche organisierten Wahlkampfterminen feiern und verkauft den flächendeckenden Ausbau von Kasernen als Wahlkampfgeschenke.
Möglich ist das wahrscheinlich nur aufgrund des freundlichen Desinteresses, das wesentliche Medien an der Bundeswehr und eigenständiger Recherche offenbar haben – die Hannoversche Allgemeine und Panorama müssten hier wohl ausgenommen werden. Dasselbe ließe sich aber auch über die Oppositionsparteien sagen, die dermaßen Angst haben, etwas negatives über die Bundeswehr zu sagen, dass sie lieber in den Chor derjenigen einstimmen, die die Ministerin kritisierten, als sie der Bundeswehr kurz nach dem Fall Franco Albrecht kurzzeitig ein „Führungsproblem“ attestierte. Seit dem herrscht überwiegend Schweigen. Für den Stand der Demokratie in diesem Land ist dieses Desinteresse an bewaffneten rechtsextremen Netzwerken, der Praxis in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, dem Drogenkonsum und den Ausbildungsmethoden in der Truppe jedenfalls ein schlechtes Zeichen.
Anmerkungen
1] „Untreue-Anzeige gegen Merkel“, spiegel.de vom 9.9.2017.
2] „Kommt von der Leyen mit froher Botschaft für Jägerbrück?“, nordkurier.de vom 6.8.2017.
3] „Von der Leyen in Dresden: Bundeswehr wächst wieder“, dnn.de vom 9.8.2017.
4] „Von der Leyen: Bundeswehr investiert 77 Millionen Euro in Germersheim“, rheinpfalz.de vom 14.8.2017.
5] Bayerisches Staatsministerium des Inneren: Neue Offiziersschule der Luftwaffe in Roth, Pressemitteilung vom 29.6.2017.
6] https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/sommerreise-der-ministerin-2017.
7] „Alma Mater der Technik“, Pressemitteilung des BMVg vom 29.8.2017.
8] „Bundeswehr investiert in Idar-Oberstein“, swr.de vom 8.9.2017.
9] „Die Bundeswehr investiert in Müllheim und in Donaueschingen“, badische-zeitung.de vom 13.9.2017.
10] „Es gab überzeugende Argumente für Hardheim“, rnz.de vom 13.9.2017.
11] „Bundeswehr-Reservist gab Hinweis auf Terrorverdächtige“, welt.de vom 31.8.2017.
12] Siehe hierzu Alexander Kleiß: Braune Nostalgie beim KSK – keine Überraschung!, IMI-Standpunkt 2017/026.
13] „Soldat nach Fußmarsch gestorben“, mdr.de vom 31.7.2017.
14] „Offiziersanwärter zehn Tage nach Zusammenbruch bei Marsch gestorben“, augengeradeaus.net vom 30.7.2017, Kommentar von „Stephan L.“ um 18:11.
15] „Kollabierte Soldaten nahmen Aufputschmittel“, faz.net vom 13.8.2017.
16] „Soldaten brachen mit Hitzschlag zusammen – Ursache unklar“, augengeradeaus.net vom 14.8.2017.
17] Ebd.
18] „Starb ein Bundeswehr-Soldat durch Diätmittel?“, haz.de vom 28.8.2017.
19] „Statement der Ministerin beim Besuch der Division Schnelle Kräfte“, bmvg.de vom 16.8.2017, eigene abschrift des Audios.
20] „Tod eines Offizieranwärters: Erstes Obduktionsergebnis & neue Einzelheiten“, augengeradeaus.net vom 17.8.2017.
21] „Bericht des Ministeriums lässt Fragen offen“, deutschlandfunk.de vom 1.9.2017.
22] „Warum fiel der Tiger vom Himmel?“, welt.de vom 27.7.2017.
23] Siehe hierzu: Christoph Marischka: Mali: Wie bei einem „Routineeinsatz“ Soldaten „verunglücken“, IMI-Standpunkt 2017/023.
24] „Tiger-Absturz in Mali: Mehr Erkenntnisse, aber noch keine Klarheit über Ursache (Nachtrag: BPK)“, augengeradeaus.net vom 8.8.2017.
http://www.imi-online.de/2017/09/15/die-ministerin-im-wahlkampf/